Veränderungen im dörflichen Leben während der letzten dreißig Jahre, dargestellt am Beispiel von Oeverich
Ottmar Prothmann
In den drei Jahrzehnten nach dem letzten Weltkrieg haben sich in unseren Dörfern Veränderungen vollzogen, wie früher in weit größeren Zeitspannen nicht. In manchen Bereichen kann man regelrecht von einem Umbruch sprechen, jedoch nicht hervorgerufen durch ein großes Ereignis, etwa einen alles zerstörenden Krieg, sondern bewirkt durch die allgemeine Entwicklung. Zwar vollzogen sich diese Wandlungen nicht in allen Dörfern mit gleicher Schnelligkeit und Intensität, doch dürfte das, was nachfolgend über Oeverich gesagt wird, durchaus beispielhaft sein für die meisten ländlichen Ortschaften des Kreises Ahrweiler.
Oeverich ist ein kleines Dorf im südlichen Teil der heutigen Gemeinde Grafschaft, das bis zur kommunalen Neuordnung im Jahre 1974 mit Leimersdorf und Niederich eine eigene Gemeinde bildete. Der Ort hatte nach dem Kriege 253 Einwohner, die in 62 Häusern lebten. Die Landwirtschaft bildete die Haupterwerbsquelle. Sie bestimmte das Leben der Menschen und prägte das Aussehen des Dorfes.
Den Zweiten Weltkrieg hatte der Ort relativ unbeschadet überstanden. Große körperliche Not wie die Bevölkerung in den Städten hatte man nicht erlitten, doch waren die Jahre nicht frei von Entbehrungen und Einschränkungen geblieben. Großes Leid hatte der Tod von 21 gefallenen bzw. vermißten Männern des Dorfes gebracht. Am 7. März 1945 rückten dann die Amerikaner auf ihrem Vormarsch zur Remagener Brücke ins Dorf ein. Es folgten Jahre der Besatzung. Dann kam 1948 die Währungsreform, das Leben normalisierte sich wieder, und in der Bundes-repulik Deutschland begann ein Konjunkturaufschwung, den man allgemein als „deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet. Eine immer schneller fortschreitende Technisierung griff in alle Bereiche des menschlichen Lebens ein. Die Folge war eine erhebliche Steigerung des Wohlstandes. Das alles beeinflußte nicht nur das Leben in den Städten, sondern veränderte in weit höherem Maße die dörflichen Verhältnisse.
Bevölkerungsbewegung
Wie bereits gesagt, lebten nach dem Kriege 253 Einwohner in Oeverich, Diese Zahl war seit 150 Jahren in etwa gleich geblieben, denn schon 1816 wurden 267 Einwohner gezählt, ja 1885 waren es sogar 301 gewesen. Auch in der Zusammensetzung der
Inmitten der ausgedehnten Ackerflur Oeverich und Niederich (Hintergrund)
Luftaufnahme aus dem Archiv des Kreises Ahrweiler freigegeben unter Nr. 451 —3 Bez.Reg. Rheinhessen
Bevölkerung hatte sich wenig geändert. Oeverich war ein reines Bauerndorf, und Fremde gelangten fast ausschließlich durch Heirat mit Einheimischen hierhin.
Der erste Einbruch in diese einheitliche Bevölkerungsgruppe geschah im Jahre 1950 durch die Ansiedlung von 33 ostdeutschen Flüchtlingen, die zumeist aus Notlagern in Schleswig-Holstein herkamen. Danach kehrte für viele Jahre wieder Ruhe in das Dorf ein. Freistehende Mietwohnungen standen kaum zur Verfügung, und als Wohnort für bauwillige Städter war das Leben in den abgeschiedenen und als hinterwäldlerisch angesehenen Eifeldörfern noch nicht attraktiv genug. Das ändert sich erst für Oeverich seit etwa 1971. Eine allgemein einsetzende Bewegung ,,zurück aufs Land, zurück zur Natur“ sowie die niedrigen Baulandpreise führten dazu, daß schließlich auch in Oeverich — viel später als in manchen anderen Dörfern — eine Reihe von Auswärtigen ihre Häuser errichteten. Einige der Neubürger errichteten Zweifamilienhäuser, und auch die Einheimischen begannen rege zu bauen. In diese neu entstandenen Wohnungen zogen weitere Neubürger, so daß die Einwohnerschaft trotz rückläufiger Geburtenraten bis heute auf 382 Personen anwuchs. Im Verhältnis zu anderen Dörfern ist dieser Anstieg allerdings noch gering.
Hatte schon der Eingliederungsprozeß der Flüchtlinge durch mancherlei zeitbedingte Vorurteile lange gedauert, so gestaltete er sich jetzt mit den Neusiedlern noch schwieriger. Der Kontakt zwischen den Alteingesessenen und den zumeist am Rande des Dorfes wohnenden Neubürgern blieb in den meisten Fällen gering. Eine oft höhere Bildung und Stellung im Beruf, ein anderer Lebensstil, andere Interessen und das Nichtbe-herrschen der dörflichen Mundart durch einen Teil der Neubürger bildeten starke Hemmnisse im Umgang mit den Einheimischen.
