Maler der Nazarenerschule im Kreise Ahrweiler
VON WALTHER OTTENDORFF-SIMROCK
Daß die literarische Romantik zusammen mit der kirchlichen Restauration auch in der bildenden Kunst des Rheinlandes einen leuchtenden Widerschein fand, kann nicht wundernehmen. Von den rheinischen Nazarenern gingen diese Strahlen aus. JUSTUS HASHAGEN
Es kann nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, das Wesen der Nazarenerschule darzustellen, ihren Standort in der Geschichte der bildenden Kunst zu bestimmen und den Gründen nachzuforschen, warum die Tafelmalerei der Nazarener auf die religiöse Kunst bis zum Expressionismus in so starkem Maße gewirkt hat). Wir wollen uns im folgenden nur mit den aus dem rheinischen Raum und insbesondere mit den aus unserer engeren Heimat stammenden Malern befassen, die im vorigen Jahrhundert ihre Kunst in den Dienst der Religion gestellt haben, deren Werke dem Bereich der kirchlichen Kunst angehören. Da ist zu nennen der Koblenzer Joseph Anton Settegast (1813 bis 189o), Schüler des Frankfurter Nazareners Philipp Veit, seines späteren Schwiegervaters. Settegast schuf zahlreiche Wandgemälde und Altarbilder in Kirchen des Mittelrheingebiets, so in Koblenz und Ehrenbreitstein, Kobern, Hattenheim und Mainz. Weiter ist des allzu früh dahingegangenen Johann Martin Niederée aus Linz (183o-1853) zu gedenken.
Handschriftprobe von Professor Karl Müller
Mit der Kreisstadt Ahrweiler und mit Remagen verbinden sich vor allem die Namen der Brüder Andreas Müller (geb. 14. z. 1811 in Kassel, gest. 29. 3. 1890 in Düsseldorf) und Karl Müller (geb. 29. -10. -18-18 in Darmstadt, gest. 15. B. 1893 in Bad Neuenahr). Sie waren ebenso wie ihre Künstlerfreunde Ernst Deger und Franz Ittenbach Schüler des großen Meisters Wilhelm von Schadow. Dieser als Sohn des berühmten Bildhauers Johann Gottfried Schadow, des Schöpfers der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, 1788 in Berlin geborene Maler trat 1813 in Rom der Lukasbruderschaft der Nazarener bei und konvertierte. -1826 wurde er als Akademiedirektor und Nachfolger von Cornelius nach Düsseldorf berufen. Zusammen mit Karl Sohn und anderen Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie weilte er häufig zu Besuch in dem gastlichen Haus Müller-Fechemer am Niedertor in Ahrweiler. „Herberge der Künstler“, diesen ehrenvollen Namen erhielt damals dieses fast 250 Jahre alte Haus mit dem schönen Fachwerkgiebel2). Wilhelm von Schadow wurde durch den Erwerb des Gutes Godenhaus bei Sinzig, wo er in den Akademieferien meist wohnte, um 1850 übrigens Bürger des Kreises Ahrweiler. Unter dem Namen eines Ritter von Godenhaus wurde er im Jahre 1859 bei seinem Eintritt in den Ruhestand geadelt (gest. 1862 in Düsseldorf). Andreas und Karl Müller, Deger und Ittenbach malten nach einem langen Studium der römischen Fresken im Auftrage des Grafen von Fürstenberg-Stammheim zwischen 1843. und 1850 zu viert die Apollinariskirche über Remagen aus. Karl Müller, der 1857 zum Professor und 1883 zum Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie ernannt wurde, schrieb eine Reihe noch unveröffentlichter Briefe an Agnes Simrock, die älteste Tochter des Bonner Universitätsprofessors und Dichters Karl Simrock, die sich im Besitz des Verfassers dieses Aufsatzes befinden.
