Nicola Baur aus Adenau
EIN KÄMPFER FÜR FREIHEIT UND FORTSCHRITT
VON KONRAD SPECHT
Es waren bewegte Zeiten, als der bereits im kommunalpolitischen Leben bewährte Adenauer Kaufmann Nicola Baur 1848 als Abgeordneter des Kreises Adenau in die Preußische Nationalversammlung nach Berlin entsandt wurde. Wir erinnern uns, daß seit den Freiheitskriegen in fast allen absolutistisch regierten Ländern das deutsche Volk um die Früchte seiner Erhebung gegen die napoleonische Fremdherrschaft gebracht worden war. Die Reform 5tein-Hardenbergs wurde abgebremst. Die Schwächung der Finanzkraft durch Kontributionen, Fronleistungen und Besteuerungen in zwanzigjähriger Kriegszeit bis 1815, die Umstellung des Gewerbes auf Maschinenarbeit, die Verdrängung der Schafwolle durch die billigere Baumwolle, überhaupt zunehmende preiswertere Angebote aus Übersee, dazu eine starke Bevölkerungszunahme, für die keine ausreichende Existenzgrundlage vorhanden war, bildeten den Nährboden für die Ideologien, die bestens Wunschträume waren, aber in dem gedachten Ausmaße nicht realisiert werden konnten. Es gärte daher seit längerem. Im Nachbarland Frankreich, erstmals in Bewegung geraten durch die große Revolution 1789, waren wieder Barrikadenkämpfe am 22. z. 1848 ausgebrochen: Heller Aufruhr setzte sich in den deutschen Landen fort. Selbst in dem kleinen Eifelstädtchen Adenau mit seinen damals blühenden Tuchwebereien, Gerbereien, dem Handel und der Forstwirtschaft wurde es unruhig. Dem großen Ansehen und den aufopfernden Bemühungen des geachteten Nicola Baur gelang es, die unzufriedenen Bevölkerungskreise zu beschwichtigen. Die zum Schutze von Leben und Eigentum der Bewohner geschaffene Bürgerwehr wurde dem bei den preußischen Jägern gedienten Hauptmann Josef Baur, dem Bruder von Nicola, unterstellt. (Sein Grabmal ist wie das von Nicola heute noch auf dem Adenauer Bergfriedhof zu sehen.)
Als ehrenamtlicher Beigeordneter der Bürgermeisterei Adenau und als Kommunalpolitiker bemühte sich Nicola um die Verbesserung der Existenzgrundlagen der gesamten Bevölkerung, insbesondere der minderbemittelten Familien. Ihm war klar, daß allgemeine Reformen durch eine neue Verfassung und grundlegende Verbesserungen im wirtschaftlichen Leben dringend nötig waren, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren und den veränderten Verhältnissen durch Industrie, Verkehr und erhöhte Einfuhren anzupassen. In der Nationalversammlung standen sich zwei Parteien gegenüber, die Vertreter des Fortschritts, die dem Wohle des „kleinen Mannes“ dienen wollten und sich deshalb Volksfreunde oder Demokraten nannten, und jene Abgeordneten, die überwiegend aus den großen Agrargebieten kamen und meinten, alles solle im großen und ganzen bei dem bisherigen Zustand bleiben, und deshalb als Konservative bezeichnet wurden. Ihr starker Einfluß war durch das Dreiklassenwahlsystem gegeben. Sie hatten Regierung und Armee hinter sich. Nicola Baur war bei den Demokraten, obgleich seine rheinisch-christliche Überzeugung dort nicht Allgemeingut war.
