Was verdanken die Stadt Ahrweiler und der Ahrgau

Herrn Rektor Dr. Peter Joerres

VON JAKOB RAUSCH

Anläßlich der Jahrhundertfeier des Ahrweiler Neusprachlichen Gymnasiums wurde besonders des Mannes gedacht, der über vierzig Jahre die „Höhere Stadtschule“ mit pädagogischem Geschick und innigster Hingabe leitete. Es ist Rektor Dr. Peter Joerres, der Mann mit dem goldenen Herzen und mit der unauslöschlichen Liebe zu Ahrweiler und seinen Bewohnern. Im 25. Lebensjahre wurde er Bürger der Stadt, wurde er am Tage seines Goldenen Priester=Jubiläums ihr erster Ehrenbürger und blieb der Stadt treu bis zu seinem Tode am i. April 1915. „Mit seinem ganzen Sinnen und Denken verwuchs er wie kein anderer mit der wechselvollen Geschichte des Ahrgaues. Hier in seiner zweiten Heimat gab es wohl seit Jahrzehnten keine so populäre Persönlichkeit wie „Rektor Joerres“, und in den Reihen der rheinischen Gelehrten galt er als der einzig dastehende vorzügliche Kenner in allem, was die historische Vergangenheit der Ahrgegend betraf.“ So urteilt Professor Dr. Ludwig Wirtz über Joerres.

Nun hat Peter Joerres an der Bonner Universität neben Theologie, Mathematik und Naturwissenschaften studiert. Seine Doktor=Dissertation behandelte in lateinischer Sprache eine Frage aus der höheren Mathematik. Mit Geschichte aber befaßte er sich an der Universität nicht. Auch in den ersten zwanzig Jahren seiner Tätigkeit in Ahrweiler blieb ihm die Geschichte des Ahrtales unbekannt.

Da besuchte ihn eines Tages der Freiherr Emil von Hammerstein=Gesmold, der die Geschichte seiner rheinischen Ahnen erforschte, und bat ihn um Auskunft über die Geschichte des Klosters Marienthal. Joerres gestand seine Unwissenheit ein und beschloß, diese Wissenslücke auszufüllen und sich als Autodidakt durch Privatstudium gründlich zu belehren. Er studierte zuerst die vorhandene Literatur über das Ahrtal:

1. Ernst Weyden: Das Ahrtal 1839.

2. Gottfried Kinkels: „Ahrtalbuch“ 1846.

3. Anton Joseph Weidenbach: Die Grafen von Are, Hochstaden, Nürburg und Neuenahr 1845.

4. Rheinischer Antiquarius Abt. III Bd. 9 u. 10 (1861) von Stramberg.

Die Geschichte von Ahrweiler in diesem fast 50 Bände zählenden Sammelwerk hat Weidenbach verfaßt, der auch nach dem Tode Strambergs das Sammelwerk fortführte; Weidenbach, 1809 in Linz geboren, war Volksschullehrer in Ahrweiler, wurde Hauptlehrer in Andernach und hernach Bibliothekar und Hofrat des Herzogs von Nassau auf Schloß Biebrich bei Wiesbaden.

