Volkskundliches aus dem Brohltal
„Die Heimat ist nicht Scholle nur und Raum,
nicht Haus und Hof im angestammten Raum,
die Heimat ist die Seele in den Dingen,
die sich enthüllt im Schaffen und im Ringen.“
Sie zu suchen, mag der Leser einen kleinen Ausflug mit mir ins reizvolle Brohltal machen, in die Ortschaft Niederzissen, am Fuße des Bausenherges. Vielleicht mag es manchem müßig erscheinen und er fragt: Was gilt volkstümliches Leben in einer Zeit, die keine Heimat und keine Grenzen kennt? Was heute gilt, treibt morgen schon im Strom der Zeit dahin! Das trifft zu, wenn wir Volkstum, Sitte Brauchtum nur als Formen ansehen, wie sie sich uns äußerlich darbieten im Kreislauf des Lebens und des Jahres. — Volkstum aber ist mehr, ist Leben, Urkraft, Ausdruck lebendiger Gemeinschaft. Versuchen wir also, dem Leben nahezukommen, wie es ist und wie es war. Eine innig=frohe Zeit des Jahres ist die Adventszeit, die Zeit der langen Abende, wenn es draußen kalt und frostig, in der Stube aber so recht behaglich und warm ist. Dann saßen und sitzen die Kinder nach dem Abendglockläuten um den Herd herum und beten zum „Niklöschen“: „Helech (heilig) Niklösche bitt‘ für uns, wir bitten dich, erhöre uns!“ Selbstverständlich werden am Abend die Schuhe oder die Stiefel aufgestellt, und am Morgen wissen die Kiemen als erstes zu berichten: „Ech hann och jet vom Niklösche, en de Schon (Schuhe) wor et!“ — Am Nikolausabend geht dann der fromme Bischof durch die Straßen, begleitet von seinem Freund, Knecht Ruprecht. Beim Geklirre der Kette oder gar beim Anblick des schwarzen Teufels geht das Geschrei der Kinder los. Sankt Nikolaus lobt und tadelt, er weiß alles, denn er hat es in seinem Lebensbuch aufgeschrieben. Wenn die Kinder gebetet und gesungen haben, teilt er seine Gaben aus. So schreitet er von Haus zu Haus.
Fragen wir uns, was diesem Brauchtum zugrunde liegt. Christliches Motiv hat die Gestalt des Bischofs, der die Kinder beschenkt und belehrt. Germanisch=heidnisch ist wohl der ganze Zauber der abendlichen Umzüge und die Gestalt des Hans Muff.
Ein Rest dieses urtümlichen Brauches der winterlichen Umzüge ist vielleicht auch der weihnachtliche Gang des Christkinds am Heiligen Abend. Wie ich in einer volkstümlichen Arbeit las, ist der Brauch des Schenkens auch bei anderen Festen des Winters üblich gewesen. Man wollte mit einem reich gesegneten, guten Schluß des alten Jahres das kommende beeinflussen. Als Christen kennen wir die andere Deutung: Wir sehen im gegenseitigen Schenken einen schwachen Abglanz des großen Geschenkes der Liebe, das uns durch die Geburt des Erlösers zuteil wurde. Kaum einer könnte sich das Fest ohne Besuch der Christmette denken. Am schönsten aber ist es an den Winterabenden, wenn der Lichterbaum angezündet wird. Dann singt man die alten Weihnachtslieder von der „Stillen, heiligen Nacht“ und dem „Jesulein zart“.
