Strukturwandel in der heimischen Landwirtschaft seit zwei Jahrtausenden
VON DR. PETER BLUM
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft stellt auch den rheinischen Bauern auf dem Markt eines ganzen Erdteils vor eine Fülle neuer Möglichkeiten und Aufgaben. Ganze Gruppen von Fachleuten ergründen die „Landwirtschaft im Strukturwandel der Volkswirtschaft“, um den ländlichen Familien und Betrieben zu helfen, neue Wege zu suchen. Diese selbst sind aber damit nicht dem Zwang enthoben, sich mit eigenen Augen umzusehen, mit ihren eigenen Fäusten anzupacken, um den Bestand und das Fortkommen zu gewährleisten.
Im Bauernhaus und im Dorf erhebt sich bald die Frage: „Wie hat man sowas früher gemacht?“ Sie ist sehr berechtigt und führt auch weiter; aber ein fertiges Beispiel zum Nachbauen in dieser Art und Größe hat selbst die so lehrreiche Geschichte nicht zur Hand, wohl eine Menge von Geschehnissen in kleineren Bereichen, die Handhaben zum Vergleichen abgeben können. Sehen wir uns da ein wenig um, etwa soweit wir Eindrücke, Schriften und eindeutig klare Funde aus der Vergangenheit besitzen!
Mit am nächsten liegt die Motorisierung, die Technik überhaupt, bei und um uns.
Schon weniger geläufig ist die
UMLEGUNG DER GRUNDSTÜCKE
Viele Gemarkungen haben sie noch nicht, in manchen liegt sie bereits ein oder zwei Geschlechter zurück. Und solange hat es nicht selten gebraucht, bis wieder Frieden in die Dörfer kam. Es war um 1900 nicht ungewöhnlich, daß der vorige Eigentümer dem neuen ernsthaften Streit machte, ihn wie einen Räuber betrachtete oder einen Dieb, der das Erbe gestohlen, erschlichen hatte. Oft konnte nur die Furcht vor sicherer Strafe verhindern, daß eine schlagfertige Faust zum Hieb ausholte oder den Gegner am Bart gezerrt hätte. Nur der Tod konnte die Kampfhähne auseinanderbringen. Die Anpassung, der Sttukturwandel blieb erst auf dem Kirchhof, im Grab, ungescholten. Nicht selten wurde einer der wenigen Obstbäume eher umgehauen als an den neuen Eigentümer abgetreten. So herzhaft konnten nicht einmal die Helden des Dichters Homer ihre Feinde auf der Festung Troja beschimpfen und schmähen – harmlose Texte im Vergleich zu einem erbosten Bauern bei der Zusammenlegung! Handfeste Erinnerung. Geht es nicht einfacher? – In einer besonders umfangreichen, langen und zersplitterten Umlegung zur Zeit der früheren Rheinprovinz mußte der ‚Landmesser nicht wenige alte Eckchen und Pfade in der Ortslage unberührt lassen, um das Verfahren als solches nicht zu gefährden. Durch die ewige Teilung waren Felder und Wiesen von der Kleinheit eines Bettuches entstanden, die oft nur von Hand bestellt werden konnten. Einer der „dicksten“ Bau- “ ern mit zwei Pferden, der Vorsteher (Ortsbürgermeister), mußte bei der Heuernte die Grenze vor den Mähern mit ihren Sensen im Laufschritt und Schweiß abtreten, daß die Taglöhner in Arbeit blieben. Erst die Notzeit im zweiten Weltkrieg riß den „bodenverbundenen“ Landwirten die Schuppen von den Augen; nur auf den größeren Flurstücken nach der Umlegung mit Zufahrtswegen und Anwendern konnten sie die inzwischen verwendbaren Maschinen benutzen und dadurch überhaupt noch ihr Brot ziehen. Sie lobten den Strukturwandel. Auch verrauchte ihr Zorn darüber, daß wir die Schulstraße nachträglich einen Meter beiderseits breiter gemacht hatten, als die Marksteine schon saßen. – Es geht auch,leichter, sich dem Strukturwandel anzugleichen. Trotzdem: nichts nur von oben aufstülpen über die Köpfe!
