In den Brombeeren
In die Brombeeren gehe ich des Jagdvergnügens halber und wegen des Aromas dieser unvergleichlichen Tage, wenn die Felder abgeerntet sind, das Kartoffelkraut zu gilben anfängt, der Frauenflachs und die Spitzenschirme der wilden Möhre die längst gemähten Wiesen bevölkern und das Land unterm dunstigen Gewölbe den Atem anhält, ehe es in den letzten großen Ernten der Äpfel und Trauben, der Rüben und Kartoffeln sich mächtig ausgibt.
Es ist die Zeit zwischen Fülle und Fülle, zwischen Blüte und Frucht, arm und karg. Die Wege sind ausgedörrt von der Augusthitze, in den Stoppeln treiben die Tiere der Armut, die Mäuse, ihr Wesen, der Eichenknüppelwuchs auf den Hängen steht fahl, aus Busch und Strauch beginnt der Saft zu schwinden. Die Brombeeren aber wuchern aus nicht umzubringender Lebenskraft, mit gewalttätigen Schößlingen, grimmig bewehrten Trieben; im Frühjahr waren sie himmlisch weißt besternt, dann wandelten sie ihre Beeren — welche Frucht kommt ihnen darin gleich? — großartig durch drei Farben vom Grünen übers Rote zum Schwarzen hin, und stehen nun, funkelnd aus tausend dunklen Satansaugen.
Eine Brombeerhecke im Morgenlicht, wenn in den Spinnennetzen zwischen den Haseln der Tau blinkt, ist von wilder Schönheit und hat die Verlockungen eines Jagdreviers. Vor allem bewegst du dich in ihrem Umkreis völlig unzivilisiert. Du bahnst dir einen Zugang ins Unbetretene, indem du das Geranke niedertrittst, du greifst in das stachlige Dickicht, am dritten Tage ist deine Haut unempfindlich gegen Kratzen und Brennen. Indessen die Finger klauben, hat das Auge schon gierig den nächsten vollen Zweig gefunden. Auge und Hand wetteifern im Erbeuten, der blaurote Saft färbt dabei Nägel und Finger und Lippen auf barbarische Weise.
In der Hecke umfängt dich ein beklemmend panisches Klima. Dein Fuß stört springende und geflügelte Insekten auf, Fliegen, Grillen und kleine Falter, mottenähnliches Gesindel, unversehens trägst du auch eine Zecke oder zwei davon, du findest sie abends beim Schlafengehen an unvermuteten Orten. Disteln starren dir entgegen und allerhand sperriges Kraut, das in Samen steht, und aus dem Grunde des heillosen Dickichts dringt ein Broden wie aus ersten Schöpfungstagen.
Es ist schwül, und der Schweiß rinnt bei dem mühsamen Geschäft. Belustigt denkst du für einen Augenblick an deine Freunde in der Stadt, wenn sie dich so sähen: mit dem wirren, verklebten Haar in der nassen Stirn, den zerkratzten Armen, dem befremdlichen Kostüm, in schwierigen Stellungen dem Gedörn seine Beute abjagend — sie sitzen derweil im Kühlen und mitteleuropäisch gekleidet bei exklusiven Gesprächen — möchtest du bei ihnen sein?
Sie sind wohl nicht gegeneinander auszuspielen, die Stunden der Gespräche und die in den Brombeeren. Nur bin ich froh, daß es das noch gibt: an den Rändern der Wege und Äcker, in der Nachbarschaft der Ginsterbüsche und des Eichengestrüpps die starrenden Hecken, in denen man einen Tag hinbringen kann wie in Urzeiten, als der Mensch sich mühsam und gefährlich von den wilden Früchten des Feldes ernährte.