WAS ECKENDORFS Schatztruhe VOM SCHEID ERZÄHLT

VON JAKOB RAUSCH

Ja, Eckendorf besitzt in seiner Dorfchronik eine Schatztruhe von hohem Werte für Schule und Volk. Das Titelblatt des über 220 Seiten zählenden Folienbandes kündet: Urkundliches und Mündliches über Eckendorf — Kreis Ahrweiler — und seine nähere Umgebung. Zusammengestellt von P. Hammerschlag, Regierungsamtmann, Koblenz 1956*).

Als Hauptquelle benutzte P. Hammerschlag, der aus Liebe zu seinem Geburtsort Eckendorf die Chronik schrieb, die „Quellen der Geschichte des Bades Neuenahr“, bearbeitet von Dr. Hans Frick. Diese schon im Jahre 1933 erschienenen „Quellen“ bieten aber nicht nur das Urkundenmaterial des Bades, sondern auch der ganzen Grafschaft Neuenahr, die sich von Ramersbach im Süden bis Wormersdorf und Ramershoven im Norden erstreckte; zudem sind sie ein erstklassiges Quellenmaterial auch für die Nachbargebiete und somit für das mittlere und untere Ahrtal, also für den gesamten ehemaligen Ahrgau. Die Frickschen Quellen zeigten P. Hammerschlag den Weg zum Koblenzer Staatsarchiv und zu anderen rheinischen Archiven, so daß ein lobenswertes Werk entstand. Wir werden in diesem Jahrbuch nach Frick und Hammerschlag die Bedeutung des Berges Scheid für die Geschichte der Grafschaft darlegen.

Der Berg Scheid, 259 m hoch, auf dem der Restturm der Fritzdorfer Windmühle steht, liegt zwischen den beiden Orten Fritzdorf und Eckendorf; der Hauptteil des Berges liegt in der Eckendorfer Gemarkung. Über ihn führten die Heerstraße, auch Kaiserstraße genannt, und die Pilgerstraße, die von Sinzig nach Aachen führten. Was sagt der Name „Auf dem Scheid“?

1) Scheid kann Gehölz, Wald bedeuten (vgl. Holzscheid, Buchenscheid). Auf dem Scheid lagen früher Waldungen, die 1629 mit 22 1/2 Morgen angegeben werden.

2) Scheid hat auch den Sinn von Grenze. Bei Trierscheid war die Grenze zwischen Kurköln und Kurtrier. Unser Scheid trennt die Gemarkung Eckendorf von Fritzdorf und nach P. Jörres den Ahrgau vom Swistgau, beide Teile des Bonngaues.

3) Scheid hat auch einen juristischen Sinn. Es wurden im Volksding nicht nur richterliche, sondern auch Verwaltungsentscheidungen für Hundertschaft und Gau getroffen. Es gibt in den rheinischen Landen wohl keinen Berg, auf dem so viele gerichtliche und landesherrliche Entscheidungen getroffen wurden, wie auf dem Scheid. Ja, die Volksdinge „Auf dem Scheid“ reichen bis an die Schwelle des 18. Jahrhunderts.

Während der Frankenzeit und auch noch bis zum Jahre 1100, solange die Gauverfassung bestand, fanden „Auf dem Scheid“ Hundertschaft= und Gaudinge statt. Auch das Sendgrafengericht tagte hier unter freiem Himmel auf Bergeshöhe. Unter den Grafen von Are behielt der Scheid seine Bedeutung als Dingplatz der Grafschaft Are. Als um 1222 die Grafschaft Neuenahr sich von der alten Grafschaft Are löste, wurde nun der Scheid Dingplatz für die neue Grafschaft Neuenahr. Hadewig, die Witwe des. Grafen Dietrich von Neuenahr, verpfändet im Jahre 1276 große Teile der Grafschaft Neuenahr dem Erzbischof von Köln, um die Baukosten der Burg Neuenahr aufzubringen. Der Hof Crevelo auf dem Scheid als jülichsches Lehen wird nicht verpfändet. Die Volkssage berichtet, daß dort früher ein Nonnenkloster gestanden habe, was sich aber urkundlich nicht beweisen läßt und daher sehr zweifelhaft ist.

