Fast 150 Jahre evangelischer Gottesdienst im ehemaligen Ländchen Breisig
Lothar Alter
Eigentlich könnte man noch viel weiter zurückgehen als 150 Jahre. Denn evangelischen Gottesdienst gab es bereits in der Reformationsund Gegenreformationszeit. Die ersten Anstösse liegen mit Sicherheit bei dem Kölner Kurfürsten und Erzbischof Herrmann von Wied und den evangelischen Predigern, die dieser ab 1543 nach Andernach holte. Aus einer Erklärung der Breisiger Bevölkerung von 1609 geht hervor, daß diese 40 Jahre lang protestantische Gemeinde war, ehe sie 1587 durch Jü-lichsche Truppen am Abhalten von Gottesdiensten gehindert worden wären. Aber auch in späterer Zeit trafen sich die Protestanten des Ländchens immer wieder. Die Reformierten aus Lützingen trafen sich im Kapellchen im Lammerstal, das in das Hoheitsgebiet der Burggrafschaft Rheineck und damit in den Herrschaftsbereich des Kölner Erzbischofs gehörte. Die Lutherische und später gemischte Gemeinde Breisigs traf sich in den Häusern oder im Freien; sonntags fuhren sie in großen Scharen zum Gottesdienst nach Feldkirchen und außerdem hielt ein reformierter Laie aus Siegen Bibelstunden in Niederbreisig, ehe die letzten Protestanten unter dem Druck der Obrigkeit um 1680 das Ländchen verließen. 100 Jahre später nun beginnt die Geschichte der Protestanten im Ländchen Breisig von Neuem. Der Erzbischof von Trier, Clemens Wenzeslaus, erließ 1789 ein Toleranzedikt für sein Gebiet. Dies mag der Anstoß gewesen sein für das Ersuchen des in Neuwied wohnenden Holländers Jacob van der Muelen um Errichtungsgenehmigung für eine Papiermühle in Brohl. Dieser Bitte wurde noch in dem gleichen Jahr 1792 durch die Fürstäbtissin von Essen und den Herzog von Jülich-Berg in Düsseldorf entsprochen. Bereits zwei Jahre später zog der Sohn von Jacob van der Muelen in das neu erbaute Haus in Brohl, noch bevor die Franzosen das linksrheinische Gebiet eroberten. Nach dem Sturm der Franzosenzeit fiel unser Gebiet auf dem Wiener Kongreß an Preußen. Mit den preußischen Beamten kamen nun eine Reihe von Protestanten ins Ländchen. Der Erste, der nach Niederbreisig kam, war Friedrich-Wilhelm Heße (Hehse). Er kam nach einer Militärzeit bei den Franzosen bereits 1813 als Postexpedient nach Niederbreisig. Nach dem Wiener Frieden diente er noch einmal vier Jahre im Militärdienst Preußens, ehe er sich 1817 endgültig als Wundarzt und Postexpedient in Niederbreisig niederließ. Außerdem war er 12 Jahre Gemeinderatsmitglied und 7 Jahre Beigeordneter. Obwohl das Ländchen gebietsmäßig zu Remagen gehörte, hielt sich Heße zur Gemeinde in Hönningen. Es war damals ja auch leichter nach Hönningen zu kommen als nach Remagen. Selbst als 1850 das Gebiet des Ländchens zu Andernach kam, blieb sein Kontakt nach Hönningen. Ende 1872 starb er in Niederbreisig. Seine Frau und seine Kinder waren katholisch. Daher hatte er zur katholischen Gemeinde ein gutes Verhältnis. Dies war wohl auch der Grund, warum er als Evangelischer nicht auf dem evangelischen Friedhof in Brohl, sondern auf dem »katholischen« Friedhof an der Koblenzer Straße in Niederbreisig beigesetzt wurde. Der Grabstein ist leider bereits entfernt worden im Zuge der Umwandlung des Friedhofs in einen Park. 1832 aber kam einer der hervorragendsten Persönlichkeiten des deutschen Protestantismus jener Zeit ins Ländchen: der Rittergutsbesitzer Moritz-August Freiherr von Bethmann-Hollweg, der als Professor der Rechte an der Universität Bonn lehrte. 1842 wurde er Kurator der Bonner Universität. 