Zum Gerichtswesen im alten Ahrweiler
Dr. Paul Krahforst
Wie war die Gerichtsbarkeit im mittelalterlichen Ahrweiler organisiert? Wann und wo fanden die Gerichtssitzungen statt? Wie waren Zivil- und Strafrecht früher ausgestaltet? Diese und ähnliche Fragen will die folgende Darstellung beantworten.
Wenden wir uns zunächst dem ältesten heute noch., nachweisbaren Gerichtsvorsitzenden zu. Es ist Vogt Arnold, der in der ältesten Urkunde, die als besondere Kostbarkeit im Stadtarchiv Ahrweiler lagert1), aufgeführt ist. Die Urkunde vom Jahre 1228 besagt inhaltlich, daß jeder, der in Ahrweiler Grundbesitz erwirbt, Steuern und Abgaben an die Grafen von Are-Hochstaden zu entrichten habe. Vogt Arnold, Gerichtsvorsitzender in Ahrweiler, ist als Zeuge genannt. Ebenso als Zeuge wird er in drei weiteren Urkunden von 1241, 1255 und 1259 erwähnt2), so daß Vogt Arnold mindestens 31 Jahre Gerichtsvorsitzender in Ahrweiler war.
Die Urkunden sagen selbstverständlich nichts über Aussehen, Charakter und Fähigkeiten dieses Mannes. In Verbindung mit ändern Quellen vermögen sie aber das Dunkel der weit zurückliegenden Vergangenheit in mancherlei Beziehungen etwas aufzuhellen. So war für die Siedlung „Arwilre“ das Jahr 1242 schicksalhaft, weil es zur Brandvernichtung führte. Graf Gerhard von der Landskron führte den Befehl des Staufenkönigs Konrad IV aus, das zu den Weifen haltende Dorf Arwilre einzuäschern. Der Kölner Erzbischof Konrad von Are-Hochstaden war es dann, der in den folgenden Jahren im Süden seines Territoriums Ahrweiler als eine befestigte Stadt anlegen ließ. Mauerbering und Stadttore zeugen noch heute davon.
So hat Vogt Arnold als Gerichtsherr die wohl wichtigste Epoche in der reichhaltigen Geschichte der Stadt Ahrweiler miterlebt die Spätzeit der Siedlung Arwilre, deren Brandvernichtung im Jahre 1242, die Konzipierung der neuen Stadt und die ersten Gründerjahre der später oft „Arapolis“ genannten Metropole im Ahrtal, die neben Neuß, Bonn und Andernach kurkölnische Mithauptstadt war.
Nach dieser mehr einleitenden Betrachtung soll im Rahmen des eigentlichen Themas auf die Gerichtsverfassung, die Strafgerichtsbarkeit, das Ziyilrecht und die Sendgerichtsbarkeit eingegangen werden.
Die Gerichtsverfassung
Bei der Gerichtsverfassung ist zunächst zwischen dem Stadtgericht und den einzelnen Hofgerichten zu unterscheiden. Die eigenständige Gerichtsbarkeit auf den einzelnen Höfen diente der Sicherung des Rechtsfriedens der hofhörigen Bauern und der .Dienstmannen. Die Untergebenen waren nicht mehr auf einen Gnadenerweis oder einen willkürlichen Spruch des Grundherrn allein angewiesen, sie konnten vielmehr beim Hofgericht in einem geordneten Verfahren Rechtsansprüche geltendmachen. Gerichtsherr war der Grundherr, bei einem Klosterhof also der Abt oder Klostervorsteher, sonst der weltliche Herr. Der Gerichtsherr konnte die Gerichtsverhandlung selbst leiten. In der Regel führte jedoch der oberste Wirtschafts-Verwalter des Hofes, der Hofschultheis, döh Vorsitz. Der Vorsitzende war Frager des Rechts. Die eigentliche Entscheidung wurde von den Hofgeschworenen, die .aus den Hofgenossen gewählt wurden, getroffen. Die Hofgerichte hielten Gericht auf den einzelnen Höfen ab, die im Ahrweiler Stadtbereich lagen. Die Höfe gehörten meistens in der Eifel und am Rhein gelegenen Klöstern, so z. B. dem St. Servatiusstift in Maastricht (Nähe Obertpr), der Abtei Klosterrath (heute , Rodderhof am Obertor), der Abtei Steinfeld (heute Ahrgaumuseum) und der Abtei Prüm (Rathaus). Aber auch weltliche Herren hatten . Hofbesitz in Ahrweiler, so z. B. die Grafen von Blankenheim, deren Hof in der Ahrstraße lag.
