Vor 150 Jahren eine der größten rheinischen Papierbetriebe

Pieter Jacob van der Muelen aus Utrecht gründete 1792 die Papiermühle in Brohl am Rhein

Carl Bertram Hommen

Am 24. Mai 1792 schrieb der holländische Kaufmann Pieter Jacob van der Muelen, der aus Utrecht stammte und seit vier Jahren als politischer Flüchtling mit seiner großen Familie in Neuwied wohnte, einen Brief an den Dorfschultheißen Peter Wihl in Brohl. In ihm bezog er sich auf Gespräche, die er in den vergangenen Wochen und zuletzt noch am Vortag mit Wihl als dem Brohler Verwalter der Kellnere! Arenfels des Grafen von der Leyen über Grundstückskäufe zum Bau einer Papiermühle in Brohl geführt hatte. Dabei ging es um Ländereien im Zu-lauf des Brohlbachs zu Mehl-, Öl- und Traßmüh-len am Ortsrand, um den Ankauf des Geländes einer früheren Schmelzhütte sowie um die Pacht der Ölmühle, mit der die Grafen von der Leyen belehnt waren. Dieser Brief ist das älteste bekannte Dokument über das Entstehen der Papiermühle in Brohl, die dank der Initiative des Holländers und vor allem seines ältesten Sohnes Jan Hendrik als Leiter des Betriebes noch im Herbst 1792 fertiggestellt werden konnte und die Produktion aufnahm. Bisher war in der papiergeschichtlichen Forschung einhellig angenommen worden, die Brohler Papierfabrik sei bereits 1785 gegründet worden. Diese Meinung, die zuletzt noch Leo Stausberg in einem Beitrag über die Geschichte der Mühle vertrat (Heimat-Jahrbuch Ahrweiler 1963), hat sich jedoch aufgrund eingehender Nachforschungen als irrig erwiesen, wie anhand der jetzt vollständig zugänglichen Archivalien der Stadt Andernach und der Bürgermeisterei Niederbreisig im Landeshauptarchiv Koblenz festgestellt werden mußte. Ursache für die falsche Datierung ist eine Notiz im »Rheinischen Antiquarius« von 1858. Damals hatten die Gebrüder Mathias und Jakob Fuhs, Besitzer des Betriebes seit 1841, Christian von Stram-berg, dem Herausgeber der Publikation, über das Entstehen der Papiermühle mitgeteilt, daß »dort, wo jetzt die Papierfabrik liegt, im Jahre 1785 noch ein Ölmühlchen gestanden hat, worauf aus Nüssen Öl gemacht worden« sei. Ein Holländer namens van der Muelen, der »in den siebziger Jahren nach Neuwied gekommen« sei, habe sie gekauft und zu einer »Mühle für schlichtes Tütenpapier umbauen« lassen. Diese Mitteilung hat dazu geführt, daß die Jahreszahl 1785 in allen weiteren Veröffentlichungen immer wieder als Gründungsdatum auftaucht, da man andere Quellen nicht kannte oder nicht benutzte und diese aus zweiter Hand stammende Angaben des Jahres 1858 allzu unkritisch übernahm, ja sie durch die Behauptungen erweiterte, der holländische Kaufmann sei bereits »um das Jahr 1770« in Neuwied ansässig geworden und habe bereits 1785 mit der Papierfabrikation auf der Brohler Mühle begonnen.

Das Dorf Brohl im »Breisiger Ländchen«

Der Ort Brohl, die südlichste der sechs zum früheren »Breisiger Ländchen« gehörenden Gemeinden, befand sich mit dieser Region seit etwa dem Jahre 1000 im Besitz des Damenstifts Essen. Ende des 17. Jahrhunderts wohnten hier keine hundert Menschen. Ein Jahrhundert danach waren es knapp 400, fünfzig Jahre später fast tausend. 1746 hatte sich Brohl aus der Landgemeinde Niederbreisig gelöst und war selbständige Gemeinde geworden. Nach der Besetzung des linken Rheinufers durch die Franzosen im Herbst 1794 wurde der Ort im Zuge der neuen Verwaltungsordnung aus diesem jahrhundertealten Verbund gelöst und der Mairie Andernach zugeschlagen. Erst in preußischer Zeit, als man die alte Verwaltungseinheit wiederherstellte, kam Brohl 1818 erneut zu Niederbreisig.

