Madonnen im Landkreis Ahrweiler
Ausstellung mit richtungsweisendem Konzept für Kunst und Kultur im ländlichen Raum
Barbara Knieps
Als Glanzpunkt im Veranstaltungsreigen der 4. Kulturtage des Landkreises Ahrweiler wurde am 12. April 1989 im Schloß Sinzig die Ausstellung »Madonnen im Landkreis Ahrweiler“ durch den Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Georg Gölter, eröffnet. Zahlreiche Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kirche nahmen gemeinsam mit Landrat Joachim Weiler an der Eröffnungsfeier teil.
Sitzende Madonna mit Kind, 18. Jh., Abtei Maria Laach.
Mit dieser Ausstellung bot der Kreis Ahrweiler die einmalige Gelegenheit, die schönsten und wertvollsten Marienstatuen aus seinem Bereich in einer konzentrierten Schau zu sehen. 33 Madonnenfiguren aus allen Teilen des Kreisgebietes wurden von Klöstern, Pfarreien, Gemeinden, Heimatmuseen und -vereinen sowie Privatpersonen zur Verfügung gestellt. Die Kunstwerke, 32 Plastiken und ein Triptychon, entstanden in den vergangenen acht Jahrhunderten.
Diese Ausstellung sei ein Beweis dafür, sagte –Diözesankonservator Professor Dr. Franz Ronig bei der Eröffnung der Ausstellung, daß die Muttergottes von allen Heiligen am stärksten in der Volksfrömmigkeit beheimatet ist. Er wies ferner darauf hin, daß in der Ausstellung der gesamte Kosmos der Theologie des Marienbildes ablesbar sei und gab einen geschichtlichen Überblick über die Vielfalt der Darstellungsformen. Der Grund für den nicht zu übersehenden kölnischen Einfluß auf die Kunstwerke im Bereich der Ahr sei historischer Natur. Das Land um die Ahr gehörte bis zur Auflösung der alten Bistumsgrenzen im Gefolge der französischen Revolution und der Säkularisation zum alten Erzbistum Köln. Von daher erschienen kölnischer Kunstexport und Kunsteinfluß als selbstverständlich.
Hoher Besuch bei der Ausstellungseröffnung (v. l.): Diözesankonservator Dr. Franz Ronig, Kunsthistoriker Dr. Norbert Jopek,
Kultusminister Dr. Georg Gölter, Landrat Joachim Weiler.
Der Diözesankonservator und der die Ausstellung betreuende Kunsthistoriker, Dr. Norbert Jopek, gaben außerdem zu verstehen, daß sie sich von dieser Ausstellung Impulse für die Finanzierung einer fachgerechten Restauration erhofften, die für viele der Exponate unbedingt erforderlich sei.
Auch dem unaufgeklärten Betrachter mußte auffallen, wie unterschiedlich der Zustand der einzelnen Skulpturen ist. Einige Bildnisse zeigten deutlich die Spuren bewegter Vergangenheit; diese zumeist bis heute unbearbeiteten Skulpturen bedürfen einer baldigen Restauration, um sie vor weiterem Verfall zu bewahren. Andere Figuren waren häufig erst in den letzten Jahrzehnten unfachmännisch restauriert oder mit einem dicken Ölfarbenanstrich versehen worden. Ihr ursprünglicher Charakter ist dadurch nicht selten verloren gegangen.
Der zum Teil erschreckend schlechte Zustand der Skulpturen wart bereits bei den umfangreichen Vorarbeiten, die die Organisatoren dieser Ausstellung zu leisten hatten, Probleme auf. An dieser Stelle soll auch davon, von der Vorgeschichte der Madonnenausstellung, einmal die Rede sein und damit die Arbeit der vielen im Hintergrund wirkenden Beteiligten gewürdigt werden.
