Zwanzig Jahre in verantwortlicher Position im Fremdenverkehr von Bad Neuenahr
Wolfgang Künstler
Aus, sage und schreibe, 53 Bewerbungen, unter denen sich sogar ein Oberbürgermeister befand, hatte der Vorstand des damaligen Kur- und Verkehrsvereins Bad Neuenahr e. V. mich zum Nachfolger von Kristian Krauss auserwählt und zum 1. Mai 1956 eingestellt. Gemessen an der heutigen Finanzierung des Fremdenverkehrs im Kreis Ahrweiler waren die dem Verkehrsverein zur Verfügung stehenden Mittel recht bescheiden, fast so bescheiden, wie der »Wartesaal vierter Klasse«, als den ich das Verkehrsbüro in der Hauptstraße empfand. Das Häuschen befand sich an der Stelle, wo heute das Kaufhaus Moses steht. Vier Jahre später bescherte eine einsichtige Stadtverwaltung von Bad Neuenahr dem Verein den repräsentativen Gästepavillon am Bahnhof.
Vom ersten Tage meine Tätigkeit im Kur- und Verkehrs verein und dann fast zwei Jahrzehnte hindurch zogen sich die mannigfachen Vorbereitungen für den großen Korso »Blumen und Musik« durch meinen Terminkalender. Der Korso war in der Tat allen Schweiß der Edlen wert, denn seine Anziehungskraft und damit sein Werbewert für das Heilbad nahm von Jahr zu Jahr zu. Teilnehmerzahlen von 80 000 Besuchern am zweiten Sonntag im September, dem jährlichen festen Termin für das Fest, waren keine Übertreibung. Bundesbahn und viele Busunternehmen buchten ihn bereits im Januar in ihr Reiseprogramm. Großartige Werbeträger also vor allem die Bundesbahn, zu der sich meine dienstlichen, mitunter freundschaftlichen Verbindungen über die ganze Bundesrepublik erstreckten. Wochen vor dem Blumenkorso hingen auf fast allen Bahnhöfen Plakate mit dem typischen Dahlienstrauß. Das Plakat hatte übrigens ein Bundesbahninspektor der Kölner Direktion entworfen. In einem Jahr fuhr die Bahn sogar zehn Sonderzüge zum Blumenkorso nach Bad Neuenahr. Ihre Fahrpläne wurden bereits jeweils im Januar eines jeden Jahres bei einer Zusammenkunft des Fahrplanexperten in Bad Neuenahr erstellt. Mit von der Partie auch die Deutsche Schlaf- und Speisewagengesellschaft (DSG), mit deren Hilfe ich durch die Aufstellung von 3 – 4 voll bewirtschafteten Speisewagen auf dem Bahnhof Bad Neuenahr einen kleinen Ausgleich für die Überlastung der heimischen Gastronomie erreichte.
Ganz nebenbei erkoren auch die meisten Bundesbahnpräsidenten allmählich Bad Neuenahr zu ihrem bevorzugten Tagungsort. Meine Bekanntschaft mit ihnen wirkte sich günstig auf die Fahrplangestaltung der Ahrtalbahn und ihre Anschlüsse in Remagen aus. Doch nicht nur das. Die Bundesbahnfilmstelle drehte auch einen Farbfilm von Bad Neuenahr und dem Korso, mit dem ich durch die deutschen Lande reiste und unterwegs neue Verbindungen knüpfen konnte, die Bad Neuenahr zugute kamen.
