In Memoriam: Jakob Rausch
Johannes Fr. Luxem
Am 19. Februar 1986 starb Rektor a. D. Jakob Rausch, Nestor der Pädagogik, dessen Name seit Jahrzehnten weit über die Grenzen des Kreises Ahrweiler bekannt und geschätzt ist, dessen Name und Lebenswerk unlösbar verflochten bleibt mit dem umstrittenen und nun wieder aktuellen Begriff und der Idee »Heimat».
Die Daten seines langen Lebens: Sie beginnen mit einem seiner Schlüsselworte, einem von Jakob Rausch vielfältig gedeutetem und verehrtem Wort: Vaterhaus. Sein Vaterhaus stand im kleinen Eifelort Hausten im Nettetal; dort wurde er am 27. Januar 1889 geboren, wuchs auf in einer behüteten, »behausten«, schlichten, fast archaischen Umwelt, der er Zeit seines Lebens verbunden blieb.
Von 1903 bis 1909 besuchte er in Münstermaifeld die Seminarpräparandenanstalt und das Königliche Lehrerseminar.
In den Jahren 1909 -1914 führt er die einklassige Dorfschule in Dalberg, Kreis Kreuznach, holt sich hier in harter Praxis des schulischen Alltages jene Summe der didaktischen, methodischen und pädagogischen Erfahrungen, die ihn später befähigten, ein unermüdlicher Lehrer der Lehrerschaft zu sein.
Rektor a. D. Jakob Rausch
Foto: Kreisbildstelle
Der hochbegabte Lehrer leistet Ungewöhnliches. In kurzer Zeit legt er 3 Examina ab:
1911 II. Lehrerexamen
1913 Realschullehrerexamen
1914 Rektorexamen am Provinzialschulkollegium in Koblenz
Bereits 1914 wird er zum Rektor der Volksschule in Herdorf/Sieg ernannt; ab 1920 ist er ferner Leiter der Mittelschule Herdorf, bis zum Jahre 1931 verbleibt er an dieser Stelle, schafft sich durch viele Veröffentlichungen einen Namen, wird als Seminarleiter in der Lehrerfortbildung ein bekannter Pädagoge, auf den man hört.
1932 endlich kommt Jakob Rausch nach Ahrweiler als Rektor der Aloisschule, an der er jene Formen gehüteter Tradition ausbaut, die bis heute gestaltend und prägend nachwirken. Von 1946 bis 1950 ist Jakob Rausch als beliebter Dozent tätig an der Pädagogischen Akademie zu Bad Neuenahr. Er erhält 1950 die Ernennung zum Akademie-Schulrat. Nach Verlegung der Akademie nach Trier verzichtet Herr Rausch auf eine Karriere als Dozent und Professor, er bleibt – und dies dürfen wir ohne falsches Sentiment sagen – der Heimatstadt Ahrweiler treu. So sehr ist er verwoben und verwachsen mit ihrem einmaligen Menschenschlag.
Neben seiner engagierten, vielfältigen beruflichen Arbeit ist Jakob Rausch von 1936 bis 1973 Kreisbeauftragter für Naturschutz und von 1955 bis 1973 Kreisarchivar. Über viele Jahre, von 1936 bis 1974, bereichern seine Beiträge das Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler. Mehr als einhundert Aufsätze erschienen aus seiner Feder. Er veröffentlicht 1958 eine »Heimatkunde des Kreises Ahrweiler« und 1969 das »Heimatbuch der Stadt Ahrweiler«.
Der verdiente Pädagoge und Heimatkundler wird 1954 mit dem päpstlichen Ehrenkreuz »Pro Ecclesia et Pontifice« und 1969 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. Die Stadt Ahrweiler ernennt ihn zum Ehrenbürger, der Kreis Ahrweiler und die Stadt Bad Neuenahr verleihen ihm den Wappenteller. Erzieher der Lehrerschaft Unserer Generation, die damals verloren und ratlos aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrte – zur Stunde Null – gab der Akademiedozent Jakob Rausch Zuspruch und den Mut zum Neubeginn. Vielen künftigen Lehrern, die damals entwurzelt waren, die unter einer geistigen Heimatlosigkeit litten, half er in subtiler, unaufdringlicher Weise Wurzel zu fassen ganz im Sinne eines weiteren Schlüsselwortes seiner Persönlichkeit, dem Sprangerwort: »Heimat ist geistiges Wurzelgefühl«. Warum er für uns alle so vorbildhaft war? – In der oft vom negativen Zeitgeist verursachten Fülle der Neuerungen, Veränderungen, Einseitigkeiten und Irrtümer blieb er sich, seiner Wertpädagogik, seiner tiefen Religiosität treu. Er lehrte die Lehrer die Bedeutung der Wertehierarchie, stellte stets das ausgelieferte Kind, dessen existentielle Grundbedürfnisse nach Zuwendung, Geduld, nach Selbstwertbestätigung, nach Hilfe und nach unbekümmerter Freude in den Mittelpunkt gegen eine schematisierte, einseitig nur nach Versachlichung ausgerichtete sogenannte moderne Pädagogik.
