Rennsport-Museum am Nürburgring: Silberpfeile und heiße Öfen
Rennsport ganz nahe gesehen — die Fahrzeuge der Grand-Prix-Siege
Harry Lerch
Genau hundert Jahre alt ist das Automobil, unser Lieblings- und Sorgenkind. Die es konstruierten, hatten nichts anderes im Sinn, als schneller voranzukommen, ohne Pferde und lieber etwas bequemer als in der Postkutsche. Da saßen denn die Herren nun auf offener Steuerbank, Zylinder oder Schirmkappe auf der kühnen Stirn und die Fahrerbrille vor Augen. Die Damen hatten wehende Voileschleier, das machte sich gut — sie wurden besser gesehen als einst im Kutschencoupe. Man hielt sich einen Chauffeur, die Sportlichen, ihr Töff-Töff selbst Lenkenden, nannten sich »Herrenfahrer«.
Da wurden die exklusiven Clubs gegründet, Rallye gefahren — und Rennen. Das erhöhte ihren Schneid, und auch die Automobilfabriken waren interessiert, wissen zu lassen, daß ihre Automobile die schnellsten waren. Die Rennstrecken wurden gebaut, die Avus, und — was uns nicht nur geographisch näher liegt —, der Nürburgring. Ein halbes Jahrhundert dieses Automobiljahrhunderts ist hier brausendes Spectaculum der Motoren gewesen — und ist heute noch aktuell, wenn auch auf verkürzter und damit interessanterer Grand-Prix-Strecke. Bei noch höheren Geschwindigkeiten wurden die 28 km von einst auf 4,5 km gekürzt. Mit dem Vorteil auch für den Zuschauer, er sieht seinen Favoriten »schneller wieder«. Nostalgie, Nostalgie. .. Auch im sachlichen Motorsport lebt unterschwellig eine Sehnsucht nach dem Vergangenen. Es war das Ei des Columbus gefunden, mit dem neuen Nürburgring auch ein Rennsport-Museum zu bauen. Was hier glitzert, schimmert und gleißt, ist nicht der Automobilsalon von Frankfurt oder Zürich. Es ist auch nicht der Autokorso der Schnauferl,mit denen zum Automobilturnier oder beim Rosenfest angefahren wird. Von Liebhabern mit Autobrille und Borsalino gelenkt, zuckeln die alten Dixi oder hochpolierten Bugatticabriolets vorüber. Das ist Nostalgie für Müßige — beim Nürburgrennen ging es heißer her.
Museum des Rennsports. . . hochpoliert ist alles auch hier, doch das war vor dem Start. Dann waren sie mit Öl überfleckt, sobald die vibrierenden Motoren auf Kurs brausten in Gegengerade und mörderische Kurven, ins »Karussell«, ins »Brünnchen« und die »Fuchsröhre«. Gefährlich feucht von überlaufendem Benzin und übersprüht von der reifennassen Spur des Vordermannes. Nach Wetter und Wind wurde beim Nürburgrennen selten gefragt.
Nahezu alle Fahrzeuge, die hierzu sehen sind, waren im Rennen, von der Box bis zur wehenden Flagge der letzten Runde. Hier ging es um Funktionalität, Windschlüpfigkeit, Kompression der Zylinder, Bodenhaftung, Umdrehungszahl und PS-Leistung. Werte also, die dann später der Serienproduktion der Markenfirmen zugute kamen. Mancher kam ums Leben wie Bernd Rosemeyer, Wolfgang Graf Berghe von Trips und Marquis Alfonso de Portago. Von Sieg zu Sieg fuhren sie einst: Rudolf Caracciola, Tazio Nuvolari, Louis Chiron, Hans Stuck und Hermann Lang, Giuseppe Farina, Manuel Fangio, Phil Hill, Jackie Steward, Clay Regazzoni und Mike Hawthorn und der erste Sieger 1927, Otto Merz.
Nicht genug, es gibt hier auch ein Kapitel Soziologiegeschichte des Rennsports. Königliche und prinzliche Hoheiten saßen im Cockpit der Rennwagen, seit die jungen Herren nicht mehr Gardeoffizier und Kavallerieleutnant werden konnten. Eine königliche Hoheit am Volant: Leopold von Bayern, Prinz Michael von Preußen, exotisch Prinz Bira von Thailand, Marquis Alfonso de Portago, Prinz von Leiningen, Graf von Einsiedeln, Manfred von Brauchitsch und Wolfgang Graf Berghe von Trips. Weiterhin Eckhart Graf von Kainein, Eberan von Eberhorst und Ernst von Delius. Auch der Nürburgring hat seinen Adelskalender, seinen »Gotha«!