REKTOR JOERRES
Reproduktion: Vollrath

 Nach Studium obengenannter Heimatschriften beschäftigte sich Joerres mit eisernem Fleiß und mit mathematischer Genauigkeit mit den rheinischen Urkundsbüchern von Lacomblet, Goerz, Gunter u. a. Aber auch die nichtgedruckten Urkunden im Ahrweiler Stadtarchiv, im Koblenzer Staatsarchiv und andere rheinische Archive durchforschte er gründlich. Die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Geschichtsforschung wurden niedergelegt in den Jahresberichten der Höheren Stadtschule zu Ahrweiler. So erschien im Jahresbericht 1884 „Die Darstellung der Besitzverhältnisse der Stadt Ahrweiler im Jahre 1775″. Der kurkölnische Landmesser Galibert hatte eine genaue Karte der Stadt mit den vier Hüten gezeichnet. Dieser Karte fügte Galibert ein genaues Inventar bei, aus dem die Größe des Besitzes und der Eigentümer zu ersehen ist. Rektor Joerres ergänzte das Verzeichnis, indem er den Besitzer aus dem Jahre 1884 beifügte. Bürgermeister Ulrich bereicherte dieses Inventar, indem er auch den Besitzer aus dem Jahre 1953 angibt. Das ergänzte Verzeichnis erschien 1955 in den „Ahrweiler Stadtnachrichten“. Die zwei wertvollen Ergänzungen des Galibertschen Verzeichnisses von 1775 durch Joerres (1889) und Ulrich (1953) ermöglichten es uns, fast lückenlos die 200jährige Geschichte der Häuser innerhalb des Mauerringes darzustellen.

Im Jahresbericht von 1885 schildert Joerres die „Fehde zwischen Ahrweiler und Wadenheim“ hinsichtlich der Gemeindegrenze bei Bachern. So enthalten fast alle Jahresberichte ein Stück Heimalgeschichte. Seit 1886 wurde Joerres Mitarbeiter an den berühmten historischen „Bonner Jahrbüchern“. In diesen veröffentlichte er zunächst die zwei Beiträge „Römische Niederlassungen an der Ahr“ und „Antiquarische Beobachtungen im Ahrtal“. Im Jahre 1890 erschien von Joerres die „Geologische und geognostische Skizze des Ahrtales“ und 1892 „Urkundliches über den Ahrgau bis zum Jahre 1070″.

Im Jahre 1891 erschien der 2.. Band von Wetzer und Weites Kirchenlexikon, in welchem die Artikel Legio fulminatrix und Legio thebaica (Spalte 1615—1628) aus Joerres Feder stammen.

Das größte seiner Werke gab Dr. P. Joerres im Jahre 18155 heraus. Es ist dies das von P. Plachner in Ahrweiler gedruckte und im Verlage von P. Hanstein in Bonn verlegte, 752 Seiten zählende „Urkunden=Buch des Stiftes St. Gereon zu Köln“, das, dem Hochw. Herrn Kardinal und Erzbischof von Köln, Herrn Dr. Philipp Krementz, zur Feier des 1ojährigen Priester= und des 25jährigen Bischofsjubiläums in tiefster Verehrung gewidmet wurde.

Das Buch enthält 711 Urkunden mit geschichtlichen Auswertungen. Nur 51 dieser Urkunden sind gedruckten Büchern entnommen, die 680 übrigen trug der Verfasser mit einem unermüdlichen Bienenfleiß aus den Königlichen Staatsarchiven zu Koblenz und Düsseldorf, aus dem Archiv der Stadt Köln, aus dem Vatikanischen Archiv und aus dem Archiv der jetzigen Pfarrei St. Gereon zusammen. Die Hoffnung des Verfassers, daß diejenigen, welche sich mit rheinischer Provinzialgeschichte im allgemeinen und besonders mit der Geschichte des religiösen, politischen und sozialen Lebens sowie mit der Sprache des kölnischen Landes beschäftigen, das Buch nicht ohne Gewinn benützen werden, erfüllte sich; noch heute leistet das Buch jedem Geschichtsfreunde wertvolle Dienste. Da das Stift St. Gereon in Kirchdaun und in Ahrweiler eigene Stiftshöfe mit eigenem Hofgeding und Weistum hatte, so ist das Werk auch für unsere Ahrheimat wertvoll. Außerdem besaß St. Gereon noch Güter in Birresdorf, Bodendorf, Breisig, Barweiler, Esch, Fritzdorf, Heimersheim, Holzweiler, Leimersdorf, Nierendorf, Remagen, Rolandswerth, Unkelbach, Vettelhoven, Wadenheim und Walporzheim. Im Herbst 1894 besuchte Joerres auf einer

Fcrienreise nach Frankreich das Grab des hl. Martin in Tours und das Grab der hl. Radegunde in Poitiers. Angeregt durch die Fragen des Pfarrers von St. Radegunde in Poitiers über das Leben dieser thüringischen Königstochter und Gemahlin des fränkischen Königs Chlotar (+ 587), studierte er in der Heimat das Leben der hl. Radegunde. Das Studienergebnis fügte Joerres dem Jahresbericht seiner Schule 1895 bei.