Paul Clemen, der langjährige rheinische Provinzialkonservator, ein Kunstgelehrter von hohem Rang, nennt die Nazarenerfresken in der Apollinariskirche „zarte und liebenswürdige Wandgemälde“. Tatkräftige Hände haben diese Bilder in unseren Tagen vor der drohenden Zerstörung gerettet3). Schon zu Lebzeiten der Maler hat es aber Kritiker gegeben, welche die zarte Farbengebung ihrer, Bilder als „süßlich“ bezeichnet haben. So veranlaßte die Ausstellung des Gemäldes „Jünger zu Emmaus“ von Karl Müller den Kunstberichter einer Berliner Zeitung zu der bissigen Bemerkung, Christus und die jünger seien „in Glacéhandschuhen “ dargestellt. Die Ablehnung, die der Kunst der Nazarener auch heute noch vielfach begegnet, bedarf einer Überprüfung.
Die Nazarener und ihr künstlerisches Wollen werden in manchem erst verständlich, wenn man sie auf dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Biedermeiers sieht. Es handelt sich um jene Epoche, die wir in der Zeit des bürgerlichen Spätklassizismus der Restaurationszeit und des Vormärz zwischen 1815 und 1848, aber noch ausstrahlend in die zweite Jahrhunderthälfte, anzusetzen gewohnt sind. Unsere betriebsame Gegenwart neigt vielfach dazu, die Menschen jener beschaulichen Epoche mit ihrer Neigung zur Idylle, zur Freude am Kleinen, ihrem Streben nach Bewahrung des Überkommenen ein wenig zu belächeln. Nicht wenige verkennen hierbei aber eine grundlegende Tatsache: Bei dem Biedermeier handelt es sich, wie einer seiner besten Kenner, Paul Kluckhohn4), es formuliert hat, um „die letzte noch einigermaßen einheitliche deutsche Kulturepoche“. Sie weist in ihren kulturellen Äußerungen einen Lebensstil auf, der im Bürgertum gründet. Die emanzipierte bürgerliche Schicht tritt das geistige Erbe der Romantik ebenso wie das Erbe der Klassik und des deutschen Idealismus an, das sie im eigenen Sinne verwaltet. Dem Bürger ist die Beteiligung an politischen Angelegenheiten unter dem Zwange der Karlsbader Beschlüsse weitgehend verwehrt, er zieht sich daher in den Kreis seiner Familie und häuslicher Geselligkeit zurück, bemüht sich um die Pflege geistiger und künstlerischer Werte, um die Hebung des Bildungsniveaus und um eine musisch belebte Geselligkeit. Dabei führt er ein einfaches, ja entsagungsvolles Leben, was auch in den betont schlichten Formen der Wohnung und des Mobiliars jener Zeit zum Ausdruck kommt. Zu dieser eingeschränkten Lebenshaltung mochte beitragen, daß das deutsche Bürgertum nach den napoleonischen Kriegen in seinem materiellen Wohlstand zurückgegangen war. Entsagung bedeutet für den Menschen der Biedermeierzeit aber vor allem Abwendung vom Chaotischen, Zähmung der Leidenschaften und ein von den Normen der Religion, der Moral und Sitte bestimmtes Leben. Die Hinwendung zu Gott als dem Geber alles dessen, was ist und geschieht, und das sich Geborgenwissen in der Kirche sind für diese Menschen selbstverständlich. Aus dieser Grundhaltung heraus erklären sich auch manche für das Biedermeier charakteristische Züge: die schon für die Romantik bezeichnende „Andacht zum Menschenbilde“, Reife und Milde, Streben nach Weisheit und Abgeklärtheit des Alters, Ehrfurcht vor dem historisch Gewordenen und dem organisch Gewachsenen, die liebevolle Hege und Pflege des Kleinen und scheinbar Unbedeutenden5).