In diese frohen Tage um Weihnachten fällt auch der Sylvestertag. An diesem Tag wird noch einmal alles auf den Tisch gebracht, was Küche und Keller bieten. „Mir wollen dat ahle jot beschieße, dann wied dat neue wohl och jot wäre.“ Sogar der Wirt bietet seinen Gästen an Sylvester Freibier und belegte Brötchen. Da sitzen die Skatbrüder und spielen um den „Neujohrschkränz“. Am Neujahrstag selber wünscht man sich dann allerseits „Prosit Neujohr“. Die Kinder laufen gleich nach der Messe zum „Joetche“ (Patin) oder zum „Pat“, um sich ihr „Neujohr“ abzuholen. Dies bestand bis vor wenigen Jahren nur aus einem Weckkranz, heute erhalten die Kinder meist noch ein Geldgeschenk dazu. Die Kinder bekommen das „Neujohr“, bis sie aus der Schule entlassen sind. Mit Maria Lichtmeß schließt der Weihnachtsfestkreis. Von diesem Tag an „jäht et widder berchop, de Daach wied öm en Hahneschrei länge“. In der Kirche werden an diesem Fest die Kerzen gesegnet. Diese verwahrt man gut, legt sie zum „Wösch“ (Krautwisch) und holt sie erst in Stunden der Bedrängnis hervor, um Gefahr und Not zu bannen. Sie brennen am Bett des Sterbenden und bei Unwetter. — Maria Lichtmeß war bis vor mehreren Jahren in Niederzissen auch der Tag, an dem das Gesinde wechselte. Man mußte aushalten bis zum 2. Februar, wenn es auch noch so schwer fiel; denn sonst „kroch (bekom) der et Ferkel jetrive“ (mit viel Geklapper und Getöse zog man vor das Haus des beschämten Mädchens oder des Knechtes und verspottete sie). — Da Lichtmeß Beginn eines neuen kirchlichen Festkreises ist, gilt es auch als Anfang eines neuen Wirtschaftsjahres. Dieser Tag ist wie Martinstag Zins= oder Lostag, d. h. die ersten Gelder für gekaufte Grundstücke oder Gebäude sind bis zu diesem Tag zu bezahlen. Wer später kommt, muß Zinsen zahlen.
An das Wetter dieses Tages knüpft der Bauer seine Ernte= und Wetterregeln an: Lichtmeß hell und klar, deutet auf ein gutes Jahr. Wenn der Bär heute seinen Schein sieht, kriecht er nochmal für sechs Wochen in seine Höhle, d. h. ist der Himmel am Lichtmeßabend sternenklar, so wird es noch einmal kalt.
Zu recht tollen Tagen gestaltet sich auch in diesem unserem Dorf die Zeit um Fastnacht. Das Brauchtum an diesen Tagen ist ähnlich wie an anderen rheinischen Orten, verschieden sind höchstens die einzelnen Heischelieder, die die Kinder singen, wenn sie als „Dures“ verkleidet durch das Dorf ziehen und um Gaben bitten: „Dures, Dures deus, hätt de Kopp voll Laus, Dures, Dures ditzedor, hätte de Kopp voll Laus jeschor (geschoren).“ Heute wie am Martinstag singt man auch noch: „Ich bin ein kleiner König, gebt mir nicht zu wenig, laßt mich nicht zu lange stehn, denn ich muß noch weiter gehn.“ Zu einem Tag der Freude innerhalb der mehr ernsten Fastenzeit gestaltete sich früher der „Halffastemaat“ (Halbfastenmarkt). Obwohl dieser Markt nicht so gut besucht war wie der Herbstmarkt, war dies doch der Tag, an dem die Eifelbauern ihre Ferkel kauften. Dann kamen sie aus der ganzen Umgebung und handelten und feilschten. War das Geschäft gut ausgegangen, so saßen die Männer zusammen und berichteten gegenseitig vom Stand des Viehes und der Felder, von dem „staatse Jong“ und „dam