„Herrlichkeit Oberwinter“
VON HERMANN BAUER
Frühling in Oberwinter
Oberwinter ist schön. Ich spüre es immer und immer wieder, wenn ich von draußen komme, von den weit gepriesenen Landschaften des Südens oder aus den Städten mit ihren Kirchen, ihren Hotels und Gaststätten, den Kaufhäusern, den Straßen mit ihrem Lärm, ihrem Gestank und ihrer Hast. Oberwinter ist anders als die Weindörfer an der Ahr, die Kurorte mit ihren gepflegten Parks und ihren Häusern, die für die Gäste werben. Oberwinter wirbt nicht, es macht sich schön für sich.
Die Hauptstraße klärt das Bild. Von ihr gehen in gleichen Abständen Gassen und Gäßchen zum Rhein und zum Holzweg. In den Gassen leuchten die Fachwerkhäuser in Weiß und Schwarz, in Braun und Rötlich-Braun, und viele Blumen an den Fenstern beleben das Straßenbild. Patrizierhäuser an der Hauptstraße mit den Wappen hier ehemals ansässiger Geschlechter, stolze, burgähnliche Gebäude an der Rheinstraße, wuchtige Bogen, die die Gassen überspannen, und die winkeligen Häuser mit ihren launischen Straßenecken in allen Schattierungen beweisen die Eigenwilligkeit ihrer Bewohner damals und heute. Und dann der Holzweg! Die sauberen Häuser mit ihren altersgebückten Etagen neigen sich gegenseitig zu, bewundern die Vielfalt ihrer Farben, stehen fest gegen jede Regel statischer Berechnung, wie mir einmal ich nehme an im Scherz – ein Baufachmann sagte, aus Gewohnheit und Tradition. Als es noch Prozessionen im alten Stile gab, zeigte der Holzweg sich in seinem Grün, dem bunten Fahnenschmuck, dem gläubigen Bekenntnis in Bild und Kerzenlicht einmalig.
Fachwerkhaus und Pumpe in Oberwinter
Foto: Kreisbildstelle
Inschriften auf den Balken vieler Häuser machen den Gang durch den Ort zu einer dauernden Einkehr in sich selbst. Es gibt in unserer Nähe viele und kostbare Dörfer und Städte im Festkleid des bunten Fachwerks. Sie laden ein und lassen sich bewundern. Sie machen Werbung, geben schmucke Feste und überprüfen den Umsatz. Einmal war Oberwinter versucht, sich in einem eigenen, modischen Kleide der Welt zu zeigen, als man den Blütenreichtum der Berghänge, Gärten und Straßen in einem Blütenfest darstellen wollte. Oberwinter liebt die Schau nicht. Seine Gaststätten betonen das Intime, seine Kirmes ist ein Familienfest, sogar sein Karneval beeindruckt immer durch den originellen Witz. Oberwinter ist eben anders.
In jahrhundertelanger, wechselvoller Geschichte brachte der Rhein Wanderer, Kaufleute und Krieger, beherbergte der Ort Flößer und Schiffer, wechselten glückliche Stunden mit denen von Not und Leid, und aus dieser Bewegung wuchs die Ruhe und die Geschlossenheit des Rheinortes, die früher schon äußerlich sichtbar war durch die Wehrmauer, die den Ort zum größten Teil umgab. Den Zugang vom Rhein schützte die Häuserreihe und das Rheintor an der Grabenstraße. Hier standen die Häuser nur auf der rechten Seite, auf der linken war der Graben, der etwas weiter als die heutige Sparkasse reichte. An der Mauerstraße ging die Ortsbefestigung bis zum Holzweg. Entlang der heutigen Eisenbahnlinie war die Ortsgrenze bis zur Lehmkuhle. Die Mariengasse lag noch innerhalb des Ortsbereiches, während die Bachgasse sich außerhalb befand. Von hier lief die Ortsbefestigung bis zum Rhein. Auf dem Schießbähnchen übten die Stadtsoldaten, die Sebastianschützen, im Kätzchen war das Kittchen, in der Pützgasse der Dorfweiher. Durch fünf Tore gelangte man in den Ort. Wo die Hauptstraße Rheingasse und Mauerstraße schneidet, stand das Koblenzer Tor, am Bahnübergang gegenüber dem Friedhof war das Hahnentor, wo der Holzweg zur Mariengasse einbiegt, das Kölner Tor und am Ausgang der Grabengasse das Rheintor. Die Zufälle der Weltgeschichte teilten und zersplitterten den Ort in verschiedene politische und religiöse Bezirke. Lange und schwer haben die Menschen hier unter diesem Zwiespalt gelitten, andere glaubten dagegen, Gott einen Dienst zu erweisen, wenn sie Öl in die erlöschenden Flammen der Trennung schütteten. Bis der Oberwinterer Frühling ausbrach. Als nach dem Leid des zweiten Weltkrieges in viele Familien Not einzog, half der damalige Pfarrer der evangelischen Gemeinde Kirchenrat Sachsse ohne Rücksicht auf das Gesangbuch den Menschen von Oberwinter, mit denen er auch noch im Tode verbunden ist. Das allen Bürgern weit offene Herz des katholischen Pfarrers Josef Dupont einigte, als es plötzlich stille stand, den ganzen Ort in tiefster Trauer.
