Der Wacholder in der Ahreifel
Dr. Bruno P. Kremer
Nadelhölzer wie Fichte oder Kiefer treten im heutigen Waldbild der Mittelgebirgsregionen überaus stark in Erscheinung. Stellenweise beträgt ihr Anteil an der Holzartenzusammensetzung mehr als 60 Prozent. Diese beinahe schon flächendeckende Häufigkeit von Nadelbaumbeständen täuscht im allgemeinen darüber hinweg, daß die auch im Rheinischen Schiefergebirge in Forsten überall angepflanzten Nadelhölzer ursprünglich allesamt gebietsfremd sind. Tatsächlich werden sie in unserem Raum auch erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit im Waldbau verwendet – überwiegend erst seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts, wie die erhaltenen Forstbetriebswerke ausweisen. Ohne die jahrhundertelange Holznutzung und ohne forstliche Bewirtschaftung würde die Ahreifel von verschiedenen Laubwald-Gesellschaften bedeckt, vor allem von den standörtlich jeweils etwas verschieden zusammengesetzten Rotbuchenwäldern. Langfristig sollen die recht eintönigen Nadelholzbestände wieder weitgehend durch die standorttypischen Laubwälder ersetzt werden, aber immer noch trifft man auch im Gebiet der Ahr- und der Rheineifel auf Schonungen mit Fichte, Kiefer, Douglasie oder gar Japanischer Lärche. Das typische Landschaftsbild der Mittelgebirgshö-hen wird dadurch zweifellos stärker verfremdet, als zunächst vielleicht angenommen wird. Es ist eben noch längst nicht alles unverfälschte Natur, was grünt aussieht.
Zu den wenigen Nadelholzarten, deren natürliches Verbreitungsgebiet ziemlich weit nach Westeuropa reicht und die deswegen auch in unseren Mittelgebirgen als bodenständige, heimische Art gelten können, gehört der Gemeine Wacholder (Juniperus communis). Zusammen mit zwei weiteren auf den alpinen Raum beschränkten Arten ist er der einzige einheimische Vertreter der Zypressengewächse, einer sonst weltweit mit zahlreichen Typen und Formen verbreiteten Familie der Nadelhölzer. Trotz seiner weiten Verbreitung in Europa ist der Anteil des Wacholders an der Gehölzflora in der Naturlandschaft immer vergleichsweise gering. Nur in der Kulturlandschaft gibt es größere und sogar geschlossene Bestände. Dabei fällt der Blick natürlich vor allem auf den Naturschutzpark Lüneburger Heide, die mit ihren prächtig entwickelten Wacholdervorkommen sozusagen zur Typregion dieses Nadelholzes geworden ist. Vergleichbare Vorkommen finden sich auch in Südschweden oder in den Niederlanden. Viel weniger bekannt sind dagegen die schönen Wacholderbestände in den Mittelgebirgen. Gerade auch in der östlichen Eitel, im Umkreis des Hohe-Acht-Berglandes, gibt es exemplarisch eindrucksvolle Wacholdervorkommen, die gewiß eine nähere Betrachtung verdienen.
Gewöhnlich wird der Wacholder etwa 1 – 4 m hoch, gelegentlich aber auch wesentlich höher:
Auch aus der Ahreifel sind Exemplare bis knapp 8 m Wuchshöhe bekannt. Die Wuchsform ist beim Wacholder allerdings weniger festgelegt, als gewöhnlich angenommen wird. Außer den bekannten, wegen ihres schlanken Säulenwuchses besonders auffälligen Gestalten gibt es fast ebenso häufig auch niederliegende, aufsteigende oder breit ausladende Sträucher. Die Nadelblätter des immergrünen Wacholders sind im Unterschied zu anderen Arten der gleichen Gattung oder der gleichen Familie niemals schuppenförmig, sondern immer schmal-lanzettlich. Sie stehen in etwas entfernten, immer dreizähligen Wirtein, sind ziemlich starr, auf ihrer Oberseite ein wenig rinnenförmig eingetieft und geradezu unverschämt spitz. Die Wacholderblüten sind sehr unauffällig und unscheinbar grünlich-gelb. Sie öffnen sich im Frühjahr zwischen April und Mai.
Männliche und weibliche Blüten entwickeln sich gewöhnlich immer auf getrennten Pflanzen. Nur sehr selten treten auch schon einmal einhäusige Exemplare auf. Die drei obersten Samenschuppen des weiblichen Blütenstandes werden bei ihrer weiteren Entwicklung nicht holzig und hart wie bei den übrigen Nadelhölzern, sondern saftig und fleischig. Dennoch bilden sie wegen ihres besonderen Aufbaus keine Beere im botanisch korrekten Sinne, sondern einen beerenartigen Zapfen. Er benötigt zum völligen Ausreifen nicht nur in den klimatisch etwas ungünstigeren Lagen der Hocheifel immer zwei Jahre. Erst im Herbst des zweiten Jahres nach der Blüte können die charakteristisch bläulich bereiften, eigentlich aber tiefschwarzen Beerenzapfen gesammelt werden.
