Mehr als 1100 Jahre —
ein Blick in die frühe Geschichte des Raumes Oberwinter
Hans Atzler
Die erste urkundliche Erwähnung von Oberwinter ist für den 26. Februar 886 belegt. Diese Urkunde, in einer alten Abschrift in der Stadtbücherei Trier überliefert, ist der Anlaß für die 1100-Jahr-Feier Oberwinter im Jahre 1986. Wir können jedoch mit Sicherheit davon ausgehen, daß Menschen schon lange vor diesem Zeitpunkt in unserem Gebiet gelebt und gesiedelt haben. Schriftliche Urkunden aus früherer Zeit sind allerdings nicht nachzuweisen. Wir sind insoweit auf andere Quellen angewiesen.
Römische Spuren in der Gemarkung
Deutlich werden die Belege für die römische Zeit, die in unserem Gebiet mit Caesar beginnt. Er hat in den 50er Jahren vor Christus das linksrheinische Gallien für das römische Reich erobert. In diesem Grenzgebiet errichteten die Römer am Rhein entlang rund 50 Kastelle, den sogenannten niederrheinischen Limes. Um den militärischen Nachschub zu organisieren, wurde in den Jahren vor und nach Christi Geburt die alte Rheinstraße angelegt und ausgebaut. Das unserem Ort nächstgelegene Kastell rheinaufwärts war das in Remagen, Bonn das nächste Lager nach Norden hin. Möglicherweise wurden zwischen solchen großen Lagern kleinere Zwischenstationen errichtet. Hermann Bauer hat bei seinen Arbeiten über die Deutung unserer Gemarkungsbezeichnungen (Heimatjahrbuch 1972, S. 66 f.) die Vermutung geäußert, daß ein solches römisches Hilfslager im Kasselbachtal bei Rolandseck gelegen haben könnte. Er leitet diesen Begriff von dem lateinischen castrum (Lager) ab. Römische Siedlungsreste, nämlich Ziegel, Mauerfundamente und Wasserleitungen, die im Jahre 1859 »Im Ziepchen« in Rolandseck gefunden worden sind, führt Bauer zur Bestätigung seiner Annahme an.
Bei Oberwinter gefundener Meilenstein
Foto: Rhein. Landesmuseum, Bonn
Der Aufenthalt der Römer in unserem Gemeindegebiet ist auch an anderen Stellen vielfach belegt. So wurden 1870 nahe am Wege von Bandorf nach Oberwinter in der Nähe eines Brunnens auf dem Feld von J. Loosen ein Jupiterkopf und die Figur eines liegenden Brunnengottes gefunden. Daneben grub man die Reste eines Mithras-Altars auf. Diesen Fund haben die Historiker ins 3. Jahrhundert nach Christus datiert. Auf dem Altar steht — in deutscher Übersetzung — folgende Inschrift: »Dem Gott, dem unbesiegbaren Herrscher, für die öffentliche Wohlfahrt«. Wegen dieses Inschrifttextes schließt man auf eine öffentliche Brunnenanlage (vgl. Bonner Jahrbücher 53/54 – 1873 S. 100 ff.)
In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fand man im Rhein bei Rolandseck einen dreibeinigen Bronzekessel von 21 cm Höhe, der ebenfalls als römisch eingeordnet wird. Auch beim Bau des Oberwinterer Hafens wurden 1890 römische Spuren ausgebaggert: So ein Medusenhaupt, Tonscherben und Münzen, aber auch neun starke Eichenstämme, die sich 4,5 Meter unter dem mittleren Wasserstand befanden. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß an der Fundstelle, nämlich dort, wo heute der Damm aufgeschüttet ist, in römischen Zeiten Uferland war. Möglicherweise haben an dieser Uferlinie bereits römische Ansiedlungen gestanden.
Bedeutende Zeugen römischer Anwesenheit sind ferner mehrere römische Weihesteine, die in der Gegend der alten Steinbrüche am Unkelstein aufgefunden worden sind. Deren Inschriften bezeugen den Dank der Steinarbeiter für Errettung vor abstürzendem Gestein und für Bewahrung aus anderen Fährnissen. Ein Altar des Herkules — er befindet sich heute im Rheinischen Landesmuseum in Bonn — wurde gelegentlich des sogenannten Bergschlupfes im Jahre 1846 bei Oberwinter gefunden. Diese Weihesteine belegen, daß das Brechen von Basaltsteinen den sogenannten Unkelsteinen in unserer Gegend, eine nahezu 2000jährige Tradition hat!