Änderungen im Dorfbild
Abgesehen von den großen Bränden früherer Zeiten, von denen uns jedoch nur die vollkommene Einäscherung des Ortes im Jahre 1690 überliefert ist, hat sich das Dorf nie binnen so kurzer Zeit so schnell verändert wie nach dem Krieg. War die Zahl der Häuser in rund 150 Jahren, vom Anfang des letzten Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, nur um 11, und zwar von 51 auf 62 Häuser angewachsen, so vergrößerte sich das Dorf in der kurzen Zeit danach um 23 Wohnhäuser auf 85. Es wurden 15 alte Häuser in dieser Zeit abgebrochen bzw. durch Feuer zerstört und 48 neue wurden errichtet. Allein diese Zahlen zeigen die außerordentlichen Veränderungen. Dazu kommt noch, daß an den übrigen alten Häusern zum Teil so tiefgreifende Umbauten im Innern und Äußern vorgenommen wurden, daß dies fast einem Neubau gleichkam.
Nach dem Kriege beherrschten Fachwerkbauten das Straßenbild des Dorfes. Dazwischen standen mehrere aus Ziegelsteinen errichtete Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude. Es waren fast alles Bauernhäuser, denn nahezu in jedem Haus wurde eine, wenn auch noch so kleine Ackerschaft geführt, sogar bei den Handwerksbetrieben, die im übrigen auf die Landwirtschaft ausgerichtet waren. Nur die Durchgangsstraße von Ringen nach Heppingen und die im Ort abzweigende Straße in Richtung Fritzdorf waren geteert, während alle übrigen Dorfstraßen eine Decke von Basaltsteinstücken und Erde besaßen. Hühner und einige Enten bevölkerten noch die Dorfstraße, über die nur Pferde- und Ochsengespanne zogen. Selten kamen motorisierte Fahrzeuge durchs Dorf, und im Ort selbst gab es nur drei Autos, aber noch keinen Traktor. An den Häusern, in den Pflanzgärten und in einem dichten Gürtel um das Dorf herum wuchsen zahlreiche Obstbäume und Nutzsträucher. In der Mitte des Dorfes und am Rande lagen zwei Weiher. Eine Wasserleitung gab es noch nicht. Man holte sich alles Wasser von den Brunnen und Pumpen.
Dann traten während der 50er Jahre in der Landwirtschaft entscheidende Veränderungen ein, als deren Folge kleinere, nicht mehr rentable Höfe aufgegeben wurden. Die nicht mehr genutzten Wirtschaftsgebäude standen leer, verfielen, wurden abgerissen oder zu Wohnungen umgebaut. Dagegen mußten die übriggebliebenen Landwirte ihre Höfe vergrößern, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Trotz der drangvollen Enge im Dorfbereich siedelte jedoch bisher kein Landwirt aus. Nur eine auswärtige Familie errichtete 1965 in den Feldern einen Obstbauhof.
Mit steigendem Wohlstand setzte verstärkt seit den 60er Jahren eine Neubautätigkeit ein, zuerst fast nur von den Einheimischen, dann ab 1971 mehr und mehr von Auswärtigen. Die alten Fachwerkhäuser verloren an Ansehen. Wer es sich eben leisten konnte, brach sein Haus ab und baute neu. Die übrigen versuchten den alten Holzhäusern durch Verputz oder Verkleidung mit Asbestzementplatten, durch neue Einscheibenkippfenster und Rolläden das Aussehen von Steinhäusern zu geben.
Auch die Umgebung der Häuser bereinigte und gestaltete man um. Alte an den Häusern wachsende Obstbäume, Holundersträucher und Buchsbäume wurden entfernt. In den 60er Jahren entstanden die ersten Vorgärten an Plätzen, wo früher Hühner ihre Löcher in den Lehm gebuddelt hatten, wo der Mist gelegen hatte, wo Bäume gewachsen waren oder Schuppen gestanden hatten. Man legte jetzt Zierrasen an, ein in früheren Zeiten unvorstellbarer Luxus. Alles sollte geordnet, pflegeleicht und sauber sein.
