Das Dreikönigserlebnis des Erzbischofs und Kurfürsten Johann Hugo von Orsbeck
Von Jakob Rausch
Wie die Waldboten von Bassenheim, die Herren von Leyen und die Grafen Wolff-Metternich, so saßen auch die Herren von Orsbeck auf manchen Burgen der Rheineifel; sie herrschten auf der Olbrück, auf der Genovevaburg in Mayen, auf der Wensburg im Liersbachtale, auf der Nürburg und der Burg Are (Altenahr). Aber auch in den Ratshäusern der kurkölnischen Städte Ahrweiler und Andernach und in der kurtrierischen Stadt Mayen regierten sie als Vögte, Schultheißen, Amtleute oder Bürgermeister und sprachen Recht im Gerichtssaale.
In Ahrweiler besaßen die Orsbecker einen eigenen Hof, der in der Niederhut an der Plätzergasse lag, dort, wo heute das Krankenhaus steht. Im 14. und 15. Jahrhundert traten zwei Orsbecker als Vögte von Ahrweiler für die Ausbesserung und Verstärkung der Stadtmauern und ihrer Tore ein. Sie erkannten das Ahrtor als das wichtigste und ließen es um ein Stockwerk höher bauen und von den beiden Rundtürmen flankieren.
Der berühmteste Sproß dieses Adelsgeschlechtes ist Johann Hugo von Orsbeck, der von 1676 bis 1711 Erzbischof und Kurfürst von Trier war. Sein Leben verlief nach dem Wahlspruch: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott.“ In den ersten zwanzig Jahren‘ seiner Regierung verwüsteten die französischen Raubkriege das rheinische Land, durch die Kurtrier als nächster Nachbar Frankreichs besonders zu leiden hatte, zumal Erzbischof Johann Hugo von Orsbeck im scharfen Gegensatz zu seinem Vorgänger treu zu Kaiser und Reich hielt. Wohl waren um 170o Ruhe und Friede im Lande, aber schor. rüsteten Deutschland und Frankreich zum „Spanischen Erbfolgekriege“. Jetzt war es unser Kölner Kurfürst, der mit seinem Bruder, dem Kurfürsten von Bayern, auf die
französische Seite trat und gegen Kaiser und Reich kämpfte. Die beiden Wittelsbacher drängten vor Kriegsanbruch Johann Hugo von Orsbeck, mit ihnen auf französische Seite zu treten. In diesen kritischen Entscheidungstagen weilte Johann Hugo von Orsbeck in dem kurfürstlichen Schlosse Ehrenbreitstein. Boten der Wittelsbacher und der Franzosen versuchten den trierischen Kurfürsten als Helfer zu gewinnen. Kaiserliche Gesandte mahnten den Erzbischof zu Treue für Kaiser und Reich.
So war das Tagewerk des Erzbischofs Johann Hugo von Orsbeck auch am Dreikönigstage 1701 mit diplomatischen Geschäften und Sorgen voll ausgefüllt. Da erinnerte er sich in letzter Abendstunde, daß am 6, Januar in der Schloßkirche zu Ehrenbreitstein der Tag des Ewigen Gebetes gefeiert wurde. Die letzte Tagesstunde wollte er deshalb dem im Tabernakel verborgenen Gotte aufopfern. Er fand abends um 1i Uhr die Kirche hellerleuchtet. Wie erstaunte der späte Beter, als aus der Sakristeitür drei Geistliche zum Altare traten und dort kniend stumm im Gebete verharrten. Auf die Mahnung des Erzbischofs, mit dem Gottesdienst zu beginnen, antwortete einer der stummen Beter mit dumpfer Stimme: „Wir warten auf einen vierten.“ Und da der Sprecher auf die Sakristeitür deutete, betrat diese Erzbischof von Orsbeck. Hier erschrak er heftig, da er dort sein Ebenbild im bischöflichen Gewande erblickte, das nun lautlos zum Altare schritt. Als dann der Erzbischof auch die drei anderen Geistlichen näher betrachtete, gewahrte er, daß es die drei schon längst verstorbenen Bischöfe waren, die genau vor 25 Jahren ihn zum Bischof geweiht hatten. Von frommem Ernst durchdrungen, schritt der Erzbischof durchs Chor und kniete sich betend in die erste Bank des Hauptschiffes, das er jetzt voller Beter fand. Plötzlich veränderte sich das Bild. Die Lichter erloschen; vor dem Altare stand ein geöffneter schwarzer Sarg, an dem zehn Kerzen flackerten. Und in dem Sarge sah Johann Hugo sein Ebenbild. Der Geisterchor sang das „Requiem“, und bei dem „Dies irae, dies illa“ erlosch eine Kerze nach der anderen.
Als der dumpfe Geisterchor aber zuversichtlicher sang:
„Oro supplex et acclinis, cor contritum quasi cinis: gere curam mei Finis“, betete der Erzbischof inniger denn je: „Mit zerknirschtem Herzen wende, flehend ich zu dir die Hände, steh‘ mir bei an meinem Ende.“
Und siehe, St. Barbara erschien und entzündete nacheinander wieder zehn Kerzen.
Da betete der Erzbischof in tiefer Erschütterung das Gebet, das seine Mutter selig ihm auf ihrem Schoße zu beten gelehrt hatte:
„O heilige Barbara, du edle Braut, mein Leib und Seel sei dir anvertraut. Sowohl im Leben als im Tod
komm mir zu Hilf‘ in jeder Not. Steh mir bei am letzten End, daß ich empfang das heilige Sakrament! Amen.“
Als am Ende des Gottesdienstes die Beter aus dem Hauptschiff zum Chore schritten, wo sie hinter dem Altare verschwanden, merkte der Erzbischof, daß es seine verstorbenen Verwandten und Freunde waren, die mit ihm die letzte Tagesstunde im Gebete verbrachten. Da schritten im Geisterchore die Orsbecks von Ahrweiler, Andernach und Mayen, von der Olbrück und der Wensburg, von Burg Are und der Nürburg. Nach einer mit Beten und Betrachtungen erfüllten Nacht wußte der Erzbischof: „Ich werde unter dem Schutze von St. Barbara am Feste der Hl. Dreikönige sterben.“
Nach Trier zurückgekehrt, gab er den Auftrag, im Dome einen Dreikönigsaltar zu er- , richten, der zeitgemäß im Barockstil erstand. Seinem Morgen- und Abendgebet aber fügte der hohe Kirchenfürst und weltliche Herrscherdemütig das Gebet zur hl. Barbara um eine glückliche Sterbestunde bei.
Das tat er noch zehn Jahre lang. Am 6. Januar 1711, abends von 11 bis 1z Uhr, starb in Trier Johann Hugo von Orsbeck, Erzbischof und Kurfürst von Trier. Und St. Barbara stand an seinem Sterbebette und führte ihn zur ewigen Herrlichkeit.