So spielte sich natürlich auch mein schönstes »Diensterlebnis« wiederum auf den Schienen, und zwar der Ahrtalbahn ab. Ich denke dabei an die drei Attraktionen auf der Ahrstrecke mit Old-Timerzügen. Obenan steht die Erinnerung an den neuntägigen fahrplanmäßigen Verkehr zu Pfingsten 1971 mit einem dampfbespannten alten Zug des Essener Modellbahnvereins. Die Bundesbahn erfüllte uns hierfür alle Wünsche, von der Fahrerlaubnis für den Bummelzug über die TEE-Strecke Essen – Köln bis hin zur Anlieferung von speziellen Lok- Kohle und Wiederinbetriebnahme des Wasserkrans in Kreuzberg, dem Endpunkt unserer Fahrten. Alle Züge waren lange vorher ausverkauft, denn die Eisenbahnfans kamen von weither angereist, um gemütlich und einmalig durch das herrliche Ahrtal zu dampfen. Der Besitzer des alten Zuges, der Essener Club stellte auch das stilecht gekleidete Bahnpersonal, vom Lokführer angefangen. Ich selbst hatte allerdings eine anachronistische Dienstkleidung, nämlich nicht in das Baujahr 1884 des ältesten Waggons passend, sondern eine viel jüngere. Ich verdankte sie dem damaligen Präsidenten der Bundesbahndirektion Köln, Dr. Josef Streier, der sie mir aus dem Bahnmuseum in Nürnberg besorgte. Es war die Gala-Uniform eines königlich-bayrischen Bahnvorstehers um 1900, bestehend aus einem hellblauen Frack, Hose mit Silberbiesen, Zweispitz. Dazu natürlich weiße Handschuhe. Als ich so bekleidet zum ersten Mal auf dem Bahnhof Bad Neuenahr trat, hielt man mich für einen ausländischen General, Stilgerecht und zeitgemäß hatte sich dagegen die geladene Prominenz mit ihren Damen kostümiert, was im übrigen die Voraussetzung für die Fahrt im ältesten Waggon des Zuges war. Die Kleidung hatte ich in einem Spezial-Ausstattungshaus in Dortmund besorgt, vollendet bis zum »Vatermörder« für den damaligen Landrat Heinz Korbach, den riesigen Hüten der Damen, einer Pickelhaube usw. In meinem Büro versorgte Friseur Weber diese Reisenden mit den zeitgemäßen Barten. Mir verpaßte er einen grauen Zwirbelbart. Das Fernsehen war natürlich auch dabei -ebenfalls dem Alter des Zuges angepaßt. Die Kamera unter einem großen schwarzen Tuch verborgen, die Akteure mit braunem Zylinder usw. Kurzum ein Spaßvergnügen ersten Ranges für alle.
Auf der Eröffnungsfahrt am Pfingstsamstag empfing uns die Weinkönigin in Rech mit einem wohlgefüllten Pokal. Als erster trank Bahnpräsident Dr. Streier den Rotwein, der auf dem Rebhügel der Deutschen Bundesbahn in Rech, dem alten Bahndamm, gewachsen war. Zehn Jahre hintereinander standen im Spätherbst Bürgerschaftsreisen auf dem Programm, bei denen sich die Bürger den inzwischen zur Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler vereinten Städten und Dörfer tatsächlich näherkamen. Wir reisten ausschließlich mit der Bahn. Mit Sonderwagen, einmal sogar mit vollbewirtschafteten Speisewagen, fuhren wir direkt von Bad Neuenahr zu attraktiven Zielen in der Bundesrepublik, sogar nach Kopenhagen. Die zehnte und letzte von mir verantwortete Bürgerreise führte mit einem eigenen Zug zu unseren besonderen Freunden nach Westerland. Eine Städtepartnerschaft verband uns viele Jahre.
Die enge Zusammenarbeit mit der DB auf regionaler Ebene setzte ich seit 15 Jahren in erweitertem Rahmen fort. Ehemals Mitglied des »Großen Fahrplanausschusses beim Deutschen Industrie- und Handelstag« bin ich heute noch Fahrplanreferent beim Fremdenverkehrsverband Rheinland-Pfalz. Man wird mir nicht nachsagen können, daß ich in diesen Tätigkeilen »meine« Ahrtalbahn vernachlässigt habe.
»Bitte nehmen Sie Platz« lautete der Titel einer kleinen Schrift, die ich zur 100-Jahrfeier des »Verschönerungs-Vereins« – nannte sich der Verein bei seiner Gründung im Jahre 1868 -herausgab. Erster Beschluß des »Verschönerungsrates«, wie der erste Vorstand hieß, war nämlich die Aufstellung von 11 Bänken für Kurgäste gewesen. Eine solche alte Bank hatte ich mir aus Bad Ems geliehen und sie als Symbol zur Feier im Kurhaus auf die Bühne stellen lassen. Nach dem Festakt im Kursaal wurde eine kleine Jubiläumsausstellung im »Rheinischen Hof« eröffnet. »100 Jahre Dienst am Gast«. Ein eigener Stand war für die Ahrtalbahn aufgebaut, in dem ein von der Bundesbahn-Lehrlingswerkstätte in Trier gebauter Modellbahnzug des Jahres 1880 eine kleine Attraktion war.
