Laacher Benediktiner als Heimatforscher

P. Dr. Emmanuel v. Severus OSB

Wer auf die Geschichte der Benediktinerabtei Maria Laach in den nun fast 100 Jahren seit ihrer Wiederbesiedlung zurückblickt, denkt in der Erinnerung an die gelehrte Arbeit der Mönche in dieser Zeit, vor allem an die Wissenschaft vom Gottesdienst der Kirche und an die Geschichte des Mönchtums. In beiden Forschungsbereichen gewann die Abtei vornehmlich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg 1914/18 und vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962/65 weltweites Ansehen. Es wäre nicht recht, darüber die Leistungen zu vergessen, die von Benediktinern dieses Klosters als Heimatforschern erbracht wurden und in ihrer Qualität gleichfalls den engeren Heimatbereich überschritten.

Die Zuwendung zu diesen Forschungsbereichen lag für die Benediktiner, die 1892 das Kloster wieder besiedelten, nur nahe. Während die Jesuiten, die von 1863 – 1873 in Maria Laach ihr Collegium Maximum errichtet hatten, das schöne 1864 errichtete Bibliotheksgebäude zwar leer zurückgelassen hatten, fanden die Benediktiner doch deren naturwissenschaftliche Sammlungen vor. Diese umfaßten nicht nur Ausgrabungsfunde aus vorgeschichtlicher, keltischer und römischer Zeit, sondern auch Gesteine und Mineralien. Die Flora des Laacher Seegebietes war außerdem durch einen Naturwissenschaftler hohen Ranges, P. Theodor Wolf aus dem Jesuitenorden, 1868 so sorgfältig und zuverlässig beschrieben worden, daß die Mönche unserer Zeit sich noch 1983 entschlossen, eine Faksimileausgabe dieser Beschreibung herauszugeben.1)

Dieses Erbe mußte in den Wiederbegründern des benediktinischen Lebens in Maria Laach Interesse und in den kommenden Geschlechtern stets neu das Bedürfnis wecken, die Landschaft möglichst eingehend kennenzulernen, die für sie auf Lebenszeit Heimat werden sollte.

Allgemeine Voraussetzungen

Es ist allerdings bezeichnend, daß die erste Generation der Mönche, die zur Wiederbesiedlung des Klosters 1892 von Beuron und anderen Klöstern der nach der Erzabtei benannten Kongregation nach Maria Laach kamen, sich noch nicht in speziellem Sinne der Heimatforschung widmeten. Für sie mußte es zunächst darauf ankommen, aus den materiellen und geistigen Gegebenheiten eine tragfähige Grundlage für die Lebensfähigkeit der Neugründung zu schaffen. Gewiß regte das kostbarste Erbe der Vergangenheit – das romanische Münster mit seinem Stifterhochgrab und dem es überwölbenden Baldachin – und die einzigartige Seelandschaft mit ihrem erloschenen Vulkankraterkranz die nachdenklichen Geister an, die Vergangenheit des Ortes möglichst eingehend zu erforschen, um das neubegonnene Leben sinnvoll für die Gegenwart zu begründen. Aber zunächst konnte dies nur in skizzenhaften, allgemeingeschichtlichen Betrachtungen geschehen, zumal bereits ein Jahr nach dem Wiederbeginn ein Jubiläumstermin drängte: 1893 mußte die 800-Jahrteier seit der Gründung des Klosters durch den Pfalzgrafen Heinrich II. von Laach begangen werden.

Aber auch die kirchenrechtliche Situation war für intensive heimatkundliche Forschung nicht sehr günstig: Wer von den Mönchen aus Schwaben, Westfalen und einigen wenigen aus dem Rheinland würde nach fünf Jahren -so sahen die Satzungen der Beuroner Kongregation es vor – sich endgültig für das lebenslange Bleiben im Eifelkloster entscheiden oder lieber in sein Heimatkloster nach Beuron, in die Steiermark, nach Belgien oder Prag zurückkehren oder sich sogar für die klösterliche Entwicklungshilfe in Brasilien melden? So war es fast naturgegeben, daß erst Rheinländer, die nach der Wiederbesiedlung in Maria Laach eintraten, sich intensiv als Heimatforscner betätigten.