Anfang Mai 1988 wandte sich Professor Dr. Bernhard Kreutzberg erstmals an die Organisatoren der Kulturtage mit dem Vorschlag, eine Ausstellung von Madonnenfiguren aus dem Kreis Ahrweiler durchzuführen. Er nannte erste Objekte, die für eine solche Ausstellung in Frage kämen. Die Idee wurde aufgegriffen und schon bald begannen die Mitarbeiter der Schul-und Kulturabteilung der Kreisverwaltung Ahrweiler, sich mit Hilfe der Beschreibungen von Paul Clemen in den Kunstdenkmälern des Kreises Ahrweiler über im Kreis befindliche Madonnenskulpturen zu informieren. Das Gene-ralvikariat in Trier wurde über die geplante Ausstellung informiert und gleichzeitig um Mithilfe und Unterstützung gebeten.
Alle katholischen Pfarrgemeinden und Klöster im Kreis Ahrweiler wurden mit der Bitte um Bereitstellung von Objekten angeschrieben und Ende Juli 1988 erstmals die Öffentlichkeit auf die geplante Ausstellung hingewiesen.
Doch schon bald zeigte sich, daß die Vorarbeiten für diese Ausstellung umfangreicher werden würden als für die bisherigen Kulturtage-Ausstellungen. Insbesondere die fachliche Betreuung warf Probleme auf. Dank personeller Aufstockung sowie fachlicher Unterstützung durch Dr. Norbert Jopek, der bereits durch die Vorbereitung der Schatzkunst-Ausstellung in Trier 1984 auf sich aufmerksam gemacht hatte, konnten die Arbeiten ab Mitte Oktober 1988 zügig vorangetrieben werden.
Alle für die Ausstellung gemeldeten Figuren wurden erfaßt, und schließlich mußte eine Auswahl getroffen werden. Einige der Skulpturen schieden wegen ihrer Größe und ihres Gewichts von vornherein aus der engeren Wahl aus. So manche böse Überraschung boten andere Figuren, die bedingt durch Übermalung oder Überschnitzung Ähnlichkeiten mit den bekannten, älteren Abbildungen nur schwer erkennen ließen. Ebenso galt es, die Bereitschaft der Pfarreien und anderer, Objekte zur Verfügung zu stellen, nicht zu enttäuschen. So wurden manche Kompromisse geschlossen und auch solche Objekte für die Ausstellung ausgewählt, die allein den strengen kunsthistorischen Auswahlkriterien nicht genügt hätten.
Manches Mal mußte gar kriminalistischer Spürsinn eingesetzt werden, um die Spur einst im Kreis Ahrweiler befindlicher Madonnenskulpturen weiterzuverfolgen. Die sitzende Muttergottes aus Denn, eine Figur aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die sich viele Jahre im Besitz des Pfarrers Poetz befand, wurde im Schnüt-gen-Museum »wiedergefunden«. Zunächst hatte man bei den Verantwortlichen auch an eine Ausleihe dieser Figur gedacht. Ähnliche Überlegungen wurden bezüglich der sitzenden Muttergottes mit Kind aus der katholischen Kapelle in Gimmingen angestellt. Die aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammende Holzfigur steht heute in der Liebfrauenkirche in Trier. Da sich beide Figuren heute nicht mehr im Kreis Ahrweiler befinden, verwart man jedoch die Ausleihpläne.
Nach erfolgter Auswahl der Exponate konnte mit der eigentlichen Organisation und Konzeption der Ausstellung begonnen werden. Für den geplanten Ausstellungskatalog galt es, Aufnahmen aller, zu diesem Zeitpunkt noch im gesamten Kreisgebiet verstreuten Objekte anzufertigen.
Von grundlegender Bedeutung aber waren die Vorgespräche mit dem Amt für Kirchliche Denkmalpflege in Trier, ohne dessen Zustimmung die Ausstellung nicht hätte stattfinden können. Erst nach Zusage der verantwortlichen Organisatoren in der Kreisverwaltung, alle Auflagen des Diözesankonservators zu erfüllen, gab dieser grünes Licht. So waren umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen in den Ausstellungsräumen, aber auch in den Kirchen, in die die Objekte nach der Ausstellung wieder zurückkehren sollten, zu treffen. Für den Transport mußten Kisten gefertigt und mit allen Pfarrgemeinden Leihverträge abgeschlossen werden. Zwei Figuren wurden eigens vor der Ausstellung restauriert, da man auf ihre Präsentation nicht verzichten wollte.