Siegel des Grafen Lothar von Are-Hochstaden (rechts) und seiner Gemahlin an der Urkunde von 1228
Jüngeres Ahrweiler Schöffengerichtssiegel von 1426 Fotos: Kreisbildstelle
Vor den Hofgerichten wurden alle Streitigkeiten über die hofhörigen Güter verhandelt, insbesondere solche zwischen dem Hofherren und seinen Hofgenossen und die der Hofgenossen untereinander. Dazu gehörten Zinsversäumnis, Flurfrevel, Veräußerung von Hofgütern und Aufnahme neuer Hofgenossen. Beachtenswert ist hier immerhin, daß das feudalistische Wirtschaftssystem des Mittelalters in der Ausgestaltung der Hofgerichte auch dem Arbeitnehmer einen bereits beachtlichen Rechtsschutz zukommen ließ, in dem ein sachkundiges Gericht auch über seine arbeitsrechtlichen Verhältnisse streitig entschied und Rechtsschutz gewährte. Eine weitaus größere Bedeutung als den Hofgerichten kommt dem Stadtgericht in Ahrweiler zu. Eine frühe Information über die Verfassung des Ahrweiler Stadtgerichts liefern die überkommenen Schöffenweistümer von 1395 und von 1501 3). Was ist unter einem Weistum zu verstehen? In einem Weistum ist ein althergebrachter Rechtszustand aufgeschrieben. Durch seine öffentliche Verlesung in regelmäßiger, meist jährlicher Folge soll einmal von der Gemeinde der Rechtsgenossen das alte Recht bestätigt werden. Zum anderen soll den Schöffen dadurch geholfen werden, das Recht richtig zu „weisen“. Eine weitere Quelle für die Zusammensetzung des Gerichts stellen die Stadtordnung von 15084), die vom Kölner Erzbischof Philipp für die Stadt Ahrweiler erlassene Ratsordnung vom 7. März 1514 5) und die Polizeiordnung von 16146) dar. Danach war das Stadtgericht mit dem Vogt als Vorsitzendem, dem Prümer Schultheis als schweigendem Schultheis und mit 7 Schöffen besetzt. Die Schöffen waren zugleich geborene Mitglieder des Stadtrates, der aus 18 Personen bestand, nämlich aus 7 Schöffen, 3 Personen aus der Ritterschaft und 8 Personen aus den vier Hüten, und zwar aus jeder Hut 2 Personen.
Bis zum Jahre 1518 waren die Schöffen meistens Adelige. In Ahrweiler gab es bedeutende Adelsfamilien. Die wichtigsten waren im frühen- Mittelalter die Ritter von Ahrweiler, die Kolven, die Blankarts, die Ritter von Vischenich, vom Turm, von Orsbeck, von Gymnich, von Forst und von Adinbach. Ab 1518 konnten auch einfache Bürger in das Schöffenamt berufen werden, wenn sich keine Ritter für das Amt bereitfanden. Zur Rechtsstellung der Schöffen ist aus den Weistümern zu berichten, daß die Wahl in das Schöffenamt auf Lebenszeit erfolgte. Starb ein Schöffe, so erhielt er ein Begräbnis in der Kirche. Noch heute finden wir im Mittelgang der Ahrweiler Pfarrkirche eine Steinplatte, die bei der Kirchenrenovierung im Jahre 1903 angebracht wurde und deren Aufschrift daraufhinweist, daß die Gebeine der früher in der Kirche Beerdigten an dieser Stelle zusammengelegt wurden. Der Glöckner von St. Laurentius hatte am“ Tage der Beerdigung eines Schöffen um 7.00 Uhr, um 8,00 Uhr und während der Beerdigung die große Glocke jeweils eine halbe Viertelstunde zu läuten 7). Die Neuwahl eines Schöffen fand auf dem Prümer Hof statt. Der dort von den restlichen Schöffen erwählte neue Schöffe, der in erster Linie aus den Prümer Hof leuten zu erwählen war, wurde anschließend dem Kölner Vogt im Rathaus vorgestellt und leistete dort den Schöffeneid. In der umfangreichen Eidesformel waren seine zahlreichen Pflichten auf dem Schöffenstuhl aufgeführt, u. a. die Wahrung des Beratungsgeheimnisses und seine gegenüber jedermann ohne Ansehen der Person auszuübende Gerechtigkeit. Die Schöffen von Ahrweiler verfügten über ein eigenes Siegel8). Es enthält einen viergeteilten Schild, in dessen Felder 1 und 4 jeweils das kurkölnische Kreuz und in, den Feldern 2 und 3 jeweils der Adler der Grafen von Are dargestellt ist. Die Umschrift lautet „Scabinarum in Arwilre“. Aus vielen Urkunden, an die das Schöffensiegel angehängt wurde, ist zu ersehen, daß eine der Aufgaben der Schöffen in der Beurkundung von Rechtsgeschäften bestand. Im Stadtarchiv befinden sich noch zahlreiche Urkunden über den Verkauf von Häusern in der Stadt, die von den Schöffen besiegelt wurden.
