Vor 50 Jahren: Pfarrer Oskar Börner im Streit mit der Kreisleitung wegen einer Beerdigung

Hans Warnecke

Zu Recht wird heute von Jugendlichen gefragt, warum sich ihre Väter und Großväter von der nationalsozialistischen Bewegung haben mitreißen lassen. Massive Kritik wird dabei schnell vorgetragen. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß die damalige junge Generation bereits vor 1933 in Schule und Elternhaus in so vielen Fällen nationalistisch erzogen worden war. Der uns heute mögliche Abstand zum Nationalsozialismus, zu seiner menschenverachtenden Ideologie und zu seinen verbrecherischen Zielen war damals für viele junge Menschen nicht möglich. Gerade wo man national und kirchlich gesonnen war, erhoffte man sich von einem starken Führer einen neuen Aufbruch für den christlichen Glauben. Nicht Abseitsstehen und Abwarten, sondern aktiv Mitmachen und die neue Zeit Mitgestalten war die Devise. Das führte dazu, daß viele, die sich einer national-konservativen Haltung verpflichtet fühlten, nach 1933 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter Partei (N.S.D.A.P.) beitraten, um so ihren Beitrag für Kirche und Staat zu leisten. Es bedurfte oft erst eines konkreten Anlasses, um zu erkennen, daß die Ideologie des Nationalsozialismus mit der Lehre und dem Leben der Kirche nicht vereinbar war. Genau dieser Weg ist beim ehemaligen evangelischen Pfarrer von Bad Neuenahr zu verfolgen.

Am 22. März 1936 war Pfarrer Oskar Börner feierlich in sein Amt der evangelischen Diasporagemeinde Bad Neuenahr eingeführt worden. Sechs Jahre lang hatte der 31 Jahre alte Pfarrer vorher in der evangelischen Gemeinde Werlau bei St. Goar Dienst getan. Hier wartete jetzt auf ihn in der Kreisstadt Ahrweiler, dem Kurort Bad Neuenahr und den umliegenden Ortschaften eine völlig anders geartete Aufgabe als bisher. Als junger Pastor war Oskar Börner Parteimitglied geworden – aus den gerade genannten Gründen. Und bereits kurze Zeit nach seiner Amtseinführung ergab sich aus seiner Tätigkeit als evangelischer Pfarrer ein Konflikt, der für ihn und sein weiteres Leben weitreichende Folgen haben sollte. In der Gemeinde starb am 27. Oktober 1936 Herr Sanitätsrat Dr. W. Bluth. Er war wohl allen Gemeindegliedern nicht nur aus seiner Tätigkeit als Arzt, sondern wegen seiner aktiven Mitarbeit in der kleinen evangelischen Gemeinde bekannt. Hatte er doch den Kirchenchor gegründet und jahrelang geleitet. Darüber hinaus gehörte er bis kurz vor seinem Tode der größeren Gemeindevertretung an. Es war also selbstverständlich, daß Pfarrer Börner die Beerdigung von Dr. Bluth auf dem Friedhof zu Bad Neuenahr unter großer Anteilnahme der Familie, der Freunde und evangelischer Gemeindeglieder hielt.

Zu Weihnachten bekam Pfarrer Börner einen Brief, der am 23. 12. 1936 vom damaligen Kreisleiter Dr. Simmer in Ahrweiler an ihn abgeschickt worden war und folgenden Wortlaut hatte:

»Der Pg. (Parteigenosse) Pfarrer Börner hat am 30. Oktober 1936 in seiner Eigenschaft als evangelischer Pfarrer von Bad Neuenahr den vor dem Kriege zum evangelischen Glauben übergetretenen Sanitätsrat Dr. Bluth aus Bad Neuenahr beerdigt, obwohl ihm bekannt war bzw. bekannt sein mußte, daß Dr. Bluth Jude war.

Für den Fall, daß Pg. Börner, und dies seine Pflicht gewesen wäre, keinen seiner Amtsbrüder aus Remagen oder Oberwinter um die Vertretung bei der Vornahme der kirchlichen Handlung ersucht hat, stelle ich den Antrag auf Ausschluß aus der N.S.D.A.P. Die bisherigen Feststellungen haben ergeben, daß bei der Beerdigung einige auswärtige Juden (Verwandte des Verstorbenen) und eine Jüdin Oppenheimer aus Bad Neuenahr teilgenommen haben. Weiter hat sich herausgestellt, daß der Pfarrer von Nasse aus Remagen an der Beerdigung teilgenommen hat. Hieraus ist zu schließen, daß Pfarrer von Nasse auch wahrscheinlich die Vornahme der kirchlichen Handlung vertretungsweise übernommen hätte, wenn ihn Pg. Börner darum ersucht haben würde.

