Synagogenbau in Niederbreisig blieb ein Wunschtraum – Geplante Hauskollekte 1854 von der Regierung abgelehnt

Synagogenbau in Niederbreisig blieb ein Wunschtraum

Geplante Hauskollekte 1854 von der Regierung abgelehnt

Hans Kleinpass

Im Herbst des Jahres 1854 geriet die israelitische Gemeinde zu Niederbreisig in arge Bedrängnis, weil Abraham Wolff sein Haus, in dem seit einigen Jahrzehnten auch die „Betstube“ der Israeliten gewesen war, durch „Subhastation“ (öffentliche Versteigerung) verloren hatte. Da sie zunächst offenbar keinen anderen Ausweg sahen, erwogen die Mitglieder der israelitischen Gemeinde von Niederbreisig zeitweilig sogar den Neubau einer eigenen Synagoge. Wie ernst es ihnen mit diesem Vorhaben war, beweist die Tatsache, daß sie schon bald versuchten, das hierzu notwendige Kapital aufzutreiben. Eine bei allen Konfessionen damals sehr beliebte Methode der Geldbeschaffung bestand z.B. darin, bei den Glaubensangehörigen des betreffenden Regierungsbezirks staatlich genehmigte Hauskollekten abzuhalten.

Simon ISAAC, seinerzeit „Vorsteher der israelitischen Gemeinde“ zu Niederbreisig, richtete deshalb am 1. November 1854 folgenden Antrag1) „An den Königlichen Bürgermeister Herrn Ehser, hochwohlgeboren, dahier. – Die hiesige Israelitische Gemeinde besteht in zehn2) Haushaltungen, wovon 6 hier, 4 in Brohl, 1 in Oberbreisig wonhaft, meistens unbemittelte! Wie Ihnen bekannt, ist die bis heran von uns benutzte Beetstube durch Subhastationsferfahren uns entzogen, finde mich als Vorsteher der besagten Gemeinde veranlaßt und sogar genöthigt, unseren Herrn Bürgermeister hierdurch alleruntertänigst zu bitten, uns die Erlaubniß zu Milde-Gaben in unserem Regierungsbezirk Coblenz zu sammlen. Wir bedürfen dazu 4 bis 500 Thaler, um ein neues Gotteshaus zu bauen, wir besitzen wirklich zu dem Zweck circa 80 bis 90 Thaler, welche von unseren Gemeinde-Mitglieder bereits gegeben worden. In der Hoffnung, daß wir die hohe Genehmigung baldigst erhalten, zeichnet mit aller Hochachtung und Ergebenheit, Simon Isaac, Vorsteher der israelitischen Gemeinde hier.“

Bürgermeister Ehser leitete diesen Antrag auf dem Dienstwege an die nächsthöhere Instanz weiter und schrieb am 4. November 1854 in seinem diesbezüglichen Randvermerk: „Brm. dem Königlichen Landrath Herrn Freiherrn von Hövel, Hochwohlgeboren zu Ahrweiler, befürwortend gehorsamst vorzulegen. Das Haus, worin seit ca. 40 Jahren die Betstube gewesen, ist subhastirt worden, wodurch die Judengenossenschaft dermalen ohne Betsaal ist. Bittsteller wünscht nun die Erlaubniß, um bei den Glaubensgenossen hiesigen Regierungs-Bezirks milde Gaben zur Erbauung eines eigenen Betsaales sammlen zu dürfen. – Die Verhältnisse der Juden sind in umstehendem Verzeichnisse nachgewiesen…“.

Dieses Verzeichnis von 1854 enthält unter der Überschrift „Nachweise der jüdischen Einwohner der Bürgermeisterei Niederbreisig im Kreise Ahrweiler“ interessante Einzelangaben.

Die einzelnen Haushaltungen sind tabellarisch aufgeführt mit: Seelenzahl, Name, Gewerbe, Wohnort, Summe der Steuern und Bemerkungen. Bei der folgenden Wiedergabe des Inhalts dieser Liste wurde zur besseren Übersicht eine laufende Nummernfolge vorangesetzt und die Gesamt-Personenzahl der Haushaltungen jeweils am Schluß angegeben:

