»Wir haben keine andere Chance«
Das Trumpf-As der Gemeinde Grafschaft ist die Gewerbeansiedlung
Hubertus Kischkewitz
Gewerbegebiet Grafschaft: In enger Nachbarschaft produzieren klassische Handwerksbetriebe neben »high tech«-Unternehmen.
Er zeigt stolz auf die Landkarten. Ein Kreuz ist bei Huntsville/Alabama eingezeichnet. Ein anderes bei London, das dritte in unmittelbarer Nähe von Paris. Doch hier – der Zeigefinger verläßt die Welt und wandert auf einen kleinen Plan – hier soll die Hauptproduktionsstätte entstehen: Dr. Jürgen Baumeister, der Chef eines Bonner Unternehmens für internationale Weltraumtechnik mit drei Niederlassungen in USA, England und Frankreich, deutet auf eine andere Karte, die der Gemeinde Grafschaft.
Im Gelsdorfer Gewerbegebiet hat sein Unternehmen 14000 Quadratmeter gekauft. Eine erste, 800 Quadratmeter große Produktionshalle ist bereits bezogen, doch weitere sollen folgen, in denen unbemannte Flugkörper entstehen, Drohnen, die Pipelines überprüfen oder Archäologen bei der Suche nach alten Schätzen helfen. Im Ringener Rathaus hört man’s gerne. Mehr Hallen bedeuten mehr Produktion, mehr Produktion bringt mehr Arbeitsplätze, mehr Arbeitsplätze für die Gemeinde, die sich seit zehn Jahren etwa die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie zur Schwerpunktaufgabe gemacht hat. Dahinter steckt eine einfache Philosophie, Bürgermeister Hubert Kolvenbach macht sich selbst nichts vor. »Eine Gemeinde braucht 10000 Einwohner, um überleben zu können«. Zur Zeit hat die Grafschaft 8 150.
Der Startschuß für das Gewerbegebiet fiel am 31. Januar 1978 mit dem Aufstellungsbeschluß für den Bebauungsplan. Heute, im November 1989, sind bereits 18 Firmen im Gewerbegebiet, von den 23 Hektar insgesamt sind nur noch 3,7 ha offen. Konkrete Kaufverhandlungen laufen, Optionen sind vergeben. Die Gemeinde hat deshalb bereits eine Erweiterung
im Verfahren, 5,5 ha sollen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.
In enger Nachbarschaft produzieren schon jetzt »high tech«-Unternehmen und klassische Handwerksbetriebe. Betriebe, die aus der näheren Umgebung auf die Grafschaft, teilweise oder ganz umgezogen sind und solche, denen es im Köln/Bonner Raum zu eng geworden ist. Insgesamt eine gesunde Mischung, die das Gewerbegebiet auf viele Füße stellt.
Das ist im wirtschaftlichen Auf und Ab auch für die Kommune von großer Bedeutung.
Die außerordentlich gute Entwicklung des Gewerbegebietes auf der Grafschart hat natürlich mehrere Gründe. An erster Stelle sind sicherlich die optimalen Verkehrsanbindungen zu nennen, mit denen kaum ein anderes Gewerbegebiet im Kreis aufwarten kann. Die Autobahn 61 ist nur einen Steinwurf weit entfernt, bis zur Anschlußstelle Meckenheimer Kreuz sind es nur 1,5 Kilometer. In kurzer Zeit erschließen sich die Wirtschaftsräume Bonn (20 Kilometer), Köln (45) und Koblenz (55).
Eine Rolle spielen natürlich Grundstückspreise, die Steuersätze und Abgabelasten, die Nähe der Bundesstraßen sowie die verfügbaren Arbeitskräfte. Von enormer Bedeutung ist allerdings ein anderes Standortkriterium, das immer mehr Einfluß im Abwägungsprozeß eines flächensuchenden Unternehmens gewinnt. Das Stichwort heißt Bürokratie – pardon, keine Bürokratie. Aus einer jüngsten Umfrage des Bundesverbandes junger Unternehmer bei 952 Betrieben aller Größenklassen und Branchen, die in der Wirtschaftswoche veröffentlicht wurde, ergibt sich eine bemerkenswerte Reihenfolge. Ganz oben stehen Kriterien wie »kurze Entscheidungswege der Behörden«, ihre »hohe Servicefreundlichkeit« und die kurze Bearbeitungszeit von Bauvorhaben.
Hier kann eine sehr lokale und persönliche Art der kommunalen Wirtschaftsförderung ansetzen, und hier setzen die Grafschafter auch an. Der Chef eines großen Kölner Unternehmens, das sich ebenfalls im Gelsdorfer Gewerbegebiet angesiedelt hat, schrieb in seiner Hauszeitung dazu ein eindrucksvolles Zeugnis, das er in einer Abschlußbemerkung auf den Punkt brachte. In dieser Gemeinde sei »Bürokratie ein Fremdwort«. Als ein in Köln tätiger Unternehmer könne man da nur staunen.
Im Dschungel der ständig wachsenden Auflagenberge, die sich nicht zuletzt um des Umweltschutzes willen vor den Unternehmen auftun, wird die »Rundum-Beratung« geschätzt, der »Fährtensucher« dankbar angenommen, der die sichersten und schnellsten Wege kennt. Der Faktor Zeit ist im Investitionsplan enorm wichtig. Wenn ein Unternehmer sich entschlossen hat zu bauen, will er auch schnell bauen. Das Erfolgsrezept des Bürgermeisters klingt dabei so einfach: »Optimale Firmenbetreuung bei der Abwicklung aller administrativen Angelegenheiten«. Die »großen Zutaten«, das ständige Gespräch schon im Planverfahren, die frühzeitige Abstimmung auf die baurechtlichen Erfordernisse, infrastrukturelle Maßnahmen, Vermittlerdienste in den verschiedensten Bereichen wie Telefon-, Gas- oder Stromversorgung, werden gewürzt mit scheinbaren Kleinigkeiten, die aber im Gesamtpaket für den reibungslosen Ablauf eines Industrieunternehmens oder Gewerbebetriebes unersätzlich sind. Der »Wunschzettel« wird vor Ort in der »Gewerbegebietsversammlung« bei Kölsch und Spießbraten erstellt. Er reicht von der Hilfe bei der Organisation des von Anliegern zu leistenden Kehrens der Straße bis zur Unterstützung beim Aufbau eines Zubringerdienstes von den Betrieben zu den Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs.
Noch deutlichere symbiotische Züge trägt ein anderer ungewöhnlicher Verwaltungsdienst in Sachen Brandschutz. Betriebsangehörige werden bei der Feuerwehr der Gemeinde für den Schutz ihrer Fabriken ausgebildet und können ihrerseits dann die Reihen der freiwilligen Löschzüge auffüllen, wenn deren Blauröcke tagsüber auswärts arbeiten.
Das letztgenannte Beispiel führt die Gemeinde Grafschaft auch als Beweis sozusagen für eine entscheidende Aussage an. Auch diese Wirtschaftsförderung, das Gewerbegebiet sei kein Selbstzweck. Bürgermeister Hubert Kolven-bach stellt fest: »Alles, was wir tun, um die Gemeinde lebenswerter zu machen, erfordert Geld, dieses Geld bringt das Gewerbegebiet. Wir haben keine andere Chance.«