Sie durften trinken bis . . .

HUMORVOLLES AUS EIFELER WEISTÜMERN

Von Jakob Rausch

Das Ahrweiler Kreisarchiv besitzt rund hundert Weistümer aus dem Ahr- und Eifelgau. Während im Mittelalter auf den Dingplätzen unter der Gerichtslinde beim Hof-, Dorf- und Stadtgericht Schultheiß und Schöffen nach dem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht urteilten, fing man nach der Erfindung der Buchdruckerkunst im ausgehenden Mittelalter an, das Gewohnheitsrecht nach Angabe glaubwürdiger Personen schriftlich aufzuzeichnen. So entstanden die geschriebenen „Weistümer“, die den gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern den richtigen Weg zum gerechten Urteil „weisen“ sollten.

Bei den „Hofweistümern“ handelt es sich vielfach um die Rechte und Pflichten des Grundherrn einerseits und der hörigen zinspflichtigen Hofbauern andererseits. Gerade in diesen Hofweistümern finden wir kostbare Perlen rheinischen Humors.

1. So heißt es im Weistum des Hofgerichtes in Kirchdaun aus dem 1q. Jahrhundert, das dem Freiedlen Stift St. Gereon in Köln gehörte, unter Punkt 8:

Nach Ablieferung der Zinsen und Pachten um Martini soll der Hofherr den Hofgeschworenen (= hörigen Bauern) eine freie Mahlzeit mit Essen und Trinken bereiten. Es muß das feinste Weißbrot, das zwischen Ahrweiler und Altenahr, und der reinste Speck, der zwischen Ahrweiler und Linz zu bekommen ist, gereicht werden. Dieses Herbstfest findet auf dem mit Stroh ausgestreuten Hofe statt. Sollte sich aber ein „Hofgeschworener“ ungebührlich benehmen durch Reden, Fluchen, Lästern, Schelten, Keifen, Straucheln und Übergeben, so kann der Hofschultheiß den Übeltäter des Hofes verweisen. Ansonsten wurde die Trinkfestigkeit der Bauern so erprobt: Schon morgens wurde auf dem Hofzaume ein Bettlaken aufgehängt. Die Hofgeschworenen durften nun so lange trinken, „bis daß sie das Schlaflaken erkennen für einen Wolf“. Erst dann soll der Hofschultheiß im Namen der ehrwürdigen Hofsherren Macht haben, sämtliche Hofbauern nach Hause gehen zu heischen, und er ist nicht mehr schuldig, ihnen weiter Speis und Trank aufzutragen.

2. Wir entnehmen dem Weistum (des Jahres 1580) der Geschworenen des Hofes des Grafen von Blankenheim in Ahrweiler:

Dieser Hof wurde im großen Brande von Ahrweiler am i. und 2. Mai 1689 zerstört und nachher im Barockstil wieder aufgebaut. Leider wurde das Haus im zweiten Weltkrieg durch Bomben vollständig vernichtet. lm Jahre 1961 wurde auf dem dreieckigen Gelände zwischen „Schützbahn“, „Auf der Rausch“ und „Am Teich“ ein modernes Wohnhaus errichtet.

Auch hier wurde beim Herbstgeding das Herbstfest gefeiert. Nachdem die Hofgeschworenen des Grafen von Blankenheims Rechte anerkannt hatten, ging der Schultheiß mit den hörigen Bauern in den herrschaftlichen Weinkeller. Hier reichte er den Gästen Wasser und Handtuch, um sich die Hände zu waschen. Dann gab der Schultheiß einem Bauern eine Zange und drei Zapfen. Nun haben die Geschworenen Macht, in das erste Faß zu stechen und den Wein zu versuchen. Gefällt ihnen der Wein nicht, so haben sie das Recht, den Wein des zweiten Fasses zu probieren. Dann können sie wählen zwischen dem ersten und zweiten Faß. Gehen sie aber zu einem dritten Fasse, so müssen sie bei diesem verbleiben, einerlei, ob der Wein sauer oder süß sei.

