Italienische Elegie
Italienische Elegie
Gespenstergrün steht schon der halbe Mond im Süd,
Dieweil im West die Sonne rosenrot verblüht.
Die Wellen gischten Tag und Nacht mit ihrem Braus
Wie seit Jahrtausenden ganz nah an unserm Haus.
Am Tage locken bunte Schirme weit am Strand,
Denn Meer und Sonne suchen sie aus manchem Land.
Jetzt sinkt der Abend aus dem zarten Düfteflor,
Bald baut der Mond die Silberstraße und das Tor.
Uns locken Radio und Television nicht,
Wir ahnen andre Welten in dem ändern Licht.
Es sprechen andere Wesen aus dem Wogeschäumen
Als jene, die in unsrer Heimat Flüssen träumen.
Ein Pinienwald spricht anders als die Eichen rauschen, —
Wir sind gekommen, diesem Ton zu lauschen.
Schon sind wir reich beschenkt an Seele, Leib und Geist,
Denn wer hier bittet, der wird überreich gespeist.
Horch: In das laute Heut dröhnt die Vergangenheit,
Und in dem Heut wie Gestern atmet Ewigkeit.
In vielen Sprachen spricht der Welten großer Geist,
Der sich m all dem All als Künstlergeist erweist.
Seht unter seinem ernsten, heitern Gotteshimmel
Auf der ital’schen Insel, seht —: welch ein Gewimmel!
Seht diese Kraft zur Tat! Den göttergleichen Mut!
Den Glanz! Die Pracht! Doch seht auch dieses Meer von Blut!
Kein Volk, das diesem Volk nicht einmal zugesellt,
Der „ewigen Roma“ als dem Mittelpunkt der Welt!
Das alles rauscht und zittert noch in jeder Nacht,
Und jeder Tag verkündet neu die alte Pracht!
Ob er die Säulen Doriens in Pästum grüßt,
Ob Michelangelos gewaltige Kuppel küßtt
Ob er auf alten Legionenstraßen flutet,
Ob er das röm’sche Forum sengend überflutet. —
Wo du hier stehst und gehst, aus jeder, jeder Schichte
Steigt um dich her, was einst geschehen: Weltgeschichte.
Du bist umfangen, bist gefangen von dem vielen,
Von Katakomben träumst du und von Zirkusspielen.
Du träumst entmenschte Heiden, schlechte Christenleute
und fragst „O, wem gehört der Weltgeschichte Beute?!“
Denn unter deinem Fuß, im Sand- und Felsengrunde,
Bebt, brennt die Erde noch und ist wie eine Wunde.
Und alle Schönheit rings kann dich nicht so belügen
Und aller Ruhm und Glanz kann dich nicht so betrügen—:
Durch all die bunten Fenster der Vergangenheit
Siehst du ein hehres Atigesicht voll WeItenleid.
Vielleicht lernst du das schwierige Geheimnis jetzt
Was dieses Angesicht mit blutgen Tränen netzt ...
Vor unserm Hause rauscht das alte Meer noch immer,
Und Welten über Welten über ihm in unsagbarem Schimmer.
E. K. Plachner
Aus dem Gedichtzyklus „Italia“