Die japanische Botschaftsresidenz in Oberwinter
Es war einige Jahre vor dem zweiten Kriege. Damals suchte man das zerstörte Bild am Rhein wieder zu retten. Es sollte etwas ganz Besonderes werden, das Auge und Herz zur gleichen Zeit zu erheben vermag. Japanische Kirschblüten verbreiten heute für kurze Zeit den Zauber ihres eigenartig gen Farbenglanzes. Das Bild ist einmalig, doch es bleibt fremd, wenn der ehrfurchtsvoll staunende Mensch fehlt, der sich tief in das Geheimnis dieser Blüte zu versenken versteht. Wem von uns ist diese Gabe noch geschenkt? Statt dessen streifen hastige Zeitgenossen in immer steigender Geschwindigkeit die Baumreihe in der Rheinanläge neben der B 9, und doch geht auch heute noch eine Kraft religiöser Ruhe und Besinnlichkeit für das japanische Volk von dieser Blüte aus.
Ob sie dem Japaner, der heute Oberwinter besucht, noch ein Stückchen Heimat zu geben vermag? Denn es kommen viele Kinder Nippons nach hier, seitdem der Vertreter Japans in der Villa Struwe wohnt.
Das große Haus, das heute die japanische Botschaftsresidenz ist, atmet ganz den Geist selbstbewußten Bürgertums aus der Zeit um die Jahrhundertwende.
Japanischer Damenflor in traditionellen Kostümen in Oberwinter
Eine beglückende Wohnkultur verrät das Äußere, eine wohltuende Wärme die Raumgestaltung im Innern. Die beiden gewaltigen Kastanienbäume am Eingang des vorgelagerten Parkes, die gepflegte Rasenfläche, mit Rotdornbäumen und Blumenbeeten angenehm belebt, wirken auf den Besucher wie eine freundliche Geste des Willkommens.
Einmal im Jahr ist ein besonders festlicher Tag. Wenn das Zelt unterhalb der Balkonterrasse aufgebaut wird, das Sonnenbanner die Menschen auf beiden Seiten des Rheines grüßt, von Weißen Schiffen fröhliches Lied erklingt, die Radiotechniker die Lautsprecheranlagen zum Schulplatz prüfen, dann steht Oberwinter vor einigen Stunden großer Politik.
Bei solchen Gelegenheiten kommen sich die Menschen nahe. Hier werden feste Brücken gebaut, die nicht ohne Einfluß auf die Beziehungen der Völker bleiben, wenn sich auch die kleinen Verästelungen nicht immer in den Blumengarten der Oberwinterer Botschaftsresidenz verfolgen lassen.
Die anmutige Heiterkeit der jungen Japanerin im Kimono, das schwermütige Lächeln der Indonesierin in der veilchenblauen Tracht ihres Landes, die hoheitsvolle Geste der Inderin im blütenweißen Kleid, die betonte Sicherheit der Angelsachsen, die Höflichkeit der Romanen, die bunten Uniformen der Diplomaten und Soldaten, das dunkle Schwarz der Herren weltlichen und geistlichen Standes geben ein vielgestaltiges Bild der Welt, ihres Wollens und Denkens, überzeugen aber auch, daß Menschen aller Zungen auf engstem Raum zusammenleben können, wenn sie nur guten Willens sind.
Der japanische Botschafter mit Gattin im Gespräch mit den Schulleitern Bauer und Weber
Der Geist ist, der die Welt in Ordnung hält, der Ungeist war von jeher ihr Feind. Am 1. Aug. 1952 traf der 19jährige Kronprinz Akihito, der älteste Sohn des Tenno Hirohita, in Oberwinter ein. Von der Botschaftsresidenz und dem Oberwinterer Rathaus wehten die Sonnenbanner. Eine halbe Stunde nach Ankunft des hohen Gastes entbot der kath. Junggesellenverein 1847 mit seinem Tambourkorps, mit Musik und Fähndelschwenken den Willkommengruß auf traditionelle rheinische Weise. Botschaftssekretär Dr. Katashi Suga, der die Begrüßungsworte übersetzte und den Dank übermittelte, betonte, wie sehr der Kronprinz sich über diese herzliche — im Protokoll nicht vorgesehene Huldigung — gefreut habe. Völker finden die Wege zu den Herzen, wenn die Regierungen sie nicht daran hindern. Kinder waren immer gute Diplomaten. Noch unbelastet von Vorurteilen bewegen sie sich sicher auf diplomatischem Parkett. Im Herbst 1954 lud die japanische Kolonie Oberwinterer Schuljugend zu Gebäck und Kakao ein. Deutsche und japanische Kinder sprachen rheinischen Dialekt und bildeten den Rahmen zu dem kleinen Festakt, als unsere Jugend für eine japanische Schule ein Geschenk überreichte. Irgendwo in einem Klassenzimmer in Tokio hängt heute das Gemälde von Franz Steinborn, Sinzig, das die Botschaftsresidenz darstellt, den Rhein als Silberstreifen einer besseren Zukunft zeigt und auf die Sieben Berge deutet, die die Menschen ersteigen müssen, wenn sie den Blick ins Neuland suchen.