Das Vermächtnis dieser beiden in ihrer Anlage so verschiedenen Menschen ist die einigende christliche Liebe. Sie hebt zwar die Unterschiede noch nicht auf, aber sie überwindet jegliche Gehässigkeit. Sie achtet die Haltung des Mitmenschen, und sie wird sie schließlich verstehen, wenn sich zeigt, warum das alles so geworden ist.
Die Herrschaft Landskrone entsteht
Im Jahre 1152 wählten die deutschen Fürsten Friedrich I. aus dem schwäbischen Geschlecht der Hohenstaufen. Neben Friedrich stand ein ebenso mächtiger Fürst in hohem Ansehen: Heinrich aus dem Hause der Welfen. Friedrich und Heinrich waren Vettern. Die Freundschaft hielt, bis Heinrich seinem Lehensherrn Friedrich im Kampf gegen die Lombarden die Gefolgschaft versagte und Friedrich 1176 bei Legnano geschlagen wurde. Da Heinrich vor dem Hofgericht sich nicht verantworten wollte, kam es zum Bürgerkrieg gegen den Welfen, dabei verlor Heinrich Bayern an das Haus Wittelsbach. Nach dem Tode
Friedrich Barbarossas auf dem Kreuzzug wurde der bereits zum König gewählte Sohn Heinrich als Heinrich VI. der Kaiser des Weltreiches. Als er mit 32 Jahren starb, wählten in Deutschland die staufischen Parteigänger Philipp, die Anhänger der Welfen Otto von Braunschweig zum König. Der Papst stellte sich auf die Seite Ottos, da er bei einem Siege des Staufers eine Schwächung der päpstlichen Macht befürchtete. Auch der Erzbischof von Köln stand auf der Seite des Welfen. Die meisten Fürsten aber nahmen für Philipp von Schwaben Partei, da eine Stärkung des päpstlichen Einflusses nicht ihren Plänen entsprach. In dem Kampf gegen den Erzbischof von Köln erkannte Philipp die strategische Bedeutung des Gymnicher Berges bei Heimersheim an der Ahr und erbaute auf ihm als Stützpunkt die Burg Landskrone. Zum Herrn der Burg berief er Gerhard von Sinzig, der dadurch der Ahnherr derer von Landskrone wurde.