Die Schmiede in Oeverich um 1930
Foto: Archiv
Ähnlich lief die Entwicklung auch im öffentlichen Bereich und im Umfeld des Dorfes. Alles, was keinen sichtbaren finanziellen Nutzen mehr brachte oder als störend empfunden wurde, verschwand. Im Jahre 1957 wurde eine Wasserleitung gelegt. Öffentliche Pumpen und Brunnen wurden dadurch unnütz, sie wurden teilweise entfernt bzw. zugeschüttet. Ebenso erging es dem im Dorf gelegenen Brandweiher und einem am Ortsrand befindlichen Teich, der nachweislich schon vor 500 Jahren an dieser Stelle bestanden hatte. Ein etwa 200 Meter langer ehemals idyllischer Hohlweg am Ortsausgang füllte sich schnell mit Wohlstandsmüll, bis er völlig eingeebnet werden konnte. Andere Vertiefungen und Senken im Gelände verschwanden. da sie den Erdaushub der Neubauten aufnehmen mußten. Die in einem dichten Kranz rund um das Dorf wachsenden Apfel-, Birn-und Pflaumenbäume verloren ihren Nutzen. Das Pflücken lohnte sich nicht mehr, da die preiswert angebotenen modernen Edelobstsorten jetzt mehr dem Geschmack der Leute entsprachen. Eine Reihe von Bäumen wurde gefällt, andere starben ab oder mußten den in den Wiesen entstehenden Neubauten weichen. Wegen der Verkehrsgefährdung fällte die Straßenbauverwaltung die Bäume entlang der Landstraße. Hatte das Dorf früher wie in einer grünen Oase inmitten der Feldflur gelegen, die schon seit der Flurbereinigung zu Anfang des Jahrhunderts von fast allen Bäumen und Sträuchern befreit worden war, so entstanden jetzt auch in diesem Grüngürtel viele lichte Stellen und erschreckende Blößen. Wenn zukünftig das gesamte vorgesehene Baugebiet bebaut sein wird, wird aus den stellenweise über 100 Meter breiten Grüngürtel nichts mehr übriggeblieben sein. Das Dorf wird kahl in einer kahlen Feldflur liegen. Nur beiläufig sei erwähnt, daß durch die aufgezeigte Entwicklung schon jetzt eine Reihe von Pflanzen- und Tierarten in ihrer Existenz bedroht oder gar bereits verschwunden ist.
Gemeindeangelegenheiten
Oeverich bildete mit den Dörfern Leimersdorf und Niederich bis zum Jahre 1974 eine selbständige Gemeinde mit rund 448 Einwohner. Wie viele kleine Landgemeinden so hatte auch sie es wegen der fehlenden Finanzkraft schwer, den Forderungen nach öffentlichen Einrichtungen wie Versorgung mit Wasser, Kanalisation, Müllabfuhr, Bau von Straßen, Straßenbeleuchtung, Schulbau usw. nachzukommen. Nachdem schon jahrzehntelang Ansätze gemacht worden waren, konnte eine Wasserleitung endlich 1957 in Betrieb genommen werden. Zu einer Kanalisation ist es bis heute noch nicht gekommen. Jedoch liegen in mehreren Straßen bereits Kanäle zum Abführen des Oberflächenwassers. In der langen Hauptstraße läuft das Regenwasser sowie das Küchen-, Wasch- und Badewasser noch wie eh und je durch die Gossen. Alle Abwässer münden schließlich in den Bach, der im Laufe der Jahre die immer größer werdenden Mengen von Schadstoffen nicht mehr verkraften konnte. Fast alles pflanzliche und tierische Leben in ihm starb ab.
Ende der 60er Jahre sorgte die Gemeinde für eine geregelte Abfuhr des Hausmülls und wenig später auch des Sperrmülls. Nachdem 1962 in Oeverich die erste Dorfstraße außer den Durchgangsstraßen eine Teerdecke erhalten hatte, folgten nach und nach fast alle übrigen Ortsstraßen und auch einige Feldwege. Das Netz der Straßenbeleuchtung wurde mit der Vergrößerung des Dorfes systematisch ausgebaut. Während bis 1975 die Lampen spätestens um Mitternacht erloschen, brennen sie seither die ganze Nacht hindurch.
Zusammen mit dem Ort Birresdorf, der mit der Gemeinde Leimersdorf einen Schul-zweckverband bildete, erbaute man 1957 eine neue Volksschule in Leimersdorf, die jedoch bald ihre Funktion als vollgültige Dorfschule verlor. Durch eine Änderung des Schulsystems wurde sie 1974 in eine nur die vier unteren Jahrgänge enthaltende Grundschule umgewandelt. Heute besuchen die sechs oberen Jahrgänge die Hauptschule in Bachern an der Ahr, und von den Grundschülern werden drei Jahrgänge in Leimersdorf und einer in Nierendorf unterrichtet.
Wie ein Bild aus längst vergangenen beschaulichen Zeiten mutet es an, daß noch bis Anfang der 60er Jahre der Gemeindediener mit der Schelle durchs Dorf ging und den Leuten an den Straßenecken die neuesten Bekanntmachungen verlas. Die wichtigsten Nachrichten teilte der Ortsvorsteher nach dem sonntäglichen Hochamt an der Kirche zu Leimersdorf mit. Heute werden diese Dinge durch ein Mitteilungsblatt bekanntgegeben.
Seitdem 1974 die Gemeinde Leimersdorf mit zehn anderen selbständigen Gemeinden zur neuen Gemeinde Grafschaft zusammengeschlossen wurde, hat sich das politische Leben im Dorfbereich verändert. Während früher nur ganz wenige Dorfbewohner einer Partei angehörten und die Parteien auch im gemeindlichen Bereich keine Rolle spielten, sahen sich alle, die weiterhin auf Gemeindeebene tätig sein wollten, gezwungen, einer Partei beizutreten, denn hier werden inzwischen die politischen Meinungen gebildet und Entscheidungen getroffen.