In Berlin herrschte Siedehitze. Ab Mai tagte die Abgeordnetenversammlung. Schärfste Opposition gegen die konservativen Regierungsmaßnahmen, Kampf um die Volksrechte in dem_ neuen Verfassungsentwurf, Anerkennung der Märzgefallenen, Abschaffung des Adels und der Orden waren jene Forderungen, die Nicola Baur mitvertrat. Er wurde Mitunterzeichner der „Aufruhrproklamation„. Aber da die Grundursachen für die politische Entwicklung (wie bei einer Krankheit) nicht genügend erkannt wurden, fehlte es an konstruktiven, realisierbaren Vorschlägen. Die Reformer waren sich selbst nicht einig. Es herrschten unklare Vorstellungen. Man suchte nach einem noch im Dunkeln liegenden Zukunftsweg. Deshalb hatte auch das einsichtige Reden, Wirken und Werben vieler Volksvertreter keinen unmittelbaren Erfolg. Im Herbst wurde der Belagerungszustand in Berlin verhängt und im Dezember 1848 die Nationalversammlung aufgelöst.
Die Neuwahlen 1849 brachten Baur wieder in das Preußische Abgeordnetenhaus, diesmal für einen größeren Wahlbezirk, nämlich für die Kreise Adenau, Kochern und Zell. Eine ausgedehnte Werbetätigkeit, sogar eine selbstverfaßte Kampfschrift wider seine Gegenkandidaten, war dem Wahlsieg vorausgegangen. Wie im turbulenten Jahr 1848, so trat Baur auch in den folgenden Wahlperioden bis 1867 (seit 1863 auch für die Kreise Schleiden, Monschau und Malmedy) für die Beseitigung der großen Arbeitslosigkeit der Eifeler Bevölkerung, für die Milderung der landwirtschaftlichen Notjahre und die Erschließung der Eifel durch Eisenbahnen ein. Den Kleinbauern der Eifel ging es zu dieser Zeit besonders schlecht. Durch die fortgesetzten Realteilungen, der Zerstückelung des an sich schon unzureichenden Familienbesitzes an die meist zahlreichen Erben, langte die schmale Nahrungsdecke nicht mehr aus. Handwerk und Gewerbe konnten nur wenige der überschüssigen Kräfte aufnehmen. Die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts und die Fremdherrschaft bis 1815 hatten hier hemmend gewirkt. Der Abgeordnete Baur erreichte in Berlin die ersten Hilfen. Durch seinen Freund, Kreisoberförster Clemens de Lassaulx, wurden die großen Ödlandflächen der Hocheifel trotz mancher Hindernisse aufgeforstet, dadurch der Ackerboden vor Austrocknung und Abschwemmung geschützt, das Klima und der Wasserhaushalt verbessert (s. auch Heimatjahrbuch 1963, S. 103). Baur ist die Zuteilung der hierfür notwendigen erheblichen Staatsmittel mitzuverdanken. Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit gründete Nicola Baur zusammen mit los. Servatius und Anno Weber 1848 in der Grabenstraße eine Zigarrenfabrik, die bis zu hundert Arbeiter beschäftigte (großenteils als Heimarbeiter), einer Arbeit, die, wenn auch in kleinerem Umfange, bis heute noch besteht.
Weltblickend war Nicola Baurs Eintreten und Plan für die Verkehrserschließung der Eifel. Die 1848 bestehenden Bahnlinien verliefen nur am Rande: längs des Rheines, von Köln nach Aachen und von Köln über Euskirchen bis Kall. Er schlug die Eifelquerbahnen von West nach Ost = von Bastogne (Belgien) über St. Vith nach Koblenz mit Zweigen von Givet (Maas) und von Aachen über Monschau und Malmedy vor. Eine Denkschrift hierüber ließ er 1863 bei Du Mont-Schauberg in Köln drucken. Auch für die wichtige Nord-Südstrecke von Köln nach Trier setzte er sich nachdrücklich ein. Am 2g. März 1863 standen diese Bahnprojekte im Plenum des Landtages zur, Debatte. Baur konnte im längeren Vortrag über die Geschichte und die wirtschaftliche Struktur der Eifel und über die Bedeutung des Bahnbaues überzeugend referieren. Bemerkenswert ist an den Ausführungen, daß die Eifel zusammen mit den luxemburgisch-belgischen Ardennen als einheitlicher Wirtschaftsraum betrachtet wurde, also die Landes- und Zollgrenzen zu dieser Zeit offenbar nicht so hemmende Bedeutung hatten. Die Bahnen (auch die Ahrtalbahn bis Adenau 1882) wurden, wenn auch mit erheblicher Verzögerung, gebaut. Die Eifelquerbahn war damals schon mit 28 Millionen veranschlagt.