Der größte Teil der Brohler Gemarkung von rd. 1 700 Morgen gehörte vor 1800 adeligen Geschlechtern oder Klöstern, die hier seit Jahrhunderten Besitz hatten. Die größten Grundeigentümer waren die Grafen von der Leyen mit 140 Morgen. Die Bevölkerung bestand überwiegend aus kleinen Ackerern, die im wesentlichen Pachtland bestellten, darunter die Weingärten. Außerdem verdingten sie sich als Tagelöhner in den Traßgruben des Lammertals und des Brohl-tals oder mit ihren Fuhrwerken für die Transporte von Traß und Tuffsteinen zur Brohier »Bucht« im Ortsteil Nippes. Diese Landestelle hatten schon die Römer benutzt, um Tuffsteine und Traß zu verschiffen, die Einheiten der Legionäre im Brohltal gebrochen hatten. Unweit dieser »Bucht« wohnten eine Reihe von Schiffern. Sie waren überwiegend mit kleinen Booten bis 80 Zentnern Last zwischen den Orten am Mittelrhein unterwegs, teilweise als Steuerleute oder mit eigenen Segelschiffen bis tausend Zentner Last in der Rangschiffahrt nach Köln und Holland tätig.

Die Zunahme der Bevölkerung seit Ende des Dreißigjährigen Krieges, als in Brohl nur noch zehn Bürger — etwa fünfzig Einwohner — wohnten, war wesentlich dem wirtschaftlichen Aufschwung zu verdanken, den die ganze Region um den Laacher See, im Brohltal und in der südlich angrenzenden Pellenz durch den verstärkten Abbau und Export von Tuff, Traß und Mühlsteinen seither nehmen konnte. Brohl und das untere Brohltal profitierten davon besonders stark. Denn hier lagen seit langer Zeit Traß-, Öl- und Mehlmühlen, die das Wasser des Brohlbachs sowie des Tönissteiner, Gleeser und Pönter Baches nutzten. Von ihnen befanden sich am Ortsrand von Brohl und vor der Mündung des Brohlbachs in den Rhein drei Mühlen: eine Jülich’sche Traßmühle, mit welcher der kurtrierische Hofrat von Sohler, Zöllner zu Leutesdorf, belehnt war sowie eine Mehlmühle und eine kleine Ölmühle des Stiftes Essen, beide Lehen an die Grafen von der Leyen. In ihrer Nachbarschaft wollte der Utrechter Kaufmann seine Papiermühle bauen.

Der Utrechter Flüchtling van der Muelen

Pieter Jacob van der Muelen war als politischer Flüchtling aus den Niederlanden an den Mittelrhein gekommen. Mit seiner großen Familie, zu der acht Kinder gehörten, hatte er sich in Neu-wied niedergelassen, dort zwei Häuser in der Bunten Straße gekauft und war Mitglied der Reformierten Kirchengemeinde geworden, der er auch in Ijsselstein bei Utrecht angehört hatte. Erstmals am 28. August 1788 meldete er sich von Neuwied aus in seinem letzten Wohnort in den Niederlanden. Die Familie van der Muelen entstammte einem alten Brabanter Geschlecht. Vorfahren waren Ende des 16. Jahrhunderts im Rat des Herzogs von Anjou und bei den Staaten von Brabant. Seit dieser Zeit lebten sie in fünf Generationen bereits in Utrecht und stellten als Angehörige des Patriziats viele Mitglieder des Magistrats und außerdem Bürgermeister dieser lebhaften Handelsstadt. Mitte des 18. Jahrhunderts gehörten sie zum Kreis der Patriotischen Bewegung, die sich gegen den Erbstatthalter Wilhelm V. aus dem Hause Oranien-Nassau wandte und eine Demokratie in den Niederlanden anstrebte. Zwar gelang es den »Patrioten« im Jahre 1786, den Regenten aus den Niederlanden zu vertreiben. Er kam jedoch ein Jahr später mit Hilfe preußischer Truppen wieder an die Macht. Die Oranier zwangen dann 40 000 ihrer Gegner zur Flucht ins Ausland. Zu den Verfemten gehörte auch P. J. van der Muelen; denn er war 1786, obwohl er seinen Wohnsitz schon vor einem Jahrzehnt ins nahe Ijsselstein verlegt hatte, erneut in den Rat seiner Vaterstadt Utrecht gewählt worden.