Nicht grundlos stellte er immer wieder zwei große Erzieher in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, schrieb auch darüber: Don Bosco und Father Flannegan. Es ging Jakob Rausch um das Bemühen um die Entwurzelten, um Gescheiterte, um Randexistenzen, um Menschen in ihrer Hilflosigkeit. Wir alle wissen, wie sehr sich Jakob Rausch mit dieser Präventivpädagogik identifizierte. Dieses Wirken an den Schwachen und Hilfsbedürftigen war letztlich das mächtige Agens seiner Seele, gespeist aus den Quellen seiner tiefen, wunderbaren Gläubigkeit und Heiterkeit.
Der geborene Erzähler
Das Lebenswerk Jakob Rauschs ist mit geprägt von seiner großen, unnachahmlichen Gabe als geborener Erzähler, als Meister des Wortes, der um Gewichtung, Nuancen, um die Gewalt und Wirkkraft von Wort und Sprache wußte.
Unvergessen bleiben seine meisterhaften Rezitationen von klassischen Balladen und die Fähigkeit zu Deutungen, Interpretationen der Dichtung.
Er wußte um die Bedürfnisse der menschlichen Seele und pflegte besonders die unmittelbar zum Herzen sprechenden literarischen Elementarformen wie Legende, Fabel, Erzählung, Ballade, Sagen . . . Um ihn herum saß dann, wenn er vortrug, gebannt die Schar der Lauschenden. Fast mutet es wie eine späte Rechtfertigung an, daß heute das narrative Element wieder Eingang findet in den Unterricht -jenseits des einseitig Kognitiven . . . Zahllose Berichte, Geschichten des geborenen Erzählers Jakob Rausch wurden von seinen Hörern behalten und sind im Druck erhalten. Er vermochte in einer so anschaulichen und nachwirkenden Bilderträchtigkeit aus der Fülle heraus zu sprechen und zu schreiben, lebendig, verständlich, volksnahe und bewegend. Der große Mann der Heimatkunde Nie wurde Jakob Rausch müde, Heimat zu erforschen, zu durchdenken, didaktisch aufzubereiten, zu deuten und in einer erlebnisstarken Weise zu interpretieren als ein wesenhafter, existentieller Mittelpunkt, Stätte der ersehnten Geborgenheit gerade für den unbehausten modernen Menschen, fugitivus errans, der so dringend einer Zuflucht bedarf. Sein Heimatbegriff ist im Sinne des Sprangerschen Wurzelgefühles weit mehr als eine Summe von Fakten: Fluß, Berge, Täler, Ginsterhänge, Hirt und Herde, Felsen und Vulkane, Historie, Flora und Fauna. Niemand kannte so viele Pflanzen und Vögel wie Jakob Rausch – sein Heimatbegriff reicht weit hinüber über Dingwelt, Ereignisse und Zeiten in eine Heimat der Ewigkeit, in Endgültiges … Wenn er auf Inschriften in den Bögen alter Brücken hinwies, die besagen: »Alles ist Übergang zur Heimat hin«, so meinte er, der Gleichnisse liebte, auch jene Heimat, in die er uns nun vorausging, der Künder, Lehrer, Pädagoge, Forscher, Erzähler voll Ausstrahlungskraft, bekannt, geliebt, geehrt weit über unser Ahrtal hinaus.
Seine Deutung und Bewahrung von Heimat ging über Wort und über das Kognitive hinaus, traf die Tiefenschichten der menschlichen Seele, verursachte Freisetzung von Kräften aus dem Unbewußten, dem Urgrund, holte aus Staub und Dämmerungen der Jahrhunderte, aus dem Strom der Zeit in lebendiger Weise die Menschen und ihre vielfältigen Irrungen und Wirrungen. Stets war es das Menschenbild, das im Mittelpunkt seiner Betrachtungen stand. Abschied
Ein Leben lang hat der große alte Mann der Pädagogik und der Heimatforschung Wärme, Seelenkraft und Hilfsbereitschaft für Kinder, Schule und Lehrerschaft ausgestrahlt wie in einer Form stummen Protestes gegen eine stereotyp rationalisierte Welt in ihrer Inhumanität. Kristallisationspunkt seines Denkens, seines Lebenswerkes aber war die frohe Botschaft. Sie kräftigte in wunderbarer Weise nicht nur ihn selbst als Künder, sie gab ihm Glaubwürdigkeit und Kraft für die unermüdliche Weitergabe der ihm gemäßen Botschaft zur Menschlichkeit an andere.
Jakob Rausch, der das Schlüsselwort Vaterhaus so oft als Symbol aussprach, er ist nun dorthin heimgekehrt.
Sein Lebenswerk wirkt in uns weiter. Wir danken ihm in Zuneigung!