Der biedermeierlichen Lebensauffassung entspricht die Kunst der Nazarenerschule in hohem Maße. Der von den Malern Overbeck und Pf orr 1809 in Anlehnung an religiöse Bruderschaften gegründete Lukasbund (nach dem Evangelisten Lukas, der auch ein Maler gewesen sein soll und daher als Schutzheiliger dieser Zunft gilt), machte es seinen Mitgliedern zur Pflicht, „brüderlich zu leben und gemeinsam die Wahrheit zu suchen“. In ihrem Ringen um eine Erneuerung der christlichen Kunst erstrebten die Lukasbrüder – seit 1810 wirkten sie in Rom – eine fromme, verinnerlichte Kunst nach Art des Fra Angelico und des Perugino, des jungen Raffael und des reifen Dürer. Sie wählten Motive aus der Bibel und aus der mittelalterlichen Dichtung für ihre Gemälde. Ihre den genannten großen Vorbildern ehrfürchtig zugeneigte Kunst vermeidet jeden heroischen Zug, jedes Pathos. Die von einer seelenvollen, innigen Frömmigkeit erfüllte Darstellung des biblischen oder legendären Geschehens ist aber auch von einem tiefen Schönheitsempfinden durchklungen. Schön in idealem Sinne sind nicht nur die Gestalten Christi und der Gottesmutter, der Apostel und der Heiligen, die jene Maler an Wände und Gewölbebogen der Kirchen, auf Flügel und Predella der Altäre malten, sondern auch die von ihnen dargestellten Menschen. Daß Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, war der Nazarener heilige Überzeugung. Demgegenüber mag die Entstellung des Menschenantlitzes, wie sie in den Werken mancher Vertreter der zeitgenössischen Kunst sichtbar wird, nur zu oft in einer Leugnung dieser biblischen Wahrheit, damit des Schöpfergottes selbst, begründet sein.
Viele Menschen unserer Zeit haben sich von der kindlichen Frömmigkeit der Nazarener offenbar so weit entfernt, daß sie die verinnerlichte Art ihrer Bilder als blutleer empfinden. Hierzu kommt die oft recht gedankenlos nachgesprochene Gleichsetzung von „nazarenisch“ und „katholisch“. Diese trifft in dieser Zuspitzung keineswegs zu. Zwar finden sich gerade unter den Nazarenern namhafte Künstler, wie die schon genannten Maler Wilhelm von Schadow, Veit u. a., die zur katholischen Kirche übergetreten sind. Auf der anderen Seite haben ihre frommen Ideale aber auch auf überzeugte Protestanten tiefgründig gewirkt. Ein Beispiel aus unseren engeren Heimat ist Karl Andreae (1823 bis 1904). Der aus Mülheim am Rhein stammende Fabrikantensohn schlug 2882 in dem ehemaligen Klostergut Helenaberg in Sinzig sein Atelier auf. Er hat uns durch eine schöne Selbstbiographie Blicke in sein religiös-künstlerisches Innenleben erschlossen6). Dieser 1901 für seine Familie niedergeschriebene Abriß des Lebens und Schaffens des Sinziger Nazareners verdient es, der Öffentlichkeit und insbesondere den Lesern des Heimat-Jahrbuchs des Kreises Ahrweiler im folgenden dargeboten zu werden. Bei der Wiedergabe sind einige Abschnitte der Autobiographie behutsam gekürzt worden, um die Künstlerpersönlichkeit in den Vorder- grund treten zu lassen, ohne jedoch die liebenswerten Züge Karl Andreaes, die seine Enkel treu im Gedächtnis bewahrt haben, zu übersehen. Die Schreibweise wurde der heutigen Rechtschreibung und Zeichensetzung angepaßt.
- Zur kunstwissenschaftlichen Thematik vgl.: F. H. Lehr, Die Blütezeit romantischer Bildkunst (1924); P. F. Schmidt, Die Lukasbrüder (1924); C. G. Heise, Overbeck und sein Kreis (1928); K. Gerstenberg und P. O. Rave, Die Wandgemälde der deutschen Romantiker im Casino Massimo zu Rom (1934).
