Zeitaufnahme: Aus den politischen Lageberichten des Ahrweiler Landrats von 1945 – 1948

Hubert Rieck

Der Koblenzer Regierungspräsident forderte durch eine Verfügung vom 23. 7. 1945 alle Landräte seines Bezirkes auf, in regelmäßigen Abständen politische Lageberichte anzufertigen und ihm zuzusenden. Diese Berichte waren mit dem Vermerk »Geheim« versehen und gaben vielfältige Informationen zu den Themenfeldern: Die politische Lage im Kreisgebiet; Zusammenarbeit mit der örtlichen Militärregierung; Bekämpfung des Nazismus; Wohnungs- und Ernährungslage; Arbeitsmarkt; Energieversorgung; Finanzlage; Gesundheitsverhältnisse; Kriminalität; Wirtschaft; Zukunftsaufgaben; Sonstiges.

Die Berichte des Ahrweiler Landrats Dr. Hermann Schüling, der am 20. August 1945 die Nachfolge des von den Franzosen des Amtes enthobenen Christian Ulrich antrat, sind höchst aufschlußreiche Dokumente zur Kreisgeschichte. Sie geben Einblick in die erste Phase der Nachkriegszeit, in die schwierige Phase des Neubeginns aus dem Chaos. In den ersten Märztagen des Jahren 1945 eroberten amerikanische Truppen, ohne auf größeren Widerstand zu treffen, das Gebiet des heutigen Kreises Ahrweiler. Die offizielle Haltung der USA gegenüber »den Deutschen« spiegelte sich in der Weisung ihrer Vereinigten Stabschefs an den Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen im April 1945. In dieser Direktive JCS 1067 hieß es: »Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke der Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.« Im Kreis Ahrweiler etablierte sich unter der Leitung von Captain Edmund H. Emry der Besatzungsbezirk, das Detachment I-15-G-2. Capt. Emry und seine US-Soldaten bestimmten durch Verordnungen, die als Bekanntmachungen im Amtlichen Kreisblatt für den Kreis Ahrweiler ab dem 16. Juni 1945 erschienen, das Leben der hier lebenden Menschen, den Besatzungsalltag. Die US-Präsenz beschränkte sich im Gebiet des Kreises Ahrweiler jedoch nicht nur auf dieses Kreis-Detachment. Vielmehr errichtete die 15. US-Armee, unter dem Oberbefehl von Lieutenant General Leonard T. Gerow, in Bad Neuenahr ihr Hauptquartier. Das Gebiet des US-Hauptquartiers (u. a. Kurhotel; heutige Fußgängerzone) war für die hiesige Bevölkerung eine absolute Sperrzone. Dieser hohe US-Stab entschied über die militärische und verwaltungstechnische Umsetzung der US-Besatzungspolitik. In diesem Führungsstab »geschah« nicht nur Geschichte, sondern dort wurde zugleich Geschichte »gemacht«. So wurde in Bad Neuenahr am 2. Juli 1945 die Vereinbarung zwischen der 15. US-Armee und der 1. Französischen Armee über den Wechsel der Besatzungsmacht getroffen.

»Die Bevölkerung äußert nach wie vor den dringenden Wunsch auf Änderung der Besatzungsverhältnisse. Sie weist insbesondere darauf hin, daß in den Kreisen der englischen Besatzungszone sämtliche Landesprodukte in weit reicherem Maße vorhanden seien, als im hiesigen Kreise. Die immer noch durch französische Truppen erfolgte Beschlagnahmung von Schlachtvieh, Fahrrädern und Radioapparaten trägt nicht zur Beruhigung der Gemüter bei.« Mit diesen Worten kommentierte der Ahrweiler Landrat Dr. Hermann Schüling den seit dem 10. Juli 1945 vollzogenen Wechsel der Besatzungsmacht von den US-Amerikanern zu den Franzosen. In den Lageberichten der Jahre 1945/1946 beklagte Dr. Schüling immer wieder die hohen Anforderungen der französischen Truppen auf Lieferung von Einrichtungsgegenständen und insbesondere von Lebensmitteln. Die Klagen des Landrats werfen ein Schlaglicht auf die offizielle französische Besatzungspolitik. Diese Politik war bestimmt von dem Streben nach Sicherheit vor Deutschland und der wirtschaftlichen Nutzung des besetzten deutschen Gebietes zum Zweck des Wiederaufbaus in Frankreich. Das französische Sicherheitsbedürfnis wurde durch eine Politik geleitet, die sich durch folgende Begriffe umschreiben läßt: Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung und strikte Abtrennung der französischen Zone von den übrigen Zonen. Dr. Hermann Schüling beschrieb detailliert, wie hart die Politik der Abtrennung die Menschen im Kreis Ahrweiler traf, da der Warenaustausch zum Bonn-Kölner-Raum, der schon zur britischen Zone gehörte, zunächst offiziell unterbunden wurde bzw. strengen Einschränkungen unterworfen war. Somit war der Landkreis Ahrweiler zu einem ausgesprochenen Grenzland geworden.