Motorisierung, Umlegung: zwei erlebte Erfahrungen, Hinweise, wie man sich einfacher anpassen soll. Es wird Zeit. So sehr wir die Alten verstehen. – Erkennen wir an: die Ansiedlung von Industrie auf dem Land hat manchen Ausgleich in den Bauernhäusern erleichtert; ordentlicher Fremdenverkehr hilft ebenfalls zur Anpassung. „All Murks und Orbet deet et riet, et hürt och ön der Kopp noch jet!“, hieß früher eine Landwirtschaftsschule am Eingang jeden willkommen. Der Spruch ist jetzt da weg, aber er gilt noch.
So seltsam wie es klingen mag, aber es scheint oft, als müsse noch viel an innerer Anpassung nachgeholt werden, die Trennung von so vielem, was als verehrungswert galt. Darin bleibt der Bauer am zähesten, vielleicht so mütterlich wie die Natur selbst. Er hat, gerade im Rheinland, allmählich das Handwerk und das Gewerbe aus seinem hofrechtlichen Verband abgezweigt und betrachtete die Abkehr von allem Überkommenen geradezu als sündhaft. Die Ängste daraus haben seine längst verstädterten Abkömmlinge mitgeschleppt bis in die Gegenwart des materiellen Wohlstands und werden davon bedrückt bis in ihre Träume.
Den tiefsten Erdrutsch brachte die
FRANZÖSISCHE REVOLUTION.
Die willkürlichen Dekrete gaben auch den wirtschaftlichen Wandlungen das Gesicht einer radikalen Umwälzung. Die Beseitigung aller feudalen Obereigentumsrechte ohne Entschädigung, der Reallasten mit geringer Abfindung wurde 1798 und x804 für die ganze linke Rheinseite verfügt. Die hofrechtliche Organisation, an der diese Abgaben hafteten, leistete den Bauern zum Teil noch unverkennbare Dienste. Die französische Gesetzgebung hat alle, sicher reformbedürftigen Einrichtungen von Selbstverwaltung zerschlagen. Bei organischer Entwicklung hätte der wertvolle Kern erhalten werden können.
Bald kam das beschlagnahmte Kirchengut unter den Hammer. Diese sog. Säkularisation (Verweltlichung) ist die einschneidendste Maßregel der Franzosen auf agrarwirtschaftlichem Gebiet durch den starken Besitzwechsel, den sie im Gefolge hatte (F. Steinbach). Ein Teil des kirchlichen Besitzes wurde zwar verwandt, um Pfarrkirchen, Wohlfahrtseinrichtungen oder staatliche . Pensionäre auszustatten, aber sehr viel Land kam damals aus der „toten Hand“ wieder unter die Leute. Im Rhein-Mosel-Departement ist von 1803 bis 1806 für 4 1/2 Millionen Franken „Nationalgut“ veräußert worden, nicht viel weniger im Arrondissement Kleve. Die Millionen, die auf diesem Wege nach Frankreich abgeflossen sind, kamen der rheinischen Landwirtschaft entschieden nicht zugute. Gewiß begrüßten die landhungrigen und teilungsfreudigen Bauern die neuerliche Mobilisierung, aber die Pachtgüter waren der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht gewesen. Im allgemeinen hat sich der Pächter von Kirchengut nicht schlecht gestanden, und die Wirtschaftlichkeit ist durch die Zerschlagung an sich nicht gefördert worden. Der ‚Erbpächter (Erbbeständer) eines Eifeler Abthofes hatte dreißig eigene Pferde und beschaffte für die Kindtaufe ein Ohm Wein. Seine Pacht richtete sich nach dem durchschnittlichen Ertrag von zwölf Jahren.