- Über die „Herberge der Künstler“, ihre Bewohner und Gäste vgl. L. Kaufmann, Jugenderinnerungen an Ahrweiler (1879); W. Ottendorff-Simrock, Die Ahr, Ansichten des 29. Jahrhunderts (1953), S,. 17; derselbe, Die Herberge der Künstler, Jugenderinnerungen an Alt-Ahrweiler, in: Bad Neuenahrer Kur- und Fremdenliste, . 92. Jahrg. 1954, Nr. 41 und 42; J. Rausch, Das Haus Heinrichs erzählt von seinen Bewohnern und erlauchten Gästen, in: Ahrweiler Stadtnachrichten Nr. 36 vom 8. 9. 1962..
- Vgl. H. Lerch, Die Fresken der Nazarener. Eine Studie, in: Heimat=Jahrbuch 1956 für den Landkreis Ahrweiler, S. 37-48; M. Heise, Das Werk der Nazarener ist gerettet, in: Rhein=Zeitung, Bez.-Ausg. Kr. Ahrweiler, Nr. 87, 1963.
- Vgl. P. Kluckhohn, Biedermeier als literarische Epochenbezeichnung. Ein erweiterter Vortrag, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, XIII. Bd. (1935). 5. 1-43.
- 5) Zur Geisteshaltung des Biedermeiers vgl. auch W. Ottendorff=Simrock, Ungedruckte Briefe an Sibylle Mertens=Schaaffhausen, Bonn 1963.
- Vgl. Beiträge zur Genealogie und Geschichte der Familien Andreae, Bd. I, Heft I-III. Als Manuskript gedruckt (1902), S. 63-67.
SELBSTBIOGRAPHIE
DES MALERS PROFESSOR KARL CHRISTIAN ANDREAE
Am 3. Februar -1823 wurde ich in Mülheim am Rhein voreilig geboren als ein winziges Geschöpf, nur 2 1/2 Pfund schwer. Etwas von dieser Leichtigkeit behielt ich bis heute, wurde aber unter der liebevollsten Pflege der Mutter ein recht‘ gesunder Mensch. Meine Geschwister, Christoph, vier Jahre älter als ich, Schwester Adele, fünf Jahre nach mir zur Welt gekommen, und Otto, zehn Jahre jünger als ich, spielten in meiner Kindheit für mich keine Rolle. Aber im Nachbarhause, vordem vom Großvater Christoph Andreae bewohnt, hauste meines Vaters ältester Bruder Gustav mit vier Töchtern, die ihre Mutter früh verloren, und mit ihnen wurde ich erzogen. Wir hatten zusammen einen Hauslehrer, und, die jüngste Schwester Pauline hatte wohl den größten Einfluß auf mein Kindesleben; sie war ein Jahr älter als ich.
Als ich fünf Jahre zählte, konnten Pauline und ich flott lesen, schreiben und zeichnen, und ich liebte es besonders, Silhouetten und Blumen zierlich zu schneiden.
Die Mülheimer alten Andreaeschen Häuser und ihre Gärten waren noch reich ausgestattet mit Bildern, schönen alten Möbeln, Statuen und Grotten; sie und die prächtige Abtei Altenberg, die von dem Familien-Landsitz in Schlebusch häufig besucht wurden, wirkten stark auf meine Phantasie.
Damals war die Vorbereitung zum Kaufmann auch für uns Mülheimer die höhere Bürgerschule in Köln, in der Bruder Christoph erzogen wurde. Als für- mich die Zeit kam, denselben Weg zu gehen, mußte ich ihm folgen.
Somit hörten mit zehn Jahren alle meine Jugendfreuden auf, und ich war nahe daran, total unglücklich zu werden. Hätte ich in Köln nicht den Dom gehabt und zweimal wöchentlich Zeichenstunden bei einem unvergeßlichen Herrn Katz, Besitzer einer Bilder- und Kupferstich-Galerie, wo ich nach meiner Neigung in Kreide große Kopien zeichnete, welche den Eltern so gefielen, daß sie in schönen Rahmen ihre Wohnräume zierten, – ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre.