„Herrlichkeit Oberwinter“
Im Jahre 1318 erhielt der Sohn des ersten Burggrafen von der Landskrone Gerhard die Dörfer Obcrwinter und Birgel vom Hrz-bischof von Köln zu Lehen. Gerhard vermachte 1366 seiner Enkelin Kunigunde und deren Mann Friedrich von Tomburg das Überwinterer Lehen. An die Schenkung des freigebigen Großvaters erinnert noch heute das Wappenbild von Oberwintcr. In ihm finden wir die Wappen von Tomburg und Landskrone jedoch in den Grundfarben der Geschlechter vertauscht. Später bringt Elisabeth von Saffcnburg als Mitgift die Herrlichkeit Oberwinter in die Ehe mit Johannes von Rheineck. Nach dem Tode seiner Frau beansprucht Ritter Johannes Haus und Turm der Landskroner in Oberwinter. Das unbedeutende Schloß stand im Garten des Kronensaales. Es hat immerhin so viel Geschichte gemacht, daß ein Mitglied der vielverzweigten Familie derer von Quadt sich den Namen von Oberwinter beilegte. Das Geschlecht selbst kam nie zu Bedeutung. Der Turm des Schlosses fiel 1820 altersschwach um. Der Landskroner Hof in Oedingen aus dem Erbteil der Elisabeth von Saffenburg erhielt die uneheliche Tochter des Kraft von Saffenburg, die Klausnerin in Birgel war, mit der Auflage, dem Vater dafür eine jährliche Kornrente zu liefern.
Am 26. Mai 1441 schuf ein Heiratsvertrag die Voraussetzung für die besondere Geschichte von Oberwinter. Kraft von Saffenburg, Herr zu Tomberg und zur Landskrone, und sein Sohn Johann von Saffenburg gaben Tochter und Schwester dem Knappen Lutter Quadt zur Frau. Heiratsvertrag und Vereinbarung der Mitgift kommen mit Hilfe des Kölner Erzbischofs Dietrich zustande. Unter anderem sind 3 000 gute oberländische rheinische Gulden in der Münze der Kurfürsten am Rhein als Mitgift zu zahlen. Da das Geld nicht bar vorhanden ist, verschreiben die Vertragspartner den jungen Eheleuten die Hälfte ihrer Dörfer (Ober-) Winter, Birgel, Bandorf, Ensfeld und die Hälfte der Rechte und Einkünfte. Die Schultheißen, Boten und Untertanen werden zur Huldigung verpflichtet und müssen Gehorsam schwören. Am 25. Juli 1451 teilt der Erzbischof Dietrich von Köln den Schultheißen, Schöffen, Gemeinden und Untertanen der dem Kraft von Saffenburg verpfändeten Dörfer (Ober-) Winter usw. mit, daß er die Dörfer und die Rente von 250 Gülden an seinen getreuen Ritter Lutter Quadt, Herrn zu Tomburg und zur Landskrone, und dessen Frau Elisabeth von Saffenburg für 3200 Gulden verpfändet hat. Die ihm bis jetzt überwiesene Rente ist an Lutter Quadt zu zahlen. Nach einiger Zeit wird die Herrschaft Landskrone jüliches Lehen und damit steht auch Oberwinter unter der Oberhoheit des Herzogs von Jülich. Seit 1518 hat der Baron Quadt zur Landskrone den Herzog von Pfalz-Simmern zum Lehnsherrn, dem aber nur die Hälfte des Landskronischen Besitzes in der Erbfolge zufiel. Die andere Hälfte blieb dem Herzog von Jülich, der es dem Grafen von Manderscheid zum Lehen gab. Diese Teilung des Landes hat sich in der kommenden Zeit in Oberwinter tiefgreifend ausgewirkt.