Es gilt nun eines Menschen zu gedenken, der die deutsch=japanischen Beziehungen so sehr gepflegt und vertieft hat. Als erster bevollmächtigter Botschafter bei der Bundesrepublik überreichte am 20. Januar 1954 Skunichi Käse dem Bundespräsidenten Heuß sein Beglaubigungsschreiben. Seit dieser Zeit wohnte ein Diplomat von besonderem Format in Oberwinter. Der „Diplomatische Kurier“ Heft 19.5. Jahrgang vom 21. September 1956 würdigt das Leben dieses allzufrüh verstorbennen Mannes. Sein erster Auslandsauftrag führte ihn bereits 1921 nach Berlin, wohin er 1940 als Botschaftsrat zurückkehrte. Er hat die Liebe zu dieser Stadt nie verloren, weilte auch als Botschafter der Bundesrepublik gerne in ihr, spürte in besonderem Maße ihr tragisches Schicksal und empfand als aufrichtiger Freund Deutschlands die blutende Wunde unseres zweigeteilten Landes. Er sprach deutsch wie ein Deutscher, und wer einmal das Glück hatte, ihm zu begegnen, war von dieser sympathischen Erscheinung, die Willensstärke, Güte und Entschlossenheit gleichzeitig verrät, zutiefst angesprochen. In seiner Gattin fanden wir Hoheit, Charme und Einfachheit in einer glücklichen Verbindung vereinigt. Wenn sie sonntags zur Frühmesse ging, in stiller Andacht vor der Gottesmutter kniete und ihre Kerze opferte, spürte man, wie tief und echt sie im Christentum lebte. Kurz vor dem traditionellen und großen Empfang im Frühjahr 1956 befiel den Botschafter die schwere Krankheit, die ihn auf das Sterbebett zwang. Vor seinem Tode empfing er mit der Taufe die Sterbesakramente der katholischen Kirche.
Jap. Botschafter Skunichi Kasc im Gespräch mit Hpll. Bauer
Foto: Stang
Sein Nachfolger war nur ganz kurze Zeit in Oberwinter. Als sich das politische Kräftespiel in Japan änderte, beriefen ihn seine Freunde in die Regierung nach Tokio. Seit zwei Jahren vertritt Botschafter Takeuchi sein Land in Bonn. Sein gastliches Haus gibt zuweilen Oberwinter ein ostasiatisches Gepräge. Kinder und Studenten, Arbeiter und Diplomaten, Frauen im Kimono und in Ordenstracht sind bei festlichen Gelegenheiten Gäste in der Residenz. Dabei spüren auch wir, wie der Botschafter und seine Gattin den in der Bundesrepublik zerstreut lebenden Landsleuten eine Heimat zu schaffen verstehen. Zwar blühten in diesem späten Frühjahr 1958 die japanischen Kirschbäume noch nicht, aber die japanischen Kinder in ihren farbenfrohen Kimonos ließen doch ein echtes Kirschblütenfest am 29. April werden. Als dann am 8. Mai 1958 zwischen 18 und 20 Uhr beim großen Empfang doch noch die Sonne strahlte, während sie sich den ganzen Tag scheu hinter schwarze Regenwolken verhüllte, offenbarte sie ihren Dank, weil ihr goldnes Bild symbolhaft über dem Eingang dieses Hauses glänzt, und sie in der Fahne dieses Landes lebt. Ihre Strahlen, die die Gäste aller Staaten wohltuend empfanden, kündeten vernehmlich, daß auch die schwärzesten Schatten weichen müssen, wenn die Menschen nur glauben, hoffen und lieben.