Die Gerichtssitzungen
Geht man der Frage nach, an welchem Ort sich das Stadtgericht befand, so kann für die frühe Zeit angenommen werden, daß das Gericht nach überkommener germanischfränkischer Übung als sogenanntes Thing auf einer benachbarten Bergeshöhe tagte. Jährlich wurden Gedinge abgehalten, zu denen alle Gerichtsgenossen erscheinen mußten. Aus dem Kreis der Schöffen wurde das Urteil vorgeschlagen. Es bedurfte der Zustimmung aller anwesenden Gerichtsgenossen 9).
Nach der Stadtwerdung finden wir das Gericht zunächst auf dem Marktplatz, wo zum Zweck der Gerichtssitzung Bänke aufgestellt waren. So beginnt das Schöffenweistum von 1395 mit dem Wortlaut
„Im Jahre 1395 montags nach dem Sonntag „Judica“, das war der 29. März, 1.00 Uhr mittags zur Gerichtszeit, nachdem die Gerichtsglocke dreimal geläutet war, erschienen und waren gegenwärtig im Gericht zu Ahrweiler binnen den ben-cken“… der Vogt, die Schöffen usw.“
Das Prümer Hofweistum von 1549 10) spricht vom „Stadtgericht an der Bank“. Wenn es die Jahreszeit und die Witterung erlaubten, fand die Gerichtsverhandlung an dieser Stelle unter freiem Himmel statt. Bei Kälte und Regen wurde die Gerichtssitzung im Rathaus, in einer Urkunde vom 5. März 1364 11) als „neue Halle“ bezeichnet, abgehalten. Nachdem das Rathaus beim großen Stadtbrand von 1689 den Flammen zum Opfer gefallen war, wurde das Gericht in der Niederhut in das 1621 erbaute, noch heute formschön erhaltene Wolf’sche Haus verlegt.
Hinsichtlich der Zeit der Gerichtssitzungen ist zu vermerken, daß diese während der Sommerzeit (Ostern bis Michaelis) um 7.00 Uhr und in der Winterzelt um 8.00 Uhr begannen 12).
Die Strafgerichtsbarkeit
Der Schwerpunkt der Bedeutung des Stadtgerichts lag im Bereich des Strafrechts. Wie heute noch unterschieden sich auch im Verlauf der deutschen Rechtsgeschichte Strafrecht und Zivilrecht im wesentlichen dadurch, daß der Strafrichter als Vertreter des Staates darüber zu befinden hatte, ob und wie ein Angeklagter zu bestrafen war. Dagegen entschied der Zivilrichter, wer von zwei gleichberechtigten Bürgern Recht hatte. Typische Beispiele für Strafrecht sind: Diebstahl, Raub, Totschlag, Urkundenfälschung und Körperverletzung. Typische Beispiele für Zivilrecht finden wir beim Kaufvertrag, bei Pacht, Eheschließung oder Testament. Der Strafrichter hatte etwa zu entscheiden, ob jemand einen Diebstahl begangen hatte und welche Strafe hierfür zu verhängen war. Demgegenüber befand der Zivilrichter zum Beispiel darüber, ob der Verkäufer eines Pferdes dem Käufer Schadensersatz zu leisten hatte, wenn das Pferd von der Krankheit des Dummkollers befallen war.