Ohne Zweifel haben die Eisenbahnen den wirtschaftlichen Aufschwung der Eifel erheblich gefördert, die Bodenreichtümer erschlossen und ihre Ausbeute ermöglicht, die Wald- und landwirtschaftliche Erzeugnisse im größeren Umfange und billiger an die Verbrauchszentren befördert und die Ansiedlungen von Industrien ermöglicht.
Nicola Baur war auch in verschiedene Kommissionen des- Landtages gewählt worden, u. a. in die „Kommission für brotlose Arbeiter“, später in die Finanzkommission. Er wirkte auch an den Gesetzen „zur Regelung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse“ und der Ablösung der Reallasten mit, die zwar linksrheinisch keine Bedeutung hatten, aber für die übrigen preußischen Gebiete zur Verbesserung der Lage der früheren Gutshörigen und derzeitigen befreiten Bauern nötig waren. (Linksrheinisch hatte bereits die französische Herrschaft die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts radikal und schonungslos umgewandelt). Aber auch die bereits rechtsrheinisch zu dieser Zeit tätigen landeskulturellen Bemühungen durch Beseitigung der Besitzzersplitterung, den Wegebau und die Bodenverbesserungen wurden für die Eifel erörtert, obgleich die Verhältnisse hier erheblich schwieriger lagen und staatlicherseits umfangreiche finanzielle Aufwendungen erforderlich waren. Die Erörterungen dieser Probleme im Landtag waren nützlich und führten später (ab -1885) zu dem großen landeskulturellen Werk der Flurbereinigung, der stärksten und nachhaltigsten Förderung der Eifeler Landwirtschaft.
Bereits 1848 wurde Nicola Baur mit dem jungen Bismarck bekannt. Er schrieb darüber: „Ich hatte in Berlin Gelegenheit, den famosen Bismarck-Schönhausen, indem er in der Abteilung neben mir saß, genau kennenzulernen. Derselbe ist ein Schwärmer für die absolute Monarchie. Obschon ich seine Ansicht nicht teile, so kann ich ihm doch meine Achtung nicht versagen, weil er aus Überzeugung dasjenige ist, für das er bei jeder Gelegenheit in die Schranken tritt.“
Nicola Baur war Kommunalpolitiker und Abgeordneter aus Idealismus. Er opferte seine eigenen Mittel und Einkünfte, um den parlamentarischen Aufgaben gerecht zu werden. Damals reichten die geringen Diäten nicht aus, um den Mehraufwand in Berlin, die Wahlreisen und die geschäftlichen Vertretungen zu bestreiten. Ein kurzer Einblick in die Lebensgeschichte darf daher diese Abhandlung ergänzen:
Johann Nicola Baur * 18. 6. 1808 + 1. 5. 1874
Als einer von fünf Söhnen des angesehenen Adenauer Kaufmannes und Wollwebermeisters Anton Baur wurde er am 18. 6. 1808 geboren, besuchte zunächst die noch aus der erzbischöflich-kurfürstlichen Zeit stammende Volksschule Adenau und anschließend wie sein drei Jahre jüngerer Bruder Josef die höhere Schule in Stavelot (Belgien), ein Umstand, der ihm in seiner späteren Tätigkeit zustatten kam. Im väterlichen Geschäft (Tuche, Textilien und Gebrauchswaren) erlernte er das Kaufmännische und übernahm bereits mit 22 Jahren dessen Leitung. In diesem Alter heiratete er die Tochter Barbara des Kgl. Kreisphysikus und Hofrats Job. Lambert Comes aus Kochern (23.11. -183o), der ein bedeutender Arzt und eifriger Kunstsammler war. Die glückliche Ehe brachte vier Kinder, aber die Mutter starb bereits am 20. 