Landrat Dr. Hermann Schüling

Wirtschaftliche Nutzung der Zone hieß für die Franzosen: Demontage (Abbau von Maschinen und Fabrikanlagen), Reparationen (Entschädigungsleistungen), Requisition (Beschlagnahmung) und Restitution (Zurückführung von Gütern und Wertgegenständen, die im Krieg von Frankreich nach Deutschland abtransportiert worden waren). Dr. Schüling führte in seinen Berichten der Jahre 1945/46 aus, daß die Menschen den wirtschaftlichen Zugriff auf das Kreisgebiet als »große Belastung«, bisweilen als »Ausbeutung« empfanden, zumal die oftmals schwierigen Lebensbedingungen der hiesigen Bevölkerung sich hierdurch verschärften. Bedenkenswert ist die Tatsache, daß auch große Teile der Kreisbevölkerung durch Hamsterfahrten, das Suchen von Bucheckern, »kompensieren,« das Sich-Versorgen auf dem Schwarzmarkt, die angespannte Ernährungslage zu verbessern suchten. »Am 15. Mai 1947 trat der neue Kreisdelegierte Herr Monfraix seinen Dienst an. Während der Bevölkerung nur selten Gelegenheit gegeben war, mit dem früheren Kreisdelegierten in persönliche Beziehungen zu treten, hat der neue Kreiskommandant in dieser Beziehung eine ganz andere Einstellung und Vorsorge getroffen, daß die Amtsbürgermeister des Kreises einmal im Monat zu einer Aussprache bei ihm erscheinen sollen. Es zeichnet sich deutlich der Wunsch ab, zu einer ersprießlichen Zusammenarbeit zu kommen und die Interessen der Kreisbevölkerung nach Möglichkeit zu wahren. Im ganzen genommen, ist das Verhältnis zufriedenstellend.« Diese Stellungnahme des Ahrweiler Landrats verdeutlicht die Umorientierung in der französischen Besatzungspolitik. Im Lagebericht vom 30. September 1947 sprach Dr. Schüling sogar von offener Hilfsbereitschaft von seiten des französischen Kreisdelegierten Monfraix. Die Franzosen, obwohl zunächst noch behutsam, änderten, im Kontext des aufkommenden Ost-West-Konfliktes und des »Kalten Krieges«, in den Jahren 1946/47 ihre Besatzungspolitik. Diese Liberalisierung betraf die Freizügigkeit, die Reduzierung von gängelnden Einzelbestimmungen, aber auch das Moment der politischen Mitbestimmung. Der parteipolitische Neubeginn hatte — wenngleich sehr zögerlich — im Kreis Ahrweiler schon Anfang 1946 begonnen. Dr. Schüling: »Nach Genehmigung der Christlich-Demokratischen Union für den Bezirk Koblenz hat in Ahrweiler eine Gründungsversammlung der CDU stattgefunden (16. 3. 1946). In Bad Neu-enahr hat sich am 24. 3. ds. Js. als erste die sozial-demokratische Partei neu konstituiert. Die Versammlung war von etwa 80 Männern und etwa 20 Frauen besucht und nahm einen ruhigen Verlauf.« Jedoch war bei weiten Teilen der Kreisbevölkerung eine größere politische Apathie festzustellen. »Die allgemeine Stimmung in den Gemeinden«, so Dr. Schüling im Juli 1946, »ist gekennzeichnet durch eine ernährungspolitisch begründete tiefgreifende Depression.«