Das Ahrweiler Stadtgericht wandte in früher Zeit das überlieferte fränkische Strafrecht, das sogenannte Kompositionensystem an. Dem durch die Straftat Geschädigten wurde eine Buße zugesprochen. Bald wurde jedoch dieses Bußensystem durch die öffentliche Strafe ersetzt. Es folgte der Inquisitionsprozeß, in dem von amtswegen Straftaten verfolgt wurden. Für das „Kölner Erzstift und damit auch für das Stadtgericht Ahrweiler wurde im Jahre 1538 das erste Reichsstrafgesetzbuch, die „Constitutio Criminalis Carolina“, abgekürzt die „CCC“ oder „Carolina“, eingeführt. Sie ist benannt nach Kaiser Karl V und wurde 1532 mit dem Titel: „Des Kaisers Karl V. und des heiligen Römischen Reiches Peinliche Gerichtsordnung“ vom Regensburger Reichstag als Gesetz beschlossen. Das Gesetz bringt bedeutende Verbesserungen für das Strafrecht. Vor allem setzt es an die Stelle der bis dahin üblichen allgemeinen Bezeichnungen des Verbrechens einen fest umrissenen Tatbestand. Andererseits zeigt auch die Carolina im Strafensystem die ganze Härte der mittelalterlichen Strafrechtspflege. Bei der Frage, welchen Zweck die Strafe überhaupt hat, herrscht der Thaliongedanke der Sühne und Vergeltung vor. Dem Abschreckungszweck dient vielfach die Galgenstrafe, wenn man den zum Tod durch den Strick Verurteilten oft wochenlang vor den Toren der Stadt am Galgen baumeln ließ. Der Gedanke der Besserung, Resozialisierung und Rehabilitation, der nach heutiger Auffassung im Vordergrund steht, war bei der Beurteilung des Strafzwecks damals erst wenig ausgeprägt. Wie hart das Strafensystem war, wird uns klar, wenn wir einige der damals angewandten Strafen betrachten: Bei der Todesstrafe finden wir das Enthaupten, Ertränken, Erhängen, Rädern, Verbrennen, Pfählen und Lebendig-begraben. Für Ahrweiler sind nachweisbar das Hängen und Rädern 13). Beim Rädern wurden dem Verurteilten die Glieder mit einem Rad zerstoßen und der Leichnahm auf das Rad geflochten. Die Hinrichtungsstätte befand sich in Ahrweiler in früher Zeit auf dem „Kop“. das ist der Hügel, auf dem heute der Kalvarienberg gelegen ist. Als es dort im Jahre 1440 zur Erbauung einer Kapelle kam, wurde die Hinrichtungsstätte auf die andere, nördliche Seite der Stadt, auf den Berg über der Ellig verlegt. Heute noch existiert — insbesondere in der Bevölkerung von Lantershoven — dort die Flurbezeichnung „Auf dem Galgenfeld“.
Neben der Todesstrafe gab es die Verstümmelungsstrafe. Dazu zählten das Abhacken einer Hand oder einzelner Finger, .das Ausstechen eines Auges oder das Abschneiden von Ohren, Nase oder Zunge. Hier kommt auch die spiegelnde Strafe vor, wenn etwa dem Meineidigen die Schwurhand abgeschlagen wird. Weiter gab es die Strafen an Haut und Haar. Beim Brandmarken wurde ein Zeichen auf die Stirn oder die Backe eingebrannt. Beim Stäupen wurden Schläge an einem Pranger vorgenommen. Frauen wurden oft die Haare geschoren. Die Verbannung war mit Acht und Urfehde verbunden. Bei letzterer mußte der von weiterer Haft Verschonte schwören, daß er sich nicht für die erlittene Strafe rächen werde.