11.1837. Nach Ende des Trauerjahres schloß er eine neue Ehe mit der 21 Jahre alten Witwe Richmunda Bongartz aus Düren, deren Vater aus Adenau stammte. Die erste Zeit wohnten die Neuvermählten in Düren, wo Baur nicht nur im Geschäft seiner Frau tätig war, sondern auch Waren für seinen Adenauer Laden besorgte, der inzwischen von einem Verwandten verwaltet wurde. Zwei Jahre später verkaufte das Paar den Dürener Besitz und kehrte wieder nach Adenau heim. Dieser Ehe entstammten zwei Kinder. Leider starb Richmunda bereits am 15. Januar ‚1843. Wenn auch zwei Kinder aus der ersten Ehe von den Schwiegereltern in Kochern mit aller Sorgfalt erzogen wurden, so war Nicola doch wegen seiner übrigen Kinder und der Mithilfe im Geschäft gezwungen, bald wieder zu heiraten. Da er sich inzwischen auch im Weinhandel betätigte, fand er seine dritte Frau in Friederike Hechtelberger, der Tochter eines Mainzer Weingutsund Hotelbesitzers. Am 3. Juli ‚1844 wurde das Paar im ehrwürdigen Mainzer Dom getraut. Der dreißigjährigen harmonischen Ehe entstammten elf Kinder, so daß Nicola aus den drei Ehen schließlich 17 Kinder hatte, wovon jedoch, der starken Säuglingssterblichkeit der damaligen Zeit entsprechend, bereits fünf im Frühalter starben. Immerhin war die Erziehung der übrigen Kinder und die Mitarbeit im Geschäft bei der zunehmenden parlamentarischen Tätigkeit von Nicola eine starke Belastung für die Hausfrau.
Nicola war neben seiner Intelligenz und Redegewandtheit auch körperlich besonders leistungsfähig. Er war ein forscher Reiter, denn mangels besserer Verkehrsmittel war das Reitpferd die beste Möglichkeit, um Geschäftsreisen, Verhandlungen und Ortstermine in dem großen Wahlbezirk zeitsparend und rechtzeitig durchzuführen. Ein planmäßiges Training war aber dafür auch schon in .jener Zeit nötig. So setzte er seinen Ehrgeiz darin, z. B. die 76 km weite Strecke nach Düsseldorf in acht Stunden zu bewältigen, also je Stunde etwa io km bei schlechten Wegen bergauf und bergab zurückzulegen. Die Jagd begeisterte ihn ebenfalls. Er war an dem Abschuß der letzten Wölfe in der Eifel beteiligt. Am 1. Mai 1874 verstarb er im Alter von 66 Jahren nach einem arbeits- und schicksalsreichen Wirken zum Wohle der Eifel. – Seinem Bruder Josef, dem Hauptmann der Bürgerwehr von 1848, war ein ruhiges Dasein beschert. Er unterstützte Nicola geschäftlich und in seiner parlamentarischen Tätigkeit. Nicolas Sohn aus zweiter Ehe – August – nahm er ganz an Kindesstatt an. 1854 verkaufte er seine Lohgerberei an Matthias Uhler und übersiedelte nach Köln, wo er mit seiner Frau im Weinhandel tätig war, aber weiterhin starke Verbindung mit Adenau unterhielt und sich in der Nähe das Haus Streitenau an der Ahr als Sommersitz einrichtete. Zum Kreishospitalfonds stiftete Josef 16 Morgen aufforstungsfähiges Ödland. Er starb in Köln im Alter von 89 Jahren am 3. September 1899 und wurde auf dem Adenauer Bergfriedhof neben seinem Bruder Nicola beigesetzt.
Vorstehende Würdigung des Wirkens des verdienstvollen Abgeordneten Nicola Baur und seines Bruders Josef wurde durch eine mit Schreibmaschine erstellte „Geschichte der Familie Baur„ ermöglicht, die Dr. Erich Baur, Oberbürgermeister a. D. und Rechtsanwalt, am 1. 9. 1944 in Godesberg abgeschlossen hat. Er war der Sohn des vorerwähnten August Baur, also ein Enkel von Nicola. (Die Durchschriften befinden sich im Besitz der jetzt noch lebenden Nachkommen von Nicola Baur.)