Im mittelalterlichen Ahrweiler mußten die „feigsten und bequemsten“ Männer Kriegsdienste leisten
Von Jakob Rausch
Auf der alten Ahrweiler Schützenfahne steht das stolze, im Mittelalter auch voll berechtigte Wort: „Civibus auxilium non aliunde patet“, was in sinngemäßer Übersetzung heißt: „Den Bürgern ist hier (bei den Schützen) der einzige sichere Schutz.“ Wir wissen auch, daß die Ahrweiler Schützen und wohlbefestigten Stadtmauern und Tore fast vierhundert Jahre jedem Feinde den Einzug in die Stadt wehrten. Dabei ist L ‚ aber zu bedenken, daß diese Ahrweiler Bürgerwehr durchweg nur für die Stadtverteidigung war. Wohl finden wir die Ahrweiler Schützen 1372 bei der Zerstörung des Raubritternestes Neuenahr, 1632 bei der Verteidigung der kurkölnischen Stadt Linz und 1715 bei der Säuberung der Burg Are von verwilderter Soldateska, die als wüstes Raubgesindel nach dem spanischen Erbfolgekrieg von dieser Burg aus das ganze Ahrtal belästigte und beraubte. Diese „auswärtigen“ Kriegsdienste standen als solche im Dienste der Heimat und wurden auf besonderen Antrag des kurfürstlichen Landesherrn ausgeführt.
Wenn es sich also um weitere Kriegszüge handelte, die vom kölnischen Kurfürsten oder vom Reiche (Türkenkriege) unternommen wurden, dann wurden diese Kriegsdienste nicht von den Ahrweiler Schützen geleistet, sondern die sieben Ahrweiler Schöffen bestimmten dazu im Kriegsfalle je nach Bedürfnis und Auflage zwanzig bis fünfzig der „feigsten und bequemsten“, durchweg unverheirateten Männer von Ahrweiler. Darüber gibt uns das Ahrweiler Schöffenweistum von 1501 gute Auskunft.
In diesem Weistum antworteten die Schöffen auf die Frage, wem von Ahrweiler der „Glockenschlag“ gehöre, so: „Der Glockenschlag gehört allein unserem gnädigsten Herrn, dem Erzbischof und Kurfürsten von Köln, und keinem anderen Herrn.“ Hier verstehen wir unter Glockenschlag das Läuten der Kriegsglocke als Zeichen eines beginnenden Krieges. Die Kriegserklärung und das Kriegsansagen lag also nur in der Macht des Landesherrn; auch der Kaiser konnte ohne Einwilligung des Kurfürsten unserer Heimat nicht zum Kriege aufrufen.
Ließ nun der Landesherr in Ahrweiler die Kriegsglocke läuten, so mußte Ahrweiler zwei gut ausgerüstete Kriegskarren mit Kriegsgerät, Proviant und Zugtieren stellen. Diese zwei Kriegskarren lieferten die zwei reichsten Klosterhöfe in Ahrweiler: der Prümer (Alte Post) und der Klosterrather Hof (Rodder Hof). Die Ahrweiler Schöffen hatten nun die Aufgabe, zu diesen zwei Kriegskarren die erforderlichen Kriegsmannschaften zu bestimmen. Je nach der „Kriegsgefahr“ wurden 10—25 Mann je Karren aufgeboten. Und nun wählten die Schöffen die „feigsten und bequemsten“ Männer aus, was unser überaus großes Erstaunen erregt. Aber unser Staunen schwindet, wenn wir uns die beiden mittelhochdeutschen Ausdrücke näher betrachten. Der eigentliche
Sinn des ersten Wortes wird uns beim richtigen Lesen und Schreiben sofort klar: feigsten = feigsten = fähigsten = fähigsten. Also die fähigsten wurden aufgerufen. Beim zweiten Wort „bequemsten“ belehrt uns das mittelhochdeutsche Wörterbuch, das „bequem“ früher einen anderen und besseren Sinn hatte. Es bedeutet soviel wie tüchtig, wendig, überall zu verwenden. So liegt hier ein Bedeutungswandel im schlechten Sinne vor. Sagte man früher: „Das ist ein bequemer Bursche“, so war das ein Lob, während derselbe Ausdruck heute einen Tadel bedeutet.
In der Klostersprache hat sich die alte edle Bedeutung noch erhalten. Heißt es z. B. auf dem Kalvarienberg heute noch: „Das ist eine ,bequeme‘ Schwester“, so ist das ein hohes Lob. Diese wendige Schwester erfüllt überall ihre Aufgaben, in Garten und Weinberg, in Küche und Keller, im Waschraum und Bügelzimmer, an der Pforte, in Schule und Kirche. Zurück zu unseren fähigsten und tüchtigsten Ahrweilern, zum Kriege ausgehobenen Jungmännern, die von den Schöffen bestimmt wurden!
Das Schöffenweistum wirft selber die Frage auf: „Was soll mit dem aufgerufenen Bürger geschehen, der diesem ,Stellungsbefehl‘ nicht Folge leistet?“ Dann antworten die Schöffen also: „Es soll mit ihm geschehen, was von altersher rechtens war.“ Leider wird die zu verhängende Strafe nicht genannt. Auch konnte sie aus älteren Urkunden bislang nicht nachgewiesen werden, zumal das ältere Schöffengericht von 1395 diese „militärischen Aushebungen“ nicht behandelt. Die willfährigen Männer zogen nach dem von dem Landesherrn bestimmten Ort, wo sie sich mit den Heereskarren von anderen kurkölnischen Städten und Ämtern trafen, was dann einen großen, aber oft auch einen wüsten „Haufen“ ergab. Auf besondere Anweisung zog dann öfter dieser „Kriegshaufen“ über den Rhein, um sich mit der so ähnlich aufgebotenen Reichsarmee zu vereinen.
Die Schlagkraft einer so zusammengewürfelten Reichsarmee war durchweg nicht groß, was uns die Schlacht bei Roßbach im Siebenjährigen Krieg beweist, wo der Preußenkönig Friedrich II. die Franzosen und die Reichsarmee in wenigen Stunden so glänzend besiegte, daß das Volk den Spottvers sang:
„Und wenn der große Friedrich kommt
und klopft nur auf die Hosen,
dann läuft die ganze Reichsarmee,
Panduren und Franzosen!“