Am lautesten begrüßt wurde von den rheinischen Bauern, daß die Revolution und Napoleon sie steuerlich gleichstellten mit den bisher begünstigten Geistlichen und Adeligen, sowie daß der Zehnte abgeschafft wurde. Dem Adel wurden Jagd und Fischerei nicht mehr vorbehalten. Andererseits drückten die Kriegsleistungen hart, die neuen Beamten und fremden Soldaten, die Räuberbanden der Meerßener Bocksreiter, um Hans Bast Nicolay und Schinderhannes, zumal im Gebirge. Dem Abt von Altenberg wollten die Bauern seiner Fronhofverbände die Zinsen weiterzahlen, wenn ihnen dafür ihr gebührliches Essen am Dingtag verabreicht würde.
So tief eingewurzelt bleibt das ständische Denken, daß noch im Jahr 1825 ein Bauer seine Pacht an den vertriebenen weltlichen Lehnsherrn der ehemaligen Adelsherrschaft bezahlte. Das preußische Wahlrecht in drei Klassen schleppte ein Stück Mittelalter noch bis in den Oktober 1918 fort. Das Gemeinderecht begünstigte die „Meistbeerbten“. Wer keine Einkommensteuer zahlte, war „der arme Mann“ und nannte sich selbst so. Von da bis zum „dummen Bauer“ war nur ein kleiner Schritt, den der Spott des Städters gern schadenfroh und überheblich begleitet, bis in die Gegenwart. Der Kölner Tünnes ist ursprünglich wohl ein solcher „Kappes-“ oder „Knollenbauer“, sein Namenspatron der „Ferkels-Tünn“. Das Lehnswesen, in seinem Grundzug abgestuft vom Herrgott, als dem obersten Lehnsherrn, bis zum kleinen „armen Mann“, als Treueverhältnis, verbunden mit Grund und Boden, bildete in seinem Wesen, sofern es nicht mißbraucht wurde, ein festes und sicheres Gefüge auf landwirtschaftlicher Grundlage. Die Trennung davon findet erst mit dem Motor statt, nachdem der Arbeiter sich längst zügig aus dem vierten Stand emporgekämpft hat. Gewiß ist das Rechtssprichwort sehr alt und in seinem Ursprung bäuerlich: „Den Letzten beißen die Hunde.“ Jedoch kann man bei älteren Bauern heute noch hören: „Herr ist Herr, Kinder, haltet die Säue um!“ Den Schreier hört man jetzt noch „durch zehn Zehnerreihen“, selbst in solch fortschrittlichen Häusern, deren Backofen schon abgerissen ist, oder ein Gerücht geht wie vor Jahrhunderten durch „die ganze Hoheit“. Dabei war der Bauer bereits längst vor der Französischen Revolution persönlich frei, wenigstens in den rheinischen Staaten, großen und kleinen. Wir sehen aber, wie das Mittelalter trotz dieses Umsturzes eine lange Bremsspur hat, und wäre es nur mehr in der Volkskunde des rheinischen Bauerntums. Einen ausgesprochen technischen Strukturwandel hatte bereits das i8. Jahrhundert angebahnt, an dessen Ende die Französische Revolution stand.
DIE AUFKOMMENDE INDUSTRIE,
deren Überlegenheit gegenüber der Landwirtschaft sich in unserm 20. Jahrhundert eindeutig durchgesetzt hat, weckte einen immer steigenden Bedarf an bäuerlichen Erzeugnissen. Die Kartoffel gestaltete die Ernährung langsam vollständig um. In Köln ist sie seit 1741 erwiesen. Der Kerzenmacher Hummelsheim aß sie zum ersten Mal bei einem Jahresfest der Römischen Erzbruderschaft an der Elendskirche.
Der zunehmende Anbau von Gemüse, Obst, Runkelrüben und Klee durchlöcherte die Brache in der Dreifelderwirtschaft außerhalb der Hofsiedlung. Trotzdem gibt es die gemeinsame Herbstweide auf abgeernteten Wiesen stellenweise bis heute noch.
