Heiteres aus einer ernsten Stunde
Andreas Breuer
Gute hundert Jahre ist es her. Um 1875 lebte in Ahrweiler, dem weithin bekannten Rotweinstädtchen, der alte Herr Syre, ein angesehener Bürger. Er war in der ganzen Stadt, nicht nur wegen seiner Biederkeit und Lauterkeit, sondern auch durch seine schöne Sängerstimme bekannt. Trotz seines hohen Alters war er immer noch in der katholischen Pfarrkirche ehrenamtlich als Choralsänger tätig.
Eines Tages durcheilte das Gerücht die Stadt:
Herr Syre liege im Sterben. Auf dem Marktplatz nahe der Kirche waren mehrere Schulbuben beim Ballspiel, als der Küster Assenmacher gelaufen kam und einen der Schuljungen aufforderte. zum Versehgang mitzugehen und die Laterne zu tragen. Die beiden eilten zur Kirche, wo schon der Dechant Seul mit brennender Laterne wartete. Eiligst kamen der Dechant und sein Ministrant zur Wohnung des Herren Syre. In dem Sterbezimmer waren außer den Familienangehörigen noch viele Nachbarn, die die Sterbegebete sprachen.
Anwesend war auch Dr. Schmidt, der behandelnde Arzt, der das Herbeirufen des Geistlichen veranlaßt hatte. Dr. Schmidt war als ein ziemliches Rauhbein bekannt, der seine Patienten nicht mit Samthandschuhen anfaßte und mitunter sich recht drastisch ausdrückte. Nachdem Dechant Seul seine sakramentalen Funktionen ausgeübt hatte, kniete er vor dem Bette nieder, im stillen Gebet die letzten Atemzüge des Sterbenden erwartend.
Plötzlich öffnete dieser die Augen, schaute verwundert. aber mit ganz klaren Blicken um sich. Gleichzeitig ertönten aus dem Hintergrunde, aus dem Munde des Arztes, in die Stille des Krankenzimmers hinein die Worte: „Nu geihst due kapott, da kütt wider zo sech.«
Wie recht der Doktor hatte, bestätigte Syre, indem er sagte: „Ech hann Duursch«, Ein ihm gereichtes Glas Wasser wies er zurück, dagegen kippte er ein Glas Rotwein bis auf die Neige. Von dieser Stunde an ging die Besserung schnell voran. Bald sah man Syre wieder auf der Orgelbühne, aber auch im Winzerverein, wo er Zwischengespräche mit dem besonders bevorzugten Ahrbleichert und Silberber-ger führte. Noch manches Jahr hat er dieser »edlen Tätigkeit« gehuldigt.