Schon 1888 hatte Joerres sein reizendes Büchlein „Sparren, Späne und Splitter von Sprache, Sprüchen und Spielen, aufgelesen im Ahrtal“ bei P. Plachner erscheinen lassen. Aus dem herzhaften Büchlein erkennt man die Mundart als Quickborn der deutschen Sprache und die Eigenart der ripuarisch=fränkischen Mundart. Im Jahre 1894 wurde in Bonn eine neue Zeitschrift für Geschichte, Sprache und Altertümer des Mittel= und Niederrheins ins Leben gerufen. In diesen „Rheinischen Geschichtsblättern veröffentlichte Joerres im ersten Jahrgang einen Beitrag: „Die deutschen und besonders die rheinischen Ortsnamen, welche die Elemente West oder Wüst oder ähnliche enthalten. Die Bonner Jahrbücher brachten 1896 seinen tiefschürfenden Aufsatz „Superi—Ubii“. Hier suchte er die Gleichheit des Namens Superi, der sich in vielen Inschriften des Kölner Raumes befindet, mit dem Namen urbii zu beweisen. Im Jahre 1898 erschien in Bonn Joerres Abhandlung „Periodische Dezimalbrüche und Teilbruchreihen nebst Beiträgen zur Congruenz der Zahlen“. Durch dieses kleine Büchlein weht der Geist Platos, der sagt, daß die Zahl etwas „Göttliches“ sei.

Im Jahre 1902 erschien von Joerres in der römischen Quartalschrift ein Aufsatz „Beiträge zur Geschichte der Einführung der Fronleichnamsprozession in Nordwestdeutschland“.

Bei der 5oojährigen Jubelfeier der St.=Sebastianus=Bürgerschützengesellschaft 1903 war Joerres der Hauptplaner des historischen Festzuges. Auch verfaßte er die Festschrift: „Geschichte der St. Sebastianus Schützengesellschaft zu Ahrweiler.“ Diese Schrift wurde 1928 bei der 525Jährigen Jubelfeier von den Herren von Ehrenwall, der schon bei der ersten Schrift Pate stand, und Studienrat Federle ergänzt und erneuert.

Wir verehren in Rektor Joerres auch den Gründer des Ahrgau=Museums. Schon bei der Tagung des „Historischen Vereins für den Niederrhein“ 1888 in Ahrweiler hatte Joerres, unterstützt von der Ahrweiler Bürgerschaft, eine Ausstellung von Altertümern aus römischer und mittelalterlicher Zeit veranstaltet, worüber Joerres in den „Rheinischen Annalen“ anschaulich berichtet.

Als derselbe Verein 1906 in Altenahr tagte, wurde die Ausstellung erneuert; der Katalog wies 107 Nummern auf. Diese Ausstellung, an deren Gelingen sich Joerres selbstlos bemühte, weckte in ihm den Gedanken, in einem „Museum“ die Überreste der Vorzeit im Ahrgau zu sammeln und pietätvoll zu bewahren.