Eine starke Bewegung in die französische Besatzungspolitik kam Mitte des Jahres 1946. Am 30. August 1946 ordnete der Zonenbefehlshaber, der französische General Pierre Marie Koenig, in der Verordnung Nr. 57 die Schaffung des Landes Rheinland-Pfalz an. Am 15. September 1946 wurden Gemeindewahlen durchgeführt; die Kreistagswahlen folgten am 13. Oktober 1946. Am 17. November 1946 wurden die Mitglieder zur Beratenden Landesversammlung gewählt, die die Aufgabe hatten, die Landesverfassung für Rheinland-Pfalz auszuarbeiten. Die reorganisierten Parteien SPD und KPD sowie die neugegründete CDP, die spätere CDU, führten im Kreis Ahrweiler verschiedene Wahlversammlungen durch, die jedoch zum großen Teil »mäßig« besucht waren. Ein Stadt-Landgefälle bezüglich des Interesses an den Gemeindewahlen war deutlich festzustellen. Bei den Gemeindewahlen im Kreise erreichte die CDU 68,4 % der abgegebenen Stimmen und insgesamt 546 Sitze. Die SPD erreichte 8,9 % und 21 Sitze; die KPD ganze 2,9 % und 2 Sitze. Die Vorschläge der freien Listen kamen auf sehr beachtliche 19,8 % und 111 Sitze. Dennoch dürfen diese Wahlergebnisse und insbesondere die recht hohe Wahlbeteiligung von 87,1 % nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß die Menschen im Kreis Ahrweiler sich nicht in erster Linie um Politik kümmerten, sondern von den Alltagssorgen um Ernährung und Kleidung voll in Anspruch genommen waren. Der Übergang von der NS-Diktatur zu den Formen des demokratischen Lebens war also alles andere als einfach. Die ersten Wahlen zur Kreisversammlung am 13. Oktober 1946 hatten folgendes Ergebnis: CDU: 79,7 % = 17 Sitze; SPD: 13,5 % = 3 Sitze; KPD: 3,9 % = 1 Sitz; LP: 2,9 % = 1 Sitz; »Die politische Lage ist von einer Resignation gekennzeichnet. Selbst die bevorstehenden Wahlen zum Landtag vermögen bisher noch keine wesentliche Beeinflussung des politischen Interesses wachzurufen«, so das Stimmungsbild des Ahrweiler Landrats. Mit der ersten Landtagswahl am 18. Mai 1947 waren Abstimmungen verbunden über die ausgearbeitete Landesverfassung von Rheinland-Pfalz und die Schulartikel, die aufgrund des konfessionell ausgerichteten Schulwesens besonders umstritten waren. Auf größere Skepsis bei der Kreisbevölkerung fiel ebenfalls die Konstruktion des Landes Rheinland-Pfalz. Häufiger wurde aus Teilen der Bevölkerung der Wunsch geäußert, einen Anschluß an die Nachbarkreise Bonn-Euskirchen zu vollziehen.

Das zerstörte Ahrtor in Ahrweiler
Fotos: Kreisbildstelle

Bei einer Wahlbeteiligung von 81,5 % hatten die Landtagswahlen vom 18. Mai 1947 für den Kreis Ahrweiler folgendes Ergebnis:

CDU SPD LP KPD
74,5% 16,5% 5%4%

Die Ergebnisse zur Volksabstimmung:

VerfassungSchule
Wahlbeteiligung 81 %81 %
Ja-Stimmen 79,1 %84,7 %
Nein-Stimmen 20,9 %15,3 %