P. Dr. Michael Hopmann

Als erster ist hier der Kölner Michael Franz August Hopmann (1874 – 1962) zu nennen. P. Hopmann trat erst als Priester der Erzdiözese Köln nach mehr als fünfjähriger Seelsorgstätigkeit 1903 in unser Kloster ein. In der Klostergemeinde fielen bald seine starken naturwissenschaftlichen Interessen auf, und so bestimmte ihn Abt Fidelis von Stotzingen (Abt von Maria Laach von 1901 – 1913) zu einem geologischen Zweitstudium in Bonn, das er nach sechs Semestern von 1907 – 1910 erfolgreich mit einer Dissertation „Staurolith- und Disthen-Glimmerschiefer aus dem Laacher Seegebiet“ abschloß.

P. Michael spezialisierte sich jedoch in der Folgezeit zu einem der besten Kenner des Vulkangebietes der Voreifel und innerhalb des großen Fachbereiches der Geologie besonders als angesehener Petrograph und Bodenkundler. Als solcher wurde er nicht nur der anerkannte Fachgelehrte, der insgesamt zwanzig Arbeiten auf diesem Gebiet2) verfaßte.

Im Volk der Eifler Landkreise, das ihn auch als Seelsorger schätzte, wurde er bald als »Dr. Stein« zu einer volkstümlichen und beliebten Gestalt. Hochgewachsen, einen Rucksack tragend, sah man ihn besonders im Herbst tiefgebeugt im Mönchshabit mit dem Petrologenhämmerchen in der Hand die abgeernteten oder frisch umgebrochenen Äcker mit langen Schritten abschreiten – immer wieder Steine

auflesend, sie abklopfend und im Rucksack bergend. Manchem arglosen, einfältigen Eifelfrauchen, das ihn von weitem bei dieser Tätigkeit sah, jagte er manchmal einen heftigen Schrecken ein, bis es erkannte, daß die schwarze, Gestalt kein böser Geist, sondern der gutmütige »Dr. Stein« war.

P. Michael baute so nicht nur die ererbte Mineraliensammlung weiter aus, sondern hielt auch in vielen Heimatvereinen der Eitler Landkreise Vorträge. In diesen begründete er seine Sammeltätigkeit und suchte darüber hinaus der Bevölkerung auch das Wissen über die vulkanische Entstehung der Heimat zu vermitteln und sie in genauere Kenntnis der so vielfältig verwendeten Baumaterialien einzuführen.

Daß er von 1925 – 1936 an der landwirtschaftlichen Winterschule der Abtei Neresheim in Württemberg Ackerbaulehre, Gesteins- und Bodenkunde sowie Physik und Chemie unterrichten mußte, erleichterte ihm nach seinen eigenen Worten sehr, eine Sprache zu finden, die das spröde Thema auch einfachen Menschen leicht verständlich machte.

Die Erweiterung der Laacher Sammlung, die sich vertiefenden freundschaftlichen Beziehungen zu den Heimatforschern der Voreifel sollten freilich erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs ihre eigentliche und große Bedeutung erlangen.

Wiederaufbau in Bonn und Köln

Die mineralogischen Sammlungen an den Universitäten Bonn und Köln hatten durch den Bombenkrieg Verluste erlitten, die sie vor ein Nichts stellten. Da sich aber auch unter den jungen Mönchen in Maria Laach vorerst niemand fand, der das Erbe P. Michaels antreten konnte – dies hat sich unterdessen wieder geändert -, entschloß man sich in der Abtei, durch Übergabe großer Teile der Laacher Sammlung an die Institute beider Universitäten dort die Grundlage für einen neuen Auf- und Ausbau zu schaffen.

Auch die neu errichtete Außenstelle des mineralogischen Instituts der Universität Bonn in Räumen der Firma Dr. F. X. Michels in Mendig wurde in diese neuen Einrichtungen mit einbezogen, so daß künftig in unserer unmittelbaren Nachbarschaft die Praxis gesteinskundlicher Exkursionen im Laacher Seetal mit theoretischer Wissensvermittlung und Weiterbildung verbunden werden konnte.

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P. Dr. phil. Michael Hopmann, 1874 – 1962, Benediktiner in Maria Laach 1903 – 1962.

Es ist für die Not der Nachkriegsjahre bezeichnend, daß P. Michael 1949 im Alter von 75 Jahren noch einen Lehrauftrag am mineralogischen Institut der Universität Bonn zum Thema »Regionale Petrographie der Eifel« erhielt.

