Unter Kleister und Krusten ein Kleinod sakraler Kunst – Kreuztragungs-Relief aus dem Ahrweiler Ahrtor wurde restauriert
Unter Kleister und Krusten ein Kleinod sakraler Kunst
Kreuztragungs-Relief aus dem Ahrweiler Ahrtor wurde restauriert
Wolfgang Pechtold
Andächtig und ehrfürchtig stehen Tag für Tag Besucher des Weißen Turms von Ahrweiler vor einem Meisterwerk mittelalterlicher Bildhauerkunst. Das Kreuztragungsrelief gehört zu den Glanzstücken unter den Exponaten, die das Museum der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler präsentiert. „Und das soll im Ahrtor gehangen haben?“ fragen zuweilen selbst alteingesessene Bürger verblüfft. Sie sind entschuldigt; denn das Kleinod war viele Generationen lang grau zugekleistert und vom Schmutz der Jahrzehnte überkrustet. Erst jetzt hat Restauratorenkunst seine ganze Schönheit wieder zutage gefördert.
Christus ist unter dem Kreuz zusammengebrochen; Veronika reicht ihm das Schweißtuch.
Ungemein plastisch und lebendig wirkt die Szene auf den Betrachter-soweit Restaurator Ferdinand Lawen sie freigelegt hat.
Bewiesen ist es nicht, aber wahrscheinlich: Das Relief war Teil eines Kreuzweges mit sieben Stationen, der um 1500 errichtet wurde und von der Stadt Ahrweiler zum Calvarienberg führte. Heike Wernz-Kaiser, Kunsthistorikerin in kreisstädtischen Diensten, istjedenfallsals Ergebnis ihrer Nachforschungen fest überzeugt davon. Das Jahr 1622 bringt den ersten Hinweis auf „die alten Martyrsäulen und Passionstafeln, die dort seit altersher errichtet sind“. Belegt ist ein Kreuzweg auch für 1630: „Sieben in Stein gehauene Stationen des bitteren Leidens des Herren beginnen am Stadttor und endigen auf dem Berg“. Der heute noch vorhandene Kreuzweg mit seinen 14 Stationen wurde um 1732 errichtet; vom Vorgänger ist nur die 5. Station erhalten geblieben: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch. Wann dieses Hochrelief ins Ahrtor verbracht wurde, ist bis heute ungeklärt.
Mit Mikromat und Mikroskop bei der Arbeit:
Wolfgang Kaiser, ausgerüstet mit Atemschutz und Sehhilfe,
entfernt mit feinstdosiertem Sandstrahl die Schmutz- und Farbkleisterschichten.
Als Bomben gegen Kriegsende auch das Stadttor trafen, wurde das 1,35 mal 1,06 Meter große Bildwerk unter den Trümmern begraben. Das Tor wurde wiederaufgebaut, das Relief geborgen und in den Torbogen neu eingemauert. Freilich hatten manche der Figuren Kopf oder Gliedmaßen verloren, wies der Tuffstein des zentralen Bildwerks und des darüber angeordneten Flachreliefs mit dem orientalischen Reiterzug Risse und Sprünge auf. Aber für das trostlose Bild, das die steingewordene biblische Szene zuletzt bot, waren weit mehr noch die einfarbigen Anstriche verantwortlich.
Sie lassen sich kaum datieren. Die ersten stammen wohl aus dem vorigen Jahrhundert. Farbe auf Stein, was für den Künstler des spätgotischen Barock selbstverständlich war, galt nun als verpönt und wurde mit Steinfarbe überpinselt. Der ersten Schicht folgten immer neue, am Ende so plump und so dick, daß die Konturen unter dem Ölkleister verschwanden.
Daß unter Farbe und Schmutz ein seltenes bildhauerisches Zeugnis des frühen 16. Jahrhunderts stecken könne, war zunächst nur These.