  1. 1) BERGER, Theodor. Metzger und Handelsmann. Niederbreisig, zahlt Grundsteuer: 3 Silbergroschen 4 Pfennig. Klassensteuer: 3 Reichstaler 6 Silbergroschen, Gewerb-steuer: 6 Reichstaler 15 Silbergroschen, zusammen: 9 Reichstaler 24 Silbergroschen 4 Pfennig, ..verheirathet, hat 1 Kind u. ernährt sich von der geringen Schlachterei u. Fruchthandel u. unterstützt seine bei ihm wohnende Mutter u. Geschwister“, 6 Personen:
  2. 2) ISAAC, Simon, Handelsmann, Niederbreisig, zahlt Grund-steuer; 16 Sgr. 1 Pf,, Klassensteuer: 6 Rtlr. 12 Sgr.. Gewerbsteuer: 2 Rtlr. 5 Sgr.. zusammen; 9 Rtlr. 3 Sgr. 1 Pf.. „verheirathet, hat 1 Kind und einiges Vermögen, betreibt den Fruchthandel in geringem Umfange“. 3 Personen:
  3. MEYER. Hendel, ohne Gewerbe, Niederbreisig. zahlt Grundsteuer: 1 Rtlr. 7 Sgr., Klassensteuer: 16 Sgr. zusammen: 1 Rtlr. 23 Sgr.. ..unverheirathet u. verkrüppelt“. 1 Person:
  4. BERGER. Levi, Handelsmann u. Krämer. Niederbreisig, zahlt Klassensteuer: 3 Rtlr. 6 Sgr.. Gewerfasteuer: 4 Rtlr. 10 Sgr. zusammen: 7 Rtlr. 16 Sgr., „verheirathet. hat 1 Kind u. Magd, und ist Krämer, ohne besonderes Vermögen“. 4 Personen:
  5. WOLFF. Abraham. Handelsmann. Niederbreisig. zahlt Grundsteuer: 20 Sgr. 8 Pfg.. Klassensteuer: 1 Rtlr, 2 Sgr.. zusammen: 1 Rtlr, 22 Sgr. 8 Pfg., „verheirathet, hat 2 Kinder, und ist demselben vor kurzem seine Immobilars-habesubhastirt worden, worin bisher die Betstube gewesen“, 4 Personen:
  6. WOLFF. Simon. Wwe.. ohne Gewerbe. Niederbreisig zahlt nur Grundsteuer: 17 Sgr. 9 Pfg., „Wwe. u. 3 Kinder. wovon 2 anscheinend etwas geistesschwach sind: werden meistens aus Armenfonds unterstützt“, 4 Personen;
  7. BERG, Mathias, ohne Gewerbe, Brohl. zahlt nur Grundsteuer: 14 Sgr 5 Pfg „Witwer u lebt von milden Gaben“. 1 Person:
  8. BERG. David ‚. Musikant, Brohl. zahlt Grundsteuer: 4 Sgr. B Pfg.. Klassensteuer: 2 Rtlr. 4 Sgr.. zusammen: 2 Rtlr. 8 Sgr. 8 Pfg.. „verheirathet. wohnt zur Miete u. hat 4 kleine Kinderchen“. 6 Personen;
  9. BERG. Michael, Krämer. Brohl. zahlt Grundsteuer: 29 Sgr. 5 Pfg.. Klassensteuer 3 Rtlr. 6 Sgr.. Gewerbsteuer: 4 Rtlr. 10 Sgr.. zusammen: 8 Rtlr. 15 Sgr. 5 Pfg.. „verheirathet. kinderlos, besitzen ein Wohnhauschen u. etliche Ackerfelder u. betreiben die Kramerei u. Pottaschsiederei in unbedeutendem Umfange“. 2 Personen:
  10. JACOBI. Michael. Metzger. Brohl. zahlt Grundsteuer; 1 Rtlr. 13 Sgr. 3 Pfg., Klassensteuer; 2 Rtlr. 4 Sgr.. Gewerbesteuer: 4 Rtlr. 10 Sgr., zusammen: 7 Rtlr. 27 Sgr. 3 Pfg.. „verheirathet. hat 6 Kinder, wovon 1 blödsinnig. 1 stumm u. 1 verkrüppelt ist. Derselbe ist verschuldet u. betreibt die Metzgerei“. 8 Personen;
  11. JACOBI. Joseph. Wwe., Brohl, zahlt Grundsteuer: 1 Rtlr. 27 Sgr. 5 Pfg.. Klassensteuer: 4 Rtlr. 20 Sgr., Gewerbsteuer: 6 Rtlr. 15 Sgr .zusammen: 12 Rtlr. 20 Sgr. 5 Pfg., „Wwe.. u. betreibt durch ihren bei ihr wohnenden verhei-ratheten Sohn das Metzgergeschäft in mittelmäßigem Umfange: besitzt auch einiges Vermögen, 4 Personen:
  12. STEINBERG, Joseph. Pottaschsieder. Oberbreisig. zahlt Grundsteuer: 8 Sgr. 7 Pfg.. Klassehsteuer: 1 Rtlr. 2 Sgr.. Gewerbsteuer: 1 Rtlr. 2 Sgr. 6 Pfg.. zusammen: 2 Rtlr. 13 Sgr. 1 Pfg.. „verheirathet. hat 6 Kinder, u. besitzt nur ein kleines Häuschen; betreibt die Pottaschsiederei in ganz unbedeutendem Umfange“. 8 Personen

