Nicht Napoleon, sondern die ,,emanzipierte Römerin“ hat Schuld!
Die Ursachen der landwirtschaftlichen und weinbaulichen Realteilung
Dr. Anton Seibel
Im Jahre 1938 gab es nach der damaligen „Erbhofstatistik“ im alten Gebiet des Kreises Cochem (Mosel) nur 12 Erbhöfe. Das war damals die geringste Zahl von den rund 600 Kreisen im Deutschen Reich in seinen Grenzen vom 31. 12. 1937. Aus dieser Statistik geht leider nicht hervor, wieviele von den 12 Betrieben auf die Spezialzweige Obst, Gemüse und Weinbau entfielen, da anders als bei der „Ackernahrung“, die bei der reinen Landwirtschaft 7,5 ha = 30 Morgen betragen mußte, bei den Intensivkulturen die Mindestgröße abweichen durfte.
Die Erbhofgröße von 30 Morgen stellte ein „Ackernahrung“ dar, sie sollte die Familie ernähren, dazu den überzähligen, nicht erbberechtigten Kindern eine der Leistung des Betriebes entsprechende Berufsausbildung gewährleisten, denn das Motiv des Erbhofgesetzes war, den Betrieb ungeteilt auf den ältesten bzw. den befähigtsten männlichen Erben zu übertragen. In Ausnahmefällen konnte auch eine weibliche Erbin den Hof übernehmen. Die Erbhofgesetzgebung war erstmals eine staatliche Maßnahme, um der seit über 11 /2 Tausend Jahren gültigen Realteilung im westlichen, süddeutschen und südwestdeutschen Bereich (also auch in unserem engeren Heimatgebiet) ein Ende zu bereiten.
Man war sich bereits früher im klaren darüber, daß dieser anhaltenden Besitzzersplitterung Einhalt geboten werden mußte, nur über das „Wie“ war man sich nicht einig. Die Besitzaufteilung hatte besonders in Gegenden mit geringeren Bodenklassen zu einer wirtschaftlichen Verarmung geführt. Eifel und Hunsrück wurden daher in den vergangenen 20er und 30er Jahren als „Notstandsgebiete“ bezeichnet; diese „Ehrenbezeichnung“ hatte das Privileg der staatlichen Förderung.
Die übliche Realteilung hatte im Laufe der Zeit zu den unrühmlichen „Handtuchparzellen“ (lang und schmal wie ein Handtuch) und den Zwergbetrieben geführt. So waren z. B. nach der Bodennutzungserhebung im Kreis St. Goar, dessen Gebiet sich überwiegend auf den Vorderhunsrück erstreckt, im Jahre 1938 rund 92 % aller land- und weinbaulichen Betriebe unter 10 Hektar (= 40 Morgen), davon wieder 82% unter 5 Hektar (= 20 Morgen).
Man befaßte sich bereits früher, sowohl von berufsständischer als auch von staatlicher Seite mit Selbsthilfemaßnahmen, um die weitere Besitzzersplitterung zu verhindern bzw. zu mildern, denn schon im Mittelalter galt das Sprichwort:
bretiu eigendom werden smal so man si teilet durch die zal…
Eine der berufsständischen Selbsthilfemaßnahmen waren „die Gehöferschaften“, die ganz früher, z. B. im Kreise Prüm, üblich waren. Hierbei blieben einige der Kinder unverheiratet, damit dem Betrieb die Aufteilung erspart blieb. Die Unverheirateten blieben dann (als Ohm oder Ohm, Pat oder Pät oder Pater, als Baas, Got, Göth, Göther je nach Gegend und .Sprechweise) auf dem Hof, arbeiteten mit und waren dann die Taufpaten der auf dem Hof geborenen Kinder, woher dann auch die allgemein übliche ,,Onkel-Tanten-Betriebe“ herrührten.
Zur Erkennung der Ursache dieser Besitzaufteilung müssen wir sehr weit in die Vergangenheit — bis in die Römerzeit — zurückblenden, denn die „emanzipierte Römerin“ hat gleiches Recht sowohl für die männlichen als auch die weiblichen Erbberechtigten am elterlichen landwirtschaftlichen Besitz erstrebt und auch erreicht. Wir wissen zwar nicht wie lange dieser Kampf um das gleiche Erbrecht von Mann und Frau gedauert hat — sicherlich auch damals schon Jahrzehnte.
Dieses „gleiche Erbrecht“ galt nicht nur für Haus und Grundbesitz (für Immobilien), sondern auch für Vieh, Mobiliar, Gerätschaften. Geld, Schmuck und alle sonstigen beweglichen Gegenstände der Hinterlassenschaft (Mobilien).