Pfarrer Oskar Börner

Das Verhalten des Pg. Börner enthält einen solchen groben Verstoß gegen die Parteigrundsätze, daß er unter keinen Umständen mehr in den Reihen der N.S.D.A.P. geduldet werden kann.

Ich gebe Ihnen Gelegenheit, innerhalb 10 Tagen eingehend Stellung dazu zu nehmen. 

Heil Hitler! 

Dr. Simmer Kreisleiter».

In diesem Brief wird deutlich, mit welchen Methoden man von Seiten der Parteileitung vorging, um die antisemitische Ideologie sogar über den Tod hinaus durchzuhalten. Spitzel wurden eingesetzt, die als Trauergäste an der Beerdigung teilnahmen und darüber schriftlich genau berichteten. Der bei dem Begräbnis anwesende Pfarrer von Nasse aus Remagen war natürlich in Bad Neuenahr bekannt, weil er der unmittelbare Amtsvorgänger von Pfarrer Börner gewesen war. Hätte er nicht – wie der Kreisleiter argumentierte – um Vertretung gebeten werden müssen? Dieser Ansicht ist Pfarrer Börner ganz und gar nicht gewesen; denn unmittelbar nach Weihnachten erbittet er am 6. Januar 1937 bei dem Provinzial-Kirchen-Ausschuß in Düsseldorf Auskunft darüber, »inwieweit ich bei einem Juden, der vor über 34 Jahren getauft wurde, von meiner vom staatlichen Kirchenausschuß genehmigten Dienstanweisung entbunden bin, nach der ich alle Gemeindeglieder zu beerdigen habe, wenn ich nicht erkrankt oder beurlaubt bin.« Im gleichen Brief bittet er darum, ihm mitzuteilen, ob er sich falsch verhalten habe.

Die Antwort in dieser politisch brisanten Frage kommt prompt. Bereits am 22. Januar 1937 wird Pfarrer Börner aus Düsseldorf mitgeteilt: »Selbstverständlich waren Sie als Pfarrer der Kirchengemeinde Neuenahr gemäß §107 der Kirchenordnung und Ihrer Dienstanweisung verpflichtet, das verstorbene Gemeindeglied Sanitätsrat Dr. Bluth, obwohl es jüdischer Abstammung war, auf Antrag der Angehörigen hin kirchlich zu beerdigen.

Der Umstand, daß Sie Mitglied der N.S.D.A.P. sind, konnte Sie von dieser amtlichen Verpflichtung nicht entbinden. Ein berechtigter Grund, sich bei der Amtshandlung vertreten zu lassen, lag für Sie nicht vor. Über den Ausgang des von der Partei eingeleiteten Verfahrens, ersuchen wir Sie, uns zu berichten.«

Zu einem solchen Verfahren ist es nicht gekommen, da Pfarrer Börner von sich aus handelte, als er an den Kreisleiter schrieb: »Da die Antwort des Provinzialkirchenausschusses sich völlig mit meiner gewissensmäßigen Auffassung deckt, wie in der selbstverständlichen Erfüllung meiner Amtspflicht zu Tage getreten ist, wäre ein Ausschluß aus der Partei ein Unrecht, gegen das ich in allen Instanzen streiten würde.

Da andererseits aber die Erfüllung meiner Amtspflicht als evangelischer Pfarrer, der gebunden ist an Gottes Wort und die Ordnungen der Kirche, offenbar nicht in Einklang zu bringen ist mit den Grundsätzen der N.S.D.A.P., bitte ich meinerseits, mich in Ehren aus der Partei zu entlassen.«

Diesem Antrag ist sofort stattgegeben worden; denn Pfarrer Börner konnte am 19. Mai 1937 dem Provinzialkirchenausschuß mitteilen, daß er die Zahlung der Mitgliedsbeiträge an die Partei eingestellt hat und das von der Parteileitung ohne ein förmliches Ausschlußverfahren akzeptiert worden ist. Man wollte augenscheinlich nach der Stellungnahme aus Düsseldorf weiteren Ärger in dieser Angelegenheit vermeiden.

Pfarrer Börner ist bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1973 Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Bad Neuenahr gewesen. Danach hat er noch bis zu seinem Tode als Stiftspfarrer im Wohnstift Augustinum gewirkt. Er wurde am 11. Februar 1980 im Alter von 75 Jahren auf dem gleichen Friedhof in Bad Neuenahr beerdigt, auf dem auch Dr. Bluth seine letzte Ruhestätte fand.

Quelle:

Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland

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