Eingang zum Zauberreich des Rennsports. Drinnen sind locker gruppiert die großen Rennwagen von einst und ein Stockwerk hinzu gehört den Motorrädern
Foto: Kreisbildstelle
Wie eingeschweißt saßen sie am Steuer weltberühmter Rennwagen — und viele dieser Wagen stehen hier im Rennsport-Museum am Nürburgring. So schnell die Rundenzeiten und von Rennen zu Rennen gekürzte Fahrzeit, so flüchtig, wie Silberpfeile vorüberhuschten — es soll dennoch etwas davon verbleiben. Reliquien oder Antiquitäten? Das sind diese Fahrzeuge nicht und sollen es nicht sein. Ein solches Fahrzeug einmal nahe zu sehen, reizt indessen jeden Motorsportfreund, der je auf der Tribüne oder an den Kurven fiebernd zugesehen hat.
Das ist einer der Beweggründe, und wir fragen nach den Gründungsmotiven den Leiter des Museums, Peter Ludes. Er ist vom Fach, ist Maschinenbauingenieur und weiß, was unter der Haube eines Rennwagens steckt. Er sagt dazu: »Das Rennsport-Museum muß man als Bestandteil des Nürburgrings sehen. Es ist nicht nur zu Rennzeiten, sondern ganzjährig offen. Neben den Fahrzeugen wird auch Information über Details geboten, also etwa Reifenentwicklung und Vergasertechnik. Ein Bestandteil ist aber auch die Kunst«. Für Maler ist die Faszination eines Renntages nicht ohne Reiz geblieben. Dafür steht eine große Rennszene der Kölner Maler Jürgen Verhoeren und Peter Jahn. Aus der Tiefe kommen in ihren Fahrzeugen Rolf Stommeln, Jo Siffert und Vic Elford. Und eine ganze Serie vom Fluidum des Nürburgrings zeigt der Stuttgarter Maler Walter Gotschke.
Zur Eröffnung rollt dieser Wagen knatternd in das Museum. Er fährt noch! Seine Daten sind: Bugatti 37 a, Teilnehmer am Rennen des Jahres 1927
Foto: Kreisbildstelle
Das ist das Umfeld, aber selbstredend dominieren die Fahrzeuge. »Das Konzept«, so sagt Peter Ludes, »betrifft zunächst die ausgestellten Rennwagen und Motorräder. Wir haben keine eigenen, sie sind Leihgaben. Wir arbeiten in einem revolvierenden System, das heißt, in Teilbereichen wird ständig variiert, so daß der Besucher in vier oder sechs Wochen wieder Neues und Interessantes zu sehen bekommt. Das ist ein hohes Maß an Aktivität.« Da gilt sogleich auch die Frage: »Sind die Firmen leihfreudig?«. Das kann Peter Ludes mit Ja beantworten. »Die Ausstellungsstücke sind von der Industrie, sehr häufig aber auch von Privatleuten. Das hält sich die Waage bei den Rennfahrzeugen, die Motorräder kommen ausschließlich von Motorradfans.« Die Piloten haben die Geschichte des Rennsports geschrieben in höchster Erprobung der Motoren. Die fiebrige Spannung während der Rennen bebt noch mit: zu ebener Erde stehen ihre Wagen. Kokett wie eine Diva steht da der »Silberpfeil«, der Mercedes-Formel-Rennwagen W 125, der Sieger beim Großen Preis mit 5 660 Kubikzentimeter unter der Haube, 467 kW, 646 PS und Höchstgeschwindigkeit von 320 km. Nebenan der burgunderrote Typ 1927 – 680, den Merz, Werner und Wall zum Sieg fuhren.
Maschine neben Maschine. Flach wie ein Brett sind die »Beiwagen«, man wundert sich, daß die Gespanne ohne Verluste über die Runden kamen
Foto: Esch
VielInteresse der Fans für das Museum am Nürburgring. Da stehen sie, die Rennwagen aller Jahrzehnte, die Etage darüber gehört den Rennmaschinen
Foto: Kreisbildstelle
»Klasse! Spitze!“ Das kann man glatt von den Lippen ablesen. Am liebsten möchten sie aufsitzen und Gas geben. Das Modell ist Moto-Guzzi von 1926
Foto: Kreisbildstelle
Das reiht sich nun rundumher: himmelblau der kleine, huschende Fisch, der Typ »Amicar«, erstes Fahrzeug der Franzosen Lamy und Acar in der Klasse bis 1 100 Kubik. Oder der BMW-Sportwagen von 1937, elegant für einen Filmstar. Wieder ein Wagen, der Renngeschichte machte: zwei Siege von Dr. Giueseppe Farina (1950) und Manuel Fangio (1951) in der Fahrerweltmeisterschaft. Da kann mancher Nürburgring-Fan sagen: »Ich war dabei«.