Altar des Hercules
Foto: Rhein. Landesmuseum, Bonn
Einen besonders schönen Hinweis auf die Arbeiten der Römer als Straßenbauer finden wir in dem alten. Meilenstein am Eingang zur Calmuth. Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz ließ die alte Rheinstraße in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts in seiner Eigenschaft als Landesherr (Herzog von Julien, und Oberwinter gehörte zu Jülich) in Stand setzen. Bei diesen Arbeiten wurde ein römischer Meilenstein gefunden. An der Fundstelle ließ Karl Theodor 1768 den — inzwischen leider stark angegriffenen — Meilenstein mit lateinischer Inschrift errichten. Der übersetzte Text lautet wie folgt: »Den unter den Kaisern Marcus Aurelius und Lucius Verus im Jahre 162 nach Christus angelegten Weg hat Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Bayern, Jülich, Kleve und Berg wiederhergestellt und erweitert im Jahre 1768. Sein Stadthalter, Graf Johann Ludwig von Goldstein, ließ für seinen Fürsten diesen Gedenkstein errichten«. Es wäre zu wünschen, daß dieses historische Denkmal wieder in eine angemessene Form gesetzt würde. Auch an anderen Stellen der Gemarkung sind römische Ziegel, Münzen und Scherben gefunden worden. Eine weitere Aufzählung würde jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Belegen alle diese Bodenfunde die Anwesenheit der Römer in unserem Gebiet, so fehlt es doch an sicheren Belegen für eine Siedlung, die »Keimzelle« für unseren Ort hätte werden können. Immerhin kann darauf hingewiesen werden, daß der Name Oberwinter unzweifelhaft lateinischen Ursprungs ist. In den ersten Urkunden ab dem 9. Jahrhundert als uuinitorio oder wintere bezeichnet, wird sein Name auf vinitorium, das entspricht etwa dem Begriff Winzerort, zurückgeführt. Es erscheint damit ziemlich unwahrscheinlich, daß die Namensbildung (und damit auch die Entstehung einer »Keimzelle« des Ortes) erst in nachrömischer Zeit erfolgt ist. Wenn der Weinbau etwa im 374. nachchristlichen Jahrhundert von den Römern bis in unsere Gegend gebracht worden ist, so könnte auch eine erste Ansiedlung, die letztlich zur Namensgebung geführt hat, in die römische Epoche datiert werden. Dies um so eher, als der Weinbau mit der Vertreibung der Römer durch die Franken aus dem Rheinland zunächst verfiel. Eine menschliche Ansiedlung, möglicherweise seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, erscheint daher durchaus möglich.
Die fränkische Zeit
Ungeachtet aller germanischen Anstürme haben sich die Römer bis ins 5. Jahrhundert hinein am Rhein halten können. Gegen 460 fiel Köln, die Hauptstadt der im 1. nachchristlichen Jahrhundert eingerichteten Provinz Niedergermanien. Auch unser Land wurde fränkisch; die »Pax Romana« wurde damit von der »Frankia Rinensis« abgelöst. Schriftliche Urkunden aus dieser Zeit fehlen. Es gibt aber auch keinerlei archäologische Funde. Für diese Zeit sind viele Kriegs- und Plünderungszüge von Alemannen, Sachsen und Friesen belegt. Erst langsam bilden sich als Verwaltungsbezirke die fränkischen Gaue heraus. Große Teile des ehemals römischen Gebietes kamen in Königsbesitz. Wir dürfen davon ausgehen, daß wohl auch die Überwinterer Gemarkung als Königsgut von Sinzig aus verwaltet wurde. Ein erster Hinweis auf eine Ansiedlung in Oberwinter findet sich im Protokollbuch des Hofgerichts des hiesigen Marienhofes. In diesem Buch, das mit dem Jahre 1690 beginnt, heißt es auf der ersten Seite: »Anno 566 ist der Hoff zu Oberwinter. .. von der Königin Plectura dem Stifte Sancta Maria in Capitolio.. . gegeben (worden)«. Plectura, die Ehefrau des Franken Pipin des Mittleren, hat um 700 gelebt. Das genannte Schenkungsdatum 566 ist daher historisch nicht haltbar. Andererseits wird die Königin Plectura immer wieder mit der Stiftung des Kölner Stiftes Maria im Kapitol, in der sie auch ihr Grab gefunden hat, in Verbindung gebracht. Sie soll diese Stiftung reich mit Gütern ausgestattet haben (Plectrudische Stiftung). Da der Marienhof bis zur Säkularisation im Jahre 1802/3 dem Kölner Stift gehört hat, erscheint es jedenfalls durchaus möglich, daß bereits zur Zeit der Schenkung, also um 700 nach Christus, der (weinbautreibende) Marienhof in Oberwinter belegt werden kann.