düchtige Mädche“. Die Kinder freuten sich auf den Reiheweck, den der Vater mitbrachte. Mittelpunkt und Höhepunkt der Frühlingszeit ist Ostern und die Zeit unmittelbar davor. Am Palmsonntag hat jedes Kind den „Palmwösch“ (Buchsbaumstrauß), der vom Priester gesegnet wird, ähnlich wie der Krautwisch. Von diesem gesegneten Palmstrauß werden kleine Zweige abgebrochen und an jedes Zimmerkreuz, in das Dachgebälk, in die Scheune und in den Stall gesteckt. Was übrig bleibt, legt die Mutter zum Krautwisch und zu den gesegneten Kerzen. Mit dem Palmzweig wird der Sterbende gesegnet. Dem Toten gibt man ein Zweiglein mit ins Grab. Die Karwoche steht im Zeichen der Trauer um den sterbenden Heiland. Am Gründonnerstag fliegen die Glocken nach Rom zum „Erbensuppeessen“. Dann werden die Klappern vom Speicher geholt. Die Jungen scharen sich zusammen und laufen durchs Dorf. Um die Zeit des Mittagläutens rufen sie: „Mettach, Mettach (Mittag), dat Hohn hat jelach!“ Den jüdischen Dorfbewohnern rief man zu: „Matze eraus oder Stän (Steine) en et Haus. So bekamen dann die Kinder von den Juden einen Matzen (Gebäck aus ungesäuertem Teig). Das Geratsche und Ge klapper rief auch zu den Gottesdiensten und vertrat das Geläute der Abendglocke. Am Ostermorgen bekommen die Klapperjungen ihren Lohn mit den anderen Meßdienern in Form von Eiern. Früher erhielt auch der Pastor Ostereier von den Leuten, und zwar für jeden, der zur Kommunion ging, zwei Eier.
Der Ostertag selber begann bis vor einigen Jahren mit der Auferstehungsfeier. Dieser voraus ging das „Judasjagen“. Wie mir scheint, hing dies mit dem eben beschriebenen Lärmbrauchtum der Klapperjungen zusammen. Die Person des Judas spielt auch beim Abbrennen des Osterfeuers eine Rolle. Hier sprach man überhaupt nicht vom Osterfeuer, sondern vom „Judasfeuer“. Die Leute sagten: „Dem Judas wird der Bart verbrannt!“ Dieser Ausspruch soll auf die Tatsache zurückgehen, daß früher einmal eine Strohpuppe in diesem Feuer verbrannt wurde. Judas ist erst später hier für den Wintergott „Jul“ eingeschoben worden. In der Karwoche galt es, Jul oder Jaul zu vertreiben. Darum hieß die Woche auch Jauleswoche. Der Ostermorgen ist voller Freude.
Niederzissen
Man singt hier: „Usterdach, dann rausch de Bach, dann höppen (hüpfen) de Hase, dann sing de Specht, dann danzen all‘ die Mäd‘ un Knecht.“ Die Kinder gehen hinaus zum Eiersuchen. Schon während des Hochamtes und nachher sieht man Kinder und Jugendliche beim „Eierkeppe“. Vorher aber muß man das Ei ausprobiert haben. Klingt es beim Anschlag an die Zähne hell, so kann man es ruhig riskieren, man wird die Eier der anderen eindellen und sie dann in die Tasche stecken. Das Eierkippen als solches wird noch gemacht, aber ich habe beobachtet, daß die Spielregeln in den meisten Fällen nicht mehr eingehalten werden.
Das Ei selber wie der Hase sind Symbole des Lebens. Hans Strobel sagt hierzu: „Gleich wie der Winter die Erde mit einer weißen Hülle starr umgibt und in ihr doch schon den neuen Frühling birgt, so umschließt auch das scheinbar todesstarre Ei den Keim des neuen Lebens und wird so Sinnbild der Lebenserneuerung.“ Auch der Hase gilt als Verkörperung der Fruchtbarkeit.