Landwirtschaft
Nach dem Kriege gab es in Oeverich 41 landwirtschaftliche Betriebe. Ackerbau und Viehzucht wurden trotz mancher Verbesserung noch nach Altvätersitte betrieben. Mit Hüh und Hot zogen die Pferdegespanne über die Felder. Pferde besaßen allerdings nicht alle Bauern, manche hatten Ochsen oder sogar nur Fahrkühe. Verbesserungen in den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg waren vor allem auf dem Gebiet der Ackergeräte eingeführt worden. Man benutzte Balancepflüge, statt der alten hölzernen Hundspflüge, eiserne Eggen, Sämaschinen, Mähmaschinen, Heuwender, Selbstbinder usw. Das Getreide wurde nicht mehr von Hand, sondern mit Dreschmaschinen gedroschen. Fortschritte waren auch auf dem Gebiet der Düngung und Viehhaltung eingetreten. Trotzdem blieb die Arbeit körperlich noch sehr schwer, und man benötigte viele helfende Hände. So beschäftigten die größeren Betriebe Knechte und manchmal eine Magd als unentbehrliche Arbeitskräfte. Weder im Ackerbau noch in der Viehzucht hatte man sich auf bestimmte Dinge spezialisiert. Es wurden vielerlei Körner-sowie Hackfrüchte angebaut, und an Vieh hatte man neben den Zugtieren Hühner, Schweine und Kühe. Letztere wurden wegen der wenigen vorhandenen Wiesen zum großen Teil auch während der Sommermonate im Stall gefüttert. Gemolken wurden sie alle mit der Hand. Kleinere nicht eingezäunte Weiden ließ man von Kühen oder Ziegen abweiden, die mit einer Kette an einen Eisenpfahl gebunden waren. Weniger begüterte Leute mähten mit Sensen und Sicheln den Grasbewuchs auf den Wegen und an den Grabenrändern.
Kaffeepause an der Dreschmaschine
Foto: Schaaf
Dann erfolgte in den 50er Jahren ein Strukturwandel in der Landwirtschaft, wie ihn diese in ihrer langen Geschichte noch nicht erlebt hatte. Innerhalb kürzester Zeit verdrängten Traktoren die Pferde und Ochsen als Zugtiere. Mit den Traktoren (erster Traktor 1950) gelangten neue und immer größere Maschinen und Ackergeräte zum Einsatz, welche die menschliche Arbeitskraft weitgehend überflüssig machten. Zu erwähnen ist besonders der Mähdrescher, der Ernten und Dreschen gleichzeitig erledigt und eine erhebliche Arbeitszeitverkürzung bedeutet. 1958 wurde der erste Mähdrescher im Dorf gekauft, und heute besitzt fast jeder Landwirt einen solchen. Eine wesentliche Erleichterung der Stallarbeit bedeutet die inzwischen überall vorhandene Melkmaschine. Durch eine Verbesserung der Haltungsverhältnisse wurden die Milchleistung erheblich gesteigert (1950 durchschnittl. 3500 Liter; 1979 rund 4500 Liter pro Kuh im Jahr). Ebenso gelang es, die Erträge des Ackerbaues durch den Einsatz von großen Mengen an chemischen Düngemitteln sowie Schädlingsbekämpfungsmitteln zu erhöhen. Bei allen diesen Veränderungen konnten kleine Landwirte nicht mehr mithalten. Sie gaben ihren Hof auf oder bewirtschafteten ihn nebenberuflich weiter. Die übriggebliebenen größeren Betriebe kauften oder pachteten das Land der vielen kleinen Grundbesitzer. Dieser Prozeß schreitet ständig fort. Zur Zeit bestehen noch 10 Vollerwerbs- und 3 Nebenerwerbsbetriebe. Eine zugezogene Familie führt seit 1965 einen Obstbauhof, und drei weitere Familien betreiben Obstbau als Zuerwerb. Im Verhältnis zu anderen Dörfern ist die Zahl der Landwirte noch hoch.
Bei der inneren Betriebsführung ist ein Bestreben zu immer stärkerer Spezialisierung festzustellen. Schweine und Hühner werden, wenn überhaupt, dann fast nur noch für den eigenen Bedarf gehalten. Zwei Landwirte sind bereits von der arbeitsintensiven Milchviehhaltung auf eine Bullenmast umgestiegen. Das Ziel fast aller ist es, von der Vieh-Haltung gänzlich abzukommen und nur noch Ackerbau zu betreiben. Doch dazu sind die Betriebsflächen aller bestehenden Höfe zu klein.
Handel, Handwerk und Gewerbe
Im Gegensatz zu heute war man früher auf dem Lande im hohen Maße Selbstversorger. Einen großen Teil der Lebensmittel erzeugte man selbst. Was man sonst noch zum Leben benötigte, lieferten die dörflichen Betriebe und Geschäfte. Nur zu größeren Anschaffungen ging oder fuhr man in die Stadt. So gab es in Oeverich nach dem Kriege eine erstaunliche Anzahl an kleinen Handwerks-, Gewerbe- und Handelsbetrieben:
Schmiede, Stellmacherei und Eisenhandlung, Sattler und Polsterbetrieb, Schuster, Schneiderin, Friseur, Krautfabrik, Gastwirtschaft, eine zweite Gastwirtschaft mit Metzgerei, Lebensmittelgeschäft, Bäckerei mit Lebensmittelgeschäft, Raiffeisenkasse.
