Sukkulenten im Ahrtal

Bettina Lingen

Heute wird der Landschaftsökologie eine große Bedeutung beigemessen. Vordergründig stehen hier die Themen des Umweltschutzes im Lichte der Öffentlichkeit, doch sollen im Rahmen des Artenschutzes auch kleine, weniger beachtete Arten nicht vergessen werden.

Die romantische Landschaft des mäanderreichen Ahrtals zwischen Walporzheim und Kreuzberg, die durch steilaufragende Felsen und tiefe Klüfte, senkrechte Felswände und steile Schluchten geprägt ist, ermöglicht auf Grund der klimatischen und geländemorphologischen Gegebenheiten die Ansiedlung einer wärmeliebenden Pflanzengesellschaft. Die Böden des Engtalabschnittes sind nährstoffarm und flachgründig, daher haben sie nur eine geringe Wasserkapazität. Klimatisch ist das mittlere Ahrtal durch eine relativ geringe Niederschlagsmenge und hohe Sonnenscheindauer gekennzeichnet.

Die Faktoren Wärme und Trockenheit erlauben es nur solchen Pflanzen, sich in diesem Gebiet anzusiedeln, die an diese extremen Bedingungen angepaßt sind. Dies ist zum einen die Weinrebe (Vitis vinifera), die, ursprünglich mediterran verbreitet, seit Jahrhunderten im Ahrtal als Kulturpflanze gedeiht. Zum anderen sind es wilde, krautige Pflanzen, die im Ahrtal einen Lebensraum gefunden haben, den nur diese Pflanzen besiedeln können, da sie durch besondere Einrichtungen an warme und trockene Standorte angepaßt sind. Innerhalb dieser Xerophyten zeichnet sich eine Gruppe durch ihre Anpassung an die Wasserversorgung aus. Es sind sukkulente Pflanzen, die in fleischig verdickten Geweben Wasser speichern und daher auch Saft- oder Fettpflanzen genannt werden. Sukkulenz zeigen Pflanzen verschiedener Familien, so beispielsweise Euphorbien in tropischen Gebieten und Kakteen in Halbwüsten.

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Die gelbblühende Felsenfetthenne (Sedum reflexum) wächts sogar an Weinbergstrockenmauern

Alle im Ahrtal vorkommenden Sukkulenten gehören zur Familie der Crassulaceen (Dickblattgewächse). Es sind Blattsukkulenten, deren Blattspreite ein dicker, safthaltiger Körper ist, der im Inneren das wasserspeichernde Gewebe enthält. Aus diesem Gewebe bezieht die gesamte Pflanze während Zeiten der Trockenheit die zur Unterhaltung ihrer Lebensfähigkeit nötige Feuchtigkeit.

Die heimischen Sukkulenten umfassen sieben Arten der Gattung Sedum und eine Art der Gattung Sempervivum. Dies sind alles ausdauernde Gewächse mit einfachen, nebenblattlosen, fleischigen Blättern und radialsymmetrischen Blüten, die zu einer auffallenden Trugdolde zusammengefaßt sind.

Entlang der Ahrhöhenwege zwischen Ahrweiler und Altenahr sind in der Zeit von Juni bis August häufig die gelbblühende Art Sedum reflexum und die weißblühende Art Sedum album zu finden. Die botanischen Namen der Pflanzen sagen etwas über ihre Eigenschaften aus, so der Gattungsname Sedum (lat. sedare-be-ruhigen), der auf die Verwendung der saftreichen Blätter als kühlendes, besänftigendes Hausmittel hinweist. Auch die Volkssystematik benennt die Pflanzen nach charakteristischen Merkmalen. Die Fetthennen, wie die Sedum-Arten mit deutschem Namen heißen, werden im Ahrtal »Höhnemöbbel« genannt. Solche mundartlichen Bezeichnungen deuten darauf hin, daß die Sukkulenten im Gebiet heimisch und allgemein bekannt sind.

