DIE MACHT DER OHNMACHT
Ein Heldenlied christlicher Nächstenliebe
VON PETER RAUSCH
Im Jahre 1963 feierte man in Waldbreitbach den hundertsten Jahrestag der Gründung der Genossenschaft der Waldbreitbacher Franziskanerinnen durch ihre erste Oberin Mutter Maria Rosa, geb. Margaretha Flesch aus Schönstatt bei Vallendar, deren Seligsprechungsprozeß 1957 eingeleitet wurde. Dabei wird es die Leser dieses Heimatbuches interessieren, daß bei den langjährigen, äußerst schwierigen Vorarbeiten zu dieser Gründung zwei Mädchen aus Dernau, nämlich Maria Bonner und Gertrud Beißel, der Gründerin Margaretha Flesch so tatkräftig, opferbereit und wirkungsvoll mithalfen, daß man wohl – menschlich geurteilt – sagen kann, ohne Mithilfe der beiden Dernauerinnen wäre es Margaretha Flesch wohl nicht möglich gewesen, die allzu großen Hindernisse und Schwierigkeiten in jahrelangen Vorbereitungen zu überwinden.
Maria Bonner wurde schon 1856 die erste und Gertrud Beißel 1859, durch Maria Bonner dazu veranlaßt, die zweite Gehilfin der Margaretha Flesch. In ihrer nun drei Personen umfassenden Gemeinschaft lebten sie zunächst in Waldbreitbach in einer alten ehemaligen Eremitenklause, etwa zehn Minuten von der Pfarrkirche entfernt. Selbst völlig mittellos, hatte Margaretha Flesch diese Klause schon 1851 bezogen, wobei ihr ein Jude die Kücheneinrichtung schenkte. Sie erteilte in ihrer Klause Handarbeitsunterricht an erwachsene Mädchen, desgleichen an sieben Volksschulen, und zwar gegen ein jährliches Entgelt von 13 Talern je Schule. Ihre Hauptbeschäftigung aber war die ambulante Krankenpflege. Fünf Jahre hatte sie sich vergebens um opferbereite Helferinnen umgesehen, aber alle Angesprochenen schreckten zurück vor der übergroßen Armut in der Eremitenklause. Erst in den beiden Dernauerinnen fand sie 1856 und 1859 ihre ersten dauernden Helferinnen gegen menschliche Not, Krankheit und Elend.
Maria Bonner und Gertrud Beißel drängten nun immer wieder die Leiterin Margaretha Flesch, größere Räume zu besorgen, um dann auch mehrere Waisenkinder, mehr Handarbeitsschülerinnen, besonders aber auch mehr Helferinnen für die ambulante Krankenpflege aufnehmen zu können. Maria Bonner hatte schön 1857 Margaretha Flesch veranlaßt, auf dem Kapellenberg zwischen Waldbreitbach und Glockscheid ein unfruchtbares, mit Dornen und Ginstern bewachsenes Gelände, zu erwerben, um dort später ein Krankenhaus und Altersheim errichten zu können. 1860 zogen die drei Getreuen aus der zu engen Klause in eine größere Mietwohnung, welche ihnen die Witwe Lay in Hausen bei Waldbreitbach zur Verfügung stellte. Aber in dieser Mietwohnung wurde das Verlangen der drei „Schwestern“, ein eigenes und größeres Heim zu errichten, nur noch stärker. Und hoffend gegen alle Hemmnisse, aber gestärkt durch ein unbesiegbares Gottvertrauen, begannen die drei Heldinnen der christlichen Nächstenliebe mit einem gespendeten Baubetrag von vierzehn Talern auf der öden, steinigen, felsigen Berghöhe, zu der kein Fahrweg führte, mit Hilfe des Maurermeisters Becker aus Elsaff den Bau des neuen Hauses.