Am 12. Februar 1404 findet ein großartiges Landgeding auf dem Scheid statt. Alle Dörfer und Pfarreien der Grafschaft waren aufgeboten, auf dem Scheid zu erscheinen. Wegen heftigen Regenwetters wird das „Landgeding“ in die Scheune des Eckendorfer Schultheißen Ludwig verlegt. Es sollen die Rechte Kurkölns und der Herrschaft Saffenburg bestimmt werden. Im Neuenahrer Erbschaftsstreit (1360 bis 1372) hatte der Kölner Erzbischof mit kölnischen Truppen und den Ahrweiler Schützen dem Saffenburger Grafen Johann, der die letzte Erbin, Gräfin Katharina von Neuenahr, geheiratet hatte, zum Sieg verholfen. Als Kriegslohn ließ sich Kurköln die halbe Grafschaft Neuenahr verschreiben. Wohl blieb die Grafschaft als Condominium ungeteilt. Es wurden die gemeinsamen Rechte und Einkünfte festgelegt. Am 28. Mai 1404 beschwören auch die beiden Landesherren, die Rechte ihrer Untertanen zu achten, Vom Glockenschlag wird in diesem Weistum gesagt, daß, wenn die Landesherren ihre Untertanen auf dem Scheid zum Landgeding versammeln wollen, die Kirchenglocken Anfang und Ende des Dinges mit der „Somen“, also mit dem Zusammenläuten aller Glocken, bezeichnen. Es läuteten alsdann die Glocken von Eckendorf, Adendorf, Fritzdorf und Ringen. Eine Urkunde vom 30. September 1417 berichtet, daß der Hof auf dem Scheid zur Hälfte dem Erzbischof von Köln und die andere Hälfte Kraft von Saffenburg gehöre. Im Jahre 1449 klagt der Chronist: „Auf dem Scheid bei Eckendorf haben der Erzbischof und die von Saffenburg ein wüstes Erbe liegen.“

Im Jahre 1450 wird berichtet, daß Kraft von Saffenburgs Tochter und Erbin Elisabeth verheiratet war mit Ritter Luther Quad, Herr zu Tomburg und Landskron. Somit besaß nun die Familie Quad den halben Hof auf dem Scheid, Als die Grafschaft Neuenahr zur Saffenburg=Virneburg gehörte (1425—1545), war dem Grafen von Virneburg auf dem Reichstage eine Türkensteuer aufgetragen worden.

Wegekreuz auf dem Scheid
Foto: Kreisbildstelle

Der Amtmann der Grafschaft Neuenahr, Edmund von Metternich, versuchte nun, diese Steuer auf die Untertanen umzulegen. Da hielten die Bauern der Grafschaft auf dem Scheid eine scharfe Protestversammlung. Man sandte zehn Männer zum zweiten Landesherrn, dem Erzbischof von Köln. Dieser erklärte der Abordnung: „Nicht die Untertanen sind zur Zahlung der Türkensteuer verpflichtet, sondern wir (d. h. die Landesherren). Nun verlangten auch die Virneburger nie wieder die Türkensteuer! Am 10. April 1546 war wieder ein großer Tag für den Scheid. Am 28. Dezember 1545 war nämlich Graf Cuno von Virneburg und Neuenahr, Herr von Saffenburg und Sombref, gestorben. Mit ihm starb dieses Herrscherhaus aus. Nun zog Jülich als Lehnsherr die Grafschaft Neuenahr als erledigtes Lehen ein.