Konzessionsantrag vom 17. Juli 1792

Bei den Verhandlungen van der Muelens mit dem Schultheißen Wihl in Brohl und dem Leiter der Kellnerei Arenfels der Grafen von der Leyen, Kammerrat Mollier, stellte sich sehr bald heraus, daß nicht der Graf von der Leyen die für Bau und Betrieb der Papiermühle notwendige Konzession erteilen konnte, sondern die Landesherrschaften des Breisiger Ländchens, der Jülicher Herzog und die Essener Fürstäbtissin. Am 17. Juli 1792 stellte van der Muelen deshalb von Neuwied aus an Herzog Karl-Theodor von Jülich-Kleve-Berg den Antrag auf »kurfürstlichen Consens zum Bau einer Papiermühle auf der Brohl bey der sog. Sohlerischen Tarraßmüh-le«. Er sei gewillt, betonte der holländische Kaufmann mit Nachdruck, »die Mühle noch in diesem Jahr in fertigen Stand zu setzen«, wenn er die Konzession ohne Zeitverlust erhalte, wie er dies auch dem Jülich’schen Vogt in Breisig, Hofrat Keiffenheim, in seinen Verhandlungen dargelegt habe. Der Breisiger Schultheiß des Stiftes Essen, von Meurers, unterrichtete seinerseits am 6. August 1792 die Fürstäbtissin Maria Cunegunda von dem beabsichtigten Bau dieser Mühle, der ersten Papiermühle im gesamten Stift. Gleichzeitig bat er um Instruktionen, damit »Düsseldorferseits (durch die dort residierende Hofkammer des Herzogs von Jülich) nicht einseitig vorangeschritten werde«.

(Zeichnung nach Entwurf des Verfassers von Günter Wolf)

Der Ort Brohl um 1900: Die alte Ansichtskarte zeigt das Dorf vom Dicktberg aus. Links im Vordergrund die Anlagen der Papierfabrik mit dem Wohnhaus aus der Gründerzeit und den anschließenden alten Mühlengebäuden mit der für Papiermühlen kennzeichnenden Form des Dachstuhls, der als Trockenspeicher diente

Die Konzession wurde sehr schnell erteilt. Die Essener Regierung erklärte am 3. September ihr Einverständnis, nachdem an drei Sonntagen zuvor der Bauantrag von den Kirchenkanzeln den Einwohnern bekanntgemacht worden war.

Die Fürstäbtissin beantwortete damit ein Schreiben der Hofkammer vom 21. August, in dem vorgeschlagen worden war, das Lehns-recht entsprechend den »in hiesigen Landen für Papiermühlen üblichen Concessiones auf sechs Goldgulden oder sechs Reichsthaler jährlicher Recognition« festzulegen. Am 10. September gab Graf von der Leyen seine Einwilligung zum Verkauf der kleinen Ölmühle an van der Muelen. Die Urkunde »um den wohlbedungenen Kaufschilling von 800 Reichsthalern, jeder zu 24 Albus trierisch gerechnet«, wurde am 26. Oktober in Blieskastell an der Saar unterschrieben und ausgefertigt.

