Religiöses Brauchtum im Wandel
Prozessionen in Wershofen
Rainer Justen
In Wershofen existierten in der Zeit um 1850 noch viele alte Bräuche. Leider sind die meisten von ihnen mit der Zeit vergessen worden. Die Bräuche, vor allem Prozessionen, die jetzt noch ausgeübt werden, gilt es zu pflegen und der Nachwelt zu überliefern. Es liegt an uns, daß die Besonderheiten unserer Heimat erhalten werden.
Einer der ältesten Prozessionen in Wershofen war der Gang zum Michelsberg. Er wurde alljährlich, meist zur Zeit anhaltender Dürre, gehalten. Ein Reliquienkreuz trug man an der Spitze der Prozession und tauchte es, wenn man auf dem Michelsberg angekommen war, in eine nordöstlich vom Berg gelegene Quelle ein. Nun glaubte man, der ersehnte Regen sei noch am gleichen Tage zu erwarten. Weil ein Kesselflicker, dem man das Kreuz zur Reparatur gegeben hatte, die Reliquien stahl, wurde es zur Wallfahrt nicht mehr mitgeführt. Im Jahre 1850 meinte ein Wershofener Bürger zum Pfarrer: »Wir sind bei unserem Bittgange nicht erhört worden und haben keinen Regen erhalten, weil wir das alte Heiligtumskreuz nicht mehr mitnehmen.« Obwohl die Michelskapelle im Jahre 1836 abbrannte, wurde die Prozession doch abgehalten. In jenem Jahr waren an der Nordseite Zelte aufgestellt, in denen man alle möglichen Speisen bekommen konnte. Am 3. Mai des Jahres 1858 waren über 5 000 Menschen auf dem Michelsberg versammelt und wurden zu Spenden zum Wiederaufbau der Kirche ermuntert. Seit über 50 Jahren werden keine Wallfahrten zum Michelsberg mehr abgehalten.
Ein ähnlicher Brauch ist die Prozession an Christi Himmelfahrt zum »Kottenborner Kreuz«. Er wurde begonnen von den edlen Rittern von Schellenberg; diese teilten am oben erwähnten Tage an die Armen von Wershofen an ihrer Burg bei Fuchshofen Brot aus.
Später verzichteten sie auf den Zehnten, den Wershofen ihnen abzugeben verpflichet war, wenn die Gemeinde am Himmelfahrtstage an die Armen das Armenbrot verteilte. Von da an war der Gang zur Schellenburg nur noch ein symbolischer Dank an die edlen Stifter. Seit ungefähr 200 Jahren geht man nicht mehr hinunter zum Schellenberg, sondern zum Kottenborner Kreuz. Dort wird seit wenigen Jahren auch das Hochamt am Himmelfahrtstage vor dem 70jährigen Kapellchen gehalten. Zu Ehren des hl. Antonius, des Einsiedlers (Bild meist mit einem Schwein und einem Stab mit einer Glocke, auch als Helfer bei Pest verehrt), ließ die Gemeinde alljährlich eine Messe lesen. Bei diesem Amt brachte man Schweinefleisch als Opfergaben dar, und es kam oft vor, daß der Antonius-Nebenaltar von Schweinsköpfen, Ohren, Schwänzen und Füßen voll lag, das Blut rann auch meist vom Altare herab, während der Priester am Hochaltar die Messe las. Einmal wurde auch auf diesen Altar ein halber Kopf gelegt, aber auf Befehl des Pastors sofort entfernt. Nach der Messe versteigerte der Küster mit dem Kirchenrechner das Fleisch im Wirtshaus. Jünger als die übrigen ist die Wallfahrt nach St. Jost (Langenfeld) zum hl. Jodokus. Ein Teil der Strecke wird noch wie ursprünglich zu Fuß gemacht, den anderen Teil fährt man heute im Bus. Zuerst wurde in Acht, später in Langenfeld übernachtet; nun fährt man aber nach dem Pilgeramt sofort wieder nach Hause. Von diesen Bräuchen werden nur zwei noch gepflegt. Aber diese zwei Bräuche tragen schon dazu bei, daß das, welches unsere Heimat schon seit Generationen ausmacht, erhalten bleibt. Dabei kommt es nur auf unsere eigene Initiative an, dieses »etwas« zu bewahren. Denn wenn eine Landschaft ihre Besonderheiten und Bräuche verliert, verarmt sie immer mehr.