Um Segen und Fruchtbarkeit für seine Felder bittet der Bauer, wenn er am Markustag mit der Markusprozession durch die Felder geht. Wie man allgemein annimmt, hat dieser Brauch seine Wurzel in den germanischen Flurumgängen. Dasselbe gilt für die Prozessionen an den drei Bittagen. An jedem Tag geht man in eine andere Richtung. Es ist Ehrenpflicht jedes Bauern, sich hieran zu beteiligen. Er versäumt es dabei nicht, den Stand seiner Feldfrüchte, besonders der Halmfrucht, zu überschauen. Am Markustag muß das Korn so hoch sein, daß sich eine Krähe darin verstecken kann, an den Bittagen muß sich ein Schaf darin verbergen können.
Von den Maibräuchen sind in Niederzissen nur noch wenige lebendig. Da wäre kurz das Abholen und Aufrichten des Maibaumes zu nennen, der in der Spitze mit bunten Papierbändern geschmückt ist. Gegen Mitternacht schleichen die Burschen an die Häuser der Mädchen, klettern an die Fenster, um den grünen Maibaum zu befestigen. Nicht selten steht auch am Morgen ein mächtiger Dornzweig im Kamin oder in wenigen Fällen ein Kirschbaum. Das hat folgende Bewandtnis: Der grüne Maibaum ist das Zeichen der Liebe und Verehrung. Der Dornenstrauch ist da gesetzt, wo die Liebe nicht erwidert wurde. Wenn man ihn (sie) anfaßt, sticht man sich. Der Kirschbaum ist das Zeichen der Treulosigkeit. Heimliche Liebe wird oft in dieser Nacht veröffentlicht: Die Burschen ziehen einen Kalkstrich vom Haus des Jungen bis zum Haus des Mädchens. Umherstehendes Ackergerät oder lose Fensterläden sind am Morgen des 1.Mai weit verschleppt und müssen mühselig zusammengeholt werden. Die Burschen sind eben an diesem Abend voll Schabernack und böser Streiche.
Am Übergang vom Frühling zum Sommer steht das Fronleichnamsfest. Dieser Feiertag wird eingeleitet durch das sogenannte „Dängeln“. Es ist ein Glockenspiel, bei dem nach einem bestimmten Rhythmus drei Glocken nacheinander angeschlagen werden. Auch während der Prozession wird „gedängelt“. — Man wetteifert untereinander, wer den schönsten Hausaltar hat. Schon Tage vorher gehen die Kinder durch die Wiesen und „stroppen“ die Blumen. Aufbauen und Ausschmücken der Segensaltäre ist gemeinsame Arbeit der einzelnen großen Nachbarschaften. In Nachbarorten sitzen am Abend Burschen und Mädchen nach getaner Arbeit zusammen bei Kuchen und Wein. In Niederzissen selber ist das nicht mehr Brauch. Der Bauer achtet besonders am Abend auf die Blumen. Seine Gedanken gehen vom Feiertag wieder zur Arbeit, wenn er sagt: „Wie die Blumen Fronleichnam trocknen, so trocknet auch das Gras.“ Desgleichen beobachtet er an „Maria Heimsuchung“ das Wetter; denn „regnet es an Marientag, regnet es noch vierzig Tag‘.“ Maria Heimsuchung wird in der Bauernsprache auch noch „Röpedach“ (Rübentag) genannt, weil dies der Stichtag für die Steckrübenaussaat ist. Bei manchen Bauern ist auch der 8. Juli (Kilianstag) der „Röpedach“.