Des weiteren gab es die Freiheitsstrafe. Sie wurde oft in einem Turm oder Keller vollzogen. In Ahrweiler war ausweislich des Schöffenweistumsvon 1501 ein Gefängnis vorhanden, dessen Aufsicht dem Vogt als Gerichtsvorsitzendem unterstand. Ursprünglich befand sich das Gefängnis im Marktbereich 14), in der späteren Zeit war es vorübergehend im Turm des Niedertores untergebracht. Insbesondere war der Vogt für die Verpflegung ,der Gefangenen verantwortlich. Als Ehrenstrafen finden wir in Ahrweiler das Drillhäuschen oder Driller. Es handelte sich um einen eisernen Käfig, der sich drehen ließ und auf dem Markt stand 16). Insbesondere wurden Felddiebe in den Driller gesperrt, so einmal eine Frau, die verbotswidrig einen Korb Trauben geschnitten hatte. Der Driller wurde vom Gerichtsdiener gedreht und der Eingesperrte vor allem von der Jugend ausgelacht. Daneben gab es noch das Narrenhäuschen 15), in dem kurze Freiheitsstrafen verbracht wurden. Auch existierte ein Pranger, an dem eine Person vorübergehend in eiserne Handschellen genommen werden könnte. Ein solcher „Kex“ war im Jahre 1959 noch auf dem Marktplatz in Siegburg zu sehen.
Es soll nunmehr kurz auf einige Fälle eingegangen werden, die — durch Urkunden nachweisbar — vor dem Ahrweiler Stadtgericht verhandelt worden sind:
1. Etwa im Jahre 1514 wurde beobachtet, daß ein ausländischer Marin in Bachern die St. Anna-Kapelle betrat. Die Person begab sich zu dem Opferstock der Kirche und
brach diesen auf, um das darin befindliche Geld zu erbeuten. Bei diesem Vorhaben wurde der Täter beobachtet. Man verschloß die Kapelle von außen und sperrte auf diese Weise den Mann ein. Sodann holte man den Gerichtsvogt Junker Johann Blankart, den Prüm’schen Schultheiß Richard Broelgen und den Gerichtsboten zur Annakapelle. Der Mann wurde in der Kapelle festgenommen. Offenbar erging der Haftbefehl mündlich. Sodann wurde sogleich Termin zur Hauptverhandlung vordem Stadtgericht Ahrweiler bestimmt. In der Sitzung wurde der Mann zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde noch am selben Tage vollstreckt und der Mann am Galgen aufgeknüpft.
Diese Begebenheit ist in einer Urkunde vom 16. Juni 1567 16) von dem Bürger Peter Alden unter Eid bezeugt. Peter Alden, ein zur Tatzeit etwa 10 Jahre alter Schüler in Ahrweiler, hatte selbst beobachtet, daß der Fremde in die Kapelle in Bachern eingedrungen war.
2. Im Jahre 1590 verhandelte das Stadtgericht Ahrweiler gegen die Barbara Kradenbach wegen lästerlichen Ehebruchs. Die Frau wurde schuldig befunden. Der Strafausspruch ging dahin, daß sie wegen des begangenen Lasters — wie es dem damaligen Brauch entsprach – in der Kirche zur Abschreckung anderer zu ermahnen sei 17).
3. Im Jahre 1611 lief vor dem Ahrweiler Stadtgericht ein Prozeß gegen den damaligen Scharfrichter zu Ahrweiler Balthasar. Der Scharfrichter wurde beschuldigt, er habe in Ausübung seines Amtes zwei Frauen, nämlich die Maria Kistgens und die Maria Reichards unnötig gepeinigt und gefoltert. Der Scharfrichter Balthasar hat sich gegenüber dieser Beschuldigung dahin eingelassen, er habe bei diesen Handlungen auf ausdrücklichen Befehl des Junkers Vogt gehandelt. Der beschuldigte Scharfrichter berief sich also auf den Rechtfertigungsgrund des bindenden Befehls. Offenbar war die Einlassung des Scharfrichters nicht zu widerlegen; denn er wurde von diesem Anklagepunkt freigesprochen. Das Stadtgericht verurteilte ihn jedoch wegen anderer bei diesem Prozeß bekanntgewordener Muthwillen und Übertretungen zu folgenden drei Strafen: Öffentliches Stellen an den Pranger, Aufsetzen eines Brandzeichens auf den Rücken und sofortiges Verlassen des Erzstiftes unter Schwören der Urfede 17).
Peinliche Strafen. Titelbild der Carolina, Mainzer Ausgabe
1533 . Repro: Kreisbildstelle
4. Im Jahre 1617 wurde der Bürger Johann Rausch vom Stadtgericht verurteilt, daß er in das Narrenhäuschen einzusperren sei. Er war überführt worden, für einen anderen die Wache auf der Stadtmauer zwar übernommen, diese aber nicht ausgeführt zu haben 15).