Schon zu Ende der 50er Jahre setzte das Absterben der Betriebe ein. Einige konnten sich bei den veränderten Wettbewerbsbedingungen nicht mehr behaupten, anderen wurde durch die Motorisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft die Existenzgrundlage entzogen. Weitere Betriebe schließlich fanden nach dem Tod des Betriebsinhabers keinen Nachfolger mehr, oder die Inhaber wechselten wegen besserer Verdienstmöglichkeiten in unselbständige Stellungen über.
Halten konnten sich bis heute ein Lebensmittelgeschäft und eine Gastwirtschaft. Auch die Schneiderin arbeitet noch. Lediglich die Raiffeisenkasse entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen zu einer großen Einrichtung mit Filialen in mehreren Ortschaften. Ein neuer, heute noch bestehender Betrieb wurde nicht gegründet.
Alle, die ihre Arbeit in diesen Betrieben oder in der Landwirtschaft aufgegeben hatten, fanden eine neue Beschäftigung in den umliegenden Städten. Sie wurden zu Pendlern, die morgens das Dorf verlassen und abends zurückkehren. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die schnelle Verbreitung des Autos in den 60er Jahren. Mit ihm kann man leicht die in einem Kranz um das Dorf herumliegenden Städte Remagen, Sinzig, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Meckenheim, Bonn oder Bad Godesberg erreichen. Gleichgültig ob man einen Beruf erlernt hatte oder als Ungelernter arbeitete, man verdiente jetzt weit mehr als früher.
Lebensverhältnisse
Einen wesentlichen Umstand im Wandel der dörflichen Gemeinschaft stellen die Veränderungen in den Familienverhältnissen dar. Noch bis in die Nachkriegszeit bestanden die Haushaltungen aus Großfamilien, denen mehrere Generationen und viele Kinder angehörten, bei größeren Landwirten auch noch Knechte und Mägde. Mit dem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe und einer gewandelten Lebenseinstellung änderte sich das. Die Familien haben weniger Kinder. Unverheiratete Onkel und Tanten sowie die Großeltern gehören immer seltener zum Haushalt. Sie bildeten einen eigenen Haushalt. 1979 lebt jedoch kein einziger Dorfbewohner in einem städtischen Altersheim.
Nicht verändert hat sich das Zusammengehörigkeitsgefühl der verwandschaftlich verbundenen Familien, die sich gegenseitig besuchen und hohe Feste gemeinsam feiern.
Gleichzeitig mit der bereits beschriebenen äußeren Umgestaltung der Häuser erfolgte als Zeichen der verbesserten Lebensverhältnisse auch eine Veränderung der Wohnverhältnisse. Die kleinen Zimmer in den Fachwerkhäusern entsprachen nicht mehr dem gesteigerten Platzbedürfnis. Zwischenwände wurden herausgebrochen und in angrenzenden Wirtschaftsgebäuden neue Zimmer eingerichtet. Was noch an übernommenen alten bäuerlichen Einrichtungsgegenständen vorhanden war, wurde als „alter Pröll“ an umherziehende Antiquitätenhändler verkauft und moderne Einrichtungsgegenstände erworben, die man in den fast in jedem Haus ausliegenden Katalogen der großen Versandhäuser und in den Schaufenstern der Städte sah, in die man jetzt regelmäßig fuhr. Die Arbeit der Hausfrauen erleichterten neue Küchen- und Haushaltsgeräte wie Elektroherde, Kühlschränke, Kühltruhen, vollautomatische Waschmaschinen, Spülmaschinen usw. Die zum Teil noch bis in die 50er Jahre gebrauchten alten Einrichtungen wie Backöfen und Räucherkammern brach man nach und nach ab. Seit Einführung der Wasserleitung 1957 lösten Wasserklosetts und Badezimmer die Plumpsklosetts und Zinkbadewannen ab. Bis zum Jahre 1950 gab es im Dorf keinen einzigen privaten Telefonanschluß. Nur in der Poststelle war ein solcher vorhanden. 1979 besaßen bereits rund 50 Haushaltungen Telefon.
Eine der folgenreichsten Anschaffungen im Haushalt war das Fernsehgerät. Als der NWDR im Jahre 1952 mit der Ausstrahlung von öffentlichen Fernsehsendungen begann, ahnte niemand, in welchem Maße dieses neue Medium in das tägliche Leben der Menschen eingreifen würde. Bereits im kommenden Jahr wurde in der Gastwirtschaft Münch das erste Fernsehgerät von Oeverich aufgestellt, und dann folgten nach und nach die übrigen Privathaushalte. Kaum jemand konnte der Faszination des Fernsehens widerstehen. In vielen Haushaltungen spielt sich heute ein großer Teil des Familienlebens vor dem Fernseher ab. Er gehört fast wie das tägliche Brot zum Leben. Bei allen Vorteilen, die das Fernsehen gebracht hat, muß doch gesagt werden, daß viele Aktivitäten dadurch gelähmt und unterdrückt werden.
