Wir schauen in die Heimat Gerhart Hauptmanns
VON HEINRICH O. OLBRICH
Schlesiens größter und getreuester Sohn, der Dichter Gerhart Hauptmann, wurde am 15. November 1862 in Bad Salzbrunn, Niederschlesien, geboren. Der hundertste Geburtstag Gerhart Hauptmanns wurde in den letzten Monaten des auslaufenden Jahres 1962 von Theater und Presse, von Fernsehen und Rundfunk, von literarischen Zirkeln und vor allem von der „Gerhart Hauptmann Gesellschaft“ angemessen und würdig begangen. Sein umfassendes Lebenswerk atmet die tiefe Verbundenheit mit seiner Heimat Schlesien, der er bis zu seinem Tode in Treue verbunden‘ blieb. Kurz vor seiner Ausweisung durch die Polen hat er sein Heim Wiesenstein in Agnetendorf im Riesengebirge am 28. Juli 1946 im Sarge verlassen, um auf der einsamen Insel Hiddensee bei Rügen die letzte Ruhe zu finden.
Das Leben dieses „Dichters der Deutschen“ bedeutet in seiner Vielfalt und Tragik gleichfalls Sinnbild deutschen Schicksals. Mit dem Tode des Dichters schließt ein Jahrtausend deutscher Kultur auf Schlesiens Boden ab. Seine Persönlichkeit und sein Werk sind einmaliger gesteigerter Ausdruck der Volksseele und ermöglichen es, das schlesisch deutsche Menschentum nicht nur in unserem Volke, sondern auch vor der europäischen Weltöffentlichkeit aufleuchten zu lassen.
Von seiner Heimat sagt der Dichter: „Boden Schlesiens, wie keiner rings im weiten deutschen Reiche, blutgetränkt und sorgenträchtig, geistesdumpf in Dumpfheit fruchtbar, Blumen treibend, Buschwerk, Bäume, wunderlichsten Geisterwald.
Ja, so ist es. Und höchst seltsam ist das Licht, in dem die Waldung steht, die Luft, in der sie atmet, das Getier, das sie bewohnt.“
Das Haus Wiesenstein in Agnetendorf, das der Verfasser dieses Beitrages gelegentlich eines Besuches des Dichters im Jahre 1924 in Augenschein nehmen konnte, hinterließ in jedem Besucher eine überwältigende, bleibende Erinnerung. Vom Arbeitszimmer des Dichters schweifte der Blick über die grünen Berge bis hinauf zu den gigantischen Abstürzen des Riesengebirges.
Wenn man aber vom Kamme der Schneekoppe ostwärts blickte, so überschaute man bei klarer Sicht die Vielgestaltigkeit des Vorgebirges bis weit an die Gestade der Oder. Schlesien überraschte jeden Besucher durch die Vielgestalt seiner verschiedenartigen Landschaften. Goethe, der mit seinem Herzog unser Grenzland besuchte, nannte es „das zehnmal interessante Land Schlesien.“ In dem machtvollen Grenzwall der Sudeten vom Altvater über das Glatzer Bergland bis zum Riesen- und Isergebirge erlebten wir eine Fülle immer wieder anders gearteter Gebirgslandschaften. Dem Kamm vorgelagert ist das vielfältige Durcheinander von Einzelbergen, den vulkanischen Kegeln des Gröditzberges, der Landeskrone, des Zobten, der Strehlener und Striegenauer Berge bis zum Annaberge in Oberschlesien. Durch den Fruchtgürtel besten Gartenlandes gelangte man vom Vorgebirge in die breite Talmulde der Oder, einer besonders ertragreichen Landschaft, die sich durch die ganze Provinz vom Südosten bis zum Nordwesten hinzog. Die große Ebene östlich der Oder ist wohl einsam und oft melancholisch, doch nie öde oder bedrückend in endloser Eintönigkeit. Hier, im schlesischen Lande, fand man ein‘ herrliches Stück deutscher Erde, etwas, was nach den Worten des Dichters Hermann Stehr, einem Freunde Hauptmanns, allen Menschen so notwendig ist: „Größe ohne Ausschreitung, inniges Wesen ohne Süßlichkeit, Ernst ohne Düsterkeit„ Tiefe ohne Härte, heitere Daseinsbereitschaft bei besonnener, rüstiger Tüchtigkeit.“
In der Felsenstadt Adersbach im Landeshuter Bergland
In dieser Landschaft lebten nun die schlesischen Menschen, die Menschen, die der „letzte deutsche Klassiker“ Gerhart Hauptmann zumeist in ihrer Mundart in seine Werke eingefangen hat, denn seine Seele empfing hier alle Eindrücke ganz unmittelbar, die er für seine künstlerische Gestaltung benötigte.