Die Emanzipation der Frau ist also keine Errungenschaft der Neuzeit, denn schon zur Zeit des „Imperium Romanum“ suchte sich die Römerin zu behaupten. Sie hat zu ihrer Zeit viel, sehr viel erreicht — ihre wirtschaftliche Gleichstellung hinsichtlich der Hinterlassenschaft der verstorbenen Eltern. Diese Errungenschaft der „emanzipierten Römerin“, nämlich die erwähnte Gleichstellung an der elterlichen Hinterlassenschaft von Sohn und Tochter, spüren wir bis in die Jetztzeit in den ehemals von römischen Legionen okkupierten deutschen Gebieten — im Bereich des „Imperium Romanum“. Diese Gleichstellung von Mann und Frau als Erbberechtigte am elterlichen Vermögen ist ein Teil des römischen Rechts.
Diesem „Römischen Recht“ steht allerdings in anderen Teilen Deutschlands das „landesübliche altgermanische Anerbenrecht“ gegenüber. Dieses Anerbenrecht besagt aber, daß der Besitz an Feld und Haus ungeteilt auf den ältesten männlichen, in Ausnahmefällen auch auf eine weibliche Hausinsassin, Erben übertragen werden soll und muß. Die übrigen Kinder werden abgefunden, obgleich sich im Laufe der Jahrhunderte — besonders hinsichtlich der Mobilien — grundlegende Änderungen zugunsten, der weichenden Erben ergeben haben.
So wie die Okkupationsmächte die Wirtschaftsformen ihrer Mutterländer in ihrem neuen Herrschaftsbereich einzuführen versuchen — auch die Neuzeit gibt hierfür markante Beispiele (Kollektive nach östlicher Prägung) — so haben auch die römischen Legionen bzw. die römischen Verwaltungsorgane Römisches Recht in ihrem Herrschaftsgebiet im „Imperium Romanum“ eingeführt. Wir sehen daher noch heute in allen germanischen Regionen des ehemaligen Imperiums, die über 400 Jahre fremde Besatzung erdulden mußten, die Erbteilung, wobei des Wortes Schwergewicht auf Teilung zu legen ist. Doch ergibt sich hierbei eine interessante Erscheinung. Wir sehen am Niederrhein einen Übergang von der „römischen Freiteilung“ bis hin zum altgermanischen „Anerbenrecht“ der ungeteilten Hofübergabe.
Worauf ist diese Besonderheit zurückzuführen? Der Historiker Mommsen gibt hierfür eine plausible Erklärung, denn er schreibt:
„Drunten am Niederrhein, in der weiteren Umgebung von Xanten, gegenüber der Lippemündung, dem Einfalltor der germanischen Stämme, hatte die römische Besatzungsmacht kein Interesse an der wirtschaftlichen Durchdringung des Gebietes, da hier die Wirtschaftsentwicklung durch die germanischen Einfälle andauernd gestört wurde.“ Und diese Grenze bzw. der Übergang von dem altgermanischen Anerbenrecht (der Ganzhofübergabe) und dem „römischen Recht (der Freiteilung — Besitzaufteilung —) ist noch heute sichtbar. Der Übergang liegt in dem Gebiet der Kreise Erkelenz/Bergheim. Hier gibt es Betriebe, die noch nach dem altgermanischen Anerbenrecht — ungeteilt — übergeben werden, es ist aber auch schon Römisches Recht — also Freiteilung — üblich.
Wenn also heiratswillige Jungen von Huns-rück, Ahr, Eifel und Mosel sich in den erwähnten Gebieten eine Ehehälfte suchen, so werden sie bei der „Mitgift“ erfahren, ob diese Mitgift noch von altgermanischen Bräuchen von „Widukind“ oder nach Römischem Recht „von der emanzipierten Römerin“ — nennen wir sie Claudia Gajus — zugeteilt wurde.
Die germanischen Frauen — im späteren Frankenreich — waren von den Errungenschaften ihrer römischen Geschlechtsgenossinnen sehr begeistert und haben sich daher die Gleichstellung hinsichtlich des Erbrechts willig angeeignet.
Und nun gehts weiter: Napoleon hat dann dieses landesübliche fränkische von den Römern übernommene Recht der Frei- oder Realteilung im „Code Civil‘ verankert, sozusagen legalisiert und ihm dadurch Gesetzeskraft gegeben. Aus dem „Code Civil“ wurde dann bei Inkrafttreten des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) am 1.1.1900 der entsprechende Passus, also das gleiche Recht von Sohn und Tochter am elterlichen Nachlaß, mit aufgenommen.
Danach ist nicht Napoleon der Urheber der Realteilung, wie vielfach auch heute noch erzählt und geglaubt wird, sondern die „emanzipierte Römerin“.
Unserem Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Folgen dieser im Laufe der Jahrhunderte nicht mehr zu vertretenden Besitzzersplitterung durch die Flurbereinigung (Feldzusammenlegung) wenigstens zu mildern.
Landwirtschaftlicher Maschineneinsatz erfordert größere (ich will hier nicht sagen Groß-) Flächen. Daher müssen wir weg von der bisherigen zersplitterten Form der Parzellenwirtschaft — auch im Weinbau, obgleich hier mit weit größeren Schwierigkeiten als bei der reinen Landwirtschaft zu rechnen ist.