Religiöse Erneuerungsbewegung
Im Frühmittelalter, als Kaiser und Papst im Zenit ihrer Macht standen, schien die Welt heil zu sein. Die romanischen Kirchen drückten diese Sicherheit aus, und die Mönche der benediktinischen Ordensfamilien rodeten Land, machten es anbaufähig, pflanzten Wein, pflegten Kunst und Wissenschaft, erzogen die Söhne der vornehmen Schichten und hielten feierlichen Gottesdienst. Das wurde anders, als die kaiserliche Macht geschwächt, die kirchliche sich verweltlichte und Kaiser und Papst nicht mehr im Ansehen standen. Franziskus und Dominikus forderten die Rückkehr zum Urchristentum und entzündeten neues Feuer, Johann Hus in Prag wollte Ähnliches und endete auf dem Scheiterhaufen in Konstanz. Im 14. Jahrhundert entstand auch im Moselraum um Trier eine religiöse Laienbewegung, die auf eine Umgestaltung des Gottesdienstes mit der aktiven Teilnahme des Volkes drängte und in der Forderung nach dem Kelch husitische Züge zeigte. Mag man zu dieser Bewegung kritisch stehen, sie zeigt immerhin ein starkes Verlangen nach Erneuerung des kirchlichen Lebens. Zwar lief die Masse im Trott, sie war ungebildet und konnte Glauben und Aberglauben kaum unterscheiden, doch war auch in ihr ein lebhaftes Bedürfnis nach Erneuerung des religiösen Lebens. Sonst hätte ein Johann Ruchrath nicht so fanatisch gegen die Auswüchse des Ablaßwesens in Oberwesel kämpfen können, ohne daß man ihn seines Eifers wegen belästigte. Oberwinter baute in dieser Zeit seine Kirche im gotischen Stil und offenbarte so seine religiöse Haltung. Das Moseldorf Kues schenkte zur gleichen Zeit der Kirche einen hervorragenden Kardinal und der Welt einen außergewöhnlichen Wissenschaftler. Das Volk war reif für eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern.
Die Reformation im Rheinland
Das Aufbegehren Luthers fand den ersten Widerhall auf dem traditionslosen Vorgelände der Jugend. Ihr war es ein religiöses Anliegen und kam ihrer Veranlagung, die gesellschaftliche Landschaft zu verändern, entgegen. Bei den Fürsten spielten politische Überlegungen mit, wobei vielleicht der religiöse Untergrund, daß die weltliche Macht der Kirche ihrem Heilsauftrag entgegensteht, mitschwang. Für den Erfolg Martin Luthers waren Ausgangspunkt und Stoßrichtung von strategisch wichtiger Bedeutung. Hier bot sich die geschichtslose junge Universität Wittenberg und die traditionsfreie Ostgrenze deutscher Kultur als aufnahmebereiter Nährboden an. Hinter dem Limes erlebte die Reformation aus der in der Tradition fest verwurzelten Gemeinschaft der Menschen den ersten Widerstand. Zwar war man auch im Rheinland von der dringenden Notwendigkeit ernster Reformen überzeugt. Es war nicht so und widerspricht den Ergebnissen ernster Forschung, daß der Erzbischof Hermann von Wied sein Kurfürstentum mit wehenden Fahnen in das Lager der Reformation führen wollte. 1536 rief er die Bischöfe von Lüttich, Münster, Osnabrück und Minden zu einer Konferenz zusammen, um Irrungen, Mängel und Mißbrauch abzustellen und dem Verfall der Kirche zu steuern. Aber sein eigenes Domkapitel verstand ihn nicht oder wollte ihn nicht verstehen, streute Gerüchte aus und drängte ihn in das Lager der Reformatoren.
1543 berief er den Straßburger Reformator Martin Bucer an seine Residenz nach Bonn.
Siebzigjährig verlor er Amt, Würde und sein Kurfürstentum, der Papst belegte ihn mit dem Bann, die evangelischen Fürsten verließen ihn. Als ein Einsamer und Verlassener kehrte er in seine Heimat Wied zurück.
Oberwinter wird evangelisch
Die Ereignisse, die die Reformation in Oberwinter auslösten, waren für die Bevölkerung kaum wahrnehmbar. Ritter Lutter Quadt, Herr zu Tomberg, Landskron, Miel und Oberwinter, heiratete Sophia von Pallandt, Erbin von Flammersheim. Sie war eine der frühesten Anhänger der Reformation calvinistischer Prägung und lehnte das Luthertum ab. Im Jahre 1537 heiratete der Kurfürst Friedrich III. von Pfalz-Simmern die lutherische Prinzessin Maria von Brandenburg. Nachdem Friedrich sich offen zur evangelischen Kirche bekannte, konnte sich ab 1545 unter dem Schutz der Landskrone eine evangelische Gemeinde sichtbar bilden. Noch war Friedrichs katholischer Vater Johann II. Lehnsherr. Er duldete jedoch wohlwollend die reformierten Gemeinden. Zwei Jahre nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 kam Friedrich III. zur Herrschaft. Da nun Lehnsherr und Lehnsmann evangelisch waren, konnte die Reformation ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden, zumal der Reichstag das Gesetz erlassen, daß die Religion der Untertanen mit der des Regierenden gleich sein müsse. Der Übergang selbst von einer Religion zur anderen vollzog sich nach zeitgenössischen Berichten kaum merklich für die Einwohner. Erst im Gotteshaus merkten sie, ob ein „Meßpriester“ oder einer „von der Religion“ den Gottesdienst hielt. Seit 1560 waren beide Kirchen, die Helenakirche in Birgel und die Laurentiuskirche in Oberwinter, in evangelischem Besitz; es gingen die gleichen Leute in die Kirchen wie früher, aber sie waren nicht mehr katholisch. Der erste evangelische Prediger, seit 1555 Pfarrer in Oberwinter, war Christian Wirtzius. Vorher hatten reformierte Wanderprediger die Gemeinde betreut.