 Zum politischen Neubeginn gehörte aber auch die Auseinandersetzung mit dem vorhergegangenen menschenverachtenden Regime des Nationalsozialismus. Wer jedoch das Chaos des Jahres 1945 zu überstehen hatte, der spannte alle seine Kräfte an, um ein Überleben zu erreichen, denn »das Leben mußte ja irgendwie weitergehen«. Somit hatten die meisten Deutschen zunächst weder die Kraft, noch die Zeit, noch den Willen, sich der eigenen Vergangenheitsbewältigung zu stellen. Für die Menschen, die am Existenzminimum lebten, die Flüchtlinge, die Ausgebombten, die Kriegsgefangenen, die getrennten Familien war »der braune Spuk« mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes schlagartig zu Ende. Obwohl dem weitaus größten Teil der Deutschen die Verbrechen der Nazis inzwischen bewußt geworden war, fand die Auseinandersetzung mit den ungeheuerlichen Verbrechen der eigenen Regierung vorerst noch zögerlich statt. Jenes Sich-Stellen gegenüber der NS-Vergangenheit war und ist ein überaus sperriges Themengebiet, da es bis auf den heutigen Tag sehr umstritten ist, was eigentlich einen »maßgeblichen Nazi« ausmachte und wie dieser für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen sei. Auch nach über 40 Jahren Distanz zur NS-Zeit erscheint es schwer begreifbar, wie 2. B. die kalte, technokratisch betriebene Vernichtung der Juden möglich wurde. Es erscheint immer noch schwer begreifbar, wie neben dem relativ kleinen Kreis der unmittelbaren Täter, die vielen Zigmillionen von Deutschen in relativer Unschuld, zumeist durch Pflichttreue, Tapferkeit und Opfer von der totalitären NS-Maschinerie in Anspruch genommen wurden. Schließlich rückte aber bei den meisten Deutschen die Erkenntnis stärker ins Bewußtsein, daß zum Aufbau einer Demokratie, die den Namen verdiente, auch die Ehrlichkeit gehörte sich der NS-Vergangenheit zu stellen, mochte hierbei auch sehr viel Beklemmendes, Verwundendes und Widersprüchliches zutage treten. Als schließlich die Siegermächte des 2. Weltkrieges in einem längeren Erkenntnisprozeß die These von der Kollektivschuld der Deutschen als ungerecht und töricht erkannten — denn Schuld und Unschuld sind nicht kollektiv, sondern persönlich — wurde der Weg erleichtert für eine intensivere Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer jüngsten Vergangenheit. Die Herrschaft der Nationalsozialisten hatte auch tiefe Wunden und Narben im Kreise Ahrweiler hinterlassen: die 1945 noch frischen Soldatengräber, die auseinandergerissenen Familien sowie die umherliegenden Trümmer waren nur allzu offensichtliche Zeichen der Hypothek des Dritten Reiches und der Leiden der hiesigen Bevölkerung. Aber es gab auch noch weniger offenkundige, bisweilen verdrängte »Überbleibsel« der NS-Willkürherrschaft: So z. B. jene Akten, die NS-linientreue Beamte im Kreis Ahrweiler akribisch angelegt hatten und die »Aufstellungen über die nach hier karteimäßig gemeldeten Juden« — so die offizielle Sprachregelung — enthielten. Jene Aufstellungen dienten im Frühjahr und Sommer 1942 zur Deportation. Am 13. 8. 1942 wurde an die Gestapo Koblenz der Kreis Ahrweiler als »judenfrei« vermeldet. Die NS-Vernichtungslager bestimmten den unsäglichen Leidensweg jener aus dem Kreis Ahrweiler deportierten Menschen.

Erste Säuberungen gegenüber dem Nazismus hatten im Kreisgebiet die US-Truppen, insbesondere die Kommandos des CIC durchgeführt, die mittels sogenannter »Schwarzen Listen« nach ehemals »aktiven Nationalsoziali-stenn« fahndeten. Formalkategorien, die in einer Liste über »Arrest and Detention Categories« aufgeführt waren, dienten als Grundlage für die Verhaftungen.