Der Platz der früheren Schmelzhütte im »Teichheck« und die Wiesen sollten an den Verkäufer wieder zurückfallen, so wurde darin bestimmt, wenn der Käufer oder seine Erben »das Werk liegen lassen« würden.

Noch bis vor 150 Jahren erfolgte die Herstellung von handgeschöpftem Papier, wie es diese Zeichnung aus dem Jahre 1761 mit Schöpfen, Gautschen und Pressen der einzelnen Büttenbogen darstellt
Repros:Hommen

Die Familie van der Muelen in Brohl

Noch im September 1792 dürfte van der Muelen, der sich an Ort und Stelle bei einer Auktion von 166 Eichenstämmen mit ausreichend Bauholz versorgt hatte, mit dem Bau der Mühle begonnen haben. Denn in allen Antworten auf behördliche Anfragen nennen die Besitzer später das Jahr 1792 nicht nur als Zeitpunkt der Gründung der Papiermühle, sondern auch als den Beginn der Produktion. Die Bauarbeiten in Brohl überwachte der Sohn Jan Hendrik, in amtlichen Dokumenten meist Johann Heinrich genannt. Als ältester Sohn war er am 15. März 1768 in Utrecht geboren und hatte in Holland im Regiment van der Borch als Leutnant gedient, bevor die Familie nach Neuwied emigrieren mußte. Dort heiratete er in der Kirche der Reformierten Gemeinde am 23. März 1794 die gleichaltrige Beatrix Friesemann aus Harlingen in Nordholland. In Brohl wohnte das junge Paar in dem neben dem Betriebsgelände errichteten dreistöckigen Wohnhaus, neben dem sich bald ein schmucker Park ausdehnte. Der Vater scheint schon im Jahr nach der Heirat mit seiner übrigen Familie Neuwied wieder verlassen zu haben und in die Niederlande zurückgekehrt zu sein. Die Möglichkeit gaben die politischen Veränderungen der europäischen Landkarte, nachdem französische Truppen im Herbst 1794 nicht nur die linksrheinischen deutschen Gebiete besetzt hatten — in Breisig waren sie am 21. Oktober einmarschiert —, sondern im Frühjahr 1795 auch die Niederlande. Am 19. Januar 1795 war der Erbstatthalter Wilhelm V. zur Flucht nach England gezwungen und damit den aus dem Lande vertriebenen niederländischen Patrioten der Weg in die Heimat geöffnet worden. Der damals 54 Jahre alte Gründer der Brohler Papiermühle ließ sich wieder in Ijsselstein nieder, starb nach seinem siebenjährigen Exil dort jedoch bereits am 23. April 1796. Seine Frau Maria Martina geb. Panhijs überlebte ihn um 34 Jahre.