Die drei Getreuen trugen das Baumaterial: Steine, Sand, Kalk, Wasser und Holz in Eimern, Körben und Hotten den steilen alten Kreuzweg hinauf, und zwar nur in ihren Feierabendstunden, nachdem sie tagsüber Kranke gepflegt, Handarbeitsunterricht erteilt, als Tagelöhnerinnen sich ihren Unterhalt verdient hatten, oder auch bei Witwen, die keine Hilfe hatten, gegen Gotteslohn gearbeitet haben. Ja, ohne die beiden Betreuerinnen hätte Margaretha Flesch den Bau auf der steilen Bergeshöhe nicht beginnen können. „Mochten sie auch am Abend müde sein zum Umfallen, nach einem knappen Mahl kühlten sie sich im klaren Wasser die wundgelaufenen Füße, und dann ging’s mit schweren Lasten den Berg hinauf, siebenmal, achtmal, oft bis Mitternacht. Dann noch einmal die geschwollenen Füße in die Wied, und gegen drei Uhr morgens waren sie wieder zur Stelle, um vor der hl. Messe in der Waldbreitbacher Pfarrkirche noch einige Traglasten oben zu haben. Und das alles bei schmaler Kost. Was man an Lebensmitteln erringen und ersparen konnte, das steckten sie den Arbeitern und Notleidenden zu.“ So berichtet uns Maria Böckler in ihrem 1962. im Matthias-Grünewald-Verlag Mainz erschienenen wertvollen Buche „Die Macht der Ohnmacht‘, in dem sie nach genauen Quellen Leben und Werk der Stifterin der Franziskanerinnen BMVA von Waldbreitbach lebendig darstellt.
Zunächst lachten die Waldbreitbacher, mehr noch aber die Glockscheider, über diese „unsinnigen“ Arbeiten der drei „verrückten Frauleut“. Aber dem Spott folgten bald Bewunderung und sogar Bereitwilligkeit zur unentgeltlichen Mitarbeit. Die früheren Handarbeitsschülerinnen boten ihre unentgeltliche Mithilfe an; Fuhrwerksbesitzer fuhren auf großen Umwegen, Baumaterialien uneigennützig möglichst nahe an die Baustelle heran. Außer dem schon genannten Maurermeister Becker halfen die zwei Brüder von Margaretha, nämlich Aegidius und Johann Flesch, die beide Bauhandwerker waren, beim Bau des kleinen, zum Teil in Felsen eingehauenen Hauses, das dort stand, wo heute die Klosterpforte des großen Marienhauses steht. Am 11. November 1861, am Feste des hl. Martinus, des großen Vorbildes werktätiger Nächstenliebe, zogen die drei Gefährtinnen ins neue, nur wenige und enge Räume umfassende Haus ein. Hinter dem Haus war in mühevoller Handarbeit auf felsigem Boden ein Platz für einen Hausgarten eingeebnet worden; aber es fehlte an fruchtbarem Humusboden. Die beiden Dernauerinnen wußten Rat; wie in Weinbergen trugen sie fruchtbaren Boden aus dem Wiesengrund der Wied in Körben und Hotten zur steilen Höhe empor.
Als am -1z. Juni 1862 in der Kreuzkapelle im Tale die Gründung der Genossenschaft der Barmherzigen Brüder von Waldbreitbach durch Peter Wirth, nunmehr Bruder Jakobus genannt, durch die bischöfliche Behörde anerkannt wurde, baten die drei Gefährtinnen ihren Ortspfarrer Gomm, ihnen das gleiche Recht beim Trierer Bischof erwirken zu wollen.. Aber Pfarrer Gomm lehnte diese Bitte ab. Nachdem aber ihr Haus auf dem Berge noch erweitert und am B. September 1862, am Feste Maria Geburt, von Pfarrer Gomm eingeweiht worden war, bat Margaretha Flesch erneut um die kirchliche Anerkennung. Auch diesmal antwortete Pfarrer Gomm ablehnend, indem er sagte: „Ihr könnt ja, und das habt Ihr ja jahrelang tatsächlich bewiesen, auch ohne kirchliche Anerkennung und ohne Ordenskleid Gutes tuen.“
