Freistätten für Verfolgte

Freistätten für Verfolgte

VON JAKOB RAUSCH

Asyl ist ein griechisches Wort und bedeutet eine „unverletzliche Stätte“. Griechische Asylorte waren z. B. die Heiligtümer der Athena zu Tegea, des Poseidon auf dem Isthmus von Korinth, des Apollo zu Delos. Zudem galt den Griechen jedes „Heiligtum“ mit allem, was es enthielt, als unverletzlich. Deshalb deponierte man dort auch Schätze und Gelder, um sie vor Diebstahl zu bewahren.

Aber auch Bedrängten und Verfolgten, ja sogar Verbrechern gewährte das Asyl Schutz vor gewalttätiger Wegführung.

In Rom war ein solches Asyl zwischen den beiden Gipfeln des Kapitolinischen Hügels, das angeblich von Romulus selber gestiftet wurde. Augustus bestimmte auch den Tempel des Julius Cäsar als Asyl. In der späteren Kaiserzeit •waren gleichfalls die Tempel der regierenden Kaiser Freistätten. Unter Konstantin dein Großen ging das Asylrecht auf die christlichen Kirchen, Klöster und Hospitäler über.

Auch die Israeliten des Alten Testamentes hatten in Palästina Asylorte, z. B. die Priesterstadt Hebron und verschiedene Levitenstädte. Wer einen unvorsätzlichen Totschlag begangen hatte, war vor dem Bluträcher sicher, solange er sich im Weichbild dieser Städte aufhielt. Er war aber gebannt, bis zum Tode des Hohenpriesters dort zu bleiben.

Auch die Germanen hatten solche Freistätten. Ihre Opferstätten auf Bergen, in heiligen Hainen und unter Bäumen (Donareiche) gewährten dem Flüchtling sicheren Schutz vor seinen Verfolgern, da er hier unter dem Schütze der Götter stand. In christlicher Zeit hielten die Franken in unserer Heimat an diesen im Freien liegenden Asylorten fest; es traten dazu aber auch die christlichen Kirchen und auch private Gebäude (Salgüter, Burgen). So befand sich ein solches „Freimal“ auf der „Hohen Acht“, wo Ahrgau, Mayengau und Eifelgau zusammentrafen; Verfolgte aus diesen 3 Gauen hatten hier Asylrecht. Auch weitere „Freiplätze“ befanden sich in unserem Kreisgebiete.

Das Weistum vom 2. Mai 1700 der reichsunmittelbaren Herrschaft Lantershofen mit seinen sieben Herren berichtet:

Günstig war dieser Ort für den Missetäter

Der Blankartshof (= die Burg) besitzt das Asylrecht für Totschläger. Wenn ein „Ungemach“ (= Streit) mit dem Tode ausginge, so kann der Täter auf den Hof flüchten, wo er sechs Wochen frei sein soll. Gelingt es dem Missetäter nach Ablauf dieser Schonzeit, drei Fuß auf die Straße zu betreten und unbehelligt auf den Hof zurückzukehren, so genießt er eine weitere Freizeit von 6 Wochen. Nach Ablauf dieser Frist hat der Junker (= Blankart) die Macht, den Häftling an die Rottbach zu führen. Könnte er dort in ein anderes Herrschaftsgebiet entkommen, so soll er frei sein.

Günstig war dieser Ort für den Missetäter; denn hier stießen an die Herrschaft Lantershofen das Kurkölnische Gebiet mit Ahrweiler und das jülisch-pfälzische mit Hemmessen. Wie hei den israelitischen Levitenstädten galt in Lantershofen das Asyl nur für Totschläger.

Das Asylrecht, aber nicht nur für Totschläger, sondern auch für jeden anderen Missetäter, hatte der Hof „Pesch“ in Blasweiler, dessen Landesherr der Kurfürst von Trier war und dessen Amtmann auf der Burg Kempenich saß. Die Herrschaft Kempenich war zuletzt ein kurtrierisches Amt geworden.