Über die ersten Jahre der Familie van der Muelen in Brohl gibt es keine Nachrichten. Einwohner- und Aushebungslisten der Mairie Andernach, zu der auch Brohl gehörte, aus den Jahren 1804, 1807 und 1810 verzeichnen jedoch, daß auch der jüngere Bruder von Jan Hendrik, Pieter Jacob jr., seit 1797 im Betrieb mit tätig war. Erst im Sommer 1799 berichtet ein ausführliches amtliches Dokument von der Familie. Denn der junge Ehemann Jan Hendrik war am 13. Juli dieses Jahres, 31 Jahre alt, »in der Nähe von Andernach im Rhein ertrunken«, wie aus holländischen Quellen festzustellen ist. Am 21. Thermidor des siebten republikanischen Jahres, das ist der 8. August 1799, weilte der Friedensrichter des Kantons Andernach, Kaspar Anton Hilt, mit dem Gerichtsschreiber in Brohl, um im Zuge der Erbregelung in dem versiegelten Wohnhaus »des verlebten Papierhändlers Johann Heinrich van der Muehlen auf der Brohl« die angebrachten Siegel abzunehmen. Zugegen waren dabei neben der Witwe und dem nächstjüngeren 1773 geborenen Bruder Wilhelm van der Muelen auch die »Bürger« Lashonix aus Koblenz und Million aus Neuwied. In Gegenwart dieser Zeugen überprüfte der Friedensrichter neben den versiegelten Schränken im Wohnhaus auch »die nicht versiegelten Gerätschaften, welche außen und der Obsorge (des jüngeren Bruders Pieter Jacob jr.) überlassen waren, mit dem eidlichen Beteuern, daß nichts davon genommen worden und alles noch da sei wie vor der Versiegelung«. Aufgrund der heutigen Erkenntnisse muß man dem Irrtum entgegentreten, der sich in Berichten über die Gründerfamilie festgesetzt hat, der verunglückte Jan Hendrik sei der Vater von Pieter Jacob jr. und Benjamin — »Gebrüder van der Muelen« werden sie später allenthalben genannt — gewesen, die danach gemeinsam die Mühle leiteten. Diese Behauptung hat sich seit ihrer Veröffentlichung 1858 im »Rheinischen Antiquarius« über ein Jahrhundert halten können. In Wirklichkeit waren sie alle Söhne der Eheleute Pieter Jacob sr. van der Muelen und Maria Martina van Panhijs, die neben sechs Söhnen zwei Töchter hatten. Seit der Jahrhundertwende sind wir aus den Akten der Mairie Andernach sehr gut über den Betrieb der Papiermühle unterrichtet, in dessen Leitung nach dem Tod des ältesten Bruders auch der jüngere Benjamin eintrat, um das Unternehmen fortzuführen. Sie bauten den Betrieb trotz der großen Schwierigkeiten im Verlauf von zwei Jahrzehnten zu einem der zeitweilig größten Papierfabriken im ganzen Rheinland aus. Zugleich gaben sie mit dem neuen Gewerbezweig dem Ort Brohl und darüber hinaus der ganzen Region einen wirtschaftlichen Impuls, der bis in unsere Tage fortwirkt.

Produktion, Einrichtung und Arbeiter der Mühle

Über Größe, Anlagen und technische Ausrüstung der Papiermühle sowie über die Beschäftigten, die Zahl der Arbeiter und ihren Verdienst ergibt sich aus Statistiken der Mairie Andernach ein umfassender Überblick. Ergänzt wird er durch Akten der Bürgermeisterei Niederbreisig für die Zeit nach Napoleon, als das Königreich Preußen in den Besitz der linken Rheinlande kam. Die Anfangsgröße des Mühlenareals wird mit 120 Meter im Carr6 angegeben. 1806/07 arbeitete man mit zwei sog. Holländern und zwei Schöpfbütten. 1810 waren drei Cylinder, ein Jahr später vier Bütten, 1820 sogar sechs Bütten in Betrieb. Bis 1840 wurden in Brohl vorwiegend großformatige Papiere produziert, die als Packpapier oder zum Druck von Tapeten und Landkarten sowie in Zucker- und Tabakfabriken gebraucht wurden. Dazu kamen Schreibpapiere verschiedener Qualität. Nach einer Mitteilung an den Andernacher Maire Nachtsheim vom 16. März 1806 ging der Absatz größtenteils »ins Ausland«, das heißt außerhalb der französischen Rhein ande, vornehmlich nach Holland, Hamburg, Bremen und Preußen sowie ins »deutsche Reich«. Der günstige Schiffsverband über die Brohler Hafenbucht brachte der Fabrik dabei gegenüber den Konkurrenten manchen Vorteil. Während für 1804 von 16 »steten« Arbeitern gesprochen wird, arbeiteten 1806 und 1810 »19 bis 29« Männer und Frauen im Betrieb, letztere vor allem beim Sortieren der Lumpen. Die Zahl der Beschäftigten stieg 1811 auf 32,1819 sogar auf 60, die jedoch in den einzelnen Jahren »nicht jeden Tag vollständig im Betrieb erreicht« wurde; viele von ihnen waren sicherlich nur auf Abruf verpflichtet.

