Schirmerhof —wo ist dein Glanz geblieben?
Georg Dreher
Wer als Wanderer am Schirmerhof vorbeikommt, fragt nicht nur nach dem Schicksal des vom Zahn der Zeit arg gezeichneten früheren Gutshofes, sondern auch nach der Geschichte. Wie ein verwunschenes Schlößchen mitten im Wald, so präsentierte er sich einige Jahrzehnte. Noch heute weiß man, daß der Schirmerhof glanzvolle Zeiten erlebt hat. Um so mehr bedauert man den plötzlichen Verfall, die unübersehbaren Zerstörungen und die Ungewisse Zukunft eines schützenswerten Landschaftsparadieses.
Bleiben wir bei der Geschichte dieses herrlichen Fleckchens im Dreieck zwischen der Abtei Maria Laach, Bad Neuenahr-Ahrweiler und dem Nürburgring. Um die Jahrhundertwende führte ein Kaisermanöver den Leutnant im 1. Garde-Ulanen-Regiment, Max von der Leyen, in das Heidegebiet von Oberdürenbach. Die romantische Idylle der Schirmau mit den drei winzigen Fachwerkhäuschen hielt er in guter Erinnerung. Schon wenige Jahre später erwarb der Krefel-der Baron den Sprengel der Schirmau und verwirklichte seine Pläne von einem Waldgut. Mit dem Bau des repräsentativen Gutshauses wurde 1906 begonnen. Die kleinen Fachwerkhäuschen mußten bis auf eins dem stolzen Neubau weichen. Die Steinbrüche der Eifel lieferten Basalt und Bruchstein und die Wälder das notwendige Bauholz. Es blieb aber nicht nur beim Bau des prächtigen Herrschaftshauses. Ihm folgten Stallungen, Gesindeflügel und Försterwohnung.
Baron von Leyen entwickelte schon damals ökonomischen, und vielleicht auch schon ökologischen Weitblick, indem er die erworbenen Flächen behutsam aufforstete. Das Ergebnis kann sich noch heute sehen lassen.
Recht eigenwillig zeigte sich Max von der Leyen auch bei der Wahl seiner Lebensgefährtin. Der letzte direkte Nachfahre der Krefelder Textilbarone verliebte sich in die Tochter eines Lagerverwalters. Und keine Macht der Welt konnte ihn davon abbringen, seine Emmy Harten aus: Berlin, mit ihren feuerroten Haaren, zum Traualtar zu führen. Als der Baron vor seiner Heirat im Range eines Generals als Militärberater in die Türkei ging, glaubte die Familie, daß die »Affäre Emmy« vergessen sei. Man hatte sich gewaltig geirrt. Als der Schirmerhof fertig war, siedelte Baron Max von der Leyen mit seiner Ehefrau Emmy Anna dorthin über. Die Baronin führte auf Schirmau ein energisches Regiment. Noch heute wissen sich ältere Oberdürenbacher und Scholkenbacher daran zu erinnern, daß sie damals einen Verwalter, einen Förster, einen Forstgehilfen, drei Mädchen und anderes Personal hatte, das auch gelegentlich, was die Zahl angeht, den Gemütsschwankungen der Baronin unterworfen war. Sie hatte so ihre Eigenheiten, zu denen beispielsweise die Tatsache gehörte, daß sie ihr Tierfreundeherz an ein Dutzend Katzen verloren hatte. Von der florierenden Landwirtschaft auf dem Schirmerhof kündet heute noch das vorhandene Hauptbuch der Gutsverwaltung. In säuberlicher Handschrift findet man dort verzeichnet, was an Produkten verkauft wurde und welche Erlöse erzielt wurden. So wurden, am 30. Mai 1918, 108 Liter Milch abgegeben. Die Preise schwankten zwischen 10 und 16 Pfennig je Liter. Im Schnitt wurden damals fünf bis acht Pfund Butter täglich in den Handel gebracht. Der Pfundpreis schwankte zwischen 80 Pfennig und einer Mark. Der Verwalter mußte sich in dieser Zeit mit einem Gehalt von 91 Mark im Monat zufrieden geben.
Gut Schirmau
Foto: J. Dreher
Aufschlußreiche Spuren haben auch die Jahre der Inflation und Wirtschaftskrise im Hauptbuch des Schirmerhofes hinterlassen. Für drei Pfund Butter gab es im Oktober 1923 1 400 000 000 Mark, und der Verkauf einer Kuh schlug damals mit 260 000 000 000 zu Buche. Immer wieder notierte der Verwalter in dieser schweren Zeit, daß Einnahmen und Ausgaben nur durch Entnahmen aus der von Leyenschen Privatkasse zur Deckung kamen.
