Scherben sparen Geld
Das Werk Rhein-Ahr der Veba-Glas AG beispielgebend in der Altglasverwertung
Rainer Kresse
»Scherben bringen Glück«, heißt es ja bekanntlich, und diesem alten Sprichwort hat die Glasindustrie eine neue Erkenntnis hinzugesellt: Scherben sparen Geld!
In einer Welt in der die Ressourcen schwinden und die Preise für Energieträger ins Unermeßliche steigen, gewinnt die Rückführung von Rohstoffen immer mehr Bedeutung. »Recycling« ist das Zauberwort und Altglas ist ein Rohstoff, der immer wieder verwertet werden kann. Ausgehend von dieser Voraussetzung werden gerade in einem der größten Industriebetriebe des Kreises Ahrweiler, im Werk Rhein-Ahr der Veba-Glas AG, schon seit langem Wege beschriften, die beispielhaft sind. Dieses Werk ist stolz darauf, eines der größten in der Altglasverarbeitung aller deutschen Glashütten zu sein. Kein Hohlglashersteller der Bundesrepublik verarbeitet einen höheren Altglasanteil als Rohstoff für neue Flaschen, nämlich rund 50 000 bis 60 000 Tonnen pro Jahr. Rund ein Drittel der Scherben stammt übrigens aus dem Kreis Ahrweiler und der näheren Umgebung, denn gerade hier wurden schon 1973 erste Impulse zur Wiederverwertung von Glas gegeben. Auf Initiative des Landkreises wurden überall Altglasbehälter aufgestellt und auch die Vereine und andere Organisationen beteiligen sich an der Rückführung. Sie schätzen es nämlich durchaus, mit den Sammelerlösen ihre Vereinskassen aufzubessern.
Zurück zum Glas und zum Werk Rhein-Ahr am Rhein zwischen Bad Breisig und Sinzig. Diese Industrieanlage, 1907 von einem Mr. Owens gegründet, entwickelte sich bald zu einem produktionsstarken Unternehmen, das insbesondere im hiesigen Raum Abnehmer für seine Ware fand. Das Werk wurde später von der Apollinaris-Gesellschaft übernommen, kam 1959 zur Ruhrglas-Stinnes-Aktiengesellschaft und gehört heute zur Veba-AQ. Die anfängliche, stetige Aufwärtsentwicklung im Bereich der Hohlglasherstellung schlug sich natürlich auch hier am Rhein nieder. Das Werk wurde ständig ausgebaut und erweitert. In den 60er Jahren wurde die Produktion auf drei Linien gefahren. In drei Schmelzwannen brodelt die glühende Masse aus Sand, Kalk und Soda, aus Scherben und einigen Zusätzen gemischt bei Temperaturen um die 1 500 Grad Celsius. Zu jeder Schmelzwanne gehören Kühlaggregat, Sortieranlage und Verpackungsanlage. Auf drei solcher Produktionslinien wurde damals hergestellt, was an Flaschen nur zu produzieren war, bei zu hohen Kosten, wie sich herausstellte.
Im gesamten Kreisgebiet stehen Spezialcontainer für die Aufnahme von Altglas bereit, soweit nicht Vereine und Institutionen Glassammlungen durchführen
Die Hohlglasbranche geriet in die Krise. Der Wettbewerbsdruck und der harte Kampf um Marktanteile, die Konkurrenz aus dem Ausland und nicht zuletzt ständig steigende Energiekosten, zwangen zu Rationalisierungen, zu Einschränkungen, zum Abbau. Auch das Werk Rhein-Ahr der Veba-Glas war betroffen. 1978 wurden zwei Produktionslinien stillgelegt, 1980 ging bei zwei der drei Schmelzwannen das Feuer aus. Die Belegschaft wurde von damals 420 Mann auf 180 Mitarbeiter reduziert. Harte Auseinandersetzungen zwischen Firmenleitung und Betriebsrat und Belegschaft waren unvermeidlich und es dauerte geraume Zeit, bis der Frieden wieder hergestellt war.
Die Kapazität des Werkes ging nicht in gleicher Relation wie der Abbau der Belegschaft zurück, denn gleichzeitig mit der Stillegung zweier Schmelzwannen wurde das Werk auf den neu-esten technischen Stand gebracht und liefert heute mit einer Schmelzwanne zwei Drittel der früheren Produktion.
Weitere Investitionen in Millionenhöhe gegen Ende des Jahres für neue Maschinen, Kühlöfen und Sortieranlagen wurden mit rund 12 Millionen Mark veranschlagt. Zusammen mit den Investitionen für weitere Automatisierung wird das Werk am Jahresende 1982 einen technischen Standard erreicht haben, wie er zur Zeit nicht moderner sein kann. Daneben laufen weitere Investitionen für Erneuerung und Bestandsschutz.
Eine besondere Eigenart des Veba-Werkes Rhein-Ahr—oder wie es hier heißt der »Glasfabrik« — ist, daß sie wie bereits erwähnt, im großen Umfang Altglas einsetzt. Schon zu Zeiten als noch mit drei Wannen gefahren wurde, war dies der erste Betrieb, in dem in einer Wanne ausschließlich Scherben geschmolzen wurden.