Für das Jahr 1811 gibt nachfolgende Zusammenstellung (nach LHA Koblenz 612 3860) eine Übersicht über die Zahl der Beschäftigten und ihre Entlohnung.

Die Papiermühle wurde 1810 durch den Bau einer Zerreißmühle für Lumpen um eine wichtige Anlage erweitert. Sie hatte damals einen Bedarf von jährlich 100 000 Kilogramm Lumpen, die sie von konzessionierten Lumpensammlern aus der näheren und weiteren Umgebung bezog. Ab 1811 stellten die Gebrüder van der Muelen zwei auswärtige Papiermacher neu ein — nicht zuletzt um ihre Produktionspalette zu verbessern und zu erweitern. Es handelte sich um die Brüder Mathias und Jakob Fuhs aus Kuchenheim bei Euskirchen. Sie waren 22 bzw. 19 Jahre alt und hatten offenbar in der 1801 gegründeten Papiermühle der Gebr. Fingerhut in Kuchenheim ihr Handwerk erlernt. In Brohl avancierten sie mit den Jahren zu Werkführern und übernahmen schließlich die Mühle in eigene Regie, als die Gebrüder van der Muelen sie ihnen 1841 verkauften. Die Einwohnerlisten der Gemeinde Brohl verzeichnen im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Namen zahlreicher Männer mit dem Beruf eines Papiermachers, unter ihnen bereits 1801 Georg Alois Berg. Er war vom rechten Rheinufer nach Brohl gekommen und stand mindestens sechs Jahre ununterbrochen als »Aufseher der Arbeitsleuth« — »in-specteur de la papeterie« heißt es in französischsprachigen Akten — in Diensten der Papiermühle. Möglicherweise waren die Brüder Fuhs seine Nachfolger. Eine Reihe Brohler Bürger, die 1804 als Beruf noch Tagelöhner angaben, werden in folgenden Jahren als »faiseurs de papier« (Papiermacher) geführt. Dazu gehörten Männer wie Christian Heckenbach, Philipp Neitscher, Jean Busbaum, Theodor Mas-berg und Hieronimi Klupmann. Das Einkommen dieser Fachkräfte belief sich 1806 auf maximal zweieinhalb Franken je Tag, während ungelernte Hilfsarbeiter nur fünfzig bis siebzig Centimes erhielten.

Die in Brohl geschöpften Papiere waren im Rheinland weit verbreitet. Die Bogen trugen sämtlich Wasserzeichen, entweder den vollen Firmennamen VAN DER MUELEN bzw. V.D. MUELEN & COMP. oder nur die Buchstaben VDM auf der einen Seite des Bogens zusammen mit der Hollandia, dem Einhorn oder der gekrönten Lilie auf der Gegenseite. Behördenpapiere mit dem preußischen Adler finden sich 1817 bereits in Akten der Bürgermeisterei Nie-derbreisig und des Landrats von Ahrweiler, aber auch der Stadtverwaltung Köln. Zu den Brohler Spezialpapieren gehörten Papiere zum Notendruck. Für den Bonner Musikverlag N. Simrock zum Beispiel trugen sie neben dem Wasserzeichen des Verlages auch den vollen Firmennamen der Papiermühle. Steuerlisten für Plaidt waren in den Jahren der französischen Besatzung zeitweise auf Brohler Papier geschrieben und nicht etwa auf Papier der ortsansässigen 1802 entstandenen Noldens-Mühle. Neben dem Schoellerhammer in Düren, der es 1817 als einzige Papiermühle im Rheinland auf acht Schöpfbütten bringen konnte, war die Brohler Mühle 1822 mit sechs Bütten einer der wenigen Großbetriebe ihrer Branche zwischen Saar und Bergischem Land. Im Kreis Ahrweiler war sie viele Jahrzehnte das wirtschaftlich führende Unternehmen. Im Jahre 1836 meldete sie Landrat von Gaertner dem neuen Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Freiherrn von Bodelschwingh, als einzige »eigentliche Fabrikanstalt« des ganzen Ahrkreises. Damals produzierte man in Brohl mit durchschnittlich täglich fünfzig Arbeitern im Jahr rd. 6 000 Ries (rd. drei Millionen Bogen) Papier, das einen Wert von rd. 15 000 Taler hatte.