Auf erneutes Bitten hin richtete er dann doch endlich am 11. Januar 1863 ein entsprechendes Gesuch an den Bischof Arnoldi in Trier. Schon durch Schreiben vom 17. Januar -1863 genehmigte Bischof Arnoldi. die neue Schwesterngründung. In diesem Schreiben heißt es u. a.: „Mit großer Freude habe ich den Bericht vom 11. Januar über den Entschluß der beiden braven Jungfrauen zur Erziehung der Waisenmädchen und der armen Kinder ihres Geschlechtes gelesen, und ich bitte Gott, daß dieses Liebeswerk aufblühen und reichliche Früchte der leiblichen und geistlichen Werke der Barmherzigkeit bringen möge. Sagen Sie den frommen Jungfrauen, daß ich gestatte, daß sie vor der Hand die fraglichen Gelübde auf drei oder fünf Jahre nach ihrem Ermessen ablegen und daß ich nach Ablauf dieser Zeit, wenn sie sich standhaft bewährt haben, auch die ewigen Gelübde ihnen gestatten werde.“
Krankenhaus Adenau
Foto: H. Esch
Rasch nähten nun die drei künftigen Schwestern in nächtlicher Arbeit ihre Ordenskleider, so, wie die Stifterin Margaretha Flesch diese in einem Traumgesicht geschaut hatte. Auf Wunsch der Stifterin sollte die erste feierliche Einkleidung am 19. März 1863, am Feste des hl. Josef, stattfinden. Da jedoch Pfarrer Gomm an diesem Tage durch wichtige andere Amtspflichten verhindert war, wurde die Einkleidung auf den 13. März vorverlegt; und dieser 13. März ist der Oktavtag des Todes der hl. Rosa von Viterbo, die am 6. März 1252 in Italien im Alter von 18 Jahren starb, die als Franziskanerinnen-Tertiarin heldenmütig trotz ihrer Armut und Jugend Not und Fehler ihrer Zeit erfolgreich bekämpft hatte.
Margaretha Flesch wählte nun außer der Gottesmutter auch die hl. Rosa von Viterbo zur Schutzpatronin ihrer Stiftung, und sie selbst nannte sich nun Schwester Maria Rosa vom hl. Josef. Maria Bonner erhielt den Namen Schwester Maria Franziska vom hl. Aloysius, und Gertrud Beißel wurde Schwester Maria Theresia vom hl. Franziskus genannt. Diese erste Einkleidung fand sinngemäß unten im Tale in der Waldbreitbacher Kreuzkapelle statt, wo Margaretha Flesch vor zwölf Jahren ihr Werk begonnen hatte. Hier wurden also erstmalig am 13. März 1863 die drei Ordensgelübde auf fünf Jahre abgelegt. Im Auftrage des Bischofs Arnolds wurde Schwester Maria Rosa mit dem Titel „Mutter“ die erste Oberin der Drei-Schwestern-Gemeinschaft. Nach festlichem Te Deum geleiteten die begeisterten Waldbreitbacher ihre Schwestern hinauf in ihr Haus auf der Bergeshöhe, das nun „Marienhaus“ und auch „Maria von den Engeln“ genannt wurde.
Eine geborene Dernauerin wird Gründerin der ersten Filiale der Waldbreitbacher Schwestern, und zwar in Adenau War es nun Zufall oder gar Fügung Gottes, daß bei der feierlichen Einkleidung der drei Schwestern am 13. März 1863 ein Bürger Adenaus anwesend war. Dieser wurde dabei von allem, was er gesehen und gehört hatte, so begeistert, daß er am gleichen Tage noch Mutter Maria Rosa bat, doch eine ihrer beiden Mitschwestern zur ambulanten Krankenpflege nach Adenau zu entsenden. Schweren Herzens zwar, jedoch voll Gottvertrauen, gewährte Mutter Maria Rosa die Bitte des Adenauer-Bürgers, und sie entsandte schon am 24. April 1863 Schwester Maria Theresia, geborene Gertrud Beißel aus Dernau, nach Adenau, wo sie dann die erste Filiale der Waldbreitbacher Franziskanerinnen gründete. Das Gottvertrauen Mutter Maria Rosas wurde auch hierbei unter anderm dadurch belohnt, daß zu gleicher Zeit, wo die eine der drei Schwestern nach Adenau entsandt wurde, die zwei begüterten Geschwister Kröll aus Waldbreitbach um Aufnahme in die junge Klostergemeinschaft baten, die dann mit ihrer gesunden Arbeitskraft, ihrem Grundbesitz und 1600 Talern Bargeld den weiteren Ausbau des Hauses sehr fördern könnten. Am 24. April 1863, also vor hundert Jahren, hat eine geborene Dernauerin die Niederlassung der Waldbreitbacher Franziskanerinnen in Adenau gegründet. Und kein Chronist vermag all die Werke der christlichen Nächstenliebe aufzuzählen, die in diesen hundert Jahren von diesen Schwestern in Adenau und Umgebung geleistet wurden und hoffentlich auch weiterhin trotz Schwesternmangels geleistet werden können.