1846 leitete er die Deutsche Evangelische Kirchenkonferenz, die eine Neuordnung der evangelischen Landeskirchen fördern sollte. Ein Resultat dieser Konferenz war 1848 der erste Deutsche Evangelische Kirchentag in Wittenberg, auf dem er einer der beiden Vorsitzenden war. Auf diesem Kirchentag regte der »ewige Theologie-Kandi-tat« Johann-Hinrich Wichern (Gründer des Rauhen Hauses in Hamburg) die Gründung einer »Inneren Mission« an. Von Bethmann-Hollweg gehörte wieder zu den Gründungsmitgliedern des »Central-Ausschusses der Inneren Mission« und auf seine Initiative geht auch die Gründung des »Provinzial-Ausschusses der Inneren Mission im Rheinland« zurück. Später war er preußischer Innenminister und Minister für geistliche Angelegenheiten. Von 1866 bis zu seinem Tod 1877 war er dann Vorsitzender des »Central-Ausschusses der Inneren Mission« einem Vorläufer des Diakonischen Werkes in Deutschland. Dieser hervorragende Mann kaufte 1832 die halb verfallene Burg Rheineck und ließ sie nach den Plänen des berühmten Architekten Johannes Claudius de Lassaulx auf- und umbauen. Die Schloßkapelle ließ er durch den Maler Steinle ausschmücken mit Darstellungen zu den Seligpreisungen. Der Bonner Pfarrer Wichelhaus weihte die Kapelle am 7. Oktober 1837 ein. Der erste evangelische Gottesdienst fand am Tag darauf, am Sonntag, dem 8. Oktober 1837 statt. Dies war nun der erste evangelische Gottesdienst im Ländchen nach der Franzosenzeit und der erste evangelische Gottesdienst im Bereich der heutigen Gemeinde Bad Breisig der neueren Zeit. Nun wurde für die Familie und die Angestellten täglich eine Hausandacht gehalten und sonntags fand jeweils ein Gottesdienst statt, zu dem auch die evangelischen Bewohner der Umgebung eingeladen wurden. Diesen Gottesdienst hielt meist ein Pfarrer aus Bonn, den Herr von Bethmann-Hollweg einlud. Als 1850 dann mit der Berufung von Vikar Ilse für Andernach und Umgebung ein erster Schritt zur Selbständigkeit der Gemeinde getan wurde, ließ sich Herr von Bethmann-Hollweg von Remagen nach Andernach umpfarren. Außerdem stiftete er einen ansehnlichen Betrag zum Jahresgehalt des Pfarrers unter der Bedingung, daß dieser sonntäglich Gottesdienst zwischen 7.30 und 9.00 Uhr in der Schloßkapelle hielt. 1851 nahm von Bethmann-Hollweg einen durch die Dänen vertriebenen Pfarrer aus Schleswig auf. Dieser betätigte sich als »Schloßkaplan« und Reiseprediger für den »Provinzial-Ausschuss der Inneren Mission« im Rheinland.
Als 1854 die Gemeinde Andernach selbständig wurde, kam für Vikar Ilse Pastor Albrecht Julius Schöler als Pfarrer nach Andernach. Dieser mußte im November 1861 seinen gerade 18 Monate alten Sohn Wilhelm Otto auf dem evangelischen Friedhof in der Flur »Am Siegerborn« zu Füßen der Burg Rheineck begraben. Dieser Friedhof war gerade zwei Jahre vorher von Herrn von Bethmann-Hollweg der Gemeinde geschenkt worden. Bis nach dem zweiten Weltkrieg diente er als einziger Begräbnisplatz der Evangelischen im Ländchen. Ein weiteres Jahr später starb Pastor Schöler im Alter von knapp 44 Jahren und wurde neben seinem Sohn begraben. Die Gräber sind noch heute in der linken hinteren Ecke des Friedhofs unter Efeu zu sehen.
Der nächste Pfarrer war August Rocholl, der von 1863 bis 1872 in Andernach Dienst tat. Bei seinem Weggang löste Herr von Bethmann-Hollweg den Kontakt mit der Gemeinde, um seinen Erben keine Verpflichtungen hinterlassen zu müssen. Aber auch ohne die schriftliche Grundlage fanden die sonntäglichen Gottesdienste weiterhin in der Schloßkapelle statt. Zu den Evangelischen, die 1850 bereits in Brei-sig und Rheineck wohnten, gehörten neben Friedrich-Wilhelm Heße eine Familie Jordan, die mit ihrem Hauslehrer Jordan aus Elberfeld nach Niederbreisig gekommen war, und eine Frau Giersberg. Aus einer Steuerliste Evangelischer von 1857 geht hervor, daß es in Niederbreisig fünf Evangelische gab. Neben Heße waren dies der Apotheker Ungewitter und der Revierförster Dürsch mit Frau und Sohn. In Brohl wohnte der Stellmacher Peter Britz (dessen Frau und Kinder katholisch waren), der Grubenarbeiter Philipp Peiter und Carl-Werner Wingenbach, der »ohne« Beruf war. Dafür gab es in Rheineck 10 Positionen. Neben der Familie Bethmann-Hollweg war es die Verwalter-Familie Heymann und acht offensichtlich Einzelpersonen, die zu den Bediensteten des Freiherrn gehörten. Damit gab es um 1860 im ehemaligen Ländchen etwa 20 – 25 Evangelische.