Der holländische Gründer der Papiermühle und seine Söhne waren sicherlich keine gelernten Papiermacher. Aber sie hatten als ausgezeichnete Kaufleute die im näheren Bereich konkurrenzlose Chance erkannt, die sie mit diesem Betrieb über den Mittelrhein hinaus erhielten. Wegen ihrer menschlichen Haltung und persönlichen Bildung erwarben sie sich bald Achtung und hohes Ansehen bei den Behörden, der Bevölkerung und ihren Kunden. Im Gründer, der in Brohl nach dem Anlaufen des Betriebes kaum noch in Erscheinung getreten sein dürfte, da er in Neuwied wohnen blieb und nach der Heirat seines Sohnes Jan Hendrik in seine niederländische Heimat zurückkehrte, hatte man in erster Linie den kapitalstarken und tatkräftigen Kaufmann gesehen. »Capitalist« war die treffende Kennzeichnung, die der Brohler Dorfschultheiß Wihl in einem Brief an die von der Leyen’sche Kellnerei Arenfels benutzte. P.J. van der Muelen hatte trotz der politisch schwierigen und wirtschaftlich labilen Verhältnisse das Wagnis auf sich genommen, unter Einsatz erheblicher Kapitalien mit der Papiermühle eine neuartige Produktion an den Mittelrhein zu bringen. Seine Söhne gewannen sich außer als gute Kauf leute insbesonders durch ihre hohe Integrität und Konzilianz schnell großes Ansehen. »Die beiden Brüder van der Muelen erfreuen sich einer guten Reputation«, schrieb der Andernacher Maire Nachtsheim schon 1810. Und er setzte hinzu: »Ihr Unternehmen verbessert sich jedes Jahr und sie erfreuen sich eines Vertrauenskredits«. Bei einem Kapital von 90 000 Francs veranschlagten die Inhaber damals den Jahresertrag mit 8 000 Francs und bezifferten ihren Gewinn mit 6 000 Francs.

Unterschrift von Pieter Jacob van der Muelen. Aus dem Schreiben »Neuwied, 24. May 1 792« an den Verwalter der von der Leyen’schen Güter in Brohl, den Dorfschultheißen Peter Wihl (Fürstl. von der Leyen’schen Archiv in Waal Nr. 4827

Obwohl Ausländer, wurde Benjamin van der Muelen 1821 neben dem alteingesessenen Brohler Weinhändler Johann Nonn als » Notabel des Handelsstandes« für die Wahl von Richtern am Handelsgericht Koblenz ernannt — ein Amt, in das 1835 als dritter Vertreter der Bürgermeisterei auch sein älterer Bruder Mathias berufen wurde. Über den engeren Bereich hinaus waren sie auch als hochgebildete Männer bekannt und geachtet. Wie viele Angehörige des holländischen Bürgerstandes besaßen sie eine kleine Gemäldesammlung. Sie wird in fast allen zeitgenössischen Reiseführern erwähnt, zumal sie »manch seltene Perle vorzüglich von jüngeren Meistern der Malerei« enthalten haben soll. Im Gartenhaus waren zwei römische Votivaltäre aufgestellt, die von der römischen VI. Legion dem Herkules gewidmet worden war. Man hatte sie in Tuffsteinbrüchen im Brohltal unterhalb von Tönisstein gefunden.

Die Papiermaschine löst die Schöpfbütte ab

Nach über vierzigjähriger Tätigkeit in Brohl setzten sich die Brüder van der Muelen 1841 zur Ruhe. Sie zogen nach Koblenz und verkauften die Fabrik an ihre bisherigen Betriebsleiter Mathias und Jakob Fuhs. Diese zählten zu den ersten rheinischen Papierfabrikanten, die 1843 zur Maschinenfertigung von Papier übergingen.