Bestätigt wurde sie erst, als die Restaurierungswerkstatt Ferdinand Lawen im Moselweindorf Briedel im Herbst 1991 die ersten Partien freilegte. Sie förderten Erhofftes zutage: eine Bildhauerarbeit, die bis in feinste Einzelheiten ausgearbeitet ist, spannungsreich in der Komposition, lebendig im Ausdruck, mit charaktervollen Figuren von höchst unterschiedlicher Gestik und Mimik und nicht zuletzt mit untrüglichen Hinweisen auf die Entstehungszeit des Reliefs.
Mittelalterliche Künstler stellten biblische Szenen durchweg in den Gewändern ihrer Zeit dar, und der Kuhmaulschuh der Veronika war sogar nur sehr kurze Zeit in Mode.
Daß die Bildhauerarbeit farbig angelegt sein würde, entsprach den Erwartungen. Daß sich dann jedoch gleich zwei polychrome Schichten fanden, überraschte auch die Restauratoren.
Im Briedeler Atelier beim großen Consilium (v. l.): der Erste Beigeordnete Schneider,
Kunsthistorikerin Heike Wernz-Kaiser, Landeskondervator Dr. Custodis, Amtsrestaurator Elenz, Lawen-Mitarbeiter Wolfgang Kaiser.
Danach wurde das Briedeler Atelier mehrfach zum Schauplatz für Fachleute-Kolloquien. Soll man die erste und ursprüngliche Fassung freilegen? Oder soll man es bei der weitgehend farbgleichen, aber farbkräftigeren und wohl viel geschlossener erhaltenen zweiten Schicht belassen?
Dr. Paul-Georg Custodis, Gebietsreferent vom Mainzer Landesamt für Denkmalpflege, brachte Amtsrestaurator Reinhold Elenz mit, Winfried Schneider, der Erste Beigeordnete der Kreisstadt, vertraute dem Rat von Heike Wernz-Kaiser, „seiner“ Kunsthistorikerin, und Restaurator Ferdinand Lawen setzte auch aufs Urteil seines Kollegen Wolfgang Kaiser. Am Ende war man sich einig: Die zweite Schicht sollte es sein.
Hatte die Schmutz- und Kleisterkruste bis jetzt sogar konservierend gewirkt, so mußte sie nun abgetragen werden, und zwar mit äußerster Vorsicht.
Dabei bediente sich das Briedeler Team unterschiedlicher Techniken. Mal ließen sich die deckenden Schichten abbeizen, mal mit Lösemitteln aufweichen und mit dem Skalpell abheben. Meistens half nur die Arbeit mit dem Mikro-mat, eine Art Sandstrahlverfahren mit Material von winziger Körnung undfeinstdosiertem Druck, kontrolliert durch das Mikroskop. Millimeterweise schritt das Reinigungs- und Befreiungswerk voran, Am Ende kostete es rund 700 Arbeitsstunden.
Dem Färb- folgte der Steinrestaurator. Wolfgang Grabowski aus Euskirchen hatte zusammen mit Ferdinand Lawen schon die Bestandsaufnahme am alten Platz im Ahrtor vorgenommen und das Relief fürden Transport ins Atelier ausgebaut, „mit viel Herzklopfen“, wie er später gestand.
Auch er wartete mit einer Überraschung auf:
Beim Zusammenpuzzeln des am ärgsten beschädigten Flachreliefs stellte er fest, daß Teile des Rahmens beim Wiedereinbau nach dem Krieg falsch zusammengesetzt worden waren. Spuren des mittelalterlichen Klebers wurden analysiert und lieferten ihm das Rezept für eine Reparatur des Bildwerks mit authentischen Mitteln.
„Ich bin überrascht. Ich bin begeistert. Ich hätte nie gedacht, daß dies so toll wird. So eindrucksvoll.“ Landeskonservator Dr. Custodis war am Ende voll des Lobs für den mittelalterlichen Künstler, für die Restauratoren und nicht zuletzt für die Bereitschaft der Stadt, trotz Beteiligung des Landesamts den Löwenanteil der Kosten zu tragen. Und die waren immerhin sechsstellig.