WILLEBRORD, FREUND DES WASSERS

DIE SEGNUNG DER EIFEL

VON E. K. PLACHNER

Ein winterlicher Kristallhimmel stand wie die Kuppel einer Kathedrale über dem englischen Bischofssitz York. Es war im Jahr 657 nach der Geburt des Weltenretters. Da träumte die Frau des Mannes Wilgisl von einem leuchtenden Mond, der sich schnell vom Himmelsbogen auf sie zu bewegte und in ihrem Leib verschwand. Bedrückt wachte sie auf. Was wollte der Traum ihr sagen? Sie fühlte mit ihrem ganzen Sein, daß der Traum mit seiner geheimnisvollen Sprache ihr etwas hatte sagen wollen. Aber sie verstand diese Sprache nicht, und sie wagte auch nicht, mit ihrem Manne darüber zu sprechen. Das Traumbild ließ ihr keine Ruhe. Was sollte sie tun? Da sprach ihr Herz: „Geh zu Deinem Priester und frage ihn um Rat!“ Sie ging und fragte. Und der Priester antwortete: „Es ist löblich, meine Tochter, daß du zu mir gekommen bist, und ich freue mich über dein Kommen; denn du wirst ein Kind gebären, das eine Leuchte der Christenheit sein wird!“ So geschah es: Mit 33 Jahren wurde ihr Sohn Willebrord vom Abt-Bischof Egbert zum Priester geweiht. Am 23. November 695 weihte Papst Sergius ihn zum Bischof.

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Schon jahrelang hatte Willebrord damals auf dem europäischen Festland gewirkt. 690 war er mit zwölf brüderlichen Helfern zur friesischen Küste und rheinaufwärts gefahren. „Wir müssen die Honigbrunnen der göttlichen Wahrheit aus den starren Felsen locken!“ sagte er den Brüdern, sie immer neu aus seinem unerschöpflichen Mute speisend. „Auch Moses hat Wasser für die Dürstenden aus dem starren Fels geschlagen!“ Er meinte aber die Wasser des inneren Lebens. Ihm lebte die Kraft des Helden der Osternacht auch in den Reichen der Natur, und vor allem war es das Wasser, das in seinem rauschenden Spiel einen Nachhall von den Strömen des Paradieses in sein Ohr trug. Kraft und Weisheit gingen von ihm aus, die selbst den mächtigen Radboud aufhorchen ließen, in dessen Burg zu Utrecht sie rasteten. Auch der Frankenkönig empfing ihn und die Seinen mit großem Wohlwollen und gab ihnen die Ufer der Scheide zum Ackerbau. In Utrecht errichtete er seinen Bischofssitz und weihte die neue Kirche dem von ihm so geliebten und verehrten heiligen Martin zum Andenken. Er wird das, was er gar nicht wollte: berühmt. Ehrungen, Schenkungen an Ländereien und Gütern bietet man ihm. Irtnina, die Tochter des merowingischen Königs Dagobert II., schenkte ihm einen Klostersitz an der späteren luxemburgischen Grenze zu Echternach. Aber er hält es in so viel Ehren und licsitz nicht aus. Er rüstet zu neuer Reise und kommt bis nach Dänemark, wo König Ungentyr ihn frei wirken läßt, wenn er sich auch dem Wort des Boten verschlossen hält. Aber dreißig junge Männer folgen ihm auf sein Schiff. Vielleicht, so hofft Willebrord, vermögen sie einst bei ihren friesischen Landsleuten mehr als mir und den Meinen gelungen ist, denn viele Friesen waren ihm nicht hold und Flüche ihm gefolgt. Ob sie Kraft hatten, ihre Flüche? Ein schwerer Sturm wühlte schon bald die Nordsee auf, und wie Mäuler schrecklicher Ungeheuer drohte es aus den schwarzen Tiefen. Willebrord, der Freund des Wassers und seiner offenbaren und geheimen Kräfte, stand betend an Bord und sprach in den Sturm:

Du, Aar Du Wind und Wellen gebotest!
Du, der Du uns aus dem Mut meines Herzens entsandtest!
Zeig uns den Weg!
Amen!

Da trugen die Wellen sie an eine felsige Insel, die dem Gotte Forsites gehörte und den Namen Forsitesland trug. Es war das spätere Helgoland. Die Inselleute nahmen sie freundlich auf und lauschten staunend ihrem Wort. Viele bereiteten sich zur heiligen Taufe, die Willebrord in einem Heiligtum, das sich auf der Insel befand und in hohen Ehren stand, zu spenden gedachte. Da aber sprach einer seiner Gefährten: „Taufe nicht im Heiligtum der Friesen! Nur schweigend darf aus der Quelle des Gottes, der darin fließt, Wasser geschöpft werden. Sie werden die heilige Handlung und das heilige Wort als Entweihung empfinden und dir und uns allen zürnen!“ Willebrord taufte dennoch in diesem Heiligtum und sagte:

„Brüder und Schwestern des Heiligen Christ werdet ihr durch die Kraft der Taufe! Und meine und unsere Brüder und Schwestern im Geiste des hohen Herrn aller Welten werdet ihr durch Nichts Ungutes spreche ich über Zeit ist abgelaufen, denn der Fürst aller Fürsten, der Herr aller Herren, der höchste der Götter ist gekommen, und ihm sollt ihr von nun ab und vor allem dienen! Seine Mannen seid ihr jetzt, Männer von Forsitesland, seine Gefolgsleute! Und ihr, Frauen und Mädchen von Forsitesland, seine Schwestern seid ihr! Und eure Hütten, euern Herd, euere Kinder und Ahnen — in seinem Namen sollt ihr sie lieben und ehren, denn alles und alles gehört jetzt zu seinem Reich!“ Und weiter sprach er:

St. Willebrordis-Säule
im Kurpark von Bad Neuenahr

„Ich habe an der heiligen Quelle gesprochen. Ihr alle habt es gehört. Aber Forsites, der Herr der Quelle, hat nicht den Abgrund der Erde geöffnet, um mich zu strafen. Ruhig und klar wie zuvor fließt die heilige Quelle. Sie singt ein neues Lied, das ihr immer mehr verstehen werdet, denn der höchste Gott, dem ihr Wasser durch mich im Geheimnis der Taufe euch geweiht hat, ist auch der neue Herr der Quelle! Das weiß Forsites und dient ihm gern! Darum hat er auch die Erde nicht geöffnet, daß sie mich verschlinge! Der Herr‘ Christ ist auch der Herr des Wassers, des Feuers, der Luft und der ganzen Erde! So nehmt den Frieden und die Kraft des neuen Bundes, zu dem wir alle gehören! Ich werde euch einen Priesterschüler senden, der die Wege zum Schloß des neuen Weltenherrn kennt! Er wird euch führen!“ Dies alles war zu Ohren des Königs gekommen. Der ließ ihn rufen und warf dreimal das Todeslos über ihn. Dreimal aber entschied das Los für Willebrords Leben. Davon und von dem unerschrockenen, weisen Zeugnis des Beschuldigten wurde der König in seinem Sinnen umgestimmt. Ja, er bewunderte den Fremdling und sagte:

„Die Götter selbst haben durch das Los für dein Leben entschieden! Deine Furchtlosigkeit ehre ich, und deinem weisen Wort beuge ich mich auch!“

So wirkte Willebrord mit seinen Brüdern weise und Frieden spendend noch vielerorts. Als er in hohem Alter von seinem Bischofssitz Utrecht wieder zu einer Reise ins Kloster nach Echternach rüstete, sorgten sich seine Brüder sehr um ihn, denn der ehrenwürdige und geliebte Greis nahet sich bereits seinem achtzigsten Jahre. Doch er wußte alle ihre Bedenken zu zerstreuen, da er mit mildem Lächeln fragte: „Wer, meine Brüder, hält das Steuer eueres Lebensschiffes in Händen?“ Sie antworteten: „(Christ, der Herr der Winde und Wellen!“

Willebrord erwiderte mit heiteren Augen: „Glaubt ihr, euer Bruder Bischof habe einen schlechteren Steuermann?“ Sie lachten und alle rüsteten ihm froh die Reise. Willebrord hatte schon früher, über das hohe Venn kommend, die Eifel gestreift und war von Bild und Quellen des wilden, aber schönen Landes tief beglückt worden. „Wir wollen jetzt noch ein wenig mehr östlich reisen, damit ich das seltsame Land noch ein wenig mehr in mich aufnehmen kann!“ sagte er. Der Bruder Reisemeister, dem alles anvertraut war, wiegte bedenklich den Kopf hin und her und machte sich insgeheim seine Sorgen, aber auch er liebte seinen gütigen Bischofsgreis zu sehr, als daß er ihm hätte widerraten mögen. So kamen sie denn in die Eifel, und Willebrord war voller Freude über das Land. Er, der den Elementen von Wesensgrund mystisch verbunden war, fühlte bis in den Leib die formenden Feuergewalten, die hier weithin ihre meisterliche architektonische Arbeit geleistet hatten. Und er fühlte das unterirdische Adernetz der vielen Quellen und Wässerlein ausgespannt wie eine feine Harfe, die heraufklang m seine lauschende Seele als eine verborgene göttliche Schöpfungsmusik.

Seine Seele war erfüllt von leuchtender Geistesfreude, und er sprach:

Seid gesegnet, ihr Berge,
die ihr noch träumt
von schaffenden Feuerwellen!
Seid gesegnet, ihr Quellen,
die ihr auf und unter der Erde rinnet
als späte Schwestern der Paradiesesquellen!
Seid gesegnet im Zeichen
des heiligen Herrn,
der alle sieht- und unsichtbaren Welten
in sein göttliches Herz genommen hat
durch seine Liebestat
am Stamme der Schmach!
Seid gesegnet!

Das war die Segnung der Eifel durch Willebrord, den großen Heiligen und Bischof der Friesen. Sie sprachen noch lange davon im Konvent zu Echternach, zumal es Willebrords letzte Reise war, weil er bald danach, am 7. November 739, in die Himmelsheimat, aus der er niedergestiegen war, zurückkehrte. Und die Segnung wirkte fort bis auf den heutigen Tag, denn die Segenskräfte großer Menschen wirken immer über die Zeiten. Und wer mit wachen Augen durch die Eifel reist, sieht auch heute noch zur rechten Stunde Schimmer und Glanz über ihren Höhen. Und er hört vom Rhein bis zu den Ardennen in vielen Mineralbrunnen, Flüßchen und Bergwassern das geheimnisvolle Kristallgeläute aus den Tagen des großen Willebrord.

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