Professor Karl Andreae. Noch einem Selbstbildnis des Malers
Ich war kein guter Schüler in der Bürgerschule, namentlich die Mathematik war meine Feindin. Ich stieg von Klasse zu Klasse bis zur Sekunda in beständigem Streit mit allen Lehrern. Unglücklicherweise verfiel ich darauf, die ungeliebtesten Lehrer zu karikieren, und durch meine Mitschüler wurden meine Karikaturen auf allen Tafeln und an den Wänden vervielfältigt. Man wußte genau, daß ich der Sünder sei, und der Herr Direktor führte mich in den Karzer! Wut und Verzweiflung ergriffen mich. Die ganze Klasse befreite mich bald aus dem Loch, und ich entfloh trotz scharfen Winters nach Mülheim zur Mutter mit dem felsenfesten Entschluß, nicht mehr zur Schule zurückzukehren, lieber im Rhein zu verschwinden!
Mutter in ihrer Not sandte zum Herrn Pastor Noell und bat ihn, sie sofort zu besuchen. Er hatte bedeutenden Einfluß in der Familie, und er war mir sehr zugetan. Vater und Onkel Gustav kamen mit dem Pastor, und es entstand eine große Debatte, was man mit mir anfangen solle. Endlich siegte Pastor Noell mit dem Vorschlage: „Karl hat künstlerische Gaben, aber durchaus keine kaufmännischen; übergeben Sie ihn der Düsseldorfer Akademie, da wird er gedeihen.“
An so etwas hatte ich nie gedacht; es erschreckte mich! Was ist ein Künstler, ein Maler? – Auf zwei Pfeifenköpfen meines Vaters waren die Bildnisse von Raffael und Rubens gemalt, und mein Vater erzählte mir gern von diesen allergrößten Malern, aber einen l e b e n d i g e n Maler hatte ich noch nie gesehen, nur einen Mülheimer Anstreicher Formes redete man zuweilen mit „Maler“ an. Ich aber fühlte mich als Kind der alten Firma Christoph Andreae in Mülheim und Wien zu einem reich ausgestatteten Leben geboren.
Im Augenblick aber überwog das sofortige Aufgeben der Kölner Bürgerschule alles. Mutter und der Herr Pastor siegten – in meines Vaters Seele war Hochachtung für Kunst! -, und anderen Tages ließ Vater anspannen. Im Wagen wurden allerlei ,von mir gemalte Bilder eingepackt; wir fuhren nach Düsseldorf und hielten vor dem schönen Haus des Direktors von Schadow, der uns freundlich empfing, und ich war bald darauf Schüler der Akademie. Sehr bald hatte ich die unteren Klassen hinter mir, und mit achtzehn Jahren stand ich in der Meisterklasse vor einer grandiosen Leinwand zwischen alten Herren mit langen Haaren und Bärten und begann mein großes Pfingstbild, Petri Predigt, welches in nicht zwei Jahren vollendet war, verwundert angeschaut und in Berlin gekrönt wurde. Nun war ich frei und glücklich, und die ganze Welt stand mir offen. In der Malklasse war Professor Karl Sohn mein Lehrer, bewundert und geliebt von mir; in seinem Atelier malte ich ein großes Porträt meiner Mutter. In meiner ganzen Malerlaufbahn spielt das Porträt eine große Rolle; wenn religiöse oder Geschichtsbilder mich angriffen, so erquickte mich das Porträt.
Nachdem ich Düsseldorf aufgegeben hatte, um nach Rom aufzubrechen, malte ich noch ein großes Bildnis von Pauline und ein kleineres von ihrem Bräutigam, der bald ihr Mann wurde: – Ich wünschte dem Paar alles Gute, packte meine Koffer und zog ins Weite.
Das war im Mai 2845. Für Rom hatte ich zwei Empfehlungen bekommen, die eine von unserer Firma Christoph Andreae an den Bankier von K. und die andere von Pastor Küpper in Köln, der mich konfirmiert hatte, an den evangelischen Gesandtschaftspfarrer Thiele. Die preußische Gesandtschaft wurde mein römisches Heim, der Gesandte, Graf Usedom, war mir sehr gut gesinnt und blieb es. Nachdem Thiele eine höhere Stellung in seinem Vaterland Braunschweig erhalten und Herr Pabst aus Hannover den Palazzo Caffarelli bezogen hatte, wurde dieser mein innigster Freund fürs Leben.