Die Vielfalt der Landschaft Schlesiens wiederholt sich auch hinsichtlich der Abstammung seiner Bewohner, in deren Adern das unentwirrbare Durcheinanderströmen des verschiedensten Blutes erkennbar .war. Kleine slawische Reste hielten sich noch blutsmäßig in Oberschlesien; in den Gegenden der Flußniederungen traten uns schwere, massige und wortkarge Menschen entgegen, deren Ahnen einst Flamen waren; in den schlesischen Vorbergen fand man die sauberen, heiteren fränkischen Dörfer von einer eigenwilligen Schönheit; tiefer in den Bergen saßen die Nachkommen der Thüringer, versonnen, träumerisch und leichtsinnig zugleich mit einem Gemüt, das unergründlich und phantastisch war. Kleinere Einschläge der zugewanderten „Böhmischen Brüder“; die fleißig schöne Siedlungen entwickelten, waren ver- streut im ganzen schlesischen Raum, deren Wesensart die sonstige fröhliche Klarheit der Schlesier dämpfte und leicht verdunkelte. Es ist etwas Seltsames, daß sich in der Eigenart des Schlesiers schlechthin alle diese Stämme durcheinanderzutummeln schienen, aus denen im Laufe der Jahrhunderte die Bevölkerung dieser Provinz gewachsen ist. Die Wesensart dieser Bewohner äußerte sich in einer fast kindlichen Liebe zur Scholle und in einer anerkannt vielseitigen Begabung. Wenn man in den Dorfgasthäusern gelegentlich den Erzählungen von Bauern, Fuhrleuten, Händlern oder Holzknechten zuhören könnte, so war man über die bilderreiche Sprache, über die Gelenkigkeit und Unerschrockenheit der Einbildung höchst erfreut und erstaunt. Man konnte es dann erleben, daß am Ende eines solchen Gesprächs sinnend die Unbeteiligten zu dem eben Gehörten sagten: „Ju, ju, – nee, nee, man solls nicht denka.“ Dabei blieb es dem Außenstehenden überlassen, darüber nachzudenken, ob diese merkwürdige Zustimmung Ergriffenheit, furchtsamen Zweifel, freundlichen Spott oder liebenswürdigen Widerspruch ausdrücken sollte.
Zu all diesen angedeuteten Menschengruppen hatte Gerhart Hauptmann eine unmittelbare seelische Beziehung. Die Gebirgsbewohner erschienen ihm z.‘ B. wie ein Stück der uralten Granitberge. „Diese Männer, die fast ihr ganzes Leben lang mit Säge und Axt im Forst hantierten, hatten selbst mit den Bäumen eine gewisse Ähnlichkeit. Ihre Bärte waren mit grauen Flechten, ihre Gesichter mit phantastisch gerunzelten Schwämmen, ihre Körper mit Holz vergleichbar, und sie rochen nach Walderde, Harz und Moos.“ (Der neue Christophorus.)
Im historischen Ablauf schlesischer Geistesgeschichte sind starke und befruchtende Einflüsse der Frühzeit des deutschen Schrifttums von Schlesien her in alle deutschen Lande und auch nach dem Auslande erkennbar. Der Schuhmacher Jakob Böhme, Philosoph und Mystiker, schrieb schon vor 1600 seine tiefsinnigen und sprachgewaltigen Bi-. belauslegungen. Er beeinflußte grundlegend die Bewegung des Pietismus.
Fast zu gleicher Zeit gründete der Bunzlauer Martin Opitz die „Erste Dichterschule“ und schrieb sein Buch „Von der deutschen Poeterey“, und in den furchtbaren Wirren des Dreißigjährigen Krieges schrieb Andreas Gryphius seine Elegien und Friedrich von Logau die bekannten Sinngedichte. Johann Scheffler, genannt Angelus Silesius, hinterließ der deutschen Christenheit u. a. die Werke „Der Cherubinische Wandersmann“ und „Der Heiligen Seelenlust“, tiefgläubige Dichtungen, die bis zum heutigen Tage gebetet oder gesungen werden, z. B. „Ich will Dich lieben, meine Stärke“ und viele andere. Karl von Holtei, ein hochbegabter Schriftsteller und Regisseur, machte die schlesische Mundart hoffähig, und an seinen Zeitgenossen, den Breslauer August Kopisch, den Entdecker der „Blauen Grotte“ auf Capri, erinnert heute noch lebhaft das reizende Kindergedicht „Kölner Heinzelmännchen.“
Rathaus von Breslau, 1850
Aus dem „kühlen Grunde“ der oberschlesischen Wälder erklangen im ig. Jahrhundert die innigen volkstümlichen Lieder des Freiherrn Josef von Eichendorff, der 1788 auf Schloß Lubowitz bei Ratibor geboren wurde. Seine Lieder :„Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ und viele, viele andere von ihm werden klingen, solange eine deutsche Zunge singt, denn auch seine Dichtungen wurzeln tief im Boden seiner beglückenden Heimatlandschaft.