Als auch in das Brohltal Evangelische kamen, waren auch sie zu den Gottesdiensten auf . Schloß Rheineck eingeladen. Da mit der Zeit für die Witwe Ewich vom Schloß Burgbrohl der Weg zu mühsam wurde, richtete Pfarrer Sine-mus 1875 bei der 88jährigen Witwe auf Schloß Burgbrohl an vier katholischen Feiertagen(l) evangelischen Gottesdienst ein. In der übrigen Zeit aber kamen auch die Protestanten des Brohltales auf Burg Rheineck. Wer einmal zu Fuß nach Burg Rheineck hinaufgestiegen ist, wird den Hut abziehen vor Frau Ewich, die noch mit 88 Jahren zu den Gottesdiensten auf die Burg kam. Die Beschwerlichkeit des Weges zur Burg bildete dann auch den Anstoß für den Kirchbau in Niederbreisig und Burgbrohl.
Seit 1891 hatte der Pfarrer einen Vikar zur Seite, der für den Nordbereich der Gemeinde Andernach hauptsächlich zuständig war, also für die Bürgermeistereien Niederbreisig und Burgbrohl. Durch diese Vikare wuchs die Selbständigkeit des Nordbezirkes und bereits 1896 versuchten die Evangelischen unter Führung von Dr. Andreae aus Burgbrohl eine selbständige Gemeinde Burgbrohl – Niederbreisig – Brohl zu bilden. Dieser Versuch wurde zwar abgelehnt (bei 180 – 200 Gemeindegliedern), er regte aber die Gründung von Kapellenbauvereinen an. Dies wurde auch sofort in die Tat umgesetzt. Und als der Präsident der Rheinprovinz am 23. 8. 1898 das endgültige »Aus« für die Gemeindegründung signalisierte, waren die Planungen für zwei Kapellen in Niederbreisig und Burgbrohl soweit fortgeschritten, daß ein Jahr später mit dem Bau der Kapelle in Niederbreisig begonnen werden konnte. Die Witwen Luise Traine und Auguste Wente schenkten den Bauplatz. Eine an der Brohltalbahn arbeitende Firma machte die Fundamente und den Sockel zum Selbstkostenpreis. An den weiteren Arbeiten waren eine Reihe einheimische Firmen beteiligt, deren Namen noch heute geläufig sind. So wurden die Zimmerarbeiten durch Zimmermeister Lessenich, die Dachdeckerarbeiten durch Adolf Lessenich aus Niederbreisig und die Schreinerarbeiten durch Anton Kindler aus Niederbreisig und Wilhelm Nonn aus Brohl ausgeführt. Die Grundsteinlegung erfolgte dann nach mancherlei Schwierigkeiten wegen der Aufbringung der Baukosten am 2. Juni 1901. Am 8. Dezember 1902 konnte die Kirche in Niederbreisig feierlich eingeweiht werden, nachdem man am Tag vorher mit einem feierlichen Gottesdienst Abschied von der Schloßkapelle Rheineck genommen hatte, die 65 Jahre lang die geistliche Heimat der Evangelischen im Nordbezirk der Gemeinde Andernach war. Ein Jahr später konnte auch die zweite Kapelle, die heutige Apostelkirche in Burgbrohl, eingeweiht werden. Der Gottesdienst-Rhythmus in beiden Kirchen hat sich über 80 Jahre hinweg praktisch nicht verändert. Seit der Einweihung der Burgbrohler Kirche wird dort zweimal im Monat und an den Feiertagen Gottesdienst gehalten, während in Bad Breisig jeden Sonn- und Feiertag Gottesdienst gefeiert wird. 1987 sind es dann 150 Jahre her, daß regelmäßig evangelischer Gottesdienst im ehemaligen Ländchen Breisig gehalten wird.