Zehn Jahre später ehrte ihn das Institut noch mit einem Festkolloquium aus Anlaß der Auszeichnung mit dem Großen Verdienstkreuz des Bundesverdienstordens durch den Bundespräsidenten. Die Universität Bonn würdigte bei diesem Anlaß nicht nur den Forscher und Wissenschaftler, sondern hob besonders die echte Menschlichkeit des Gelehrten und Lehrers hervor, die ihm die aufrichtige Sympathie seiner Hörer einbrachte.

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P. Dr. rer. nat. Dr. med. h.c. Gilbeil Rahm, 1885 – 1954, Benediktiner in Maria Laach 1906 – 1954.

Der Chronist des Laacher Klosters betonte nach seinem Heimgang am 14. Februar 1962 noch besonders, daß er ein Mönch von großer Bescheidenheit und Einfachheit war. Jede Art von Gelehrtendünkel war ihm fern; er diente der Sache seiner Wissenschaft mit großer Hingabe, ohne je besondere Ansprüche zu stellen. Seine Höflichkeit und sein Taktgefühl im mitbrüderlichen Verkehr waren für ihn typisch, wenn auch gelegentlich von drolliger Originalität. So wenn er wenige Minuten vor seinem Tod seinen Obern »höflichst« bat, »nun in Ruhe gelassen zu werden«. So ist es nicht erstaunlich, daß sein Andenken im Kloster noch in vielen Anekdoten lebendig ist; diese werden immer einmal wieder von ihm erzählt.

P. Dr. Dr. med. h. c. Gilbert Rahm

Während die Forschungen P. Michaels ihn vor allem im Laacher Seegebiet festhielten oder ihn wieder ins Seetal zurückführten, nahm die Entwicklung des anderen Heimatforschers, von dem wir auf diesen Blättern berichten, eine ganz andere Richtung. Auch er war Rheinländer, eine rheinische Frohnatur aus Bonn, wo er am 21. September 1885 das Licht der Welt erblickt hatte: Franz Rahm, der bei seinem Eintritt in die Abtei am See im Jahre 1906, nach dem ersten Abt des Klosters, den Namen Gilbert erhielt. Während seinen Mitbruder P. M. Hopmann die Gesteinswelt der Vulkaneifel interessierte, übten auf den gleichfalls naturwissenschaftlich hochbegabten P. Gilbert die Kleinstlebewesen des Laacher Seetals eine besondere Anziehungskraft aus. So schloß er sein Zweitstudium an der Universität Bonn 1920 mit einer Doktorarbeit unter dem Titel »Biologische und physiologische Beiträge zur Kenntnis der Moosfauna« ab3) und spezialisierte sich sodann auf die Wissenschaft dieser Kleinstlebewesen, den im Ufergelände des Laacher Sees, wie in anderen Sumpf- und Moorgebieten lebenden Moostierchen.

Da die Zahl der auf diesem Gebiet arbeitenden Forscher naturgemäß klein ist, knüpfte P. Gilbert internationale Beziehungen an und begründete mit anderen Fachgenossen 1923 die Internationale Limnologenvereinigung, als deren Mitglied er bereits 1925 eine mehrmonatliche Reise durch Rußland unternehmen konnte. Der hier geknüpfte wissenschaftliche Gedankenaustausch, die schon unmittelbar an die Bonner Studienjahre in Leyden erfolgte Beteiligung an Untersuchungen im Kältelabor der dortigen naturwisschenschaftlichen Fakultät führten folgerichtig schließlich zu einer akademischen Laufbahn. Da P. Gilbert sich immer als ein guter Ordensmann erwiesen hafte, stimmten dieser auch seine Obern zu, und so habilitierte sich P. Gilbert im Mai 1925 an der katholischen Universität Freiburg in der Schweiz. Er gewann dort in seinen Vorlesungen und Seminarübungen bald solches Ansehen, daß die Schweizer Bundesregierung ihn mit dem Professorentitel, die Universität mit dem Dr. med. h. c. auszeichnete.

Eine Einladung zu Gastvorlesungen an der katholischen Universität Santiago in Chile brachte 1928 eine erneute Wende für den Laacher Gelehrten. Er wurde bereits 1929 dort ordentlieher Professor für allgemeine Biologie. Die vielschichtigen Probleme des südamerikanischen Kontinents nahmen ihn nun bald voll und ganz in Anspruch.