Eine neue Richtung des dichterischen Schaffens schlug der Kreuzburger Gustav Freytag, der als Germanist in Breslau und Berlin war, ein. Er wandte sich ganz der Wirklichkeit im bürgerlichen Sinne zu in seinem bekannten Werk „Soll und Haben“, der Geschichte des Breslauer Handelshauses T. O. Schroeder. In einer Fülle von lebendigen Einzelbildern zeigt er das aufbrechende 19. Jahrhundert in Handel und Wandel der bürgerlichen Bereiche auf. Sein Lustspiel „Die Journalisten“ hat sich bis auf den heutigen Tag behauptet. Die lange Reihe schlesischer Geistesgrößen wird beschlossen durch das Werk Gerhart Hauptmanns. Wiesenstein bildete den Brennpunkt geistigen Lebens, eine Stätte vielfacher Begegnungen der großen Geister seiner Jahrzehnte, die aus allen Bereichen der Kultur hier oft verweilten. Der letzte deutsche große Dramatiker Gerhart Hauptmann besitzt einen unverlierbaren Platz in der Weltliteratur. Nach Zuckmayers Worten muß ihm das „Signum der Größe“ zuerkannt werden. Seine unmittelbaren Zeitgenossen, der vier Jahre ältere Bruder Carl Hauptmann und der Dichter Hermann Stehr offenbaren stärkste deutsche Begabungen. Auch die nachfolgende jüngere Dichtergeneration, wie Erich Peukert als Dramatiker, Epiker und Lyriker, Christoph Kergel, Jochen Klepper, Niekrawietz, der Sänger der Oderlieder, und viele andere künden von dem verlorenen, schönen Heimatland.
Der Gestaltung und Sinngebung des deutschen Wortes stehen ebenbürtig zur Seite die großen Baumeister und Maler, die aus Schlesien hervorgegangen sind. Der Niederschlesier Karl Gotthard Langhaus wirkte neben dem in Berlin schaffenden Baumeister und Maler Friedrich Schinkel. Die Krönung ihres Wirkens fanden sie in der Errichtung des Nationaltheaters in Berlin, in der Innengestaltung des Berliner Schlosses und im Bau des Brandenburger Tores.
Der 1815 in Breslau geborene Maler Adolph von Menzel hinterließ der Nachwelt zahlreiche prächtige Gemälde, wie das „Flötenkonzert“, „Die Tafelrunde von Sanssouci“, aber auch das Bild harter Realität im „Eisenwalzwerk“.
Als Pufferland zwischen Ost- und Westeuropa erfüllte Schlesien frühzeitig weltgeschichtliche Bedeutung. Im Schnittpunkt wich= tiger Handelsstraßen des damaligen Weltverkehrs, nämlich der alten Bernsteinstraße von der Ostsee nach Süden, der Hohen Straße von Westen über Görlitz und Liegnitz als der Verbindung zwischen Westeuropa und dem Schwarzen Meer, entwickelte sich Breslau als wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt mit dem einmaligen Rathaus, der Universität Leopoldina, vielen behaglichen Bürgerhäusern und Denkmälern. Eine besondere Zierde der Stadt waren die herrlichen Kirchen.
Der Mongolensturm im Jahre 1241 hat das Land Schlesien schwer heimgesucht und auch Breslau in Trümmer gelegt. Aus den rauchgeschwärzten Überresten der Stadt entwickelte sich das neue Breslau gleichzeitig als starke Festung, die im Dreißigjährigen Krieg den Feinden entschieden trotzen konnte. In diesem sinnlosen Ringen opferte Schlesien 200 000 Menschen. Erst nach den drei Schlesischen Kriegen Friedrichs des Großen gegen Maria Theresia kehrte endlich. Ruhe in das Land ein, das sich der besonderen Fürsorge des Königs nach der endgültigen Inbesitznahme. dieser Provinz erfreuen konnte.
Glatz, Brücktorbrücke
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet Breslau und mit ihm ganz Schlesien in den neuen Strudel politischer Ereignisse, die ganz Europa erschütterten. Napoleon überzog Preußen mit Krieg. Die Festung Breslau fiel, nur Glatz, Silberberg und Cosel ergaben sich nicht. Napoleons Bruder Jerome wurde Generalgouverneur von Schlesien.