Schon in Düsseldorf liebte ich Cornelius über alles; persönlich lernte ich ihn erst in Rom kennen, und bis an sein Ende blieb er mir gut. Weniger nah trat ich Overbeck. Seine biblische Auffassung schätzte ich sehr; er war sehr ehrwürdig, fast wie ein Heiliger, für mich aber fast unnahbar. Viel mehr sagte mir der Verkehr mit dem feinen und edlen von Steinle zu, den ich nach der Rom-Epoche jedes Jahr in Frankfurt aufsuchte. Von ihm lernte ich die Wachstempera-Behandlung für monumentale Wandmalerei. Ich begann sie mit vier Bildern für das Sinziger Schloß im Auftrage meines Schwagers Bunge. August Reichensperger, von mir verehrt schon in den ersten Jahren in Düsseldorf, stellte mich Steinle vor.
Ein Kupferstecher, nachher auch Landschaftsmaler, Lindemann-Frommel aus Karlsruhe, gewann Einfluß auf mich; meine großen Sammlungen von Zeichnungen aus ganz Italien und Deutschland verdankte ich ihm und somit die Kunst, auf kleiner Fläche Großes zu erzielen. Meine Studien-Mappen erfreuten sehr Viele, besonders unseren König Friedrich Wilhelm IV., dem meine Mappen von Usedom präsentiert wurden; sie sind eine liebe Unterhaltung in meinen alten Tagen.
Meine Eltern besuchten mich in Italien den ganzen Winter von 2846 bis 1847; in Venedig holte ich sie ab. Der Hauptaufenthalt war in Rom, aber Neapel und Sorrento wurden auch voll genossen.
1848 kam ich von Rom in die liebe Heimat zurück, hauptsächlich, weil Cornelius in Berlin den großen Bilder-Zyklus für die Königsgruft, eine Art von tampo Santo, beginnen sollte; und ich hoffen durfte, bei ihm zu arbeiten. Auch hatte Pabst mich an seine besten Freunde, die Familie von Arnswaldt in Hannover, empfohlen, die einige Porträts von mir verlangte. Aber es kam anders, als wir dachten. Zuerst landete ich bei meinen. Eltern auf dem Helenaberg, den mein Vater nach dem Tode des ehemaligen Besitzers, des ältesten Bruders meiner Mutter, Karl Rhodius, gekauft und‘ eben übernommen hatte, und begegnete da zum ersten Male Marie Dilthey, einer Freundin meiner Kusine Lohr in Rheydt. Es überkam mich ganz plötzlich: Die oder keine. Sie war erst vierzehn Jahre, und ich wußte, wie lange ich noch zu warten hatte; aber es kam ein großes Glücksgefühl über mich. Nun reiste ich nach Hannover und fand die liebevollste Aufnahme bei von Arnswaldts. Aus Berlin erscholl der Schreckensruf: Revolution! Eine Menge sehr ausgezeichneter Männer flüchtete nach Hannover, unter ihnen die zwei Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, befreundet mit dem gastlichen Arnswaldtschen Hause. Nachdem ich mehrere Porträts gemalt hatte, erfuhr ich, daß Cornelius nach Rom zurück sei. Da entschloß ich mich auch dazu, denn an ein ruhiges Arbeiten hier war nicht zu denken; die guten Eltern waren damit zufrieden. Wie anders kam ich nach der Ewigen Stadt zurück, innerlich glücklich mit schönem Ziel!