Nach dem Wechsel der Besatzungsmacht lagen die Entnazifizierungsmaßnahmen bei der französischen Militärregierung in Ahrweiler, die sich in ihren Entscheidungen nach den Richtlinien des französischen Militärbefehlshabers in Bad Ems richtete. Im Herbst 1945 verschärften die Franzosen ihre Entnazifizierungsanstrengungen durch neue Kriterien, die — angelehnt an den US-Vorgaben — Formalkategorien der bloßen Amtsinhaberschaft oder der Zugehörigkeit zu einer NS-Organisation als Grundlage für die Strafaussprechung verwandten. Durch die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, die von Deutschen besetzt wurden, vollzog sich der Vorgang der Entnazifizierung mittels eines großen Verwaltungsverfahrens. Die Untersuchungsausschüsse prüften die speziellen Fragebögen zur Entnazifizierung und leiteten die Urteilssprüche ein. Eine übergeordnete Zentrale Säuberungskommission traf daraufhin die Entscheidungen über Belassung im Dienst, Versetzung, Zurückstufung, Pensionierung und Entlassung ohne Pension. Letztlich nahm sich die Militärregierung das Recht, getroffene Entscheidungen der Ausschüsse zu ändern. Seit Mitte Januar 1946 tagte der Untersuchungsausschuß im Kreis Ahrweiler, wobei Dr. Schüling vermelden konnte, daß »die Arbeiten gut voranschreiten«. Die Bekanntgabe der Entscheidungen füllte viele Seiten der damaligen Amtsblätter, die vom Oberpräsidenten herausgegeben wurden. Es gab sogar Sondernummern des Amtsblattes zur Entnazifizierung, wo — nach Kreisen geordnet — namentlich gefaßte Urteile abgedruckt wurden. Die Urteile der Untersuchungsausschüsse lauteten im Frühjahr 1947 für den Kreis Ahrweiler überwiegend auf Sanktionen von 10 % bzw. 20 % Gehaltskürzungen auf die Dauer von 2 Jahren, z. T. auch auf Versetzungen an einen anderen Ort, z. T. aber auch auf Entlassungen aus dem Dienst. Tatsache ist jedoch, daß — je länger diese Entnazifizierungsverfahren andauerten — es immer schwieriger wurde, die Stellen in den Entnazifizierungsgremien zu besetzen. Das sog. Bereinigungsverfahren war unter der Bevölkerung und den Politikern sehr umstritten, da es weder die Möglichkeit der Verteidigung noch der Berufung gab. Diese Verfahrenspraxis widersprach eigentlich jedem Rechtsempfinden.

Französische Soldaten vor dem Kurhotel in Bad Neuenahr

Die Entscheidungen der Bereinigungskommissionen wurden, so schrieb der Landrat, umgehend von allen betroffenen Dienststellen durchgeführt. Allerdings vermeldete Dr. Schüling für den Kreis Ahrweiler, daß noch eine erhebliche Zahl von Entscheidungen ausstünden. Dr. Schüling: »Seit dem 28. 5. 1947 ruht die Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse. Hinsichtlich der Berufung der neu zu bildenden Ausschüsse sind noch keine Ausführungsbestimmungen ergangen.« Jene Tatsache findet ihre Begründung darin, daß breite Teile der Bevölkerung die Notwendigkeit einer Säuberung bejahten, aber das Verfahren der Säuberung als unhaltbar ablehnten. Man forderte mit Vehemenz und Einfluß, die Bereinigung aus der Subjektivität herauszuholen und als ordentliche Gerichtsverfahren auf eine exakte juristische Grundlage zu stellen. Ferner sollte für jeden Beschuldigten das Recht auf Verteidigung und Berufung zugestanden werden. »Diesen von vielen Seiten erhobenen Forderungen konnte sich die Militärregierung auf die Dauer nicht verschließen. So kam es auf ihre Anordnung und nach lebhafter Debatte in der Beratenden Landesversammlung in Koblenz am 17. April 1947 zur Verabschiedung einer Landesverordnung zur politischen Säuberung, die die Entnazifizierung auf die Grundlage des Spruchkammerverfahrens stellte und den bis dahin geübten Urteilsmechanismus durch das Kriterium der persönlichen Verantwortlichkeit der Betroffenen ersetzte.

« Am 21. Mai 1947 trat diese Landesverordnung zur politischen Säuberung in Kraft. Sie umfaßte 5 »Belastungskategorien«:

  1. Hauptschuldige
  2. Belastete: aktive Mitglieder der nationalsozialistischen Vereinigungen, Militaristen und Nutznießer der NS-Herrschaft
  3. Minderbelastete
  4. Mitläufer
  5. Aufgrund beigebrachter Beweise als unschuldig Einzustufende