Deshalb ließ Herzog Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg am 10. April 1546 die Richter, Schultheißen, Schöffen, Bürgermeister und sonstige Untertanen auf dem Scheid versammeln. Die Versammelten gelobten dem Herzog Wilhelm feierlichst bei Gott und den Heiligen Treue, Gehorsam und Erfüllung aller Untertanenpflichten, vorbehaltlich aller ihrer eigenen alten Gerechtsame. Das besiegeln sämtliche 14 Gerichte der Grafschaft Neuenahr für sich und den gemeinen Landmann mit ihren Gerichtssiegeln. Als erstes siegelt der Richter Johann Becker von Wadenheim mit seinen Schöffen. Es folgen die Gerichte Ramersbach, överich=Leimersdorf=Birresdorf, Bengen, Karweiler, Ringen, Adendorf, Fritzdorf, Villip, Holzweiler, Eckendorf, Wormersdorf und Ramershofen. Am 15. Mai 1546 verpflichtet sich Herzog Wilhelm, seinen neuen Untertanen, die ihn am 10. April auf dem Scheid mit aufgerichteten Fingern den Treueid schworen, ihre alten Freiheiten zu lassen und sie gleich seinen anderen Untertanen zu schützen.

Aus dem Jahre 1547 wird berichtet, daß der Landzoll auf dem Scheid 3 Taler = 24 M. und die Pacht des Scheider Hofes 12 Malter Frucht einbringe.

Um das Jahr 1554 erschien Herzog Wilhelm mit seinem stattlichen Gefolge persönlich auf dem Scheid, wo sich schon die Schultheißen, Schöffen, Bürgermeister der Grafschaft versammelt hatten. Die jülichschen Reiter schlössen um die Versammlung einen großen Ring. Hierbei kam es zu einem Zwischenfall. Es gab nämlich Leute, die mit der jülichschen Besitzergreifung der Grafschaft Neuenahr nicht einverstanden waren. Das war in erster Linie Kurköln, das ja seit 1372 die halbe Grafschaft Neuenahr besaß. Es waren aber auch die Manderscheider als Erben der Virneburger. Der Virneburger und nun Manderscheider Amtmann war der Junker Johann von Metternich, der auf dem Rittergut in Vettelhofen saß. Dieser Johann von Metternich sah, wie seinen Herren die Felle fortschwammen. Als nun der neue Landesherr Herzog Wilhelm persönlich auf dem Scheid erscheint, um sich nochmals huldigen zu lassen, da schickt Johann von Metternich von Vettelhofen seinen Diener N. Lintznich zu Pferd zur Erkundigung auf den Scheid. Da schlug der jülichsche Amtmann Wilhelm von Gertzen, Herr zu Sinzenich, der die Absicht des Boten bemerkte, denselben mit einer Rute mehrmals über den Kopf.

Wer ist dieser hitzige Schläger? Es war Wilhelm von Gertzen, wie es seine Grabplatte in der Münsterkirche zu Münstereifel noch heute kündet, jülichscher Amtmann von Münstereifel, Tomberg und der Grafschaft Neuenahr. So ist es zu verstehen, daß Wilhelm von Gertzen als treuer Diener seines Herzogs jeden Spion abwehrt und zur Rute greift und zum Schläger wird. Durch diesen Zwischenfall wurde das Verhältnis zwischen den Adelsfamilien Metternich von Vettelhofen und von Gertzen, also zwischen dem ehemaligen und dem jetzigen Neuenahrer Amtmann, noch gespannter.

Da aber Kurköln und Manderscheid sich mit der jülichschen Besitzergreifung abfanden, so stellt sich auch Johann von Metternich von Vettelhofen auf den Boden der Tatsachen. Es kam auch zur Aussöhnung zwischen Metternich und Gertzen, die mit einer Hochzeit gekrönt wurde. Seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts saßen die Metternich vom Haus Velbrüggen, die drei Muscheln im Wappen führen, auf dem Rittergut Sommersberg, da Johann von Metternich Agnes Rumschuttel, die Erbin von Sommerberg, heiratete, Im Jahre 1559 heiratet der obige Wilhelm von Gertzen Margaretha von Metternich, die Erbin von Sommersberg. Nach dem Tode des Herzogs Wilhelm des Reichen, der Jülich, Berg, Kleve, Mark und Ravensburg besaß, kam es zum Jülich-Klevischen Erbfolgestreit. Von den vielen Erbanwärtern gingen als Sieger hervor: für Jülich und Berg der Pfalzgraf Philipp Ludwig von Pfalz=Neuburg a. d. Donau und für die übrigen Landesteile der Kurfürst Joh. Sigismund von Brandenburg. Im Jahre 1608 ließen sich beide Landesherren auf dem Scheid von Adel und Untertanen huldigen.