Aber mit der Ruhe in Rom war es bald vorbei. Dieselben Gewitterwolken, welche über dem Haupte des Königs von Preußen geplatzt waren, sah man sich zusammenballen über der Tiara von Pio nono; er floh nach Gaeta; Rom wurde belagert, und ich erlebte einen Krieg und hatte gar keine Angst vor all den Kugeln und Bomben und dem Hunger und Durst, die wir mit den Römern teilten. Vieles und Großes erlebte ich. Herr Pabst wollte die ganz leere preußische Gesandtschaft nicht verlassen und ich ihn nicht – er begrub manche Deutsche, die aus dem badischen Krieg zu Garibaldi geflüchtet waren und von den Franzosen in Rom erschossen wurden. Herr Pabst schrieb wöchentlich zweibis dreimal Briefe aus Rom an den König von Preußen, und ich legte Illustrationen der zerschossenen Paläste und verbrannten Villen und Gärten bei, zeichnete auch auf eine lange Kupferplatte ein Panorama von Rom im Dampf des Krieges, die Luft voller platzender Bomben. Als ich die Zeichnung fertig hatte und den Palazzo Caffarelli verließ, konnte ich fünf Spitzkugeln aus der Wand hinter mir herausarbeiten. In den Palast drangen Achtundvierzigpfünder und mehrere Bomben. Endlich mußte Garibaldi weichen, die Franzosen zogen triumphierend in Rom ein und ich aus — nach der Heimat. Nachdem ich die Eltern begrüßt und Rheydt eine Neujahrsvisite gemacht hatte, suchte ich Berlin auf und installierte mich, wo Cornelius wieder wohnte und Grimms auch. Die Hauptstadt Preußens hat mich nie gelockt, wohl aber die vielen wirklich großen Männer dort !
Ein römischer Kollege, Professor Pfannschmidt, Schüler von Cornelius, verhalf mir zu einem schönen Atelier, dicht neben dem seinen. Ich verdanke ihm viel; er war fleißig, wie ich nie einen Künstler vor und nach ihm kennen lernte, dazu herzlich fromm und sparsam; ich mußte ihn bewundern. Er wurde Schwiegersohn des überaus lieben Professors Hermann. Aber das Grimmsche Haus war mir doch das liebste!
Ich malte einige Bilder: „Das Almosen der Witwe und des reichen Mannes“, den Besuch der „Maria bei Elisabeth“ und einige mythologische Gegenstände in einem Saal des alten Mülheimer Andreaeschen Hauses. Ich malte auch ein großes Porträt von Wilhelm Grimm.
Nun hatte ich erreicht, Geld zu verdienen und einem wunderschönen Freundeskreis an zugehören, stand vor dem 3o. Lebensjahr und wagte es nun im vollen Gottvertrauen, eine Familie zu gründen. So reiste ich nach Rheydt und bat um Mariens Hand, und sie sagte nicht nein; aber sie war erst siebzehn Jahre, und die Mutter erlaubte die Hochzeit erst im kommenden Mai.
Die Verlobung geschah kurz vor Weihnachten 1652, und nach der Hochzeitsreise durch Deutschland und Tirol erreichten wir im Sommer Helenaberg und bezogen im Oktober in Berlin eine gut gelegene und schöne Etage mit Atelier. Marie lebte sich gut ein in das Hauptstadt-Leben und meinen guten Freundeskreis.
Aber nachdem der zweite Sohn geboren wurde, war uns die Etage ohne Garten unzureichend, wir verlangten nach einem ganzen, wenn auch kleinen Hause im Garten. Wir suchten und fanden in dem großen Berlin nichts. Ich schlug Marie vor, mit mir Dresden zu besuchen, und wenn es ihr dort gefalle, würden wir da alles Ersehnte gewiß bald finden. Es geschah geschwind; Marie war entzückt von Dresden. Ich kannte schon lange Ludwig Richter und Schnorr von Carolsfeld und von Düsseldorf her Bendemann und Hübner. Wir konnten sofort ein Quartier mit Garten beziehen, dem rasch der Kauf eines Gartenhauses folgte. Aber unsere Ansprüche wuchsen; ich kaufte einen hübschen Gartenplatz, auf dem ein stattlicher Bau entstand mit wunderschönem Atelier, und wir‘ erreichten die Höhe des Lebens.