Erneut erfüllte Breslau und mit ihm ganz Schlesien eine große weltgeschichtliche Aufgabe. Nach dem Unglücksfeldzug Napoleons in Rußland wurde Breslau der Mittelpunkt und der Ausgangspunkt für die Befreiung Preußens gegen die Gewaltherrschaft Napoleons. Es wurde „der alles ergreifende und begeisternde Mittelpunkt“. Professor Steffens, Freiherr von Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Lützow, Blücher, Friesen und Graf von Götzen waren die Führer der Freiheitsbewegung. Von hier aus erging der „Aufruf an mein Volk“ am 17. März -18×2, hier wurde das „Eiserne Kreuz“ gestiftet, im „Goldenen Zepter“ auf der Schmiedebrücke war das Werbebüro der, Lützower. – Das Blücherdenkmal auf dem ehemaligen Salzring war die stete Erinnerung an den ersten Sieg über Napoleon auf schlesischem Boden im Jahre 18i3.
Noch hundert Jahre später, also. 1913, war jene ereignisreiche Zeit in den Herzen der Breslauer so lebendig, daß sie zum Gedenken an dieses Geschehen die Jahrhunderthalle erbaut haben, für damalige Zeit ein technisches Wunderwerk der Baukunst, mit einer einmaligen Orgel. Für die Jahrhundert-Feierlichkeiten schrieb Gerhart Hauptmann auf Bitten des Rates der Stadt das Festspiel. Nach dem Versailler Diktat als Folge des ersten Weltkrieges 1914/18 kehrte in Schlesien noch lange kein Frieden ein. Polen und Tschechen suchten sich mit Unterstützung der damaligen Entente durch den Raub schlesischen Bodens, namentlich im oberschlesischen Industriegebiet, zu bereichern. Die Oberschlesier, die kurzerhand an Polen abgetreten werden sollten, erzwangen durch gewaltige Demonstrationen das Recht der Selbstbestimmung. Gerhart Hauptmann unterstützte diese Bewegung seiner Heimat durch groß angelegte Kundgebungen in Breslau und Berlin, in denen er ernste Mahnungen an das Weltgewissen richtete. Trotzdem wurde Oberschlesien gewaltsam geteilt. Lloyd George nannte diese Gewaltlösung „eine finstere und böse Entscheidung des Völkerbundes“.
Die größte Tragödie Schlesiens wiederholte sich beim Ausgang `des zweiten Weltkrieges, als es dem Vaterlande – als Folge des unerbittlichen Zusammenbruches – ganz entrissen wurde. Ausplünderung und erbarmungslose Vertreibung der gesamten deutschen Bevölkerung waren die Weisungen der unseligen Potsdamer Beschlüsse.
„Nichts ist geregelt, was nicht gerecht geregelt ist.“ (Präsident Amerikas Lincoln. 1861-1865).
In diesen schmachvollsten Tagen Schlesiens schloß am 6. Juni -1946 sein großer Sohn Gerhart Hauptmann in Agnetendorf im Riesengebirge die Augen, nachdem ihm vorher die Ausweisung durch die Polen und Russen eröffnet wurde.
Aus den einleitenden Bemerkungen dieses Beitrages wurde erkennbar, daß Schlesien als Land mannigfacher Prägung in vielfacher Hinsicht für Gesamtdeutschland von großer Bedeutung war. In der hochentwickelten Landwirtschaft des Großgrundbesitzes wie der Bauern entdeckte 1747 Markgraf den hohen Zuckergehalt der Runkelrübe, die als Futterrübe angebaut wurde. Bereits 1801 erbaute Achard auf dem Gute Kunern bei Wohlau die erste Rübenzuckerfabrik der Welt. Seit 1935 erzeugte Schlesien jährlich eine halbe Million Tonnen Rübenzucker.
Die Imker der Welt haben durch den Altmeister der Bienenzucht, den katholischen Pfarrer Johann Dzierzon (geb. 1811 in Kreuzburg O/S) bahnbrechende Anregungen für die Errichtung von Bienenstöcken mit beweglichen und künstlichen Waben erhalten, außerdem durch die Folgerungen aus der Entdeckung der Parthenogenese, der Jungfernzeugung bei Bienen.