Ohne seinem eigentlichen Forschungsgebiet, der Einwirkung von extremen Kältetemperaturen auf die Lebensbedingungen der Kleinstlebewesen untreu zu werden, erhielt er stets neue Forschungsaufträge, so der brasilianischen Regierung mit Untersuchungen zur Schädlingsbekämpfung an Kulturpflanzen. Die Universität Santiago ließ durch ihn die Fauna auf der Osterinsel und in Feuerland erforschen. Für diese Reise erhielt er kirchlicherseits den Auftrag zur Spendung der Firmung – in dieser Zeit eine große Ausnahme.

Seine Arbeiten fanden solche Anerkennung, daß die amerikanische Rockefeller-Stiftung sie zweimal durch Stipendien förderte und für ihn Reisen nach China, Indien und Japan finanzierte.

Besuche im Heimatkloster waren bei diesen weitgespannten Reiseausmaßen fast nur ein kleiner Abstecher auf einer Nebenstraße aus dem Vorderen Orient.

Auf einer dieser Forschungsreisen wurde P. Gilbert 1939 durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges überrascht, und da er sich seit 1933 nur selten am Vorlesungsbetrieb in Santiago beteiligt hatte, war es nur natürlich, daß er sich in das Land seiner Auftraggeber nach den USA begab und sich dort vor allem der Erforschung der Trichinose widmete.

Der gelehrte Mönch war also zunächst nicht sehr ortsbeständig, und man konnte ihn eher als einen modernen Wandermönch ansehen, denn als Benediktiner. Andererseits knüpfte P. Gilbert in allen Ländern, die er bereiste, Beziehungen zu den dortigen Klöstern, half, als er notgedrungen seit 1939 in den USA weilen mußte, auch gern in der Seelsorge aus und unterstellte sich gehorsam der Leitung der Ordensobern, soweit er Klöster der benediktinischen Konföderation in Übersee fand. Auch unterhielt er einen lebhaften brieflichen Kontakt mit der rheinischen Heimat und erfreute seine Mitbrüder im Eifelkloster durch farbige Schilderung seiner Reiseerlebnisse, als er sie 1952 zum ersten Male wieder besuchte.

Der ihm eigene, von Leben sprühende Humor verlieh ihm eine besondere Sensibilität für ungewöhnliche und heitere Ereignisse in fernen Landen, und die Mitbrüder provozierten durch ihre Wissensbegierde bei ihm oft Reiseberichte von bunter Lebendigkeit, in denen es oft nicht leicht war, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden.

Als er noch vor einer für das Frühjahr 1954 geplanten Operation an einem Herzversagen am 14. April 1954 starb, bezeugte eine ungewöhnliche große Zahl der Teilnehmer an seiner Beisetzung in der Abtei Newark, New Jersey, USA, wie beliebt er in der gelehrten Welt, in der Kirche und im benediktinischen Mönchtum in den USA war.

Von den einundneunzig Titeln seiner Arbeiten, die er zum Teil schon während seiner Bonner Studienzeit schrieb, haben fast ein Drittel die Heimat am Laacher See zum Thema. Heimatkunde war für P. Gilbert Rahm, so darf man wohl sagen, die solide Grundlage für eine alle Kontinente umfassende, international hoch angesehene Forschung der in unserer Schöpfung geschehenen Entwicklung. Eine gelehrte Arbeit, deren Ergebnisse in unserer bedrohten Welt hochaktuell sind.

Wer die Persönlichkeit P. Gilbert Rahm näher kannte und schätzte, kann sich heute durchaus vorstellen, daß er sich auch zur Raumfahrt gemeldet hafte, um die Lebensmöglichkeiten der Moostierchen unter den extremen Bedingungen auf dem Mond und anderen Planeten zu erforschen.

Anmerkungen:

  1. Th. Wolf. Flora von Laach. Zum Gebrauch bei botanischen Exkursionen Laach 1868. Maria Laach: Ars Liturgica 1983. 19 +  und IV. 258 S.
  2. s. Bibliographie der deutschsprachigen Benediktiner 1880 • 1980, Bd. 2. (St. Ottilien: Eos-Verlag 1987) 656 f.
  3. Ebenda 667 – 669. Siehe dort auch die 91 Titel umfassende Bibliographie P. Gilbert Rahms,
  4. Manche Daten entnahm ich den für den ordensinternen Leserkreis bestimmten, nicht gezeichneten „Toten“, oder „Sterbechroniken aus Maria Laach“.