Sie enthalten nennenswerte Mengen eines ätherischen Öls, dessen feines Aroma in der feinen Kräuterküche ebenso geschätzt wird wie in der Hausapotheke oder bei der Herstellung von Spirituosen. Am natürlichen Standort werden die Wacholderbeeren überwiegend durch Vögel abgeerntet und verbreitet, vor allem durch Wacholderdrosseln und früher wohl auch durch Birkwild.
Ökologisch gesehen ist der Wacholder ein ausgesprochenes Lichtholz, das im Bestand die Überstellung mit raschwüchsigen Laub- und Nadelbäumen nicht erträgt und daher auch nie im Unterwuchs von Hoch- oder Niederwald bestandsbildend vorkommt. Wacholder besiedelt von Natur aus eher Waldsäume, Waldlichtungen, Heiden oder heideartige Strauchformationen auf mäßig trockenen, meist nährstoffarmen Böden. Nur unter bestimmten Voraussetzungen, vor allem nach gezielter Ausschaltung seiner raschwüchsigen Konkurrenten, verdichten sich die Einzelvorkommen des Wacholders allmählich zu größeren, ausgedehnteren Beständen, und dies auch nur dann, wenn die Konkurrenz durch andere Gehölze regelmäßig unterbunden wird. Ältere Florenwerke aus dem letzten Jahrhundert, die die Pflanzenwelt des weiteren Mittelrheingebietes und seiner benachbarten Naturräume behandeln, enthalten übereinstimmende Angaben, wonach der Wacholder noch im letzten Jahrhundert überall vorkam und demnach sicherlich keinen Seltenheitswert besaß. In weniger als einem Jahrhundert sind die Bestände dieses einheimischen Nadelholzes jedoch sichtlich zurückgegangen. Größere, geschlossene Wacholderbestände sind heute im gesamten Rheinischen Schiefergebirge einzeln zu fassen und bekannt.
Besonders zum Spätsommer stellen sich in einem Wacholderbestand sehr schön aufeinander
abgestimmte Farbstimmungen ein: Zum kräftigen Blau- oder Dunkelgrün des Wacholders mischen sich die
Blütenfarben der Besenheide (Calluna vulgaris) und das schon fahle Gelb der Draht-Schmiele (Dechampsia flexuosa).
Die Gründe für den verhältnismäßig raschen Rückgang einer immerhin recht bekannten und auffälligen Gehölzart sind sicherlich unterschiedlicher Art. Nach einer Untersuchung für den Eifelraum wurden vielerorts vor allem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sogenannte Ödland- und Brachflächen erneut gerodet und unter den Pflug genommen. Häufig waren diese Flächen, die wieder in Acker- oder Grünland verwandelt wurden, klassische Wacholderstandorte. Gelegentliche Wald- und Flächenbrände haben ebenfalls verschiedene Vorkommen zerstört. Auch haben die Verwendung von Wacholderholz beim Räuchern von Fleischwaren oder die in manchen Eifelgegen-den früher übliche Errichtung von Zäunen oder Einfassungen aus abgeschlagenen (!) Wacholderbüschen die Bestände stark beansprucht. Für die Verdrängung des Wacholders aus den Gehölzfluren unseres Raumes wichtiger Ursachenkomplex ist sicherlich auch die Intensivierung der Forstwirtschaft. Da Wacholder ein recht langsamwüchsiges Gehölz ist und dabei auch ein wesentlich höheres Alter erreicht als viele andere heimische Sträucher, erfährt er überall dort einen sichtlichen Konkurrenznachteil, wo durch Aufforstung seine Standortbedingungen nachteilig verändert werden. Bei den heute üblichen Formen der Waldbewirtschaftung hat Wacholder im allgemeinen keinen genügenden Entwicklungsraum mehr.