Dann läßt der Schultheiß oben im Saal den Tisch decken mit Brot und Rauchfleisch, und die Geschworenen bleiben sitzen bis zum Abend, und sie können so lange trinken, „bis daß sie erkennen eine Krähe (Raben) für einen Zaunstecken“.

3. Im Dorfe Wirft, westlich von Adenau, ehemals im Amte Nürburg gelegen, besaß das Zisterzienserkloster Himmerod einen Hof. Das Hofweistum aus dem 16. Jahrhundert berichtet unter Punkt 5:

Am Stefanstage (z6. 1z.) hat der Hofherr den Ihneleuten (= hörigen Hofbauern) auf dem Hof ein Gastmahl zu geben; die Kost gesotten und gebraten, dazu zweierlei Brot und zweierlei Wein. Und wenn sich die Höfer morgens zum Mahle setzen, dann wird ein altes Wagenrad, das drei Tage und sechs Wochen im „Mistepodel“ (= Jauche) gelegen, ins Feuer ge- wofern. An diesem Feuer darf man nicht „stochen und rodeln“. Und so lang das Rad glüht, sollen sie Zeit haben, die Mahlzeit zu halten. Sollte aber der Hofherr vorzeitig mit der Bewirtung aufhören, so haben die Höfer das Recht, mit ihren Zehnten in das nächste Wirtshaus zu gehen, und sie können dort so lange vom Zehnten zehren, bis sie noch Weg und Steg halten können. Was dann noch von dem Zehnten übrig ist, sollen sie auf dem Klosterhof abliefern. Wer aber nichts mehr übrig hat, der soll auch mit „nichtsbezahlt haben.

4. Ähnliches wird uns auch von dem „Pfefferfest“ auf der Burg Are berichtet. Dieses fand in den Fastnachtstagen statt. Das Fest hat seinen Namen von dem reichlich gepfefferten Reh- und Wildbraten, der Durst erzeugte. Da der kurkölnische Rentmeister nachwies, daß die Ausgaben für

Uns Menschen des Atomzeitalters ergötzt dieser Humor, diese Geruhsamkeit; Gelassenheit und soziale Gerechtigkeit aus der guten alten Zeit.

dieses Fest die Einnahmen an den „Fastenzehnten “ (Rauchhühner, Eier, Hafer) übertrafen, so bereitete der Rechenstift diesem Volksfest ein Ende; aber auch der „Fastenzehnt“ brauchte nicht mehr geliefert zu werden.

5. Das Weistum der Erbwildförster von Kesseling aus dem Jahre 1617 berichtet in seinem letzten Abschnitt: Zwar stand das Recht auf die „hohe Jagd“, also auf Hirsche, Rehe und Wildschweine, nur dem Landesherrn, seinen Amtsleuten und Förstern zu.

Wenn aber ein Hausmann (Bauer) auf der Wildbahn an ein Wildschwein geriete, so weisen die Wildförster Bauer und Sau zusammen. Der Bauer darf also das Schwein erlegen. Doch wofern der Hausmann ein „Hawendt- oder Wappenschwein“ (= Keiler) anträfe und niederbrächte, soll er das Haupt, so weit die zurückgeschlagenen Ohren reichen, abschneiden, doch nicht zu kurz und nicht zu genau, damit der Hausmann in keinen Schaden gerate. Das Haupt soll er sofort dem Wildförster abliefern; die eigentliche Jagdbeute gehört dem Bauer. Wäre es aber Sache, daß ein Hausmann eine Sau verletzte und nicht alsbald erlegte, so möge er der Sau nachfolgen durch aller Herren Lande auf frischem Fuß bis drei Fuß in den Rhein, und sein Bestes versuchen. Unterwegs soll er sich nicht länger aufhalten, dann daß er 1/2 Maß Wein (= 1,1 l) trinke und einen Weck dazu esse, und das am nächsten, wo er es gehaben mag.“

So war weise Fürsorge getroffen, daß das weidwunde Tier nicht verluderte.

Uns Menschen des Atomzeitalters ergötzt dieser Humbor, diese Geruhsamkeit, Gelassenheit und soziale Gerechtigkeit aus der guten alten Zeit.