Stehende Mutiergottes mit Kind aus der St.-Anna-Kapelle Bachern, um 1420, eine der »Schönen Madonnen“.
Rechtzeitig wurden Gespräche mit der Stadt Sinzig geführt, die sich gern bereit erklärte, die Räume im Schloß zur Verfügung zu stellen. Diese erstrahlten bei der Eröffnungsfeier in neuem Glanz und verliehen der Ausstellung einen stimmungsvollen, würdigen Rahmen.
Den ursprünglichen Charakter weitgehend bewahrt: Pieta, 2. Hälfte des 15. Jh., Kath. Pfarrgemeinde Königsfeld.
Bei der Ausstellungseröffnung erläuterten die Festredner Intentionen und Ziele der Kulturtage des Kreises Ahrweiler und insbesondere der Madonnenausstellung. Man wolle nicht kopieren, was benachbarte Zentren mit weitaus größerer Finanzkraft viel besser anbieten können. Kultur aus einem ländlich strukturierten Raum, wie dem Kreis Ahrweiler, zeige vielmehr, daß auch und gerade hier Kunst und Kultur lebendig seien. Mit der Ausstellung »Madonnen im Landkreis Ahrweiler« sei ein weiterer Beweis dafür erbracht, wie sehr die Kultur dieses Raumes vom Christentum geprägt ist.
Die ausgestellten Madonnenskulpturen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts bis etwa 1955 zeigten, daß in der Geschichte des Christentums im Rheinland die Muttergottes seit jeher eine zentrale Stellung einnahm. Die Christen verehren in Maria das Urbild der Kirche und das große Vorbild des Glaubens. In der marianischen Kunst spiegeln sich die Versuche wider, die Muttergottes in allen Facetten ihres Wesens zu durchdringen – als gnadenreiche, schmerzhatte oder freudenreiche Mutter, als ohne Erbsünde empfangene Jungfrau, als Königin des Friedens.
Die thronenden Muttergottesfiguren mit Kind aus Königsfeld und Unkelbach stellten nicht nur die ältesten Figuren dieser Ausstellung dar; sie zeigten dem Besucher zugleich auch eine der historisch ältesten Darstellungsformen der Muttergottes. Diese ist mit dem Gedanken an den Salomonsthron verbunden. Christus thront als neuer Salomon auf dem neuen Thron, dem Schoß seiner Mutter.
Stellvertretend für die zahlreichen kölnischen Sitzmadonnen des 14. Jahrhunderts im Kreis Ahrweiler sei die Ahrtormadonna genannt, die heute im Ahrgau-Museum in Ahrweiler aufbewahrt wird. Trotz des starken Verfalls dieser Figur, bedingt durch die ungehindert auf sie einwirkenden Witterungseinflüsse an ihrem ersten Standort, einer Nische über dem Ahrtor in Ahrweiler, läßt sich noch heute die exzellente Darstellung erahnen und ihr ehemaliges Aussehen anhand von Resten der ursprünglichen Parbfassung rekonstruieren.
Spätere Marienbilder stellen Maria häufig stehend mit Kind dar. Beispiele hierfür sind die gotischen Madonnen aus Bachern und Staffel, auch »Schöne Madonnen« genannt. Der Begriff „Schöne Madonna« wurde 1920 von W. Pinder in die Kunstgeschichte eingeführt und charakterisiert einen bestimmten Madonnentyp des weichen Stils der Zeit um 1400. Ihm ist besonders Lieblichkeit und betont jugendliche Mutterschaft eigen. Beiden Figuren gemeinsam ist die starke Betonung der Vertikalen sowie der Apfel in der linken Hand des Kindes, der als Zeichen der Erlösung und damit der Überwindung der Erbsünde zu deuten ist. Auch der Halbmond mit dem Gesicht unter den Füßen der Bachemer Madonna spielt auf die Erlösungstat Christi und die Mithilfe Mähens an.