Einer der ersten Beiträge zur flächigen Erhaltung von Wacholderbeständen gerade im Bereich der Ahreifel kam bezeichnenderweise nicht auf Initiative durch den amtlichen Naturschutz, sondern von privater Seite zustande:
Im Kesselinger Tal, das bei Brück abzweigt und unmittelbar vor der Nordflanke des Hohe-Acht-Berglandes verläuft, wurden vom Eifelverein in den Jahren 1906 – 1912 etwa 50 Hektar Gelände durch planmäßige Ankäufe in ein privates Naturschutzgebiet umgewandelt. Dadurch wurden besonders prächtige Bestände des Wacholders dem Zugriff bäuerlicher und forstlicher Nutzung entzogen: Das Wacholder schutzgebiet Wibbelsberg im Kesselinger Tal liegt zwischen 350 und rund 500 m ü. NN und erstreckt sich damit in einer Höhenlage, auf die fast alle nennenswerten weiteren Wacholdervorkommen im Rheinischen Schiefergebirge beschränkt sind. Der Gesamtbestand umfaßt dort schätzungsweise immer noch mehr als 10000 Exemplare. Viele der älteren Exemplare haben Wuchshöhen von über 5 m erreicht. Außerhalb der Lüneburger Heide ist der Wibbelsberg zusammen mit dem daran anschließenden Wacholdergebiet auf der Höhe bei Beilstein eines der bedeutendsten geschlossenen Vorkommen in Deutschland. Alle übrigen in der Eifel oder in anderen Mittelgebirgsregionen (beispielsweise Bergisches Land oder Schwäbische Alb) bekannten Vorkommen sind der Fläche nach kleiner, im Aspekt aber oft nicht minder eindrucksvoll. Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang etwa der Dr. Heinrich-Menke-Park. der der südlichen Umrahmung des Hohe-Acht-Berglandes und damit schon dem benachbarten Landkreis Koblenz-Mayen angehört. Fast alle Eifeler Wacholdervorkommen stocken übrigens auf Böden aus den sauer verwitternden devonischen Sandsteinen und Tonschiefern. Nur gelegentlich finden sich auch Bestände auf mitteldevonischen Kalken. In der Ahreifel sind keine derartigen Kalktriften mit Wacholder vorhanden. Auf devonischen Schieferböden gedeihen die Wacholderbüsche im allgemeinen viel besser.
Wacholderbestand mit den für die sauren Böden der Ahreifel typischen Säulenexemplaren.
Einzelne Wacholdersträucher erreichen über 5 m Wuchshöhe.
Ebenso wenig wie die Lüneburger Heide eine urwüchsige Naturlandschaft darstellt (mit der sie immer wieder verwechselt wird), sind auch die in der Ahreifel oder in anderen Teilgebieten des Rheinischen Schiefergebirges enthaltenen Wacholdervorkommen letztlich keine natürlichen Pflanzengesellschaften. Auch wenn sie besonders interessante, die Kulturlandschaft sicherlich bereichernde Vegetationseinheiten darstellen, die in dieser Zusammensetzung und Ausdehnung schon allein aufgrund ihrer Seltenheit Schützens- und erhaltenswert sind, so haben sie sich dennoch nicht spontan und völlig unabhängig von menschlichem Zutun entwickeln können. Unter den gegenwärtigen Klimabedingungen ist eine natürliche Entstehung von Heiden, in denen auch der Wacholder eine aspektbestimmende Rolle übernähme, fast völlig ausgeschlossen. Daher müssen unsere heutigen großen Wacholderheiden wohl auf andere Weise entstanden sein.
Eine Schlüsselstellung zum Verständnis der Wacholdervorkommen fällt der in früherer Zeit überall in der Eifel üblichen Nutzung der vorhandenen Laubwälder zu, vor allem der Verwendung der Wälder als Weidegründe für die Haustiere. Waldweide hat auch in der Ahreifel eine lange Tradition. Schon zur Zeit der römischen Besatzung war diese Form der Waldnutzung üblich. Eine intensive Beweidung vor allern durch Schafe oder Ziegen bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Durch Waldweidewirtschaft werden die Wälder mittel- und langfristig gesehen stark ausgelichtet, weil die Naturverjün-gung ausbleibt. Zusätzliche Holzentnahme wandelt den Naturwald allmählich in eine offene Parklandschaft um. Tritt und Verbiß durch die Weidetiere trägt zusätzlich zur Bestandsdegradation bei. Schon nach wenigen Jahren konnten sich daher an den künstlich geschaffenen und freigehaltenen Flächen Artengemeinschaften ausbreiten, die eigentlich für waldfreie Gebiete typisch sind. Wacholder ist unter den einheimischen Gehölzen die einzig völlig verbiß- und weidefeste Art. Auf sekundär offenen Standorten ist er allen übrigen Gehölzpflanzen daher so lange überlegen, wie der Nutzungsdruck durch Beweidung anhält. Setzt der Weidebetrieb aus, so kommt über Verbuschungs-stadien allmählich die Wiederbewaldung in Gang. Die großen Wacholderheiden, so auch die Vorkommen am Wibbelsberg oder auf der Beilsteiner Höhe, sind daher letztlich wirtschaftsbedingte, oft aus Eichenmischwäldern (bei gleichzeitiger Niederwaldnutzung) oder aus Rotbuchenwäldern hervorgegangene Pflanzenbestände. Sie stellen mithin Pflanzengesellschaften dar, deren Einordnung in das Gesamtsystem der untergeordneten Vegetationseinheiten tatsächlich größere Schwierigkeiten bereitet. Am ehesten stimmen die Wacholdervorkommen der Eifel noch mit Zwergstrauchheiden überein, in denen der Wacholder zunächst in Einzelstücken, bei fortdauernder Beweidung auch bestandsbildend und aspektbestimmend auftrat.