Im Frühjahr 1956 begegnete man fast auf Schritt und Tritt unerfreulichen Auswüchsen des Tourismus. Besonders traten sie in den Herbstmonaten in Erscheinung. Den Bussen, die Tagesgäste vornehmlich aus dem Ruhrgebiet ins Ahrtal brachten, entstiegen oft angetrunkene, vor allem karnevalistisch aufgetakelte Gäste. Sie brachten uns einen »Karneval im Sommer«, den sie als Narrenfreiheit ansahen. Sie tummelten sich in den kleinen Weinorten der Mittelahr, in denen es mehr als einmal zu bösen Zusammenstößen mit der Polizei kam. Zwei Beamte trugen damals Gesundheitsschäden für ihr ganzes Leben davon. Hatten sich die unliebsamen Gäste dann satt getrunken, machten sie meist in Bad Neuenahr auf der Heimfahrt noch einmal halt und ergingen sich laut und aufdringlich in den Straßen der Badestadt und sogar im Kurpark. Bestens unterstützt von meinem Ahrweiler Kollegen Konrad Steinkämper startete ich bereits Anfang Oktober 1956 eine weit angelegte Aktion gegen diese unerwünschten Zeitgenossen. In Gegenwart und vor den kritischen Augen und Ohren großer Zeitungen aus der ganzen Bundesrepublik wurde der »Ahrschreck« aus der Taufe gehoben, also zwei Plakate vorgestellt, die die oben beschriebenen Gäste als »lächerliche Figuren« darstellten und bald im ganzen Ahrtal hingen. Maßgebliche Persönlichkeiten des Ahrtales stellten sich spontan hinter unsere Aktion, an der Spitze der damalige Landrat Urbanus, Bad Neuenahrs Bürgermeister Blosen, die Bürgermeister Kreuzberg und Zimmermann und viele andere. Mit großer Genugtuung konnte ich alsbald feststellen, daß sich das Hotel- und Gaststättengewerbe, vornehmlich der unteren Ahr, in den Dienst unserer guten Sache stellte und ihr damit schnell zu einem Erfolg verhalf. Wer nämlich mit so blödsinnigen Hütchen oder sonstigen Emblemen, die nur im Karneval angebracht sind, eine Gaststätte betrat, wurde überhaupt nicht bedient, es sei denn, er legte sie ab.
Mehrere Jahre hindurch unternahmen die Verantwortlichen des Heilbades im Frühjahr Bäder-Informationsreisen. Im Laufe der Jahre besuchten wir alle bedeutenden Bäder in der Bundesrepublik und führten Gespräche mit den dort Verantwortlichen, also der Badearzt mit dem Badearzt usw. Wir brachten stets neue, gute Anregungen für Bad Neuenahr mit, die sich mitunter auch für uns eigneten. So beeindruckten uns z. B. die Maßnahmen zum Thema »Ruhe im Heilbad« in Badenweiler und Bad Kissingen. Badenweiler sperrte damals z. B. stundenweise die gesamte Stadt ab und ließ durch städtische Hilfspolizisten bereits an den Ortsgrenzen den Verkehr um das Bad herumleiten.
Lebhaften Anteil nahm der Kur- und Verkehrsverein Bad Neuenahr auch an den Planungen für die Verwaltungsreform. Ich konnte nicht umhin, in einer Bürgerversammlung im Kolpinghaus in Ahrweiler selbst auf das Rednerpult zusteigen und meine Meinung als Fremdenverkehrsmann dazu zu sagen. Wer wollte es mir verübeln, daß ich für die Erhaltung des Namens Bad Neuenahr eintrat? Zuvor hatte mein Verein natürlich die schöne alte Stadt Ahrweiler »mit verkauft«, d. h. unseren Gästen den Besuch empfohlen. Nicht aber konnten wir nach der Städtezusammenlegung den aufgekommenen Werbespruch »die Kur- und Rotweinstadt« vermarkten. Ein Heilbad, das die Behandlung des Diabetes zu seinen Indikationen zählt, kann ja nicht mit Wein werben. So waren wir Bürgermeister Weltken dankbar, der in dieser richtigen Erkenntnis stattdessen eine gemeinsame, aber doch distanzierende Bezeichnung vorschlug: »Das Mineralheilbad im Rotweintal«.
Als erstes Heilbad in der Bundesrepublik stellte der Kur- und Verkehrsverein 1967 Bad Neuenahr mit einem Stand auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin vor. Inzwischen präsentiert sich auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin und etlichen weiteren Fachmessen seit Jahren der ganze Kreis Ahrweiler.
Bemerkenswert, daß solche Werbemaßnahmen größeren Umfangs und fast alle großen Veranstaltungen im Heilbad selbst, wie Tanzturniere, gesellschaftliche Ereignisse mannigfacher Art, gemeinsam von den sog. »drei Säulen« getragen und finanziert wurden, der Spielbank, der Kurverwaltung und dem Kur- und Verkehrsverein, später kam auch noch die Steigenberger Hotelgesellschaft hinzu. Diese Messebeteiligung ergänzte unsere Anwesenheit mit einem inzwischen immer aufwendiger gestalteten Stand auf vielen Fachausstellungen im In- und Ausland.Content-Disposition: form-data; name=“hjb1987.23.htm“; filename=““ Content-Type: application/octet-stream