Und als am 14. Oktober 1907 das „Progymnasium den „Weißen Turm“ verließ, um in das neue Gebäude in der Wilhelmstraße zu ziehen, da erklärte Direktor Dr. Eschbach beim Abschied aus dem „Weißen Turm“: „Wir hegen alle den Wunsch, daß dieses altehrwürdige Gebäude als Museum dazu bestimmt sein möge, die Altertümer unserer engeren Heimat in sich zu bergen und so auch fernerhin dem edlen Zweck historischer Bildung zu dienen!“ Und Joerres, der 1905 mit 66 Jahren in den Ruhestand getreten war, widmete sich nun ganz seinem jüngsten Kinde, dem Ahrgaumuseum. Als Gründer und Leiter verstand er es, die Schätze des Museums zu bereichern, indem er seinen Freunden= und Bekanntenkreis erfolgreich aufforderte, allerlei Schätze aus dem Familienbesitz beizusteuern. Als eifriger jüngerer Helfer stand Joerres Herr Franz Bier zur Seite, dessen sachlichen, Kenntnissen Professor Dr. Ludwig Wirtz hohes Lob zollt.

So zeugt heute noch das Ahrgaumuseum vom Geiste des edlen Rektors Peter Joerres.

Es geziemt sich aber auch, eine Gedenktafel auf dem Hause westlich des Weißen Turmes anzubringen.

Diese „Direktorwohnung“ erbaute Joerres 1875 auf eigene Kosten auf städtischem Grundbesitz. Hier arbeitete er unverdrossen nach Schulschluß und später im Ruhestand an der Geschichte der Heimat.

Auch schenkte er durch Testament dieses Haus und seine wertvolle Bibliothek sowie seinen schriftstellerischen Nachlaß der Stadt. Professor Ludwig Wirtz urteilt über die Reichhaltigkeit und den Wert dieser Bücherei: „Man darf wohl kühn behaupten, daß für das Gebiet der rheinischen Geschichte kein Privatgelehrter seiner Zeit eine so umfassende Sammlung an Urkundenbüchern, Zeitschriften, Monographien und Erläuterungswerken besaß.“

Als Joerres zu Anfang 1915 sein Ende kommen fühlte, war er sich in gewissenhafter Demut bewußt, daß er seinen Plan, eine in seinem Ruhestande zusammenhängende Geschichte des Ahrtales zu schreiben, infolge seiner sehr geschwächten Gesundheit nicht erfüllen konnte. Dcch hat er die wichtigsten Bausteine 7u dem Werke geschaffen und auf die Quellen und Urkunden zu dem Werk hingewiesen.

Zudem vermachte er in seinem Testament der Stadt Ahrweiler eine Geldsumme „zur Ausschreibung eines Preises für die beste wissenschaftliche Arbeit über die Geschichte des Ahrgaues.“

Professor Dr. Ludwig Wirtz, ein junger Freund und begeisterter Verehrer von Joerres, von 1892 bis 1896 an der Ahrweiler höheren Schule als Lehrer tätig, löste diese Aufgabe, indem er ein 2 ooo Seiten umfassendes Manuskript über den „Ahrgau im Wandel der Zeiten“ schrieb.

Als Ludwig Wirtz im Jahre 1925 zum 10. Todestage von Joerres dessen Lebensbild und Lebensarbeit in den Tageszeitungen würdigte, konnte er mit berechtigtem Stolze mitteilen, daß nach dem Urteil dreier Geschichtsprofessoren das Werk gelungen sei, und er richtete an seinen Freund in der Ewigkeit die Bitte, durch seine Fürbitte die Drucklegung des Werkes zu ermöglichen. Leider starb Ludwig Wirtz 1928. Die ungünstigen Zeitumstände verhinderten den Druck bis zum heutigen Tage. Auf dem Ahrweiler Friedhof kündet ein schlichter Gedenkstein auf dem Grabe des Entschlafenen:

DR. PET. JOERRES

EHRENBÜRGER DER STADT AHRWEILER

1837—1915

Wenn wir mit Besinnung vor diesem Grabe stehen, dann schwingen in unserer Seele die Gedanken:

„Ach, sie haben einen guten Mann begraben, und uns war und ist er mehr!“ „Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimal liebt wie Du!“ Der Geist Joerres‘ aber mahnt eindringlich:

„WAS DU ERERBT VON DEINEN VÄTERN HAST,
ERWIRB ES, UM ES ZU BESITZEN!“