Baronin Emmy war in geschäftlicher Hinsicht kein einfacher Verhandlungspartner. In ihrer Heimatstadt Berlin ließ sie sich in den dreißiger Jahren einen extravaganten Pelzmantel anfertigen. Das gute Stück fand dennoch nicht ihren Beifall. Sie monierte in einem Schreiben Sitz, Preis und Qualität. Allerdings ohne Erfolg. Der Geschäftsführer schrieb in wohlgesetzten Worten zurück und verwahrte sich gegen den Vorwurf, mit Fellen gespart zu haben. Zum Schluß heißt es dann:
»Ich muß Ihnen offen sagen, ich hatte mich gefreut, wie schön und chick der Mantel ausgefallen ist und kann Ihren Brief gar nicht verstehen. Ich glaube aber bestimmt, daß Sie, Frau Baronin, sich an diese neue Form, welche doch wirklich besonders jung und kleidsam ist, noch gewöhnen und den Mantel gerne tragen werden.« Ob der Gutsherrin von Schirmau die letzte Passage nicht wie Öl heruntergegangen ist? Immerhin soll sie ja auch recht eitel gewesen sein. Friedrich der Große besuchte in Krefeld häufig die Familie von der Leyen. Das Bett, in dem er zu schlafen pflegte, hat erst vor wenigen Jahren Geschichte gemacht. Es gehörte nämlich zum Nachlaß der Baronin von der Leyen. Nachdem sie längst den Schirmerhof verlassen und in Bad Godesberg Wohnung genommen hatte, gelang es ihr, dieses wertvolle Stück in ihren Besitz zu bekommen. Damit es der Nachwelt erhalten bleibt, hat die Stadt Krefeld ihm nun einen Platz im Museum zugewiesen. Die Blütezeit von Gut Schirmau endete in den fünfziger Jahren. Aus Altersgründen entschieden sich Baron Max von der Leyen und seine Lebensgefährtin für Bad Godesberg als Ruhesitz. Seit dieser Zeit ging es mit dem Schirmerhof bergab. Die Besitzer kamen zwar noch gelegentlich zu ihrem Gut, um nach dem Rechten zu sehen, erkannten aber sehr schnell, daß sich der Niedergang nicht aufhalten ließ. Ein letzter Versuch wurde gewagt, als man den Mönchen von Maria Laach das Gut überließ. Aus Personalmangel, oder aus welchen Gründen auch immer, verließen nach einigen Jahren auch die Patres resignierend das Waldgut. Jetzt war der Verfall nicht mehr aufzuhalten. Ein Euskirche-ner Metzger schlug zwar in einem Seitenflügel sein Jagdquartier auf, konnte aber auch nicht verhindern, daß mittlerweile »Sammler« ausgezogen waren, mit dem Ziel, alles mitzunehmen oder aufzubrechen, was nicht niet- und nagelfest ist. Zerstörung und Demontage nahmen inzwischen ein Ausmaß an, das kaum zu beschreiben ist. Wind und Wetter besorgten ein übriges, um das stolze Gut in eine Ruine zu verwandeln.
Nun muß also die Frage nach der Zukunft beantwortet werden. Emmy Anna von der Leyen starb mit 94 Jahren 1977 in Bad Godesberg, nachdem ihr Mann schon zehn Jahre früher das Zeitliche gesegnet hatte. Die Ehe war kinderlos geblieben. Aus Liebe und Verbundenheit zu Krefeld vermachte sie ihren gesamten Besitz dieser Stadt. Dazu gehörte nicht nur der Schirmerhof, sondern auch ein Haus in Bad Godesberg, Kunstschätze und andere Vermögenswerte. Aus dem Testament ging hervor, daß die Stadt Krefeld, als neue Besitzerin, Gut Schirmau in ein Erholungsheim für bedürftige Rentner umwandeln solle.
Aus diesen Plänen und Absichten ist bis zum heutigen Tag nichts geworden. Angesichts der hohen Kosten, die durch Wiederinstandsetzung und Umbau entstehen würden, scheint man in Krefeld ratlos zu sein. Viel zu spät hatte man erkannt, daß zunächst einmal die Bausubstanz hätte gesichert werden müssen. Als man schließlich daran ging, Eingänge und Schlupflöcher zuzumauern, kam man schon einige Jahre zu spät.
Wie sagte doch ein Schalkenbacher Bauer? »Wenn die Baronin wüßte, was aus dem Schirmerhof geworden ist, sie würde sich im Grabe herumdrehen.«
Avantgarde-Künstler Joseph Beuys hat bekanntlich an der abgeschiedenen Waldidylle Interesse bekundet. Ihm schwebt die Errichtung einer Akademie für kreative Künste vor. Wäre man doch nur einige Jahre früher kreativ geworden — in Krefeld.