Werk »Rhein-Ahr« der Veba-GlasAG, Sinzig, Luftaufnahme, freigeg. d. Reg.-Präs. Düsseldorf unter Nr. 9/49189
Aus alt mach neu: Reihenweise neue Flaschen vor meterhohen Altglasbergen
Als glühendheißer Tropfen gelangt das Glas in die Form (L), die es zum neuen Glasbehälter ausgeblasen (r.) wieder verläßt
Fotos: Kreisbildstelle
Damit wurde schon damals der Beweis erbracht, daß Altglas ein wichtiger und noch dazu ein energiesparender Rohstoff ist: Pro Tag werden nämlich hier in der Glasfabrik rund 28 Tonnen Schweröl verbrannt und für 180000 DM Strom verbraucht. Benutzte man zur Schmelze nur die klassischen Bestandteile, Sand, Soda, Kalk und Zuschläge, so müßten beispielsweise mehr als 30 Tonnen Schweröl ins Feuer. Eine Differenz die sich durchaus bezahlt macht. Es könnte noch mehr sein, denn die Recycling-Anlage der Glasfabrik ist noch lange nicht vollständig ausgelastet auch wenn der Scherbenberg beachtlich aussieht. Eine Auslastung bis zu 90 Prozent wird angestrebt. Die Produktpalette der Glasfabrik am Rheim umfaßt vor allem Wasser- und Weinflaschen. Grünglas allemal, denn die Hohlglashersteller können wegen der chemischen Zusammensetzung von Glas aus vermischten Scherben nur grünes Mischglas herstellen, das aber in Mengen. Bei der Veba-Glas Rhein-Ahr sind das 75000 Tonnen, etwa 150 Millionen Flaschen.
Der Jahresumsatz liegt zwischen 35 und 40 Millionen Mark — und ist wetterabhängig, wie Werksdirektor Bernd Negwer zu erläutern weiß: »Wenn schönes Wetter ist und die Temperaturen steigen, dann rollen bei uns die Lastwagen pausenlos auf den Hof und laden Palette um Palette. Über 180 Lkw pro Tag alleine für Apollina-ris, unseren größten Kunden. Eine Produktionslinie ist dann ganz dafür ausgelastet.« Wie die Flaschen gemacht werden? Eigentlich ist das ganz einfach, und schon im Altertum wußten es die Leute. Damals, so wird berichtet, kam ihnen der Zufall zu Hilfe; Sidonische Handelsleute bauten sich an einem Fluß eine Feuerstelle aus Natronbrocken, die sich in der Hitze mit dem Sand des Flußufers zu einer lavaartigen Masse verbanden: Glas. Zufällig wurde so nicht nur der Stoff entdeckt, sondern auch der Weg, ihn herzustellen: Zusammenschmelzen der Grundbestandteile in einem Topf, Tiegel, oder heute in einer Schmelzwanne. Heute, das Prinzip ist das gleiche, werden solche Schmelzwannen — alle paar Jahre wieder aufs neue — denn durch die große Hitze und durch chemische Einflüsse verschleißen sie schnell — aus hochfeuerfesten Steinen aufgebaut. Aus Stahlträgern wird vorher eine Art Fachwerk errichtet, das diese Schmelzwanne beherbergt.
Die Steine, die für die Wanne verwendet werden, müssen absolut glatt, eben und rechtwinklig sein, damit die Wanne ohne Mörtel zusammengesetzt werden kann — der würde die hohen Temperaturen und den ständigen Druck der schmelzenden und immerwährend fließenden Glasmasse nicht aushalten. Die fertigausgebaute Wanne, über die noch ein Gewölbe kommt, ist etwa 15 Meter lang, 7 Meter breit und 5 Meter hoch. Sie wird über mehrere Tage vorgewärmt und schließlich mit der ersten Füllung aus Scherben und Rohstoffgemenge beschickt. Bei Temperaturen bis zu 1400 Grad Celsius verflüssigt sich die ursprünglich feste Masse zur »Rohschmelze«. In der anschließenden Feinschmelze wird das Gemisch weiter aufbereitet und bei etwa 1500 bis 1600 Grad recht dünnflüssig. Diese Glasschmelze gelangt nun in die Arbeitswanne, in der sie etwas abkühlt, um in den Formmaschinen weiter verarbeitet werden zu können. Dann wird das Glas weiter geleitet in den »Feeder« oder »Speiser«. Von da tritt die neue Flasche zum ersten Male aus der geschlossenen Wanne ans Tageslicht, als hellglühender Tropfen. Der fällt in die Form, wird ausgeblasen und ausgekühlt und stellt sich dann als neuer Glasbehälter vor. Während des Formgebungsprozesses hat das Glas noch immer eine Temperatur von rund 600 Grad. Vom Beginn der Schmelze bis zur fertigen Flasche sind dann etwa 24 Stunden vergangen. Die Arbeit mit Glas ist sehr heiß und sehr laut. Die Mitarbeiter in der Produktion — den speziellen Berufszweig des Maschinenglasmachers gibt es übrigens seit vier Jahren — müssen Gehörschutz tragen und werden zweimal im Jahr untersucht. An jeder Maschine gibt es eine hit-ze- und schallgeschützte Kabine mit Klimaanlage, die sich jeder individuell einstellen kann, um sich zu erholen und hier vielleicht etwas Erfrischendes zu trinken, aus einem Glasgefäß natürlich.