Was uns der „Militärpaß“ von Michael Kültz aus der Franzosenzeit 1794 – 1814 erzählt

VON JAKOB RAUSCH

Während es in der kurkölnischen Zeit in Ahrweiler keine allgemeine Wehrpflicht gab, sondern Ahrweiler im Kriegsfälle nur drei Kriegskarren mit 36 bis 72 Mann zu stellen hatte, kam für unsere Heimat nun auch die „Allgemeine Wehrpflicht“, der Dienst im Volksheere im Auftrage der französischen Republik und seit 1804 des französischen Kaiserreiches. Da die französische Wehrordnung in erster Linie die Unverheirateten aushob, stellen wir an Hand der Kirchenbücher die leicht zu erklärende Tatsache fest, daß unsere Ahrweiler Jünglinge sich zahlreich mit jugendlichen Jahren von 19 bis 24 Jahren in den Hafen der Ehe flüchteten, um dem Militär und Kriegsdienst zu entgehen. Eine französische Verordnung hat aber später die Verheirateten unter 25 Jahren den Junggesellen gleichgestellt. So wurde der Ahrweiler Bürger Michael Kültz, geboren am 25. Mai 1784, mit 20 Jahren zum französischen T Teeresdienst eingezogen.

Da in der Franzosenzeit Heeresdienst immer auch Kriegsdienst bedeutete, so leistete Michael Kültz im Solde Napoleons als Füsilier in der 4. Kompagnie im 92. Infanterieregiment Kriegsdienst. 1805, 1806, 1807 und 1809 sind im Entlassungspaß als Kriegsjahre verzeichnet. So kämpfte nun Michael Kültz am 2. Dezember 1805 in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz, in welcher Kaiser Napoleon den deutschen Kaiser Franz und den mit ihm verbündeten russischen Zaren Alexander besiegte und damit dem 1000-jährigen Deutschen Kaiserreich den Todesstoß versetzte.

Im Jahre 1806 kämpfte unser Ahrweiler unter den Fahnen Napoleons siegreich in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 16./19. Oktober 1806 gegen die Preußen.

Er zog nun mit den siegreichen französischen Truppen bis nach Ostpreußen und kämpfte hier für des Korsen Ruhm bis zum Sommer 1807; am 9. Juli 1807 mußte Preußen den unglücklichen Frieden von Tilsit unterzeichnen. Als der langwierige spanische ,,Heckenkrieg“ Napoleon zwang, viele Truppen nach Spanien zu schicken, hielt Österreich den Zeitpunkt für gekommen, das französische Joch abzuwerfen. Napoleon eilte aus Spanien herbei, besetzte Wien. Aber am 22./23. Mai 1809 wurde Napoleon nordöstlich von Wien vom Erzherzog Karl bei Aspern zum erstenmale besiegt, was dem Erzherzog Karl den Ehrentitel „der Löwe von Aspern“ eintrug.

Da der Sieg von Aspern leider nicht militärisch ausgenützt wurde, so blieb er auch ohne politischen Erfolg.

Am 6. Juli 1809 kämpfte unser Füsilier Michael Kültz in der Schlacht bei Wagram, östlich Wiens, Wenn auch das österreichische Heer tapfer kämpfte und nicht aufgerieben wurde, so war doch der Sieg auf Napoleons Seite, so daß Österreich am 14. Oktober den Frieden von Schönbrunn schloß, der ihm ein Drittel seines Besitzes entriß.

Aber nicht nur für Österreich war die Schlacht bei Wagram entscheidend, sondern auch für unseren Füsilier Michael Kültz, denn im Paß steht die Notiz:

„Blesse d’un coup de feu a la
bataille de Wagram“ d. h.
„verletzt durch eine Schußwunde
in der Schlacht bei Wagram“.

Diese Schußwunde war unserem Michael zum Heile; es war ein gnädiger „Heimatschuß“. Er erhält nun vom Sanitätsoffizier die Bescheinigung, daß sein linker Oberschenkel und das linke Knie durch Versteifung ihn gehbehindert machten, so daß unser Ahrweiler am 4. August 1810 endgültig aus dem Heeresdienst entlassen wurde. Der Entlassungsschein wurde genau ausgefüllt, er durchlief verschiedene Militärbehörden und trägt neun Unterschriften. Die aktive Dienstzeit setzt die sehr sorgfältig ausgefüllte Entlassungsurkunde mit vier Jahren, sieben Monate und neunzehn Tage fest.

Foto: Kreisbildstelle

Wegen Teilnahme an fünf Feldzügen kommen weitere fünf Jahre hinzu, da Kriegsjahre auch damals schon doppelt zählten, so daß ihm 9 Jahre, 7 Monate und 19 Tage angerechnet wurden. Diesem „Entlassungsschein“ ist vom Bureau des pensiones ein zweites Schreiben beigefügt, das u. a. besagt:

„Der Kriegsminister hat mich beauftragt,
daß Seine Majestät der Kaiser und König
Ihnen, Herr, eine Kriegsrente für Ihre Ver-
dienste und Verwundung von 100 Francs gewährt hat.“

Ja, bei Wagram erhielt Michael Kültz einen „Gnadenschuß“, nun brauchte er 1812 nicht mit in die Eis- und Todeswüste Rußlands, wo sämtliche 17 Krieger aus Ahrweiler ihr Leben lassen mußten, er brauchte in den erbitterten Freiheitskriegen 1813—15 nicht mehr gegen Preußen, Russen, Österreicher und Schweden zu kämpfen; er brauchte nicht mehr die männermordende Völkerschlacht bei Leipzig 1813 auf französischer Seite mitzumachen; es blieben ihm erspart die zwei Feldzüge nach Frankreich 1814 und 1815. Aber er behielt sein steifes Bein und einen Gnadensold. Auch hielt er das Bewußtsein an seine Kriegstaten wach und erzählte gerne von den vielen miterkämpften Siegen unter Napoleons Fahnen.

Einst hörte ein Schalk den abenteuerlichen Erzählungen Michaels interessiert zu. Als Michael schwieg, stellte der Schalk fest: „Ja, Michael, solange du dabei warst, war der endgültige Sieg immer auf Napoleons Seite. Hernach hat es nie mehr geklappt“. Dann freute sich Michael innerlich und trank ein weiteres Glas und rühmte den Gefangenen auf St. Helena, der einst sein Feldherr und Kaiser war.