Im Gegensatz zum gewohnten Bild der lieblichen jungen Mutter ist die Pietä, das Vesperbild, zu sehen. Dieses marianische Andachtsbild, das sich ebenfalls im 14. Jahrhundert entwickelte, zeigt die Zweiheit Mariens und Christi, das schmerzvolle, doch beherrschte Versunkensein, die stumme, einsame Zwiesprache zwischen Maria und dem toten Sohn.
Die in der Ausstellung vertretenen Vesperbilder, die damals wie heute der stillen Versenkung und der persönlichen Andacht dienen, reichen von der sehr frühen Darstellungsform aus Sinzig (um 1360/70), über Plastiken des 16. Jahrhunderts aus Remagen und Ahrweiler sowie die barocke Darstellung aus Bad Bodendorf bis hin zum jüngsten Exponat, dem Schnitzwerk von Schwester Eberhardis aus dem Kloster Nonnenwerth um 1955. Erwähnenswert ist die Pietä aus Königsfeld (2. Hälfte 15. Jh.), eine besonders gelungene, in sich stimmige Darstellung, die bis heute ihren ursprünglichen Zustand weitgehend bewahren konnte.
Nicht Maria, sondern ihre Mutter Anna ist die bestimmende Figur der Anna Selbdritt, einem Figurentyp, der im 15. und frühen 16. Jahrhundert besonders beliebt war; in der Ausstellung vertreten war dieser Typ durch eine Skulptur aus dem Sinziger Heimatmuseum.
Abgerundet wurde die Vielfalt der Darstellungen durch die beiden trauernden Muttergottesfiguren aus den Kreuzigungsgruppen vom Kalvarienberg in Ahrweiler und aus Remagen, durch den Reliquienaltar in Form eines Triptychons mit Maria im Typus der Glykophilousa, einer hervorragenden Goldschmiedearbeit von Bruder Notker Becker aus Maria Laach sowie der stehenden Muttergottes aus dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager »Goldene Meile«, der im Kreis Ahrweiler eine besondere Bedeutung zukommt.
Beim Eintritt in die Ausstellung wurde der Besucher von der »Maria vom Siege« begrüßt, die auch das Titelbild des die Ausstellung begleitenden Kataloges schmückte. Dieser Katalog half dem Besucher bei der Orientierung durch die Vielfalt der Mariendarstellungen, beginnend im Trauzimmer mit den historisch ältesten Skulpturen. Im schwachen Licht dieses kleinen, abseits gelegenen Raumes, einer gewissen Ruhezone, war es dem Betrachter möglich, quasi in ein Zwiegespräch mit den Kunst- und Kultobjekten zu treten. Im Kultursaal waren neben den zahlreichen thronenden Madonnen des kölnischen Typus ganz frühe Typen des Vesperbildes und der stehenden Muttergottes mit Kind vertreten.
Im geräumigen Ratssaal wurde dem Betrachter schließlich die ganze Palette der Darstellungen vor Augen geführt. In drei Reihen präsentierten sich zum einen so gegensätzliche Bilder, wie das freudige Bildnis der Stehenden Muttergottes mit Kind und die schmerzvolle Pietä, die eine gewisse Spannung erzeugten. Zum anderen zeigten sich innerhalb dieser Typen zeitliche Entwicklungsstufen. Verschiedene Attribute Mariens waren bei den Madonnen immer wieder zu entdecken und wiesen deutlich auf die gemeinsame religiöse Wurzel der Darstellungen hin.
Auf diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden die Besucher – insgesamt mehr als 3 000 in den beiden Wochen der Ausstellung -vor allem auch in den Führungen hingewiesen, die erstmals bei einer solchen Ausstellung des Kreises angeboten wurden. Zahlreiche Schulklassen der verschiedenen Altersgruppen und Schultypen nahmen ebenso wie andere Besuchergruppen dieses Angebot dankbar an.
Literatur:
Kreisverwaltung Ahrweiler (Hrsg.); Madonnen im Landkreis Ahrweiler, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1989
Clemen. Paul (Hrsg.): Die Kunstdenkmaler des Kreises Ahrweiler. (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 17), Düsseldorf 1938
Kraemer, Konrad W. (Hrsg.): „… voll der Gnade“, Marienverehrung im Rheinland. Köln 1986