Bei der Getreideernte um 1943
Foto: Archiv
Bis in die 50er Jahre hatten zwei oder drei Geschäftsleute im Dorf ein Auto. Mit steigendem Wohlstand konnten sich dann ab den 60er Jahren immer mehr Familien ein Auto leisten, und heute ist in fast jedem Haus ein solches vorhanden. Gerade das Auto trug wesentlich dazu bei, das dörfliche Leben zu verändern. Es löste die Bewohner aus ihrer Abgeschiedenheit. Alles, was früher nicht oder nur unter großem zeitlichen Aufwand möglich war, da ein Bus der Bonner Verkehrsgesellschaft nur wenige Male am Tage das Dorf durchfuhr, ist jetzt mit Hilfe des Autos leicht zu erreichen: die entfernt liegende Arbeitsstelle, auswärtige Bekannte oder Veranstaltungen, Geschäfte in den Städten und Ausflugsziele in nah und fern. Auch Fahrten zu fernen Urlaubsstätten werden häufig mit dem eigenen Auto unternommen. Die heute als selbstverständlich angesehenen weiten Urlaubsfahrten und das Verbringen in entfernten Ferienorten kennt man im übrigen erst seit den 60er Jahren, und nur wenige Jahre ist es her, daß auch der erste Inhaber eines Bauernhofes in Urlaub fuhr.
Nur kurz sei erwähnt, daß auch auf dem Gebiet der Kleidung und Nahrung sich Veränderungen vollzogen haben. Die Kleidung war früher einfacher, nicht so reichhaltig, und sie wurde weit länger getragen. Die neuesten Modeerscheinungen setzten sich auf dem Lande nicht so schnell durch, doch waren sie nicht aufzuhatten. Welch einen Sturm der Entrüstung gab es beispielsweise, als in den 50er Jahren die Mädchen des Dorfes begannen, Hosen zu tragen und sich zu schminken. Heute hat man sich längst daran gewöhnt, daß jede der rasch wechselnden Modeneuheiten genauso schnell im Dorf wie in der Stadt zu sehen ist, wenn auch noch nicht so ausgeprägt.
Auf dem Gebiet der Ernährung ist ein entscheidender Wechsel vom Selbstversorger zum abhängigen Verbraucher eingetreten. Heute werden sogar in einigen Bauernhöfen keine Hühner oder Schweine mehr gehalten und keine Kartoffeln mehr angebaut. Auf den flächenmäßig bisher nur wenig zurückgegangenen Pflanzgärten erzeugt man nach wie vor einen Teil des Gemüsebedarfs. Den überwiegenden Teil der Nahrung kauft man jedoch im dörflichen Lebensmittelgeschäft und in den großen Supermärkten der Städte.
Brauchtum
Im Verhältnis zu manchen anderen Dörfern bestanden in Oeverich nicht viele und ausgeprägte Bräuche. Doch das Wenige, was vorhanden war, begann nach dem Kriege mehr und mehr zu schwinden. Früher stellten diese um bestimmte Tage im Jahre, um kirchliche Feste und Familienereignisse sich rankenden Bräuche eine willkommene Belebung des eintönigen und arbeitsreichen Lebens dar. Mit den neuen Zeitverhältnissen, den sich ausbreitenden bzw. neu aufgekommenen Kommunikationsmitteln wie Zeitung, Radio und Fernsehen sowie den unzähligen Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, hat sich alles gewandelt. Die alten Bräuche verloren an Bedeutung und an Anziehungskraft. Zudem war ein großer Teil der Bräuche religiöser Natur, und da das religiöse und kirchliche Leben stark zurückging, wirkte sich das auch auf das Brauchtum aus. So gehen z. B. seit 1971 die Mädchen des Ortes beim Tode eines Dorfbewohners nicht mehr an sieben Kreuzen vorbei, um den „Fußfall“ zu beten. An Karfreitag ziehen die „Klapperjungen“ nicht mehr durchs Dorf, um unter Klappern und Gesang getrocknetes Obst und Geld zu erbetteln. Gut erhalten hat sich indessen durch das Bestehen eines Junggesellenvereins das Kirmes- und Maibrauchtum.
Vereinsleben
Weltliche und kirchliche Vereine spielen im gesellschaftlichen Leben eines Dorfes und für die Freizeitgestaltung der Bewohner eine wichtige Rolle. Gegenüber der Vorkriegszeit entwickelte sich diese Seite des dörflichen Lebens nach dem Kriege rückläufig. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in dem veränderten Freizeitverhalten und in der Unlust, feste Bindungen einzugehen und Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Negativ auf das Vereinsleben wirkte sich auch aus, daß 1959 der einzige Saal des Dorfes geschlossen wurde und seitdem kein größerer Versamm-lungs- und Veranstaltungsraum vorhanden ist. Folgende Vereine bestehen heute: ein Junggesellenverein, eine Feuerwehr (die zwar bekanntlich kein Verein ist, wegen ihres sehr ähnlichen Charakters aber hier genannt sein soll) und seit kurzem ein Verschönerungsverein. Auch einige Kegelclubs sind vorhanden, die sich in regelmäßigen Abständen in auswärtigen Gastwirtschaften zum Kegeln treffen. Eine Reihe Dorfbewohner sind Mitglieder in überörtlichen Vereinen wie dem Sportverein Bengen-Leimersdorf oder dem Roten Kreuz. Wie weit die Grenzen des Dorfes gegenüber früheren Zeiten geöffnet sind, zeigt die Tatsache, daß einige sogar Mitglieder in Vereinen entfernt liegender Ortschaften sind.