Zivilgerichtsbarkeit
Aus dem Bereich des Zivilrechts ist zu erwähnen, daß im materiellen Recht ursprünglich das gewohnheitsrechtlich weitergebildete fränkische Recht zur Anwendung kam. Eine im Stadtarchiv Ahrweiler liegende Urkunde vom 27, Januar 1280 enthält die Anweisung des Kölner Erzbischofs Siegfried, daß die Schöffen des Ahrweiler ‚Gerichts in zweifelhaften Rechtsfällen bei den Schöffen zu Bonn Rat holen und nach deren Anweisung den betreffenden Fair entscheiden sollten. Später Wurde mit der sogenannten Rezeption, d. h. der Aufnahme des römischen und kanonischen Rechts in den deutschen Rechtskreis eine mehr systematische Rechtsanwendung gefördert.
Im Jahre 1663 trat im Erzstift Köln ein das Zivilrecht teilweise regelndes Gesetz in Kraft. Bis zu- unserem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), das am 1 Januar 1900 verbindlich wurde, war es allerdings noch ein sehr weiter Weg.
Im Bereich des Beurkundungswesens ist auf das wohl älteste Buch von Ahrweiler hinzuweisen, das im 14. Jahrhundert angelegt worden ist und im Urkundenschrank des Ahrweiler Stadtarchivs unter der Signaturbezeichnung — A 347 — aufbewahrt wird. Es handelt sich um eine Art Grundbuch für die Stadt Ahrweiler mit Angaben der Besitzer, ihrer Grundstücke und ihrer Lage in der Flur. Der Foliant stellt ein-wahres Eldorado für Forscher von Namens-‚und Flurbezeichnungen dar. Die Besitzer sind nach Ortsteilen und Hüten aufgeteilt. Entsprechend dem Zeitablauf — die Fortschreibung erfolgt bis ins 17. Jahrhundert — wechseln die Handschriften der Schreiber. Die Einrichtung erinnert an die Schreinsbücher in Köln 18). Bereits 1135 wurden in der Kölner Kaufmannsgemeinde St. Martin Pergamentkarten über Grundstückskäufe angelegt, die in Schreinen aufbewahrt wurden. Ursprünglich diente die Eintragung in die Schreinsbücher nur der Gedächtnisstütze. Im Streitfalle mußten die Beweise durch -Zeugen erbracht werden. Vom 13. Jahrhundert ab dienten die Eintragungen in die Schreinsbücher selbst dem Beweise. Seit dem 15. Jahrhundert gehörte die Eintragung in das Schreinsbuch unmittelbar zum Rechtsakt. Die Eintragung wurde konstitutiv, d, h. rechtsbegründend. Ohne . die Eintragung konnte kein Rechtsübergang erfolgen. Wenn auch nicht nachweisbar ist, daß die Eintragung in das Ahrweiler „Grundbuch“ rechtsbegründend war — der Schwerpunkt beim Verkauf eines Grundstücks lag in der Beurkundung vor den Schöffen des Stadtgerichts — so hatte die Eintragung in das Buch auf jeden Fall hohen Beweiswert. Das zeigt die systematische Anlegung des Folianten, aufgegliedert nach Stadtteilen und Personennamen.
Das Sendrecht
Ein interessantes Rechtsgebiet stellt das Sendrecht dar, das in Ahrweiler eine starke Ausprägung erhalten hatte.