Am folgenden Marienfest „Maria Himmelfahrt“ wird in der Kirche der „Wösch“ (Krautwisch) gesegnet. Er soll von jeder Halmfruchtart und den Küchen= und Heilkräutern einen Stengel enthalten. In Wirklichkeit sind es nur einige Kräuterarten, die zum „Wösch“ gebunden werden. Beifuß fehlt dabei nie. Der „Wösch“ wird hervorgeholt, wenn ein schweres Gewitter droht. Dann wird ein Zweiglein im Herdfeuer verbrannt. So weit der Rauch zieht, so weit bleiben Blitz und Hagel fern. Hochfest des Spätsommers ist die Dorfkirmes. Das Fest des Kirchenpatrons, des hl. Germanus, ist am 31. Juli. Da dieser Tag mitten in die Erntezeit fällt, hat man die äußere Feier auf den Sonntag nach Maria Geburt verlegt. Kirmes ist in Niederzissen noch ein rechtes Familienfest. Da kommen alle Verwandten und Familienangehörigen, die auswärts wohnen, heim. Wie oft hört man an diesem Tage die Frage: „Hat ihr och vill Besuch?“ Kirmes ohne Besuch ist keine Kirmes. Der erste Tag ist meistens der Tag der Familie im engen Kreis, am Montag trifft sich die große Dorffamilie auf dem Tanzsaal. Am Dienstag bzw. Mittwochmorgen wird die Kirmes „begraben“. Man zieht heulend und „weinend“ durch den Saal bis zur Theke oder zur nächsten Wirtschaft. Wenn die ganze Familie zusammen ist, gedenkt man selbstverständlich der Toten. Vor dem festlichen Kaffee geht man zum Friedhof. Am Montagmorgen ist ein feierliches Seelenamt für die Verstorbenen und Gefallenen der Gemeinde. Früher war dies Amt für die Jugend des Dorfes. Nach dem Weltkrieg wurde dieser Gottesdienst zu Ehren der Gefallenen und Verstorbenen gehalten.
Kirmes ist aber auch ein rechtes Kinderfest. Auf die „Reitschul“ (Karussel) zu gehen, ist reines Vergnügen. Und all die vielen anderen Buden mit den schönen Spielsachen und Leckereien locken die Kinder zum Kirmesplatz. Wie oft zählen die Kinder ihr Kirmesgeld, das sie von den Eltern und Verwandten, besonders von der „Jöet“ und dem „Pat“, bekommen haben. Dazu hat man am Montag schulfrei, was die Freude noch vergrößert. Frohes Fest der Kinder ist auch das Martinsfest, das Fest des Lichtes im Dämmer und Dunkel des Spätherbstes. Wochen vorher basteln die Jungen und Mädchen ihre Fackeln. Das ist die Arbeit für den Abend. Nachmittags ziehen die Jungen mit einem großen Handwagen durch den Ort und „dotze“. Dabei singen sie folgende Lieder: „Dotz, dotz, dolledorf, jet (gebt) os jät (etwas) für et Märtesfeue, jet os en Beusch Strüh, verbrenne de Laus un de Fluh, jet os e paa Schanze, liere me jot danze, jet os jet, da ha’me jet (haben wir etwas), mir han der Düre noch mih ze john.“ „Dot, dot, dolledorf, jet os en alle Märteskoref, der Märte es en jode Mann, et jit (gibt), bat de entbehre kann: Dotz, dotz du, an (eine) Beusch Strüh, an aal Mann (Korb), äne aale Beieromp (Bienenkorb). Dotz, dotz du.“
Vor dem Haus der Reicheren singen die Burschen: „Hier wohnt ein reicher Mann, der uns vieles geben kann. Lange soll er leben, ledig soll er sterben, das Himmelreich erwerben.“
Zur Mildtätigkeit anregend, ruft man: „Märte, Märte, jode Mann, dählt (teilt) seine Mantel mit dem arme Mann.“ Zeigt sich der Hausbewohner nach mehrmaligem Klopfen nicht mit einer Gabe, so ruft man: „Der leiz, der ]eiz, der jit net jän.“ (Der Geizige gibt nicht gern.) Mit viel Freude und Jubel laden die Burschen die Schanzen, das Stroh, Holz, die alten Körbe und Schachteln auf ihre Wagen und bringen sie zum Bausenberg. Auf halber Höhe wird der „Schopp“ gebaut. Vier Pfähle geben diesem Stapel Halt. Kurz vor dem Anzünden gießt man noch etwas Benzin darüber, damit es gut brennt. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden in Niederzissen drei Feuer abgebrannt, auf dem Cenusberg von den Jungen der „Horst“ (Straßenzug am Südausgang), auf dem Osterberg von den Jungen des Oberdorfes, auf dem Bausenberg von den „Niederdörfern“. Da geschah es nicht selten, daß man sich gegenseitig das Brennmaterial wegschleppte.
