Mittelalterliche Streitigkeiten zwischen Ahrweiler und Neuenahr
Heribert Krahforst
Vor zwanzig Jahren, im Jahre 1969, wurden die Kreisstadt Ahrweiler und die Kur- und Badestadt Bad Neuenahr zu einer Stadt zusammengelegt.
Das bietet Anlaß, einen kurzen Blick auf das frühere Verhältnis der heute – nicht nur durch den Bindestrich – verbundenen Ortsteile Neuenahr und Ahrweiler zu werfen.
Während das in der Grafschaft Are gelegene Ahrweiler durch die Hochstaden’sche Schenkung im Jahre 12461) in kurkölnischen Besitz kam, gehörten die den heutigen Ort Neuenahr bildenden Dörfer Beul, Wadenheim und Hemessen im Mittelalter zur Grafschaft Neuenahr. Diese unterstand der Herrschaft des mit Kurköln verfeindeten Herzogs von Jülich.
Aus dieser Zugehörigkeit zu verschiedenen Territorien entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Grenzauseinandersetzungen2), die Anlaß zu blutigen Streiten, Prozessen aber auch erheiternden Vorkommnissen und Anekdoten waren. Die ältesten uns erhaltenen Urkunden über eine solche Grenzstreitigkeit stammen aus den Jahren 1419 -1459.3)
Im Rahmen dieser Grenzstreitigkeiten trug sich folgende lustige Begebenheit zu.4) Ein Wadenheimer Bürger hatte die Kuh eines Ahrweiler Bürgers gerichtlich beschlagnahmen lassen, weil diese seiner Meinung nach auf Wadenheimer Gebiet gegrast hat. Im Prozeß stellte sich heraus, daß die Kuh mit ihrem Vorderteil auf Ahrweiler Gebiet und mit ihrem Hinterteil auf Neuenahrer Gebiet stand. Der Wadenheimer Richter sprach die Kuh dem Ahrweiler Bürger mit folgender Begründung zu: »so soll der arsche dem houffde folgen«.
Einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Ahrweiler und Neuenahr bilden die sogenannten Bachemer Streitigkeiten in den Jahren 1566 bis 1573.5) Sowohl Wadenheim als auch Ahrweiler erhoben Anspruch auf die bei Bachern gelegenen Weidegebiete. Im Verlaufe des Streits um die Weideflächen wurde Bachern – dessen Bürger sich als Mitbürger von Ahrweiler betrachteten – mehrmals mit Gewalt von Bürgern der Grafschaft Neuenahr besetzt. Daraufhin schrieb der Kölner Erzbischof Friedrich der Stadt Ahrweiler am 5. April 1569, sie solle sich »durch alle dienlichen Mittel gegen die Newenarische handthaben und weren“.6) Bis zu einem vorläufigen Vergleich am 8. Mai 1572 wogte der Streit mit Blutvergießen und Verhaftungen auf beiden Seiten hin und her. Erst 200 Jahre später wurden die Weideflächen bei Bachern der Stadt Ahrweiler gerichtlich zugesprochen.
Der Bereich um Ahrweiler und Neuenahr in einer Karte des Unteren Ahrtals von 1571 (LHA Koblenz 56. H 953).
Noch heute erinnert der Neuenahrer Karnevalsverein Schinnebröder e. V. an die Bache-mer Streitigkeiten. Denn nach einer – historisch leider nicht belegbaren – Volkssage, endeten die Grenzstreitigkeiten zwischen Ahrweiler und Neuenahr mit einem »Schienbeinbraten“. So unterschiedlich wie die Schreibweise7) des Wortes Schinnebröter ist, so verschieden sind auch die Versionen8) der Sage vom Schinnebröter.
Die wahrscheinlichste ist meines Erachtens folgende:
Zur Beendigung des Streits um die Weidegebiete vereinbarten die Streitparteien, daß diejenige Partei, die es am längsten vor der Hitze eines Lagerfeuers aushalte, die Weideflächen behalten dürfe. Am betreffenden Abend erschienen die Ahrweiler Bürger mit lehmbeschmierten Schienbeinen. Zu ihrem Entsetzen stellten sie fest, daß die Neuenahrer Bürger auf die Idee gekommen waren, mit eisenbeschien-ten Beinen anzutreten. Während die Ahrweiler den Wettstreit schon verloren glaubten, stellte sich jedoch bald heraus, daß die Eisen sich erhitzten und den Neuenahrern die Schienbeine verbrannten. Damit erhielten die Ahrweiler Bürger die Weidegebiete und die Neuenahrer den Namen »Schinnebröter«.
Daß Ahrweiler und Neuenahrer Bürger jedoch nicht nur streiten, sondern auch gemeinsam feiern können, ist bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgbar. Anlaß dieser Feiern war die Abgabe des »Traubenklobens«, die auf eine uralte Tradition zurückging. Über Jahrhunderte hatten die Grafen von Neuenahr und ausgewählte Wadenheimer Bürger das Recht – für die zollfreie Durchfuhr von Ahrweiler Klosterweinen – mehrere Richtkannen Wein zu verlangen.
Dazu wurden die Grafen und später die Richter von Wadenheim mit ihrer Begleitung von den Ahrweiler Klosterhofbesitzern einmal im Jahr eingeladen und mit Speise und Trank reichlich bewirtet.9) Diese Feiern dauerten oft so lange an, bis alles »toll und voll« war.10) Die Abgabe dieses »Traubenklobens« ist bis zum Jahre 1793 erfolgt. Noch heute können die Ahrweiler Weinfeste als eine Fortsetzung dieser schönen Tradition in etwas abgewandelter Form betrachtet werden.
Abschließend sei bemerkt, daß dieser Artikel nicht alte Streitigkeiten hervorheben, sondern Verständnis dafür erwecken will, daß einzelne Ortsteile einer gemeinsamen Stadt sich ihrer eigenständigen Geschichte gerne erinnern.Anmerkungen:
- Rausch, Jakob, Heimatbuch der Stadt Ahrweiler, S. 79
- ausführlich zu den Grenzstreitigkeiten Dittmann, Werner, Ahrweiler Nachrichten 1988, Nr. 15 ff.
- Frick, Hans, Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr. Neuenahr 1933, Nr. 977
- vgl. Fußnote 3)
- Joerres, Peter, Die Fehde zwischen Ahrweiler und Wadenheim in: Jahresbericht der höheren Stadtschule Ahrweiler 1884/1885
- Frick, a. a. 0., Nr. 1147, S. 307
- vgl. zur Schreibweise des Wortes Schlenbeinbräter: Ruiand. Josef, Streifzüge im Ahrtal, Bonn 1983, S. 74 »Schinnebrööter«; Rausch, a.a.O., S. 343 „Schinnebröter“; Neuenahrer Karnevaisverein e, V. „Schinnebröder“
- Eine Version der Sage vom Schinnebröter stammt von P. A. Schmidt, Die Sage vom Schinnebröter in: Heimatjahrüuch des Kreises Ahrweiler 1983, S. 169
- Frick. a.a.O.. Nr. 517, Nr. 955 c, Nr. 1742
- Frick, a. a.O., Nr. 1 742