In Oberschlesien und im Raum von Waldenburg entwickelte sich rasch, beachtlich gefördert durch Friedrich den Großen, die Industrie zu ungeahnter Blüte. Der Berghauptmann Graf von Reden stellte 1788 in Oberschlesien die erste Dampfmaschine in den Dienst der Wasserhebewerke, die er aus England bezogen hatte. Er war der Erbauer der Königshütte in Oberschlesien, die der Stadt den Namen gab. Hier wurden oberschlesische Eisenerze verhüttet.
In der Gleiwitzer Hütte wurde 1796 der erste Kokshochofen auf dem Festlande errichtet, und oberschlesische Techniker stellten auf der Malapaner Hütte die erste 24zöllige Dampfmaschine her.
Die 1835 in Nürnberg begonnene Entwicklung der deutschen Eisenbahnen ist ohne August Borsig, einem der bedeutendsten Unternehmer Oberschlesiens, nicht zu denken. Er wandte sich sehr bald dem Maschinenbau zu und lieferte bereits 1847 der preußischen Eisenbahn 67 Lokomotiven. Mit den Schiffsantrieben hatte er 1875 bereits 35oo Dampfmaschinen gebaut. Er errichtete das gewaltige Borsigwerk in Hindenburg, als „das größte und erfolgreichste Unternehmen, das Deutschland je hervorgebracht hat“. (Schöler). Diese glückliche industrielle Entwicklung war möglich durch die großen Vorkommen an Kohle und Erzen und durch die Gegebenheit, daß wagemutige und einfallsreiche Industriemagnaten ihre Werke auf einem umfangreichen Großgrundbesitz aufbauen konnten.
Eingeleitet wurde diese fruchtbare Verbindung von landwirtschaftlichem Großgrundbesitz mit der Bergindustrie durch die Grafen von Schaffgotsch, die bereits seit dem 17. Jahrhundert ihre riesigen Ländereien im festen Erbrecht immer ungeteilt in der Hand eines Familienmitgliedes zu „Nießbrauch und zu treuen Händen“ erhalten haben.
Karl Godulla, der Begründer der Zinkindustrie in Oberschlesien, führte ein Leben äußerster Einfachheit . und Menschenliebe. Eine Enkelin seiner Adoptivtochter Johanna, die als Universalerbin mit dem Grafen Hans Ulrich von Schaffgotsch vermählt war, ist Baronin Marie-Anne von Reitzenstein geb. Gräfin von Schaffgottsch, die mit ihrem Gatten, dem Kreistagsmitglied Freiherrn Karl Egon von Reitzenstein, früher Pawlowitz/Oberschlesien, in Bodendorf lebt.
Aber auch bürgerliche Familien erwarben in Oberschlesien große Besitztümer. Bahnbrechend unter diesen war u. a. der „Zinkkönig“ Karl Godulla, der, aus der Landwirtschaft kommend, später Verwalter des großen Besitzes des Grafen von Ballestrem war und schließlich selbst Eigentümer zahlreicher Zink- und Kohlengruben wurde: Seine Adoptivtochter und Erbin Johanna heiratete 1858 den Grafen Hans Ulrich von Schaffgotsch auf Koppitz.
Dieser Beitrag konnte nur andeutungsweise die Schönheit und Bedeutung der Heimat Gerhart Hauptmanns und seiner schlesischen Menschen streifen. Der große Dichter und Mystiker hat bereits im Jahre 1943, also mitten in dem heraufbeschworenen Völkerringen, im engsten Freundeskreise die Befürchtung geäußert, daß Schlesien „nicht mehr sein wird“. Er sagte hierbei: „Diese schöne und herrliche Land wird ausgelöscht. Aber es werden hoffentlich noch genug Schlesier in ganz Deutschland und in aller Welt sein, welche das Bild ihrer Heimat treu bewahren und es ihren Kindern stets weitergeben werden.“ Wie wir gelesen haben, trat 1945 die Tragödie tatsächlich ein. Viele, allzuviele Bewohner des Landes wurden dabei wie Flugsand zerrieben. Wir gedenken ihrer in tiefer Trauer.
Aber wir, die wir zwischen den abgründigen Gewalten es vermocht haben, hindurchzutaumeln, haben die Pflicht der Dankbarkeit für jenes gütige Geschick, das uns in neue Geborgenheit geleitet hat; wo wir tatkräftig am Wiederaufbau unseres zerstörten Vaterlandes mithelfen konnten, mit jener ungebrochenen Lebenskraft, die wir von unseren‘ tüchtigen und lebensstarken Ahnen aus dem tiefen Born unserer Heimat schöpfen konnten.
Wir wollen es auch nie vergessen, daß uns allen in den Tagen der Trübsal manche helfende Hand zwischen Elbe und Saar zur Seite gestanden hat und uns hier oft ein ‚tröstlicher Becher gereicht worden ist.