Am Vorabend des Martinstages versammeln sich die Kinder bei einfallender Dunkelheit mit ihren brennenden Fackeln auf dem Schulhof. Bald reitet St. Martin als frommer Bischof auf einem Schimmel dem Zuge voran. Man zieht durch das Dorf zunächst bis zum Bahnhof. Von hier aus hat man den schönsten Blick zum Bausenberg, wo nun das Feuer angezündet wird. Hier spielt die Musikkapelle das alte Lied vom Sankt Martin, der durch Schnee und Wind ritt, und alle singen mit. Der Zug wird begleitet von den Feuerwehrmännern, die große Pechfackeln tragen. Im Anschluß an den Fackelzug verteilt St. Martin die „Stutzeweck“. Im Nachbardorf erhält man statt des Wecks Brötchen und Wurst. Früher gab es einen Hering. Zu Hause hat die Mutter inzwischen schon den knusprigen „Döppcheskuchen“ auf dem Tisch stehen, der als die Gans des armen Mannes gilt. Der Fackelzug als Volksbrauch ist hier noch nicht sehr alt. Früher zogen die Burschen und Schulbuben mit Strohfackeln den Berg hinan und stellten sich um das Feuer auf. Die kräftigsten und wendigsten Jungen zündeten dann den „Schopp“ an. Bei abbrennendem Feuer wurde dann gemeinsam der „Engel des Herrn“ gebetet. Am frühen Morgen, wenn das Feuer noch glühte, ging man hin und holte sich von Asche und streute sie auf die Felder. Mit dem Martinstag schließt sich der Festkreis des Jahres. Betrachten wir nun noch kurz die Hauptstufen und =zeiten des Lebens mit ihrem Brauchtum. Ist ein Kind geboren, verkündet man es sofort der-Nachbarschaf t. Früher eilten die Frauen daraufhin herbei, um zu helfen. Sie brachten Geschenke mit: Kaffee, Würfelzucker, Reiheweck oder eine Tasse Rahm. Die Nachbarsfrauen wechselten sich in der Pflege des Neugeborenen und der Mutter ab. Die Kinder, die das „Ditzje“ gucken kommen, erhalten noch heute ein Stück „Ditzjeszucker“, den Erwachsenen gibt man ein Gläschen Schnaps. Eine wichtige Aufgabe der Eltern ist die Wahl der Paten. Pate bzw. Patin bestehen darauf, daß ihr Name an das Kind weitergegeben wird. Früher wurde daher oft derselbe Name mehreren Kindern einer Familie gegeben. Z. B. heißen die Kinder einer Familie in Spessart: Hannes und Johann, Köbes und Jakob. Das ungetaufte Kind heißt allgemein „Pannestielche“. Als Taufgeschenk erhält das Kind Geld oder ein Kleidungsstück und bis zur Schulentlassung an Ostern, Weihnachten und Neujahr eine ähnliche Gabe. Die Paten, die zum ersten Male gewählt werden, sucht man zu überraschen und zu „scheuern“, d. h. sie werden im Gesicht schwarz gemacht.
