Man muß sich nur zu helfen wissen!
Wilhelm Knippler
War da anno dazumal ein Polizeiwachtmeister Fleckenstein, noch die alte Ausgabe mit Schnurrbart, achtbarem Umfang, Schleppsäbel und selbstverständlich mit Pickelhaube, ähnlich der Persönlichkeit, die Heinrich Zille gezeichnet hat.
Wo Wachtmeister Fleckenstein auftrat, gingen wir Buben stiften. Er war in unserem Jugendbereich die Respektperson. Wenn seine Stimme energisch ertönte, dann wurde es ruhig. Wenn er gar blank zog, dann wurden die gefährlichsten Streithähne lammfromm. Fleckenstein war die personifizierte Staatsgewalt.
Er hatte nur eine einzige Schwäche, aber die hätte seinen ganzen Nimbus zerstören können. Fleckenstein stand auf Kriegsfuß mit der deutschen Rechtschreibung. Schrieb er ein Protokoll, dann wimmelte es darin von Fehlern. Er half sich, so gut er konnte und verwendete Verhandlungsniederschriften ähnlicher Fälle als Muster. Das war aber zeitraubend und brachte ihn manchmal trotz aller Vorsicht in Verlegenheit.
Dann auf einmal war bei ihm der Groschen gefallen, Fleckenstein brauchte keine alten Vorlagen mehr. Alle seine Prorokolle waren fehlerfrei, sogar die Interpunktion war richtig.
— Hatte er Nachhilfeunterricht in Rechtschreibung genommen, hatte er sich etwa autodidaktisch weitergebildet? Keineswegs!
— Fleckenstein hatte einen guten Einfall. Ein ganz neuer Weg zu fehlerfreiem Deutsch wurde von ihm entdeckt und beschritten1
War ein Protokoll zu schreiben, so rief er mit Stentorstimme: „Franziska, bitte zum Diktat!‘
Und aus dem Nebenzimmer eilte ein junges Mädchen herbei mit Stenogrammblock und Bleistift. Fleckenstein diktierte das Protokoll, fließend, in gutem preußischen Polizeideutsch.
Alsdann verschwand Franziska, und nach einigen Minuten lag das Protokoll, tadellos mit Schreibmaschine geschrieben und — Hauptsache — absolut ohne Rechtschreibefehler auf dem Schreibtisch des Wachtmeisters Fleckenstein.
Die Geschichte ist aber noch nicht am Ende! Fleckenstein hätte nur zu unterzeichnen brauchen, doch jetzt kam erst die Hauptsache, Er nahm einen neuen Bogen und schrieb mit schöner Handschrift Wort für Wort, mitunter gar Buchstabe für Buchstabe, das von ihm diktierte Protokoll ab, wirklich fehlerfrei.
Franziskas Schriftstück verschwand im diskreten Papierkorb, sein handgeschriebenes Dokument wurde, mit seiner schwungvollen Unterschrift versehen, weitergereicht auf dem vorgeschriebenen Dienstwege.
Man muß sich nur zu helfen wissen!
Übrigens, es möge niemand annehmen, hier offenbare sich Lehrerarroganz. Nein, eine solche war mir schon in jungen Jahren ausgetrieben worden — Ich war bereits zwei Jahre im Schuldienst, hatte pflichtgemäß gründlichen Orthographieunterricht erteilt, als mir mein Vater schrieb: „Wilhelm, Du schreibst, und es ist kein Flüchtigkeitsfehler, das Wort ,,Geduld“ falsch!“ (Wer lacht da?)
Seitdem hat dieses Wort für mich eine Doppelbedeutung und hängt mahnend über meinem Schreibtisch.