Die aromatischen, für die verschiedensten kulinarischen und medizinischen Verwendungszwecke
sehr geschätzten Wacholder“ beeren“ sind keine Beeren oder Früchte im herkömmlichen Sinne, sondern Beerenzapfen,
die durch Verwachsung von Samenschuppen entstehen.
Obwohl gerade die Schafhaltung zeitweise eine sehr bedeutende Erwerbsquelle der Eife-ler Bevölkerung war, besonders in den höher gelegenen Regionen mit ihren von Natur aus ertragsarmen Böden und Grenzstandorten, waren die Zwergstrauch-Wacholderheiden in der Eifel zu keiner Zeit in dem Maße landschaftsprägend wie etwa in den ausgedehnten Sandbodengebieten Nord- und Nordwestdeutschlands. Andererseits weist eine preußische Flächenstatistik für die Umgebung von Adenau für die Zeit um 1840 aus, daß der Waldanteil unter 30 Prozent lag, und zusätzlich sei auch noch an die stimmungvollen Gemälde des Eifelmalers Fritz von Wille erinnert, der zumindest für die Hocheifellagen ausgedehnte Heidelandschaften festgehalten hat. Daher können die heute noch vorhandenen Wacholderbestände einen Eindruck davon vermitteln, wie noch im letzten Jahrhundert die Mittelgebirgslandschaft der Eifel überall dort ausgesehen haben mag, wo wegen der Grenzertragsböden keine andere oder ergiebigere landwirtschaftliche Nutzung als die Schafweide möglich war. Unter diesem Blickwinkel sind die schönen Wacholderbestände in der Ahreifel sicherlich nicht nur biologisch und ökologisch wichtige Lebensräume besonderer Pflanzen-und Tierarten, sondern zugleich auch interessante Erinnerungsstücke an die Wirtschaftslandschaft des vergangenen Jahrhunderts und noch früherer Zeiten. Gerade auch dieser Gesichtspunkt sollte bei der Bewertung der Schutz- und Erhaltungswürdigkeit flächiger Wacholdervorkommen angemessen berücksichtigt werden.
Die Erhaltung der Wacholderheiden als wirtschaftsgeschichtliche Dokumente der früheren Eifeler Kulturlandschaft ist natürlich mit einem gewissen Pflegeaufwand verbunden. In regelmäßigen Abständen müssen die durch Samen-anflug aufkommenden Gehölzkonkurrenten entnommen und die Bestände licht und zugänglich gehalten werden. Die Gebiete am Wibbelsberg und auf der Beilsteiner Höhe befinden sich derzeit in einem recht guten Pflegezustand. Die ohnehin etwas spärlicheren Bestände etwa im Gebiet der Teufelsley oberhalb des Ahrtals sind dagegen kaum noch auffindbar. Stellenweise wurde auch in jüngster Zeit noch Wacholder durch Aufforstung mit Kiefer und Douglasie in Bedrängnis gebracht. Es besteht angesichts der ausgedehnten Nadelforste auch in der Ahreifel und ihrem Umland sicherlich kein unmittelbarer Zwang, die wegen ihre Reliktcharakters wertvollen Landschaftsbestandteile auf diese Weise ökologisch zu entwerten.
Wacholder gehört nach den Regelungen der derzeit gültigen Bundesartenschutzverordnung nicht mehr zu den besonders geschützten Pflanzenarten, während diese Gehölzart noch wenige Jahre zuvor den gefährdeten und unter Naturschutz stehenden Pflanzen zugerechnet wurde. Dies mag damit zusammenhängen, daß der Wacholder auch im Rheinland in mehreren Naturschutzgebieten vertreten und somit im Bestand offenbar gesichert ist. Die Schutzwürdigkeit von Einzelvorkommen außerhalb eigens ausgewiesener Naturschutzgebiete steht jedoch nach wie vor außer Frage.
Literatur
Kremer. B, P.. Caspers. N,: Das Ahrtal. Rheinische Landschafter H. 23. Neuss1982.
Kremer. B. P.. Meyer. W.. Roth. H. J,: Natur im Rheinland. Wurzburg 1986
Meyer, W.. Kremer. B. F.: Das VulKangebiet der Hocheirel, Rheinische Landscharten H. 29. Neuss 1986.