Nach dem Blasweiler Weistum aus dem 18. Jahrhundert fragt der Schultheiß die Schöffen: „Was für eine Beschaffenheit hat es mit dem Pesch?“ Und die Schöffen antworten: „Daß dieser Hof so frei sei, daß, wenn ein Totschläger oder Missetäter, ehe er dem Herrn überliefert werde, auf solchen Hof komme, der sei sechs Wochen und 3 Tage darauf frei, und wann er während dieser Zeit nicht gefangen wird und nach verflossenen 6 Wo. und 3 Tg. drei Fußbreit davon gehe und wiederum auf genannten Hof kommen könne, der genieße vorgemeldete Freiheit wiederum.“

(Also insgesamt 13 Wochen = 1/4 Jahr.)

Auch der Domhof St. Peter in Walporzheim, einst ein römisches Landhaus, dann ein fränkisches Salgut, hernach im Besitz des Klosters Prüm, das den Hof durch Gütertausch an die Grafen von Are abtrat, hatte Asylrecht. Der letzte Erbe des Hofes aus diesem Geschlecht, der Domherr Friedrich von Are-Hochstaden, schenkte im Jahre 1246 den Hof mit Weingut den Kölner Domherren. Schon seit der Frankenzeit war dieser Hof ein Stabelhof; d. h. Kaufleute, die ihre Waren durchs Ahrtal führten, mußten diese, besonders vor dem Markte, hier anbieten. Seit dieser Zeit war er gleichzeitig auch Asylhof und blieb ein solcher während des ganzen Mittelalters.

Im 16. Jahrhundert war Johann Gies Pächter des Domhofes. Als solcher war er auch Schultheiß im Namen der Domherren. In dem Hofgeding des Jahres 1553 antworteten die Hofgeschworenen, hier auch „Stuhlbrüder“ genannt, auf die 1. Frage des Schultheißen: „Was wißt Ihr über den Domhof zu sagen?“ antworteten die Hofgeschworenen:

„Der Domhof ist ein freier Stabel- und Asylhof. Jeder Missetäter, der ihn wegen seines begangenen Lasters retiriert, genießt völlige Freiheit, solange er sich dort aufhalten kann.“

Hier wird keine bestimmte Zeit als „Freizeit“ angegeben. Der Bedingungssatz: „ … solange er sich dort aufhalten kann“ erinnert uns an den Umstand, daß ursprünglich der Herr der Freistätte nur Obdach, aber nicht Speise und Trank bieten durfte, so daß eigentlich bald Hunger und Durst den Schutzsuchenden zum Kapitulieren brachten. Jedoch durften Freunde des Missetäters ihn mit Nahrung von auswärts versorgen. Weitere „Freistätten“ befanden sich u. a. auf dem Bentgerhof und in Schloß Vehn. Hier war zunächst die Kirche, die ja früher Pfarrkirche der Umgebung war, das Asyl; später aber war der Asylraum in einem Nebengebäude des Herrenhauses.

Heute noch trägt ein Pfad, der zum Asylorte führte, den Namen „Armsünderpfad“.

Seit 1800 gibt es bei uns keine Asylorte mehr im alten Sinne. Jedoch kann ein Bedrohter oder Verfolgter in einem anderen Lande um „Asylrecht“ bitten, sofern diese Möglichkeit gesetzlich geregelt ist.

Ebenfalls gelten die Gebäude auswärtiger Botschaften und Gesandten als unantastbares Asyl. Auch lebt der alte Brauch noch in Kinderspielen weiter. Hier auf dem „Freimal“ darf das Kind nicht „abgeschlagen“, nicht „gefangen“ werden. Auch darf es bei Hüpfspielen auf einem „Freimal“ ausruhen. Ja, hoher Sinn liegt oft im kindlichen Spiel.