Der „Gottesstaat“
Die innere Einheit der Familien und ihre Festigkeit im neuen Glauben wurde dadurch erschwert, daß zusätzliche Prediger gegen den von der Obrigkeit eingesetzten Pfarrer opponierten. Diese Prediger entfalteten eine sektiererische Tätigkeit bei ihren gottesdienstlichen Handlungen in einigen Häusern und betrachteten die „gewöhnlichen“ Kirchgänger als nicht von Gottes Geist Ergriffene. Aber statt die Liebe zu predigen, wie ihnen der Reformator aufgetragen, waren sie voller Gehässigkeit und überschütteten die Jülicher Synode mit Eingaben gegen den Pfarrer und die nach ihrer Ansicht „lauen Christen“. Und die Synode sah in den Anklägern die Verfechter der reinen Lehre. Dem rechtmäßigen Pfarrer wurde zu seiner Rechtfertigung kein Gehör gewährt.
Der Einfluß des Konsistoriums, das die strenge Observanz innerhalb der calvinistischen Lehre vertrat, war sehr groß. Vor sein Forum wurden alle die zitiert, deren Lebensführung Anlaß zur Ermahnung und Strafe gab. Wer sich am Martinstag oder an Fastnacht verkleidete, wer Unzucht trieb, wurde vom Abendmahl ausgeschlossen.
Wenn Eltern schon 15 Tage nach der Geburt eines Kindes die Straße betraten, wurden sie von der Tischgemeinschaft mit Jesus ferngehalten. Wer auf den Straßen randalierte oder sonst an Raufereien sich beteiligte, mußte dem Abendmahl fernbleiben. Ein Mann, der sich wegen der Schläge zu verantworten hatte, die er seinem Weibe zugedacht, fand milde, verständnisvolle Richter.
Wer sich dem Tranke ergab – Oberwinter war immerhin ein Weindorf -, wer gotteslästerische Worte ausstieß, wer gegen alle Ermahnungen ein verhärtetes, unbußfertiges Herz zeigte, wer an Tanzlustbarkeiten teilnahm, durfte den Leib des Herrn nicht essen und sein Blut nicht trinken. Wer jedoch gegen des Pfarrers Küche lästerte und daraufhin angezeigt wurde, blieb ungeschoren; keine Quelle berichtet von einer Strafe.
Der Kölner Krieg
Heinrich der Löwe verlor im 12. Jahrhundert, wegen seiner Unbotmäßigkeit gegen Kaiser Friedrich, das Herzogtum Bayern an das Haus Wittelsbach.Dieser Besitzwechsel sollte sich später auch auf die Geschichte von Oberwinter auswirken, vielleicht noch tiefgreifender als der Kampf der Staufen und Welfen, der zum Bau der Burg Landskrone, zur „Herrschaft Landskrone“ und zur „Herrlichkeit Oberwinter“ führte. Erinnern wir uns auch noch, wie der Erzbischof Hermann von Wied sich bemühte, in seinem Erzbistum Reformen durchzuführen, sich schließlich von seiner Kirche trennte, vom Papst gebannt wurde und weder bei der neuen noch bei der alten Kirche eine Heimat fand.
