JAKOB KNEIP erzählt von Heimat und Jugend

Wenn ich die Dinge dieser Welt aufzählen sollte, die für mein dichterisches Schaffen wichtig geworden sind, so müßte ich in der frühesten Kindheit beginnen. Da lag ein großer dreieckiger Rasenplatz vor unserem Bauernhof; der war rings mit Pappeln umsäumt. Es waren ihrer wohl über hundert. Und diese stolzen, schönen Bäume hatten eine himmlische Melodie; sobald nur der geringste Luftzug ging, hob sich in ihren Ästen ein Flüstern und Rauschen, das mir heute noch durch die Seele klingt und schöner dünkt als so manche Musik in unseren Konzertsälen. Das Rauschen lullte mich abends in Schlaf; es war schon wieder da, wenn ich morgens die Augen aufschlug; und in der Lenz= und Sommerzeit klang es untermischt mit dem Gezwitscher und Geschwatze von Buchfink, Stieglitz, Drossel, Grasmücke, Rotkehlchen und dem Gesang der Lerche, die hoch oben im Blauen schwebte.

Dieser Wasen, wie wir ihn nannten, war mein erster Spielplatz; hier stand auch morgens der Schafhirte mit seiner Frau und seinen beiden Hunden und blies auf seinem Horn in die Dorfgassen hinab; dann strömte aus all diesen Gassen mit lautem Geblöke die Herde zusammen; die Schafe verbreiteten und lagerten sich über den ganzen hügeligen Rasenplatz hin bis zum Wald hinab; und wir Kinder liefen zwischen den Schafen her, spielten mit des Schäfers Hunden und durften, wenn der Schäfer guter Laune war, auch wohl auf seinem Hörn blasen.

Hoch oben auf dem Bergrücken lag dieser Wasen wie ein Teppich hingebreitet vor unserm Haus. Freier und herber strich hier der Wind, fröhlicher zogen oben die Wolken, reiner schien hier das Himmelsblau. Und die Berge des Hunsrücks und die lange blaue Kette der Eifelberge schlössen um all die schimmernden Dörfer, Fluren, Wiesen, Wälder, die rings in der. Buchten, Mulden und Falten des Landes gebettet lagen, ein paradiesisches Bild.

Wenn ich gar an solch einen Sonntagmorgen denke, wo auf dem Wasen die Apfelbäume blühten, die Straße sauber gekehrt war, keine Fuhre ging, rings aus den Dörfern die Glocken klangen, die Bauersfrauen dem Schäfer seinen Speck, einen Scheffel Erbsen oder einen Topf mit Sauerkraut brachten und der Schäfer dann feiertagsfroh in alle Täler hinabblies, so dünkt mich dieses Bild dort zwischen den Pappeln wie ein Stück aus märchenhafter Zeit.

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