Die vielen Übergänge, selbst im hofrechtlichen Verband, vollzogen sich in den Jahren nach 1700 geruhsam, sozusagen ohne Naht, erst recht ohne Gewalt. Einen ersten jähen Sprung in Friedenszeiten verursachte im 19. Jahrhundert die rheinische Eisenindustrie, als sie sich von der Holzkohle der Eifel zur Steinkohle hauptsächlich an der Ruhr verlagerte und mit beitrug zur Ab- und Auswanderung. Heute kehrt sie in anderer Form zurück in die Bergdörfer mit ihren Arbeitskräften.
An solchen Beispielen aus der Gegenwart können wir immer wieder unsern Blick schärfen für den Wandel in der rheinischen Agrargeschichte. Wie bei jedem Blick ins Weite zurück, schichten sich hier die Dinge eng hintereinander und lassen sich nur mit größerer Mühe voneinander abheben. Ein Beispiel: die Schar von eintausend Hüttenarbeitern, Köhlern, Holzhauern und Fuhrleuten hatte kaum eine Möglichkeit, in der heimatlichen Eifel selbst irgendeine andere Lohnarbeit zu finden, als die Eisenindustrie zur Steinkohle zog. Diese Lebensfrage von, sagen wir -1862, löste sich -1962 spielend, als der Bleibergbau in Mechernich eingestellt und das Tausend der Beschäftigten sofort anderweitig auf dem sogenannten Arbeitsmarkt höchst willkommene Aufnahme finden konnte.
Da wurde nicht erst wieder, wie vor hundert Jahren aus der Eisenindustrie, das falsche Wortton der „armen Eifel“ neugeprägt. Die vielen Burgen und Klöster zeigen selbst in ihren Trümmern noch, daß die Eifel mindestens so reich war wie andere Gebiete. Jedoch hält sich üble Nachrede zum Schaden einer Gegend noch länger als nach einem Menschen. Das gehört wohl auch zum Strukturwandel. Vielleicht kümmert sich eine Meinungsforschung auf dem Lande oder eine wissenschaftliche Arbeit einmal darum.
Foto. H. Esch
Pflügender Bauer
Dabei könnte man Spuren finden bis zur
UMSTELLUNG IM 12. JAHRHUNDERT
sowie in der Siedlungsgeschichte nach und vor der Landnahme.
Auf dem Rückweg zum 12. Jahrhundert begegnen wir gebietsweise einem verdeckten Strukturwandel, der künstlich herbeigeführt wurde, nämlich wegen abweichender Rele
Nach der Reformation bestimmte der Landesherr die Staatsreligion, und es konnte geschehen, daß der Widerspenstige auswan dern mußte. Die klassische Schilderung solcher Not ist Goethes „Hermann und Dorothea“. Im Gebiet der früheren Rheinprovinz gab es beim Zusammenbruch 1794 immerhin 34 protestantische Staaten neben der katholischen Mehrheit. Nicht selten klirrten die Waffen in der Kirche und im Gottesdienst. Überfälle auf leitende Persönlichkeiten steigerten die Unsicherheit und lähmten die Schaffensfreude.
Wir erinnern uns an die heimtückische Verfolgung der Kirchentreuen von 1933 bis 1945. Wer als Mann von ein wenig Bedeutung etwa an der Fronleichnamsprozession teilnahm, stellte seine Existenz in Frage. Der Kulturkampf des 1g. Jahrhunderts in Preußen und das „Kölner Ereignis“, die Verhaftung des Erzbischofs, traten wieder deutlicher in die Erinnerung. Glaubensnot und wirtschaftliche Bedrängnis dadurch müssen in der Agrargeschichte erwähnt werden.