Hierbei handelt es sich um eine geistliche Gerichtsbarkeit, bei der der Gerichtsort die Pfarrkirche in Ahrweiler war. Seinem Wesen nach war der Send ein kirchliches Sittehund Rügegericht. Ahrweiler hatte eine eigene Sendordnung 19). Darin waren die einzelnen Sendvergehen in einer Vielzahl von Verbotsund Gebotsbestimmungen aufgeführt. Ein Teil der Verbote ist darauf ausgerichtet, den katholischen Glauben zu erhalten und ihn vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. So sind unter Strafe gestellt: Ketzerei, Abfall vom Glauben, Glaubenslästerung, Zauberei, Teufelsbeschwörung. Wahrsagen und Hellseherei. Zu Sendvergehen sind auch Verstöße gegen den Dekalog (die 10 Gebote) deklariert. So werden als Verstöße aufgezählt das Verbot der Sonntagsarbeit, das ungehörige Verhalten gegenüber den Eltern, das Töten, die Körperverletzung und die üble Nachrede. Einen breiten Raum nehmen die Zuwiderhandlungen gegen das 6. Gebot ein. Es werden hierbei genannt Kuppelei, Ehebruch, Konkubinat, Hurerei, Unzucht mit Frauen, die ein Gelübde abgelegt haben, und das Singen unzüchtiger Lieder. Sendvergehen sind schließlich Verstöße gegen die allgemeine kirchliche Ordnung, wie Besuch der Sonntagsmesse in einer anderen Kirche als in der eigenen Pfarrkirche, Herumstehen auf Markt und Straße während der Zeit des Gottesdienstes, Unterlassung der Taufe, unwürdiges Verhalten bei Prozessionen und Scheidung von Eheleuten. Aus dem umfangreichen Katalog sind hiermit nur wenige markante Beispiele herausgegriffen.
Als Strafen wurden Geldstrafen, aber auch das Spenden von mehreren Pfund Wachs an die Kirche verhängt. Originell mag uns heute erscheinen, daß der Bestrafte einen schweren Stein mehrmals um die Kirche tragen mußte.
Verfahrensrechtlich ist herauszustellen, daß die Anzahl der Sendschöffen — ebenso wie beim Stadtgericht — sich auf sieben belief.
Den Vorsitz im Sendger.icht führte der geistliche Pfarrherr, bei Visitationen auch der Bischof oder häufiger der Bonner Archidiakon. Die Mitglieder fler Pfarrgemeinde wurden durch Giockengeläute zur Kirche als dem Sendort eingeladen. Vor Beginn des Sendgerichts wurde der Hymnus „de spiritu sancto“ gesungen. Sodann brachten die Sendschöffen, die zunächst als Ankläger und später als Richter füngierten, ihre Anklagen vor. Die Beschuldigten konnten sich dazu äußern. Nach Beratung und evtl. Abstimmung erging das Sendurteil. Wenn der Verurteilte dem Urteilspruch nicht freiwillig nachkam, wurde der Stadtrat um Vollstreckung des Urteils gebeten.
Wenn auch im Verlauf der abwechslungsreichen Geschichte das Gerichtswesen vielerlei Einflüssen und manchen rechtshistorischen Entwicklungen unterworfen war, so läßt sich doch insgesamt feststellen, daß die Bürger von Ahrweiler im Einvernehmen mit dem Kölner Landesherren stets bemüht waren, in ihren Gerichten — sei es im wichtigen Stadtgericht, in den einzelnen Hofgerichten oder im Sendgericht — einen ausreichenden Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen.
Quellen und benutzte Literatur
Conrad. Hermann. Deutsche Rechtsgeschichte. Bd l. 1954
Flink. Klaus. Der Stadtwerdungsprozeß von Ahrweiler. In: Rhein. Vierteljahresblätter. Jg. 39. 1975
Frick, Hans. Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr, 1933
Goerz, Adam. Mittelrheinische Regesten, Bd. III. 1876
Grimm, J , Weistümer, 2. Teil. 1840
Günther. Wilhelm. Codex Diplomaticus Rheno-Mosellanus,
Bd. III. 1822 – v. Stramberg. Christian. Rheinischer Antiquarius. Abt. III. Bd. 9. 1862
Zimmer. Theresia. Inventar des Archivs der Stadt Ahrweiler. 1965
Quellenhinweise:
- Zimmer A 1,
- Zimmer A 2. Frick nr. 477 und Goerz III nr. 1502
- Günter S. 911 —915 und Grimm S. 645 sowie Stramberg S. 641 -647
- ZimmerS. 118f
- Zimmers. 125f.
- ZimmerS. 128f.
- Stramberg S. 643
- Frick S. 582 und Zimmer S. 155
- Conrad S. 190 f.
- Landeshauptarehiv Koblenz 2.916
- Zimmer A 18
- Stramberg S. 640
- Stramberg .S. 644
- Flink S. 126
- Stramberg S. 638
- Zimmer A 154
- Stramberg S. 568
- Conrad S. 568
- Zimmer B VI 395