Daran hätte der Erzbischof Gebhard Truchseß zu Köln denken müssen, als er sich 1583 in Bonn mit der Gräfin Agnes von Mansfeld, die ehemals Stiftsdame in Gerresheim war, trauen ließ. Truchseß wollte nach seiner Heirat Erzbischof und Kurfürst bleiben. Da ließ der Kaiser spanische Truppen in das Kurfürstentum einrücken, Truchseß von Waldburg floh zu Wilhelm von Oranien nach Holland und starb als evangelischer Domdechant in Straßburg. Den Kölner Stuhl besetzte Ernst von Bayern, ein Wittelsbacher, entschlossen, die alte Lehre zu verteidigen und der neuen Lehre mit jedem Widerstand zu begegnen. Mit der militärischen Besetzung des Kurfürstentums und der Inthronisation des Wittelsbachers war der Streit mit den Anhängern des Gebhard Truchseß noch nicht beendet. Die Auseinandersetzung, die fünf Jahre dauerte, ging mit dem Namen „Der Kölner Krieg“ in die Geschichte ein. Für die Geschichte von Oberwinter zeigten sich bald die Folgen.
Eine Ohrfeige macht Geschichte
Der letzte Herzog von Jülich, Kleve und Berg Johann Wilhelm starb 1609, ein Jahr nach seiner Schwester Eleonora von Preußen. Da erhob Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg, Anspruch auf das Erbe seiner verstorbenen Frau. Auch der Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg meldete seine Ansprüche an, da auch er eine Schwester des verstorbenen Herzogs von Julien zur Frau hatte. Schließlich kamen Brandenburg und Neuburg überein, das verwaiste Herzogtum gemeinsam zu regieren. Da diese Lösung keine Versöhnung der Parteien brachte, nahmen sie sich die Habsburger zum Vorbild und wollten Frieden durch Heirat stiften. Der Kurfürst von Brandenburg kam mit seiner Tochter nach Düsseldorf, um alle Formalitäten mit Wolfgang Wilhelm, dem Sohn des Pfalzgrafen von Neuburg zu besprechen. Statt der Liebesszenen aber gab es Krach! Der Pfalzgraf Wolf gang Wilhelm verlangte mit der Prinzessin den ganzen Besitz des Jülicher Gebietes, den der Kurfürst von Brandenburg bis jetzt verwaltete. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, der Kurfürst vergaß die fürstliche Würde und versetzte dem jungen Freier eine schallende Ohrfeige.
Nun waren Erbe und Liebe weg! Wolf gang Wilhelm sann auf Rache, suchte sich ein Mädchen aus einem Fürstenhause, um Politik gegen Brandenburg zu machen und fand Magdalena, die Tochter des Herzogs von Bayern und Nichte des Erzbischofs von Köln Ernst von Wittelsbach. Der Neuburger war Lutheraner, den Reformierten nicht wohlgesinnt. Im Jahre 1614 trat er zur katholischen Kirche über, und nun begann Kampf und Leidcnszcit für alle. Die Leidtragenden aber bis auf den heutigen Tag sind die Menschen, die nicht verstehen können, warum die ändern anders sind.
Die Gegenreformation
Zornig über die Ohrfeige, dem Kölner Erzbischof, seinem Onkel, ergeben, suchte Herzog Wolfgang Wilhelm den Reformierten all das abzunehmen, was ihnen aus dem gleichen Recht zugefallen war. In der Herrlichkeit Oberwinter löste er die Frage mit Hilfe des Jülichen Vogts und seiner Schützen in Sinzig. Die kleine katholische Gemeinde wuchs zur beachtlichen Mehrheit. Als während des 30jährigen Krieges eine lothringische Garnison in Oberwinter lag, konnte das kleine Häuflein evangelischer Christen wegen der Anwesenheit kaiserlicher Truppen sich nicht regen. Neben der politischen und militärischen Lösung der Glaubensfragen suchten die Jesuiten Petrus Canisius und Lainetz vom Kartäuserkloster in Köln aus die geistige Auseinandersetzung. Verwaltungsmäßig tat Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm den besten Schachzug, indem er allen Beamten befahl, zur katholischen Kirche zurückzukehren. So waren alle Machtmittel der Gegenreformation zielsicher eingesetzt. Seine Politik änderte er auch nicht, als seine Frau, die Nichte des Erzbischofs, gestorben war, und er die reformierte Prinzessin von Pfalz-Zweibrücken heiratete. Seiner Frau erbaute er eine eigene Hofkapelle und gestattete hierin den calvinistischen Gottesdienst. Nach außen aber entbrannte der Kampf auf allen Ebenen. Gegen den Pfalzgrafen ergriff der Kurfürst Wilhelm von Brandenburg Maßnahmen, die die Katholiken in dem von ihm beherrschten Gebiet unterdrückten. Holländische Truppen drangen in jüliches Territorium ein und nahmen katholische Priester und Beamten als Geiseln fest.