Da, ein Ding! Das ist doch der Raketenwagen, den Fritz von Opel gefahren hat in einer neuen Phase der Motorentechnik mit Raketen im Heck? Am 23. Mai 1928 fuhr er auf der Berliner Avus 230 km, das war Geschwindigkeitsrekord, bestückt mit 24 Raketen Festtreibstoff — und mit einem Schub von 250 kg pro Rakete. Nebenan ein VW-Turbo-Diesel, 2 400 Kubik und sechs Zylinder mit 353,88 km pro Stunde bei stehendem Start. Und der Messerschmitt-Kabinenroller mit nur 181 Kubik, ein Zweitakter mit nur einem Zylinder. 24 Stunden gelaufen bei 105 km. Aus dem letzten Jahrzehnt Porschetypen, Siegerwagen der Markenweltmeisterschaft, und der handvernietete Jaguar, der BMW-Formel 2 von 1969. Fahrzeug um Fahrzeug der großen Rennen.. . Nicht zu vergessen die heißen Öfen! 500 Kubik unterm Sattel — das war für alle Fans der Traum. Die Motorräder haben die obere Etage ganz für sich. Als Kuriosum die Moto Guzzi von 1926, sie gewann von 1926 bis 1936 vierhundert erste Plätze mit einem Zylinder, Königswelle und 15 kW / 20 PS, Da tauchen auch die alten Typen wieder auf. Wer kennt noch die Schüttoff, den BSA-Cloper? Dann die bekannten Namen NSU (Neckarsulm), DKW, Norton und die Umkleidung der BMW-Rekordmaschine von Ernst Henne, mit 279,5 km das schnellste Motorrad seiner Zeit, eine Kompressormaschine von 1937, 100 PS und 500 Kubik. Museale Typen von damals, die Sunbeam mit 22 PS, Siegerin am Nürburgring 1929. Eine Nor-
Faszination der Geschwindigkeit! Der Maler Walter Gotschke hat Szenen festgehalten von der Dramatik der großen Rennen. Man hört förmlich die Motoren dröhnen
Foto: Esch
ton, Velocette, Excelsior. Ein Kuriosum auch die Seitenwagengespanne, flach wie ein Brett, man faßt es kaum, wie die Beipiloten heil über die Kurven kamen. Ein Kuriosum auch »Der Parkplatz«. Eine Unterlage von Sand und Schotter, und da stehen im Dutzend Tourenmaschinen von damals, auf denen die Fans zur Motorradmeisterschaft ankamen, dazu auch Maschinen der Sonntagsmotorradfahrer. Da hängt seitlich ein Korbstuhl, in dem »Madame« bequem sitzen konnte.
Nostalgie? Nein und Ja. Präzis sind die Daten zu den schnellsten Fahrzeugen von einst. Was dies alles noch lebensvoller machen könnte, ist bisher nur im Einzelfall da: eine Vitrine für Wolfgang Graf Berghe von Trips mit persönlichen Erinnerungen, eine Leihgabe von Willi Martini für den Gentleman unter den Fahrern der siebziger Jahre. Es fehlt noch — und dies ist ein Appell an Leihgeber — ein wenig Persönliches mehr. Ein Goldsiegerkranz, Tagebücher, ein Siegertelegramm — und von Zack-Speed müßte mehr da sein, wie sie die Rennwagen in Niederzissen selbst bauen. Viele Fotos, eine Farbton-Video-Show läuft rund um die Uhr. Eine Entwicklung des Rennfahrerhelmes — insgesamt ein Museum auch für die stilleren Zeiten, dafür sogar gerade erst recht. Denn in solchen stilleren Zeiten sind seit jeher auch die Erprobungszeiten der Firmen, um in Dauerstreßfahrten die Entwicklungsprojekte zu testen. Und noch immer kann der Tourist über die große Nordstrecke den »alten« Nürburgring wie auch über die Grand-Prix-Strecke fahren. Jeder einmal selbst Rudolf Caracciola. . .
Hundert Jahre Auto — die Hälfte dieser Zeit ist hier ablesbar im Rennsport-Museum. Es ist, mit Baukosten von 4,6 Mill. Mark, das Tüpfelchen aufs »i«. Hier wird Vergangenheit des Rennsports auf einmal ganz gegenwärtig. Immerhin waren in den ersten zwölf Monaten 90 000 Besucher im Rennsport-Museum. Noch immer ist unser Nürburgring ein Magnet.