Sogenannte Säuberungsbehörden hatten für die Umsetzung der Landesverordnung zu sorgen. Sie setzten sich zusammen aus einem Landeskommissar für die politische Säuberung und einem ihm zugeordneten Beirat, aus öffentlichen Klägern, Untersuchungsausschüssen und den Spruchkammern. Auf Kreisebene mußte je ein öffentlicher Kläger und ein Untersuchungsausschuß bestellt werden. Auch im Kreis Ahrweiler war das Bemühen um die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses langwierig, da in der breiten Öffentlichkeit die Mitarbeit verpönt war. Ende 1947 zeichnete sich eine Lockerung im Spruchkammerverfahren ab. Die Amnestieverordnung Nr. 133 vom 17. November 1947 verbot künftige Säuberungsmaßnahmen gegen einfache nominelle Parteimitglieder, die keine Amtsträger gewesen waren. In jenem Zeitraum wurde eine erhebliche Anzahl von Internierten wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Amnestieverordnung Nr. 133 wurde am 13. Juli 1948 durch die Verordnung Nr. 165 erweitert, die z. B. für heimkehrende Kriegsgefangene nur dann eine Säuberung vorsah, wenn sie als Hauptschuldige oder Belastete galten. Volker Rodel faßt die Problematik wie folgt zusammen: »Damit war zwar auf der einen Seite die allgemeine Säuberung formell liquidiert und der seit langem übereinstimmend erhobenen Forderung nach Bestrafung der wirklich Schuldigen Rechnung getragen, auf der anderen Seite aber insoweit neues Unrecht geschaffen, als bisher kleinen Nazis oft gravierende Sühnemaßnahmen auferlegt worden waren, während noch anstehende vergleichbare Fälle nun sanktionsfrei ausgehen würden. Mit der Amnestieverordnung wurde aber auch unausgesprochen eingestanden, daß es nicht gelungen war, die schweren Fälle vor den leichteren zu behandeln. Dazu war es nicht nur gekommen, weil man »bei der Putzfrau angefangen und beim Regierungsrat aufgehört hatte«, sondern weil viele exponierte Nationalsozialisten es verstanden hatten, sich mit Hilfe der Besatzungsmacht oder als Spezialist der Entnazifizierung bzw. ihren Folgen zu entziehen.«

Bei aller Härte der französischen Besatzungspolitik übten die Franzosen jedoch keine haßerfüllte Vergeltungspolitik für das im eigenen Land erlittene Unrecht während der NS-Zeit. Man bot den Deutschen die Chance zum Neubeginn. Schließlich entwickelte sich zwischen Siegern und Besiegten, wenn auch nach sehr schwierigen Anfängen, schon in den ersten Nachkriegsjahren ein besseres, da verständnisvolleres Verhältnis.

Die Lageberichte des Ahrweiler Landrats Dr. Hermann Schüling ermöglichen einen Einblick in eine wichtige Phase unserer jüngsten Geschichte. Sie geben Einblick in die Lebenssituationen der Überlebenden des 2. Weltkrieges. Sie verdeutlichen wichtige Entwicklungslinien des politischen Neuanfangs, zeigen Aufbauphasen unseres demokratischen Staatswesens. Für unser heutiges Selbstverständnis ist es von großer Bedeutung, diesen schwierigen Neuanfang aus dem Chaos zu wissen.

Quellen:

Die politischen Lageberichte des Ahrweiler Landrats befinden sich im Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK), Bestand 441, Nr. 45357 bis 45363; Vgl. Dorothee Bender/Anton Neukirchen/Hubert Rieck: Kriegsende und Neubeginn im Kreis Ahrweiler 1945 – 1949. – Zusammenbruch und Wiederaufbau. In: Studienbuch zur Heimatgeschichte des Kreises Ahrweiler; Erwin Schaaf; Aus den politischen Lageberichten des Wirtlicher Landrats von 1946 – 1949. – In: Arbeitskreis Eifeler Museen (Hrsg.): Notjahre der Eifel. – Meckenheim 1983, S. 46 – 53; Vgl. Herbert Lüge: Deutschland 1945 -1963. – Hannover 1972, 4. Aufl.; Christian Meier: Zur Lage der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik. – In: GWU 2/1986, S. 72; Erwin Schaaf: Neubeginn aus dem Chaos. – Wirtlich 1985, S. 126; Volker Rodel: Die Entnazifizierung im Nordteil der französischen Zone. – In: Franz-Josef HeyenfHrsg.): Rheinland-Pfalz entsteht. – Boppard 1984.