Zu den Taufbräuchen gehört vor allem der gute Kaffee. Wurde früher das Kind eines Filialortes getauft, so wurden die Hebamme und die begleitenden Frauen vor der Rückkehr in diesen von den Paten in einem Wirtshaus gut bewirtet. Es gab Kaffee, Kuchen und Wein. Wie mir bestätigt wurde, ist es wahr, was A. Wrede in seiner „Eifeler Volkskunde“ schreibt: „Und wenn die Weiber nicht gekräht haben, vermeinen sie nicht recht wohl Kindtauf gehalten zu haben.“ Der eigentliche „Kindcheskaffee“ wird erst nach der Taufe im Hause gegeben. Wenn man von der Tauffeier kommt, fragt die Mutter: „Hat der (oder die) Kleine sich auch einen Rock verdient?“ Man behauptet nämlich, wenn das Kind bei der Taufe schreit, rufe es um sein erstes Kleidungsstück. Der Hochzeitstag wird wie überall feierlich begangen. Freunde und Verwandte finden sich ein, denn die Hochzeit ist ein Familienfest. Am Abend werden dem Brautpaar allerhand Streiche gespielt. Wer sich mit freut, trauert auch mit den Angehörigen eines Toten. Der Tod wird allen Dorfbewohnern durch dreimaliges Läuten der Sterbeglocke verkündet. Die Kinder der Nachbarschaft beten „Die sieben Kreuze“. Sie knien am Sterbebett nieder und beten mit den Angehörigen, dann weiter auf dem Weg zur Kirche, wo sie vor dem Steinkreuz an der Außenseite des Gotteshauses niederknien und beten. Allerhand Aberglaube um den Toten und den Tod ist hier noch lebendig. So sagt man, wenn ein Toter über den Sonntag liegt, daß ihm bald ein anderer in die Ewigkeit folgt. Ruft am Abend der „Totenvogel“ (Kauz) aus der alten Scheune, so glaubt man daraus „Komm mit“ zu verstehen.
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Wie der Niederzissener über das Leben und die Menschen denkt, soll aus einigen Sprichwörtern deutlich werden. Vom Überschlauen sagt man: „Der hört de Fluh hoste und seiht et Jras waaße (wachsen) met jleiche Ore (Augen).“ Versucht er, den Nächsten zu überlisten, so rechnet man ihn zu den „Weltdeuwele“, die „schlemmer sein als Hölledeuwele“. Dem Undankbaren sagt man nach: „Dän kann nie bis Rom trare (tragen) und setz en schäf (schief) nidde, dann es et och noch Kappes (d. h. nichts).“ Der Verschwenderische und der Arme hören oft: „De Beddelsack un de Geldsack hangen kein 100 Johr an derselwe Dur.“ Ersten zur Warnung gilt: „Wer für 40 Johr reit‘, moß no (nach) 40 ze Foß john (gehen).“
Der erfahrene Mensch weiß, „dat jot Leut‘ mi (mehr) wert sein wie Jeld en de Tösch“ und „e blend Hohn och aß (schon mal) en Ers (Erbse) fend“, daß „klän (kleine) Döppche flott (schnell) ö’velofe“, daß „Jod jefröhstöckt (gefrühstückt) de ganze Dach (Tag) hält, jod jeheierot (geheiratet) et janz Lewe.“
Abschließend sei noch ein kurzes Wort über die Pflege des Brauchtums gesagt. Ich habe bereits zu Anfang auf die enge Verbundenheit von Volkstum und Leben, Volkstum und Natur hingewiesen. Daraus erwächst ihr die große geistige, religiöse und soziale Schöpferkraft. Wir haben gesehen, daß Sitte und Brauchtum ein ganzes Dorf zu einer großen Familie werden lassen, die miteinander Freud und Leid trägt. Wo wäre die „soziale Frage“ besser gelöst als in dem Bemühen, dieses Gefühl der Verbundenheit wachzuhalten durch die rechte Pflege des Brauchtums. Dabei kann es, wie Kreuzberg sagt, nicht allein wesentlich sein, die „Form von Brauch und Sitte und Feier“ zu erhalten, sondern sich am Leben zu orientieren und das, was noch sinnvoll ist, lebendig zu erhalten, zu bereichern und zu neuem Blühen und Gedeihen zu führen.