Höchst verderblich für die Landwirtschaft bis in die neueste Zeit war die
EINQUARTIERUNG DER TRUPPEN
mit voller Verpflegung, anstatt aus der noch sehr jungen Feldküche. Kontribution, Requisition, Beute und Plünderung schädigten den Bauern von jeher, ob der Feind oder Freund sie ihm antat, ganz abgesehen von der häufigen Unbill an Leib und Leben. In den Dörfern geistern noch Mären von solchem Ungemach, die bald zwei Jahrhunderte zurückliegen. Man lese etwa den „Simplicissimus“ von Grimmelshausen! Eine Abwehr der Bauern selbst oder ihrer kleinen Grundherren war aussichtslos. Zudem hatten die geistlichen Gebiete, außer den Kurfürstentümern, keine eigenen Waffenträger mehr; sie wären zu teuer geworden nach Ablauf des Mittelalters.
Den jüngeren Strukturwandel in den Dörfern können wir an dem baulichen Ortsbild manchmal deutlich ablesen, wie heute an der Aussiedlung. Finden wir etwa noch ein zweistöckiges Barockhaus mit den Ankerzahlen 1740 an der Schauseite, so sehen wir: unsere Ahnen haben sofort wieder ordentlich und gediegen gebaut, als sie einige Jahre Frieden hatten, ob es sich um ein Amtshaus oder ein grundherrschaftliches Anwesen handelte. Bis an die Jahre 1770, erst recht 1780, hatte sich bereits ein ersichtlicher Wohlstand des Friedens niedergeschlagen in den weltlichen und kirchlichen Prachtbauten, selbst auf dem platten Lande.
Sie bauten nicht nur beachtliche Kirchen und Schlösser und richteten sie ein mit dem Reichtum des Rokoko, sondern sie widmeten sich auch dem Schulwesen und der allgemeinen Bildung. In einem alten Dorf haben sie in den steinernen Türsturz eines Hauses beider Kirche die Jahreszahl 1784 eingemeißelt und dazu die Widmung: „Der Bildung halber“ (Eruditionis causa). Der Lernstoff in den Schulbüchern von damals hält den Vergleich mit den Lehrplänen unserer Zeit ganz gut aus.
Die Struktur seit dem 12. Jahrhundert hat immer wieder zurückgefunden zu dem ererbten Grund ihres Gefüges im Lehnrecht.
Im 12. Jahrhundert war die Umgestaltung der agrarischen Verhältnisse durch die Wandlungen des allgemeinen Wirtschaftslebens verursacht worden. Der Händler und der Markt kamen auf, um die Überschüsse der einzelnen Hufen wie der Fronhöfe nutzbar zu machen, die meist in einer
GRUNDHERRSCHAFT
zusammengefaßt sind. Diese ist entstanden, um die schwachen wirtschaftlichen Einzel kräfte zusammenzufassen, die den Wald bezwingen mußten. Dafür war eine Entwicklung von etwa vierhundert Jahren erforderlich gewesen. Sie erschließt sich uns aus den Güterverzeichnissen der Klöster, an ihrer Spitze das Urbarium der Reichsabtei Prüm, von der sich unter andern Münstereifel herleitet.
Von den Niederlanden zum Oberrhein und bis tief ins französische Sprachgebiet hinein erstreckte sich der Prümer Güterbesitz von vielen tausend Hufen.
Daneben gab es allerdings auch Grundherrschaften mit Eigentum in nur wenigen Orten sowie umfangreichen Allodialbesitz selbständiger Bauern.
Diese hatten im kleineren Volksverband tätigen und entscheidenden Anteil am politischen Leben nehmen können, bis Chlodwig sein fränkisches Reich gründete. In einem solch großen Staat reichten ihre Mittel nicht, um wirksam mitzureden. Sie waren, nicht anders als die unter ihnen gestuften Freien, Halbfreien und Knechte, von der Teilnahme am höheren Leben in Staat und Kirche ausgeschlossen. Wir können uns diesen Aufbau gar nicht aristokratisch genug vorstellen. Knechte und Mägde waren sogar persönlich unfrei und nur ein Sachwert, jedoch entwickelte sich aus ihrer Vertrauensstellung der Adel der Ministerialen. Ihnen standen die Liten aus der unterworfenen Bevölkerung nahe.