Sie litten alle, wo immer sie wohnten. Anlaß zu Streitigkeiten und Schikanen gaben die nichtigsten Dinge. Was man dem Andersgläubigen antat, rechnete man für sich als ein Gott wohlgefälliges Werk. In den Chroniken erscheinen die Pfarrer als mutige Kämpfer für den wahren Glauben oder das reine Evangelium – auch in Oberwinter.
Die „Herrlichkeit Oberwinter“ wird jüliches Lehen
Dem Herzog von Jülich gelang es nach längeren Verhandlungen, auch die Abtretung der Gebiete, die unter der Lehenshoheit von Pfalz-Simmern standen, zu erwirken.
Foto: Kreisbildstelle
Das Kreuz am Markt in Oberwinter
Verzweifelt wehrten sich die Herren von der Landskrone dagegen, zumal der neue Lehnsherr katholisch war. In einem besonderen Freibrief erwirkte jedoch Lutter Quadt für die Bewohner von Oberwinter die Religionsfreiheit, so daß die reformierte Gemeinde bestehen bleiben konnte, was nach Reichsgesetz eigentlich nicht möglich war. Es war aber für die Altgläubigen jetzt gesetzlich erlaubt, hier verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Noch trat dieser Zustand nicht ein. Es mußten erst Ereignisse in der weiten Welt ihre Wellen nach hier schlagen. Und das trat bald ein. 1592 starb der Herzog von Jülich, und seine Schwiegertochter Antonetta von Lothringen regierte das Land. 1593 erlosch die Linie derer von Manderscheid, die als Lehensleute von Jülich auch Oberwinterer Gebiet verwalteten. Nach dem Tode des letzten Grafen fiel dieses Gebiet sofort und unmittelbar an Jülich. Nun fehlte für einen Teil des Ländchens Oberwinter der Schutzherr. Auf Anordnung der Regentin besetzten lothringische und spanische Truppen Oberwinter und regelten die Religionsfrage auf ihre Weise. Sie wiesen die reformierten Prediger aus dem Ländchen aus. Ein „Meßpriester“ in ihrem Gefolge nahm von beiden Kirchen Besitz. Da aber Schultheiß und Bürgerrat evangelisch waren, stellten sie den Reformierten das Rathaus zum Gottes dienst zur Verfügung. Ob der katholische Priester gleich gefüllte Kirche hatte, wurde nicht vermeldet. Noch zeigten sich weder Feindschaft und Gehässigkeit innerhalb der Bevölkerung. Der Wechsel vollzog sich ohne Spannungen und erfaßte nur einen Teil der Bevölkerung.
Das Kreuz am Markt
An diese unruhigen Zeiten erinnert das Kreuz am Markt. 1701 wurde es errichtet im Todesjahr des letzten katholischen Pfarrers von Birgel. Der Chronist, der Heinrich Rinkelbach in Schutz nehmen wollte, schrieb aber zu seiner Verteidigung einen lateinischen Text, der dem nachfolgenden Pfarrer zwar verständlich war, für ein unberufenes Auge jedoch nicht bestimmt. Die Birgeler nahmen es ihrem Pfarrer übel, daß er nicht mehr bei ihnen bleiben wollte, sie nannten ihn einen Mietling, der seine Schafe verläßt. Ihn aber zog Oberwinter an, als die katholische Religion dort aufblühte, aber keiner da war, der in der Kirche die Messe las. Er wohnte auf dem Holzweg und später in der Rheingasse und machte alle Sonn- und Feiertage auch seinen Weg nach Birgel. So hat das Kreuz nach seinem Tode auch seine Kritiker versöhnt, wie es über der bewegten Geschichte dieses schönen Fleckchens am Rhein und für die geistig bewegten Menschen als Denkmal und als Mahnmal steht.
