»Hier Wendt in Remagen«
Aus dem Alltag einer »Orderstation«
Dr. Heinz Weber
Am Rheinufer in Remagen befindet sich am Hause Rheinwerft 14 ein verglaster Aussichtserker, der von Sonnenaufgang bis in die halbe Nacht von wenigstens einer Person besetzt ist. Es handelt sich um eine sogenannte Orderstation. Was versteht man darunter? Das Wort »Order« bedeutet ursprünglich »Befehl«, vor allem im militärischen Bereich. Im weiteren Sinne ist eine Order eine Mitteilung oder eine Nachricht.-
Auf den westdeutschen Wasserstraßen fahren Tausende von Binnenschiffen, von denen die wenigsten mit Funk ausgestattet sind. Will nun ein Reeder oder ein Schiffseigner, der in Hamburg oder Duisburg oder in Mannheim seinen Sitz hat, dem Kapitän seines am Mittelrhein operierenden Schiffes eine Nachricht, eine Order, zukommen lassen, dann gibt er der Orderstation Wendt in Remagen den telefonischen Auftrag, diese oder jene Nachricht an das Schubschiff oder an das Gütermotorschiff »Germania«, wenn es Remagen tal- oder berg-wärts passiert, weiterzuleiten. Solche Aufträge haben zur Folge, daß ein Mitarbeiter der Orderstation sozusagen Tag und Nacht auf der Lauer liegen muß. Denn nicht immer ist klare Sicht auf dem Rhein. Dunkelheit und Nebel, je nach Stärke, behindern die freie Sicht oft ganz erheblich.
Insgesamt 4 Personen bestreiten den Dienst auf der Orderstation, die auf rein privatwirtschaftlicher Basis arbeitet. Wilhelm Neubeck, ein Mann aus der Flußschiffahrt, ist der Leiter. Er heiratete die Tochter des Bernhard Wendt, der die Orderstation von Herrn Friedsam, ebenfalls durch Heirat, übernommen hatte. Die heutige Frau Wendt vertritt im Ordergeschäft ihren Mann. Ein Ehepaar namens Krüger leistet weitere Hilfsdienste.
Betriebsraum der Orderstation Wendt in Remagen
Foto: Kreisbildstelle
Neben dem beschriebenen Orderdienst wird von der Orderstation jedes Schiff registriert, das berg- oder talwärts Remagen passiert, mit Namen und Art, d. h., ob es sich um einen Schlepper oder Schleppkahn handelt, um ein Motorgüterschiff oder um ein Motortankschiff, um ein Personenboot oder um ein Küstenmotorschiff. Dazu wird, wenn bekannt oder ersichtlich, die Reederei vermerkt, zu der das betreffende Schiff gehört oder unter deren Flagge es fährt. Tagtäglich werden auf diese Weise mehrere Hundert Schiffe notiert. Ein Teil dieser so erfaßten Fahrzeuge wird sofort nach Passieren der betreffenden Reederei per Telefon oder mit Fernschreiber mit genauer Uhrzeit gemeldet.
Außer am 1. Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertag geht der Betrieb auf der Orderstation jahraus, jahrein weiter. Es gibt keinen freien Samstag und keinen freien Sonntag. Dieser pausenlose Dienst ist hart und ungewöhnlich, jedoch unumgänglich als erste Voraussetzung der Zuverlässigkeit. Denn die Rheinschiffahrt kennt keine Ruhe.
Die Bediensteten der Orderstation sprechen selbstverständlich nicht nur deutsch, sondern auch perfekt holländisch. Von früh bis spät wird über zwei Leitungen telefoniert. Dazu werden ständig Berichte getippt und Fernschreiben expediert, oft bis zu 150 Stück an einem Tage. – Die Entstehung der Orderstation Wendt in Remagen ist nicht ohne Reiz. Die Vorfahren waren Weinbauern, die eines Tages zur Förderung ihres Absatzes mit dem Nachen an die vorüberfahrenden Treidel- und Segelschiffe fuhren und ihren Wein anpriesen. Die Schiffer ihrerseits baten die Winzer, Nachrichten und vor allem Post mit an Land zu nehmen und Depeschen loszulassen. Daraus hat sich im Lauf der Jahrhunderte eine weitreichende Orderstation entwickelt, die heute aus dem komplizierten und schwierigen Getriebe der Rheinschiffahrt einfach nicht mehr weggedacht werden kann. Und die Schiffahrt weiß, daß sie es mit einem zuverlässigen Partner zu tun hat, wenn es am ändern Ende des Drahtes heißt: »Hier Wendt in Remagen«.