Die Art Sedum reflexum ist unter dem volkstümlichen Namen »Tripmadam« (frz. trique madam = pummelige Frau) bekannt und findet in der Küche als Gewürzkraut Verwendung. Nur im westlichen Rheinland verbreitet ist die

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Die unter Naturschutz stehende Hauswurz (Sempervivum tectorum) pflanzt sich vegetativ durch Brutzwiebeln fort

Zierliche Fetthenne (S. forsterianum), eine Unterart der Felsenfetthenne (S. reflexum). Beide Arten wachsen auf sonnigen Felsfluren an der Burg Are und am weißen Kreuz bei Altenahr. An Felsen und auf den Kronen der Weinbergsmauern ist der Scharfe Mauerpfeffer (S. acre) zu finden, die kleinste der Sedum-Arten mit gelben Blüten und scharfschmeckenden, eckigen Blättern. Der Milde Mauerpfeffer (S. mite) hat längere Stengel, hellgelbe Blüten und ist nicht scharfschmeckend. Diese Arten der Gattung Sedum bilden auf lockerem Felsschutt, der Sonne ausgesetzt, lückenlose Rasen aus niederliegenden Sprossen, die blütentragenden Stengel ragen aufrecht aus dem Polster hervor.

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Kriechende Sprosse mit fleischigen, wasserspeichernden Blättern:
die zierliche Fetthenne (Sedum forsteranum)

Keine kriechenden Stämmchen haben Sedum maximum und Sedum fabaria, an deren großen, aufrecht stehenden Stengeln endständigeTrugdolden aus vielen, kleinen, dicht gedrängten Blüten stehen. Die weißblühende Große Fetthenne und die rotblühende Berg-Fetthenne kommen an trockenen, steinigen, jedoch schattigen Orten wie Wald- und Gebüschsäumen vor. Diese Arten treten im Ahrtal nur zerstreut auf, Fundorte sind Mayschoß-Saffenburg und Rotweinwanderweg bei Altenahr.

Nur noch an wenigen Stellen in trockenen Felsspalten abseits der Wanderwege wächst die Hauswurz (Sempervivum tectorum) als Wildform. Ursprünglich nur in den Alpen vorkommend, wurde die Hauswurz an Mauern und auf Hausdächern angepflanzt, weil die Menschen glaubten, die Pflanze schütze ihr Haus vordem Blitz. Tatsächlich sieht die blühende Pflanze mit dem bis zu 50 cm hohen, aufrecht aus der Blattrosette herausragenden Blütenstengel wie ein Blitzableiter aus. Die Rosetten aus dicht zusammenstehenden, dicken Blättern bilden dichte Rasen. Wohl auf Grund dieser an Kohlköpfe erinnernden Wuchsform wird Sempervivum tectorum im Ahrtal »Muurekappes« (Mauerkohl) oder »Leyekappes« (Schieferkohl) genannt. Diese unempfindliche, winterüberdau-ernde Pflanze ist auch heute noch an Hausmauern und in Gärten zu finden.

Auch auf Friedhöfen sind die Gattungen Sedum und Sempervivum keine Unbekannten. Dank ihrer Anspruchslosigkeit lassen sich die Sukkulenten ohne Probleme von ihrem ursprünglichen Standort in einen Garten umsiedeln. Sempervivum tectorum ist jedoch einegeschützte Art, so daß es nach dem Auffinden an ihrem Heimatstandort beim Betrachten und Fotografieren bleiben muß.

Literatur
Kremer, Caspers: Das Ahrtal, in: Rheinische Landschaften, Heft 23.
Neuss1982
Kümmel K.: Das mittlere Ahrtal, Eine pflanzengeographisch-vegetationskundliche Studie, Jena 1950
Rowley G.: Enzyklopädie der Sukkulenten, Stuttgart 1979
Schmeill, Fitchen: Flora von Deutschland, Heidelberg 1982