Im Jahre 1630 wird berichtet: Den Einwohnern zu Eckendorf und Fritzdorf ist das Land am Scheid auf 12 Jahre verpachtet. Der Scheidbusch, 22 1/2 Morgen, ist den Eckendorfern zum Weidgang für ihre Tiere und zur Verwendung der Eicheln verpachtet.

Bedeutungsvoll für den Scheid ist das Jahr 1659. Die zwei mächtigen und reichsten rheinischen Adelsgeschlechter, die von der Leyen auf Adendorf und die Waldbotter von Bassenheim auf Gudenau, saßen in unmittelbarer Nähe des Scheid, Karl Kaspar von der Leyen, Erzbischof von Trier, geboren auf Burg Adendorf, schließt mit Genehmigung des Kaisers mit dem Pfalzgrafen als dem Herzog von Jülich folgenden Tauschvertrag ab: Jülich erhält den Waldbottschen Anteil (etwa zwei Neuntel) an der Landskrone und ihren zugehörigen Dörfern. Jülich gibt

1. den Freiherrn von der Leyen zu Adendorf die Dingstühle und Dörfer Adendorf und Eckendorf,

2. den Waldbotten von Bassenheim auf Guenau den Dingstuhl und das Dorf Vilipp.

So schieden die drei Dörfer Eckendorf, Adendorf und Villip 1659 endgültig aus dem Herzogtum Jülich aus und galten nun bis zur Franzosenzeit (1794—1814) als reichsunmittelbare Dörfer der Familien von der Leyen und der Waldbotten. Wie stand es mit dem Scheid? Fritzdorf und das Rittergut Sommersberg blieben beim Herzogtum Jülich. Wohl galt auch fernerhin der Herr von Sommersberg als ranghöchster erster Schultheiß auf dem Scheid.

Aber das Scheidbüschchen, die Scheidländereien und die über tausendjährige Dingstätte waren in den Besitz der Freiherrn von der Leyen auf Adendorf gekommen. Die Herren von Sommersberg, Schultheißen von Fritzdorf, hielten fest an ihrem Schultheißprivileg „Auf dem Scheid“. Sie verlegten die Dingstätte weiter südlich in die Nähe der Fritzdorfer Windmühle, also auf Fritzdorfer Gebiet.

Auch für die Landskrone war der Tausch nicht vorteilhaft. Die ehemals so stolze Reichsburg wurde zur jülichschen Kaserne, die eines Nachts halb abbrannte. Später bat der Pfalzgraf als Herzog von Jülich die Mitbesitzer um ihre Zustimmung, die Burg zu schleifen. Gegen eine Geldabfindung stimmten die Besitzer bedenkenlos zu. So ist die Burg seit 1682 nur eine Ruine. Eine Ruine ist auch die Fritzdorfer Windmühle auf dem Scheid.

Verschwunden sind Wald, Hof und Dingstätte auf diesem Berg. Mit Gras bewachsen ist die Straße, die über den Scheid von Sinzig nach Aachen führte, auf der einst Kaiser, Truppen und Pilger zogen. Stehen wir heute auf dem Scheid und sehen im Westen die Tomburg, im Osten die sieben Berge, im Süden die Ruinen der Burg Neuenahr und im Südosten die Landskrone, so werden wir uns der einstigen Bedeutung, die „Auf dem Scheid“ einst hatte, bewußt. Hier im Herzpunkt der Grafschaft fühlen wir den Herzschlag der Geschichte.

Die Eckendorfer Chronik aber bringt uns die ehemalige Bedeutung des Berges wieder zum Bewußtsein.

Möge auch ein Steinmal mit einer Baumgruppe „Auf dem Scheid“ errichtet werden, zum dauernden Gedenken mahnen!


*) Treuhänder und Bewahrer dieser Chronik ist die Familie Geschwister Schmitz in Eckendorf.

Autor