Beim Tode von Mutter Rosa am 25. März 19o6 zählte ihre Gemeinschaft schon 72 Niederlassungen. Bei der endgültigen Anerkennung der Genossenschaft durch den hl. Papst Pius X., der ja wie die Stifterin Maria Rosa ebenfalls aus einem armen Elternhause hervorging, erhielt die Genossenschaft den kirchlichen Namen „Franziskanerinnen der Allerseligsten Jungfrau von den Engeln“, so wie Schwester Maria Rose ihr MutterhausKirchlein schon 1862 genannt hatte.
In den hundert Jahren ihrer Geschichte hat die Genossenschaft an hundert Niederlassungen gründen können, von denen am 1. Januar 1963 noch 93 bestanden. Diese zählten zu Beginn des Jubiläumsjahres 1240 Profeßschwestern, aber nur 36 Novizinnen und nur 15 Postulantinnen. Von diesen 93 am 1. Januar 1963 bestehenden Niederlassungen waren 83 in Deutschland, 5 in Holland; 4 in Nordamerika und 1 in Brasilien. – Leider mußten in den letzten Jahren bereits vier bestehende Niederlassungen aufgelöst werden, und, zwar nicht etwa, weil es an den betroffenen Orten an den nötigen Wirkungsmöglichkeiten fehlte, sondern ganz allein nur wegen Mangels an Schwestern. Es besteht leider die Gefahr, daß noch weitere Niederlassungen wegen Schwesternmangels geschlossen werden müssen.
Der Kalendermann hielt es für eine christliche Pflicht, auf diese unerfreuliche Tatsache auch hier mahnend aufmerksam zu machen. Vor allem soll die heutige ältere Generation es nicht unterlassen, als wahre Laienapostel in Familie und Alltagsleben immer wieder die weibliche Jugend für die Heldinnen der christlichen Nächstenliebe zu begeistern, für die sie zu beten und zu opfern bereit sind, -oder gar den Eintritt junger Menschen in eine solche Gemeinschaft moralisch und auch wirtschaftlich vorbereiten und ermöglichen zu helfen.
Mutter Maria Rosa, die am 25. März 1906 in Waldbreitbach starb, deren Seligsprechungsprozeß am 19. z. 1957 eingeleitet wurde, wird ihr Werk auch weiterhin schützen. Aber wie sie vor mehr als hundert Jahren ihre Gründung nicht ohne die beiden Dernauerinnen hätte vollbringen können, so bedarf sie heute in besonderem Maße unserer Mithilfe zur Erhaltung ihrer Genossenschaft.
Zum Schluß sei ein Teil des Briefes mitgeteilt, den Bischof Korum nach Erhalt der Todesnachricht von Mutter Maria Rosa am g. April 1906 an die damalige Generaloberin Mutter Aquilina schrieb, in dem es heißt: „Nach allen Arbeiten und Leiden ist Ihre Stifterin in den Frieden Gottes eingegangen . . . Es war ein schwaches‘ Reis, das die drei frommen Jungfrauen seinerzeit in steinigen Boden senkten. Nach menschlicher Berechnung konnte man kaum Gedeihen hoffen. Und dennoch faßte es Wurzeln und wuchs zu einem prächtigen Baum empor, weil man es in Demut gepflanzt hatte, in fester Hoffnung auf Gottes Segen zum Heil der leidenden Menschheit.“