Das „Ave“ vom Dall

EINE WAHRE BEGEBENHEIT AUS DEM JAHRE 1928

Erzählt von Franz Fabritius

Neben den großen Gruppen vulkanischer Erhebungen in unserem Gebiet beiderseits des Rheines, etwa dem Siebengebirge und den Bergen um den Laacher See, trifft man allenthalben auf zahlreiche kleinere Quellkuppen aus Basaltgestein, deren Magmaschlote unvermittelt die Devondecke des Schiefergebirges durchstießen, sich oben pilzartig ausweiteten und meist zu Säulenbasalt erstarrten, ehe sie als Lavastrom in die Täler abfließen konnten.

Eine solche Basaltkuppe war das „Kapp“, das sich hart über der Südflanke des Vinxtbachtales, etwas oberhalb Thal-Rheineck, dem sogenannten „Dall“, erhob. Seit der Jahrhundertwende ließ die Linzer Basalt-AG den Basalt abbauen. Über einen „Bremsberg“ rollten die steinbeladenen Loren ins Tal, von wo aus sie eine Kleinbahn zum „Lager“ unterhalb der Mündung des Vinxtbaches brachte. Von hier erfolgte die Verladung auf Rheinkähne. Die Kleinbahn hieß im Volksmund das „Füppchen“.

Im Jahre 1928 war der Abbau der Kuppe ziemlich weit gediehen. Rund um einen ausgehöhlten Trichter stand noch ein Rest orgelartig aufstrebender Basaltsäulen. Dieser Gesteinsrand war wiederum von einem Mantel aus verwittertem Schiefer und Urrheingeröll umschlossen. Der Druck dieses „Mantels“ nahm mit fortschreitendem Abbau des Basalts ständig zu; zudem erschütterten die fortwährenden Sprengungen das Gefüge des Gesteins und des umgebenden Mantels. Das war Kundigen nicht entgangen, weshalb sich warnende Stimmen erhoben, man solle den Betrieb ganz stillegen. Auch der zahlreichen Belegschaft des Steinbruchs bemächtigte sich damals ein gewisses Unbehagen.

Gelegentlich einer Sprengung wurde ein außerhalb des Randes des Steinbruchs dahergehender Einwohner des nahegelegenen Dorfes Niederlützingen durch einen durch die Luft sausenden Stein erheblich verletzt. Das veranlaßte den Betriebsführer Schuck, einen gottesfürchtigen Mann, zu der Anordnung, daß die Belegschaft.von jetzt an täglich vor Arbeitsbeginn sich an der in einem Einschnitt des Kessels befindlichen Werksbude zu versammeln habe; um gemeinsam das „Ave Maria“ zu beten und so den Schutz der Gottesmutter für die gefahrvolle Arbeit zu erflehen. Unwillig nahmen die meisten Belegschaftsmitglieder diese Anweisung auf und setzten es durch, daß dieses Gebet nicht vor, sondern zu Beginn der um 7 Uhr festgesetzten Arbeitszeit stattfand. Der Betriebsleiter selbst stimmte stets das „Ave Maria“ an, unbekümmert um den einen oder anderen, der diese Übung in „seinem aufgeklärten Sinn“ als frömmelnd oder gar als albern ablehnte.

So hatte man sich auch am Morgen des 24. Dezember 1928 in der Frühe an der Schutzhütte versammelt. „Gegrüßet seist Du, Maria“, stimmte Schuck mit lauter Stimme an. In vielstimmigem Gemurmel setzte sich das Gebet fort: „. . . jetzt und in der Stunde unseres . . .“ Da geschah es. noch war das Wort „Todes“ nicht über alle Lippen gekommen, als ein donnerndes Getöse das „Amen!“ verschlang. Die Erde erbebte, als ob die Urgewalten, die einst diese Berge geschaffen, noch einmal aufbrächen. Die gigantische Basaltorgel stürzte polternd in sich zusammen. Erdmassen wälzten sich nach, Kipploren und Geleisschwellen mit sich reißend. Eine dichte Staubwolke erhob sich aus dem Schlund des Trichters. Als sie sich verzog, standen die Männer, selbst wie zu Stein erstarrt, um die Werksbude. Keiner war zu Schaden gekommen. Wer vermag die Gefühle zu ermessen, welche die Geretteten durchströmten? Wohl nie ist dann ein Christabend im „ball“ frommer und dankbarer gefeiert worden, als jener des Jahres 1928!

Man hat später versucht, den Steinbruch wieder freizulegen. Es war ein nutzloses Beginnen. Die darüberlagernden Erdmassen waren zu groß, als daß man aus dieser Arbeit noch einen Gewinn hätte erhoffen dürfen. So Wurde das bereits begrabene „Kapp“ aus der Liste der Steinbrüche gestrichen und die Bahn abgebaut. Nur ihr Name lebt fort in einem Kirmestanz der Rheinecker, dem „Däller Füppche“. Diese Zeilen aber wollen die Erinnerung wachhalten an das „Ave“ vom Dall!