Die „Botschaft unter dem Kreuz“
Auf dem Kuppelturm der evangelischen Kirche thront der „Jüliche Engel“, der die „Botschaft unter dem Kreuz“ verkündet. Er ist das Wahrzeichen aller reformierten Gemeinden. Nachdem der Kurfürst von Brandenburg dieses Zeichen als Wetterfahne auf dem Berliner Dom anbringen ließ, wurde es später Symbol aller jülichen Kirchen. Es sollte uns auch an die Zeiten erinnern, da die Staatsmacht sich Entscheidungen über das Gewissen ihrer Untertanen anmaßte. So ist dieses Kreuz zum Mahnmal aller Unterdrückten geworden. Im Jahre 1723 wurde die evangelische Kirche gebaut, aber sie durfte nach damaligem Staatsrecht nicht an der Straße stehen und nur durch den Eingang eines anderen Hauses, das später Pfarrhaus wurde, erreichbar sein. Was aber als Schikane gedacht war, erwies sich schließlich als sehr weise. Die Kirche blieb hochwasserfrei, eine Tatsache, die bei Rheinüberflutungen versöhnend wirkte.
Die beiden Kirchen, die von nun an das Ortsbild prägten, sahen wenig ruhige Zeiten. Der Einmarsch der französischen Revolutionsheere machte den Rhein zur Grenze des französischen Kaiserreiches. Die Begeisterung der Befreiungskriege übertönte die noch vorhandenen Gegensätze. Der Wiener Kongreß bestätigte die Abschaffung der Kleinstaaterei durch Napoleon, und Brandenburg meldete seine Ansprüche auf das rheinische Gebiet wieder an. Das Rheinland wurde zur preußischen Rheinprovinz. Die politischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahre gingen neben den religiösen, zumal Parteien sich entsprechend färbten und so auch ihrerseits am Streite teilnahmen. Im Weltkrieg versöhnte gemeinsames Leid, der Nationalsozialismus sah die Kirchen in gemeinsamer Abwehrfront. Die ersten Schritte zueinander sind ihm zu verdanken. Als nach dem 2. Weltkrieg beide Kirchen neue Glocken erhielten, stimmte man den Klang aufeinander ab. Ganz feine Ohren wollen noch Nuancen kleinster Unstimmigkeiten festgestellt haben. Die Glocken beider Kirchen läuteten den Oberwinterer Frühling ein – möge ihr Geläute auch ein gemeinsames Erntedankfest sein.
Quellen:
Frick/Zimmer: Quellen zur Geschichte der Herrschaft Landskrone a. d. Ahr.
v. Recklinghausen: Geschichte der Reformation im Rheinland.
Kreuzberg: Geschichtsbilder aus dem Rheinland.
Stramberg: Rheinischer Antiquarius.
Rosenkranz: Das evangelische Rheinland.
v. Dankelmann: „Die Gegenreformation im Rheinland“ in Monatsschrift d. Berg. Geschichtsvereins, 23. Jg., 1916.
Sebastian: Festschrift zum 800jährigen Bestehen der katholischen Pfarrkirche.
Sachsse: Festschrift zum 400jährigen Bestehen der ev. Gemeinde Oberwinter.
Sachsse: Festschrift zum Jubiläum der evangelischen Gemeinde, 1923.
Builkamp: Bilder zur Geschichte der ev. Gemeinde Oberwinter.
Ferner eine Fülle persönlicher schriftlicher Anregungen zum Thema und zu den Quellen, wobei besonderer Dank
Herrn H. Kirschbaum in Cellegilt.