Frühe urkundliche Nennungen
Die erste nachweisbare Nennung des Ortes fällt ins Jahr 886. Gegenstand dieser Urkunde, die sich heute (in einer sehr alten Abschrift) in der Stadtbücherei in Trier befindet, ist eine Vereinbarung zwischen Abt Ansbald vom Kloster Prüm und einem gewissen Hartmann. Für uns ist wichtig, daß in der Urkunde als Güter der Martinskirche in Vilipp unter anderem, Weingärten zwischen »riegamaga et oncale et uuinitorio et cazbach. .. et einazfelt et filip-pia.. .« erwähnt werden, also neben Remagen und Unkel auch die Orte »Winter« und »Einz-feld«. Die heimatgeschichtliche Forschung sieht dieses »Winter« heute als Oberwinter an. Zwar erscheint auch der rechtsrheinisch gelegene Ort »Königswinter« in frühen Urkunden als mit »Winter« bezeichnet. Für Oberwinter sprechen aber die in der Urkunde aufgezählten Nachbarorte sowie der Umstand, daß — auch später — für die Vilipper Kirche nie Güter auf der rechten Rheinseite belegt sind (zuletzt: von Rey, Bonner Geschichtsblätter, Band 34,1982, S. 11).
Seit dieser Zeit findet sich unser »Winter« wiederholt in Liegenschaftsverzeichnissen oder sonstigen Urkunden erwähnt: So in dem berühmten Verzeichnis der Besitzungen der Abtei Prüm, dem »Prümer Urbar« aus dem Jahre 893. Auch dort ergibt sich aus der Nennung im Zusammenhang mit anderen Ortschaften, daß es sich um Oberwinter handeln muß. In späterer Zeit wird Oberwinter — um es von Königswinter unterscheiden zu können — Lucele Winteren, Lützel Winter oder Kleinwinter genannt. In anderen Texten findet sich der Begriff »wintere minori«, das Kleine Winter. Erst um 1500 ist der Name »Oberwinter« belegt, möglicherweise wegen der geographischen Lage unseres Ortes oberhalb Königswinters. Auch aus der Zeit bis 1200 haben sich nur wenige Urkunden erhalten, die unsere Gemarkung betreffen. So immerhin die Bestätigungsbulle des Papstes Innocenz II. für das Bonner Cassiusstift vom 31. März 1131. In ihr wird erstmalig eine Kirche in »wintere minori« mit ihrem ganzen Zehnten erwähnt. 1166 wird erstmalig der Ortsteil »Birgel« urkundlich genannt. In den folgenden Jahrhunderten findet sich in alten Urkunden der Hinweis auf die »Herrlichkeit Oberwinter«, die die Orte Oberwinter, Birgel, Bandorf und Einzfeld sowie Kirchdaun mit Gimmingen umschloß. Der Ursprung dieser »Herrlichkeit« liegt im Dunkel der Geschichte. In einer alten Chronik wird die Vermutung ausgesprochen, daß dieses Gebiet ursprünglich Reichsgebiet war. Möglicherweise habe Kaiser Ludwig der Bayer aus dem Hause Wittelsbach für seinen Bruder, den Pfalzgrafen Rudolf, unter anderem auch die Gebietsteile um Oberwinter von den Reichslehen getrennt. Nachzuweisen ist nur, daß 1318 die Herrlichkeit Oberwinter Herrn Gerhard von Landskrone an der Ahr zu Lehen gegeben wurde.