Nach dieser tabellarischen Übersicht von 1854 zahlten die 51 jüdischen Einwohner der Bürgermeisterei Niederbreisig damals also insgesamt jährlich an Grundsteuer: 8 Rtlr. 12 Sgr. 7 Pfg.. Klassensteuer: 27 Rtlr. 6 Sgr., Gewerbsteuer: 29 Rtlr. 7 Sgr. 6 Pfg., zusammen: 64 Rtlr. 26 Sgr. 1 Pfg., wobei seinerzeit 1 Reichstaler = 30 Silbergroschen und 1 Silbergroschen = 12 Pfennige zu rechnen war.

Gemäß Randvermerk des Landrates von Hövel vom 21. November 1854 wurde der Vorgang schließlich nach über zwei Wochen „Br.m. der Königlichen Regierung (in Koblenz) mit der gehorsamsten Bitte vorgelegt, der armen israelitischen Gemeinde zu Niederbreisig geneigtest die Erlaubniß zur Abhaltung einer Hauskollekte bei ihren Glaubensgenossen erwirken zu wollen.“

Bis zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz in Koblenz, der letztlich für die Genehmigung solcher Hauskollekten zuständig war. kam der Vorgang überhaupt nicht. Schon beim Koblenzer Regierungspräsidenten wurde der Antrag trotz aller Befürwortungen abgeschmettert, und am 11. Dezember 1854 erging folgender Bescheid „An den K. Landrath Herrn von Hövel. Ahrweiler. – Auf den Randbericht vom 21. v.M. (Nr. 3971) eröffnen wir Ihnen, daß der Bau einer besonderen Synagoge für die nur 51 Seelen betragende jüdische Bevölkerung von Niederbreisig. Brohl und Oberbreisig nicht erforderlich und demnach auch ein Antrag auf Bewilligung einer jüdischen Hauskollekte in unserem Bezirke bedenklich erscheint. Wir haben wenigstens in einem ganz ähnlichen Falle vor Kurzem uns nicht für Bewilligung einer solchen Collekte ausgesprochen. und es dürfte demnach der dortigen jüdischen Bevölkerung die miethweise Beschaffung eines Betlokales anzurathen sein.“ Innerhalb weniger Wochen war damit der kühne Plan zum Bau einer eigenen Synagoge in Niederbreisig wegen der zu geringen Seelenzahl der jüdischen Einwohner endgültig gescheitert. Der zuvor genannte Metzger und Handelsmann Theodor Berger, später Vorsteher der israelitischen Spezial-Gemeinde Niederbreisig. hat schließlich den jüdischen Einwohnern der Bürgermeisterei Niederbreisig wieder zu einem neuen Betsaal verhelfen, als er beim Bau eines neuen Hauses in der Biergasse zu Niederbreisig auch einen großen Betsaal mit einer nach jüdischem Ritus für die Frauen vorgesehenen Empore bauen ließ4).

Anmerkungen:

  1. Vgl Landeshauptarchiv Koolenz Abt 441. Nr. 25285 S 323-327
  2. Gemäß anschließender Aufzahlung – 1i. laut spaterer tabellarischer Übersicht insgesamt = 12 Haushaltungen
  3. Laut Carl Bertram Hommen ivgl.Heimal-Jahrbuch Kreis Ahrweiler 1986. S. 551 steht der Grabstein des 1873 beigesetzten David Berg aus Brohl noch im Rheinecker Burgbereich
  4. Vgl Heimat-Jahrbuch Kreis Ahrweiler 1989 S 51 Dort auch Angaben über nternational bedeutsame sQMe noch ‚ebende Nachfahren des Theodor Berger aus Niederbreisig

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