Berlin verließen wir ohne großen Schmerz und Dresden in großer Freudigkeit: Daß ich auch nach vierundzwanzig so glücklichen Jahren Dresden fast ohne, Schmerzgefühl verlassen konnte, ist mir noch rätselhaft. Ich breitete die Arme aus nach der alten Heimat, dem schönen Rhein und dem Helenaberg. Möge es auch so sein, wenn wir abgerufen werden aus dieser Welt hinauf in jene!
In Sachsen begeisterten uns die schönen Gottesdienste und viele ganz ausgezeichnete Geistliche. Ich half einen Verein begründen für kirchliche Kunst, dem ich einige Jahre vorstand. Dadurch lernte ich fast alle Kirchen des Landes und sehr viele Geistliche kennen. Ich gab mir die größte Mühe, alles Mittelalterliche zu erhalten, und schloß mich dem sächsischen Altertumsverein an.
Durch Aufträge der zwei Königinnen, der regierenden und der Königin-Witwe, sowie von zwei Aquarellen für das Dante-Album von König Johann trat ich dem hohen Herrn rasch nahe. Er besuchte mich, und ich wurde dann sehr oft zu ihm gefordert.
Ich brachte es fertig, daß zur Restauration des Meißener Schlosses und Domes Friedrich von Schmidt aus Wien nach Dresden gerufen wurde, und man begann außer dem Rokoko und der Renaissance sich auch für die mittelalterlichen Monumente zu interessieren. Gerade in dieser Zeit bekam ich Anknüpfungspunkte mit dem Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, der mir eine Menge schöner Kirchen zur Restauration anvertraute, hauptsächlich den grandiosen Dom von Doberan. Diese Restaurationen boten außer den Wandmalereien ein großes Feld für Glasmalerei, der ich mich viele Jahre hindurch widmete, auch für Amerika und England. Ich erhielt das Professoren-Diplom.
In den Kriegen von 1866 und 187o widmete ich mich mit Eifer dem Hospitaldienst; hatte ich doch damals schon sieben Söhne, und keiner brauchte mitzukämpfen. Im Französischen Kriege arbeitete ich viel mit der Kronprinzessin und späteren Königin Carola; ich erntete eine Reihe von Orden aus Österreich, Preußen und Sachsen, auch ein Kreuz von Bronce aus Paris – also des Ruhmes vollauf. Als Vater und Mutter auf Helenaberg alt geworden waren und starben, übernahm ich den lieben Besitz.
Die größten Aufträge erhielt ich erst in meinen späteren Jahren. Die Ausmalung des uralten Domes von Fünfkirchen in Ungarn hatte ich für einen der größten Aufträge in der ganzen Kunstgeschichte. Er wurde mir geboten durch Friedrich von Schmidt, Wien. Er nahm mich sechs Jahre in Anspruch, und meine Erlebnisse dort waren genug für ein ganzes Künstlerleben. Gott gab mir die Kraft, alles zu vollenden trotz der brennenden Sonne des Ostens und allerlei Hindernissen des fremden Volkes. Sie hatte zur Folge, daß ich in viel angenehmerer Umgebung – im Schloß Mosdos – die Schloßkapelle sehr reich auszumalen bekam, im Auftrage der Markgräfin von Pallavicini-Maylätt. Außerdem schmückte ich noch das Chor der evangelischen Kirche von Linz, die neu erbaute Kirche von Neuwied und die reichere in Köln, die Christuskirche, für deren innere Dekoration mein lieber Bruder Otto der Gemeinde das Geld schenkte.
Umgeben von braven und gesunden Kindern, haben wir oft hier auf Helenaberg eine reiche Tafelrunde. Keines von den zehn ist gestorben. Ängstliche Krankheiten in der großen Familie blieben nicht aus, aber der Vater im Himmel hat allemal gnädig durchgeholfen!
Ihm von ganzem Herzen Dank und Amen!
Karl Andreae
Helenaberg, Mai 1901