Die Landskroner Zeit
Mit diesem Datum beginnt für Oberwinter eine neue Epoche: Vom Kölner Erzbischof erhielt Gerhard, der Burggraf von der Landskrone, die Kirchspiele Winter und Birgel zu Lehen. 1366 kam die Herrschaft aufgrund eines Erbvertrages an die Herren von Tomburg: Die Erbtochter Gerhards, Kunigunde, brachte es als Mitgift mit in ihre Ehe mit Friedrich von Tomburg ein. Im Jahre 1441 wurde die Herrlichkeit Oberwinter geteilt: Elisabeth von Saffenburg, eine der beiden Erbtöcher von Landskron und Tomburg, heiratete Herrn Lutter Quad von Isengarten und erhielt den halben Anteil der Herrlichkeit. Sie begründeten das Geschlecht der Quad von Landskron. So einfach ging der Besitzübergang freilich nicht vor sich: Elisabeths Vater, Herr Kraft von Saffenburg, Herr zu Tomburg und Landskron und sein Sohn Johann gaben nach dem erhaltenen Vertrag, der »Freitag nach Christi Himmelfahrt 1441« geschlossen wurde, Tochter und Schwester dem Knappen Lutter Quad zur Frau. Als Mitgift sollte Elisabeth 3 000 gute rheinische Gulden in Münzen des Kurfürsten am Rhein erhalten. Wenn wir, so verpflichteten sich Vater und Sohn Saffenburg, »dann solches Geld nicht gereit (bereit) han, so han wir darvun ingegeven, verschrieven halff scheit unsere Dorpere Winteren, Birgel, Bachendorf und Enzfeld. . .« (Rheinischer Antiquarius III, 9, S. 390).
Damit verpflichteten sie sich, dem jungen Paar die Hälfte ihrer Dörfer Winter, Birgel usw. und, wie sie später formulieren, die Hälfte der Rechte und Einkünfte zu überschreiben, sofern sie den ausgelobten Betrag nicht aufbringen könnten. Das Geld war offensichtlich schon damals knapp: Nur 10 Jahre später, 1451, wird den Betroffenen, d. h. den Schultheißen, Schöffen, Gemeinden und Untertanen der betreffenden Orte mitgeteilt, sie hätten die Renten in Zukunft an den »getreuen Ritter Lutter Quad, Herrn zu Tomburg und Landskron« zu zahlen. Damit war Lutter Quad faktisch im Besitz der einen Hälfte der Herrlichkeit Oberwinter.
Der Raum Oberwinter Anfang des 19. Jahrhunderts (Ausschnitt aus der Tranchot-Karte)
Oberwinter, Mitte des 19. Jahrhunderts. (Lith. v. Chr. Hohe)
Die zweite Saffenburg-Tochter Gertrud führte die andere »Überwinterer Hälfte« als Heiratsgut ihrem Mann Friedrich von Sombreff zu. Im Wege des Erbgangs erwarben 1506 die Grafen von Manderscheidt-Schleiden die Sombreffsche Hälfte von Oberwinter. Erst 1766 sollte unsere Herrlichkeit wieder in einer Hand vereinigt werden: In diesem Jahre verschied mit Franz Bernhard von Quad der letzte männliche Nachkomme seiner Linie. Sein Anteil gelangte durch Lehensanfall an die Jülicher Lehensherren, die die Herrschaft Oberwinter im Jahre 1567 gegen das Gebiet um Gaulsheim am Rhein mit dem Pfalzgrafen — dem ursprünglichen Lehensherrn — eingetauscht hatten. Der Manderscheidtsche Anteil von Oberwinter war bereits 1593 an Jülich zurückgefallen. Seitdem wurde — wie der Rheinische Antiquarius Mitte des 19. Jahrhunderts berichtet — die Herrlichkeit Oberwinter als ein »Bestandteil des (Jülischen) Amtes Sinzig betrachtet, jedoch das Einkommen besonders berechnet«.
Vorstehende Ausführungen sind vorab der Festschrift zum 110Ojährigen Jubiläum entnommen. Dort sind auch weitere Quellenangaben zu finden.