Nachbarschaft
Aufschlußreich für das dörfliche Gemeinschaftsleben sind neben Brauchtum und Vereinswesen die nachbarschaftlichen Beziehungen. Diese standen früher ganz im Zeichen gegenseitiger Hilfe, Information und gegenseitiger Kontrolle. Bei der dörflichen Abgeschiedenheit, bei dem noch nicht so ausgebauten System des Versicherungswesens und bei dem Aufeinanderangewiesensein in vielen landwirtschaftlichen Belangen war Nachbarschaftshilfe unbedingt erforderlich. Das enge Zusammenleben der regelmäßige Umgang miteinander und das gemeinsame Feiern führten dazu, daß man sich gegenseitig ganz genau kannte. Kaum etwas blieb der Allgemeinheit verborgen.
Die „Klapperjungen“ in Oeverich. 1973
Foto: Prothmann
Mit der oben geschilderten Änderung der Lebensverhältnisse, mit der Öffnung des Dorfes nach Außen locKerten sich diese engen Bindungen. Man war zum Teil nicht mehr aufeinander angewiesen, und man fand neue Bekannte und Freunde außerhalb des Dorfes. War der Pflege solcher auswärtigen Beziehungen früher durch die zu Fuß zu bewältigenden Strecken enge Grenzen gesetzt, so lassen sich heute mit dem Auto selbst größere Entfernungen in kürzester Zeit zurücklegen.
Das Leben im Dorf begann anonymer zu werden. Dauerte es früher nur wenige Wochen, bis man einen Neubürger genau kannte, so leben heute schon Familien im Dorf, von denen man kaum den Namen weiß. Auch unter den Alteingesessenen hat der nachbarschaftliche Verkehr — man nennt das „untereinandergehen“ oder „nopere“ — nachgelassen. Sinnreiches Zeichen sind die verschlossenen Haustüren und die Hausklingeln, die heute fast an jedem Haus zu bemerken sind. Beides gab es früher so gut wie gar nicht. Sie stellen ein Schwelle dar im ungezwungenen gegenseitigen Besuchen. Es ist nicht mehr so einfach, ohne besonderen Grund ein Nachbarhaus zu betreten.
Mundart
Zum Bereich der Dorfkultur gehört auch die Mundart, die früher so stark ausgeprägt war, daß man an der Sprache die Herkunft eines jeden Landbewohners feststellen konnte. Schon seit Jahrhunderten schreitet der Ver-hochdeutschungsprozeß unaufhaltsam fort, doch seit dem letzten Weltkrieg hat sich diese Entwicklung außerordentlich beschleunigt. Die Ursachen hierfür liegen darin begründet, daß durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und Auto die Weltabgeschiedenheit des Dorfes durchbrochen ist, daß die bäuerliche Welt sich stark verändert hat, daß viele Dorfbewohner auf ihren Arbeitsplätzen tagsüber nur Hochdeutsch sprechen, daß die Mundart von der Schule unterdrückt wird und daß schließlich die Mundart gegenüber der Hochsprache als minderwertig angesehen, ja sogar für ein verderbtes Hochdeutsch gehalten wird. Man glaubt, sich der Mundart schämen zu müssen und sieht z. B. bei Anwesenheit von hochdeutsch Sprechenden im Gebrauch der Mundart einen tatsächlichen oder vermeintlichen Prestigeverlust. Die Folge ist, daß heute in Oeverich keine einheitliche Sprache mehr gesprochen wird. Man trifft vielmehr von dem reinen, tiefen Platt, das die älteren Menschen noch sprechen, bis zu einem Hochdeutsch mit „Streifen“ alle Abstufungen an. In allen Familien mit kleinen Kindern sprechen die Eltern heute mit ihren Kindern fast nur noch Hochdeutsch, um ihnen die durch Zweisprachigkeit am eigenen Leibe erfahrenen Schwierigkeiten in Schule und Beruf zu ersparen. Da die Kinder unter zehn Jahren auf der Straße untereinander auch fast nur Hochdeutsch sprechen, wächst hier schon eine Generation heran, die zwar die Mundart noch versteht, sie aber selbst nicht mehr vollständig beherrscht.
Die Kinderwelt
Auch in der Kinderwelt haben sich während der Jahrzehnte nach dem Kriege große Veränderungen vollzogen. Den allgemeinen Entwicklungen konnten die Kinder sich noch weniger als die Erwachsenen entziehen. Auch sie gerieten in den Konsum- und Genußtrubel (Spielsachen, Süßigkeiten), und auch sie stehen heute in den Schulen mehr denn je unter einem Leistungsdruck.