Grundherren, freie und abhängige Bauern bildeten die
MARKTGENOSSENSCHAFT
und tagten regelmäßig. Aus den Hörigen einer Grundherrschaft setzte sich der hofrechtliche Verband zusammen, der unter Vorsitz des grundherrlichen Beamten sein Recht nach Herkommen „wies“. An das Weistum,
als ihre Dorfordnung, war dann der Herr wie der Bauer gebunden.
Um alle Fragen der Feldbestellung in der Gemengelage zu regeln, vorab die Dreifelderwirtschaft zu überwachen, entstand als dritter Verband die Ortsgemeinde mit dem Grundherrn an der Spitze, mit Polizei und Niedergericht. Er erbaute meist auch die Landkirche als Eigenkirche und war deren Patronatsherr.
Ehe diese standfeste Agrarverwaltung sich entwickelt hatte, war erst die Landnahme nach der Völkerwanderung nötig gewesen, die erste Ausbauperiode, die ihren Höhepunkt im B. und g. Jahrhundert erreichte. Sie schaffte vorzugsweise neue Wirtschaftseinheiten im tiefen Wald. Später wurden die Ausbauflächen langsam gegen die Waldsäume vorgeschoben. Den stärksten Anteil an diesem Rodungswerk haben die Klöster gehabt. Einzelhof oder Dorf entstanden auf den verschiedenen Anbauplätzen.
DIE VÖLKERWANDERUNG
seit dem vierten Jahrhundert hatte einen Rückschlag gebracht, der fast ein halbes Jahrtausend anhielt. Hier liegt der stärkste Strukturwandel unserer übersehbaren deutschen Geschichte von zweitausend Jahren vor, mit Schwerpunkt am Rhein.
Von etwa 25o n. Chr. bis zum Einbruch der Langobarden in Italien 568 bewegten sich die großen germanischen Stämme nach dem Süden und Westen Europas, der sie anlockte, mit ihrer zunehmenden Volkszahl sowohl den nachdrängenden Völkern Asiens als auch dem verschlechterten Klima auszuweichen. Die Franken schoben sich nur schrittweise vor und blieben in Verbindung mit ihrer alten Heimat, halfen das weströmische Reich zerstören und brachten das Reich unter Clodwig hervor, worin auch Langobarden, Westgoten und Burgunder aufgingen.
Wohl haben unsere Vorfahren und die zurückgebliebenen Reste der vorgermanischen Bevölkerung die besten alten Anbaufluren nach dem römischen Zwischenspiel weiter bestellt; aber ihre Volksmenge und ihre Ackerbaukunst reichten nicht aus, um alles unter dem Pflug zu behalten. So mußte erst in späterer Zeit mancher alte Kulturboden wieder urbar gemacht werden.
Die Luxuswohnungen, Handelsniederlassungen und die wenigen Ackerbaudörfer der etwa
VIERHUNDERTJÄHRIGEN RÖMERZEIT
linksrheinisch wurden in der Völkerwanderung zerstört. Zudem sind die Fortschritte der bäuerlichen Besiedlung in römischer Zeit nicht sehr umfangreich gewesen. Cäsar fand den weiten Ardennerwald noch bis an den Rhein vor, als er von Aachen aus dahin zog auf der Straße, die Schumacher deswegen „Caesarstraße“ benannt hat. In ihrer Nähe, bei Kelberg, wie Jakob Kneip annimmt, hat Cäsar den Stamm der Eburonen grausam vernichtet, um sich an dem flüchtigen Stammesfürsten Ambiorix zu rächen für dessen Sieg über die Römer.
Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich, schreibt Mommsen. Zehn Legionen, die römische Reiterei und die unterworfenen Nachbarstämme hetzten die vogelfreien Germanen und plünderten ihr Land zwischen Maas und Rhein. Die Zeit der Milde war vorbei. Wie die Eburonen auch in Wäldern und Sümpfen sich verbargen, der Jäger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod. Nur einzelne retteten Leben und Freiheit, wie Ambiorix, der mit vier Reitern über den Rhein entrann. Später wurde das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwüstet. Als die letzte Burg der keltischen Freiheit, Uxellodunum am Lot, Südfrankreich, in die Hand Cäsars gefallen war, kennzeichnete er die gesamte Besatzung, indem er jedem die Hände abhauen ließt, ehe er ihn heimschickte. „Cäsar, mir graut vor dir!„ – Im Jahre 51 n. Chr. war das Land zwischen dem Rhein und den Pyrenäen in achtjährigen Kämpfen den Römern unterworfen. Allein an Steuern zog Rom jährlich vierzig Millionen Sesterzen (neun Millionen Mark) daraus.
Dem römischen Volk, der Weltwirtschaft und der Städtekultur lag das Urbarmachen der Wälder für den Ackerbau weniger am Herzen als die Sicherung‘ seiner Militär- und Handelswege. In natürlicher Anlehnung an die alten Verkehrswege und waldfreien Siedlungsflächen, aber ohne Rücksicht auf die Eignung der Gegenden für den weiteren Ausbau, trieben sie daher ihre Straßen meist in schnurgeraden Zügen über Berg und Tal. Immerhin ist damals entlang den Heerstraßen und in der Umgebung der Verkehrszentren manche neue Einzelsiedlung und eine Reihe von Märkten entstanden. In der
VORRÖMISCHEN ZEIT
betraf der Strukturwandel vorwiegend die wenigen Flächen, die von Natur aus frei von Wald, Sumpf und Moor waren und sich über das Rheinland verteilten, getrennt durch unwegsame Waldgebiete. Den verstreuten natürlichen Anbauplätzen am unteren Niederrhein gegenüber bildete die Kölner Bucht von jeher einen umfangreichen, zusammenhängenden Siedlungsraum. Die Nutzung reicht ohne längere Unterbrechung hinauf in unvordenkliche Zeit, jedoch wechselten die Siedler im Laufe der Jahrtausende wieder und wieder, ohne ’sich der unendlich mühseligen Rodung des Waldes im Großen zu unterziehen. Statt dessen wanderten sie und traten damit zur Römerzeit ein in die geschriebene Weltgeschichte. Den Wald zu roden und sich seßhaft zu machen, blieb im Rheinland den fränkischen Stämmen der Völkerwanderung vorbehalten. Dieses friedliche Werk der Kultivierung und Kultur hat sich gegen alle harten Schläge durchgesetzt bis in die„ Gegenwart. Sie bietet die großartigen Hilfen des Maschinenbaues, der Chemie, der Geldwirtschaft, des Verkehrs, um nur einige Neuerungen zu nennen.
Kehren wir am Schluß unseres Rundgangs durch den Strukturwandel im Rheinland zurück in die Zusammenlegung von 1986, mit der wir begonnen haben! Ihr Gewinner war nicht der Bauer mit dem meisten Besitz, sondern der mit dem stärksten Unternehmungsgeist. Er ließ sich die größte private Fläche Ödland aus dem ganzen Verfahren zuteilen, als niemand sie wollte, eine Halbinsel im Wald. In einigen Jahren hat er daraus die schönste Wiese des Dorfes geschaffen: gerodet, eingeebnet, entwässert, aber auch gut mit dem aufkommenden Kunstdünger bestreut. Mit dem Heu und dem Weideland vergrößerte er seinen Viehbestand erheblich, auch das Anwesen . mit seinem Haus. Kinder und Enkel loben ihn zeitlebens dafür. Er hätte auch keine Angst gehabt vor der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern sie ebenfalls als eine der Aufgaben betrachtet und angegangen, aus denen das Leben besteht. Lernen wir von ihm und allen, die sich durchsetzten, ohne das Wort Strukturwandel überhaupt zu kennen, aber ihren Boden gut nutzten!