Drei Jahre später ergänzten sie ihre Anlagen durch eine »integrierend mit der Maschine für >Papier ohne Ende« verbundene Satinier-Ma-schine«, wie der Breisiger Bürgermeister Con-rads dem Ahrweiler Landrat Schraut berichtete. Sie habe tausend Taler gekostet und ersetze die Handarbeit von täglich vier Arbeitern. Zwanzig Jahre führten die Gebrüder Fuhs ihr Unternehmen, bis die Leitung auf ihren Neffen und langjährigen Geschäftsführer Joseph Merzbach überging. Dieser war 1825 als Sohn ihrer jüngeren Schwester Luzia geboren, die mit dem Ackerer Johann Joseph Merzbach aus Flamersheim verheiratet war. In Brohl war er als gelernter Schreiner eingetreten. Hier heiratete er 1847 die Tochter Clara des Kaufmanns und Schiffsbesitzers Jakob Nonn aus dem Brohler Ortsteil Nippes, eine von den drei Töchtern aus dessen erster Ehe mit Susanna geb. Kemp. Clara ihrerseits war eine Nichte der Brüder Fuhs; denn deren Frauen Josef ine und Maria Auguste waren wie ihre eigene Mutter Töchter der Eheleute Georg Conrad Kemp und Helena Adelheid geb. Dalberts. Mit sichtbarem Erfolg führte Joseph Merzbach die Papierfabrik zwanzig Jahre lang, bis er sich im Alter von sechzig Jahren in Brohl zur Ruhe setzte.

Am 16. April 1884 ging die Papierfabrik zu einem Kaufpreis von 200 000 Mark an den holländischen Kaufmann Johann Christian Friedrich Wente über. Dessen Großvater, Sohn des Brauers Anton Wente aus Rinteln an der Weser, hatte Mitte des 18. Jahrhunderts nach Holland geheiratet, wo der Name in Wente geändert wurde, eine Schreibweise, die von der Familie beibehalten wurde. In Brohl übernahmen die Söhne Fritz und Julius von Johann Wente die Leitung des Betriebes. Sie stellten 1886/87 eine zweite Papiermaschine auf und konnten die Zahl der Arbeiter auf hundert Mann erhöhen. Schon 1895 zogen sie sich von der aktiven Unternehmertätigkeit zurück und verpachteten die Papierfabrik — zunächst an die Firma Holtzmann & Co aus Weisenbach in Baden, zu Anfang des 20. Jahrhunderts an die Firma Gebr. Schmitz in Merken bei Düren. Nach Ende des Ersten Weltkrieges schließlich trennten sie sich völlig von ihrem Fabrikbesitz und verkauften die Brohler Anlagen 1919 an die Gebrüder Josef und Heribert Boltersdorf aus Kreuzau bei Düren. Diese entstammten einer alten Papiermacher-Familie, aus der 1778 Wilhelm Boltersdorf durch seine Ehe mit Katharina Strepp in eine der ältesten Papiermacher-Familien der Eifel eingeheiratet hatte. Heute produziert die Brohler Papierfabrik Spezialpapiere, die das jetzt »Brohl Wellpappe GmbH« firmierende Unternehmen zur Fertigung von Wellpappe in Betrieben an der Ahr und im Westerwald einsetzt.

Diese kurzgefaßte Darstellung zur Geschichte der Brohler Papiermühle beruht auf Urkunden und Akten des Landeshauptarchivs Koblenz (insbes. Best. 612 und 655, 206), des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, des Fürstl. von der Leyen’schen Archivs in Waal/Allgäu und des Fürstl. Wied’schen Archivs, Neuwied, ferner auf Unterlagen der Forschungsstelle für Papiergeschichte beim Deutschen Museum München. Genealogische Angaben entstammen den Kirchenbüchern bzw. Standesamts-Registern der betreffenden Gemeinden sowie »Nederlands Patriciaat«. Eine belegte Darstellung erscheint im »Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte« Jhg. 7.