Viele der alten, noch bis in die 60er Jahre gespielten Kinderspiele sind vergessen. Die dörfliche Kindergemeinschaft ist auseinandergebrochen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einmal liegt es daran, daß früher die Kinder gezwungenermaßen viel mehr Gelegenheit hatten, zusammen zu sein, denn sie besuchten vom ersten bis achten Schuljahr gemeinsam die Volksschule in Leimersdorf. Auf dem zu Fuß zurückgelegten Weg dorthin und in den Unterrichtspausen hatte man genug Gelegenheit zu gemeinsamen Gesprächen und Spielen. Seit 1974 sind die Kinder der Grund- und Hauptschule in drei verschiedenen Schulen untergebracht, zu denen sie alle mit Bussen gefahren werden. Weit mehr Kinder als früher besuchen zudem weiterführende Schulen. Auch die Kinder des Vorschulalters werden mit einem Bus in den Kindergarten nach Lantershofen gefahren. Am Nachmittag schließlich gehört das Fernsehen zu einer fast täglichen Feizeitbeschäftigung und läßt, wenn auch noch die Hausaufgaben zu erledigen sind, kaum noch Zeit für ausgedehnte Spiele mit gleichaltrigen Kindern des Dorfes.
Während man früher die Gemeinschaft förmlich suchte und sich ausgestoßen fühlte, wenn man nicht mit den anderen zusammen spielen konnte, so scheint heute gar kein Bedürfnis mehr danach zu bestehen. Die Kinder spielen in kleinen und kleinsten Gruppen an verschiedenen Stellen des Dorfes. Die Zeiten, in denen die Kinderschar des ganzen Dorfes sich zu gemeinsamen Spielen, etwa dem „Räuber und Schanditz-Spiel“ zusammenfand, sind längst vorbei. Früher gab es an vielen Stellen im Dorf, in den verwinkelten Gehöften, in Busch- und Baumgruppen, auf dem Holzlagerplatz der Stellmacherei, am Bach oder am Froschteich erlebnisreiche Spielplätze, die man heute als Abenteuerspielplätze bezeichnen würde. Auch die Straßen standen für die verschiedensten Spiele, Hüpfspiele, Ballspiele, Dillendopp-oder Reifenschlagen, zur Verfügung. Im Winter stellten sie geeignete „Panisbahnen“ (Eisbahn) oder Rodelpisten dar. Abends beteiligten sich auch die Erwachsenen mit Begeisterung an diesem Wintervergnügen. Als Ende der 50er Jahre der Verkehr immer mehr zunahm, wurde das dörfliche Leben von den Straßen verdrängt. Im Jahre 1968 zählte man auf der Durchgangsstraße bereits täglich 886 und auf der in Richtung Fritzdorf führenden Straße 1326 Kraftfahrzeuge. Außer den Straßen fielen auch die anderen Spielstellen nach und nach durch die gesamten Bereinigungen im privaten und öffentlichen Bereich weg. So errichtete man dann im Jahre 1971 an der Stelle, wo einst der Teich gelegen hatte, einen jener Spielplätze, wie sie überall frrden Dörfern entstanden.
Schlußbetrachtung
Wir haben gesehen, daß sich sowohl in der äußeren Gestalt als auch im inneren Gefüge des Dorfes während der vergangenen 30 Jahre erhebliche Wandlungen vollzogen haben. Unaufhaltsam schreitet eine Entwicklung fort, die dazu führen wird, daß aus dem typischen Bauerndorf der Voreifel eine jener Siedlungen entstehen wird, wie sie überall in Deutschland anzutreffen sind: wohl geordnet und sauber, aber gleichförmig und ohne Eigenart und charakteristisches Aussehen.
Vorbei sind die Tage der Idylle, der Ruhe und Beschaulichkeit. Motorenlärm der Traktoren, Autos und Rasenmäher, unablässig ins Dorf strömender Verkehrslärm der nahen Autobahn, das Dröhnen der Tiefflieger an den Werktagen und an Sonntagen das Geräusch der Sportflieger von einem nahen Flugplatz künden davon, daß eine neue Zeit angebrochen ist.
Das Dorf wird in Zukunft noch mehr seine Eigenständigkeit verlieren. Abzusehen ist die Zeit, wann die Pfarrei Leimersdorf keinen eigenen Pfarrer mehr erhalten wird. Irgendwann wird auch die Schule in Leimersdorf zugunsten einer großen Grundschule auf der Grafschaft aufgelöst werden. Irgendwann wird möglicherweise auch das letzte noch bestehende Geschäft im Dorfe aufgegeben werden, so daß man dann sogar zum Kauf eines Päckchens Streichhölzer in die Stadt fahren muß.
Ganz sicher geht es heute allen Dorfbewohnern besser als in früheren Zeiten. Die Lebensverhältnisse haben sich entscheidend verbessert. Aber was wurde alles dafür geopfert? Derjenige, für den die Hebung des Lebensstandards alleiniger Wertmesser für menschlichen Fortschritt ist, wird den vergangenen Verhältnissen keine Träne nachweinen. Wer jedoch weiß, daß Wohlstand nicht mit Lebensqualität gleichzusetzen ist, wird die geschilderte Entwicklung zum Teil mit Wehmut betrachten.