FACHWERK IM KREISE AHRWEILER
VON HERMANN BAUER |
Es ist nicht von ungefähr, daß Fremde und Einheimische voller Bewunderung vor dem neuen Fachwerkhaus gegenüber dem Oberwinterer Bahnhof stehen und dabei von einer Baukultur erwärmt werden, die wie ein Mahnruf in unsere kalte, sachliche Zeit wirkt. Wer heute noch im Fachwerk neu baut, zeigt nicht nur Ehrfurcht vor dem Denken und Wollen der Vergangenheit, sondern offenbart auch eine seelische Haltung, die dem modernen Zeitgeist entgegensteht. So kann ein Haus wie das Rezept eines Arztes wirken!
Es war auch wohltuend zu erleben, wie die alten Fachwerkhäuser auf dem Holzweg von Oberwinter in feiner Farbenabtönung neu erstrahlten, so wie sie auch dem Orte Ehlingen in der „Goldenen Meile“ das weinfrohe Gesicht gaben. Das gleiche Bild bietet Heimersheim, und wer den berühmten Weinort an der Ahr im Festschmuck schauen durfte, der spürte, wie sehr das Fachwerk die Farbenpracht erhöhte. Die mehrfach gekrümmte Hauptstraße in Hönningen erfährt durch die mannigfaltigen Fachwerke eine ganz persönliche Note, ebenso seien Rech, Walporzheim und Niederbreisig genannt, wo eine stattliche Anzahl schöner Bauten den Reiz dieser Orte besonders erhöhen. Die untere Ahr und das Gebiet am Rheine gehören zum geschlossenen Fachwerkgebiet unseres Kreises.
Es ist nun völlig abwegig zu glauben, daß nur da im Fachwerk gebaut wurde, wo das Holz billig und genügend vorhanden ist. Die Baumaterialien waren nie die alleinige Ursache einer bestimmten Bauweise. Das Material richtete sich damals und bisweilen auch heute noch nach tieferliegenden völkischen und seelischen Kräften. Ihnen nachzuspüren und dabei den Blick auf das gegenwärtige Bild zu behalten, sei im folgenden meine Aufgabe.
Bereits aus der jüngeren Steinzeit sind Anzeichen und Funde vorhanden, die beweisen, daß in unserer Gegend ein geregelter Verkehr herrschte, und auch der Fachwerkbau schon üblich war. Von den Kelten, die unser Gebiet besiedelten, wissen wir, daß sie hauptsächlich aus Holzfachwerk bauten. Wenn wir nun innerhalb des Kreises Ahrweiler eine merkwürdige Verschiedenheit im Fachwerkbau zwischen der Eifel-bauweise und dem Fachwerk an Ahr und Rhein feststellen, so hängt dies nur bedingt mit der wirtschaftlichen Eage zusammen, die eigentlichen Ursachen des Unterschiedes liegen viel tiefer. Mit der Eroberung des Landes durch die Römer wurde die keltische
Kultur unterbrochen. Die Römer brachten ihre eigene Bauweise mit. Auch hier im Norden ihres Reiches war das Atrium ein Hof inmitten der Hausanlage, von dem alle Einzelgemächer zugänglich waren. Diese Ideen finden wir bei der Grundrißbildung der späteren Eifelbauten. Der Grundriß des Eifelbauernhauses ist ein ausgesprochener Dielengrundriß, in dem alle Räume von einem zentralen Wohnraum, bei kleineren Bauten von der Küche aus, zugänglich sind. Im Kötterhaus oder Köttergiebelhaus finden wir diese Idee verwirklicht, ein Gang nach Kottenborn würde das Gesagte veranschaulichen. Als mit dem Verfall der römischen Herrschaft im Anfang des 5. Jhs. die römischen Legionen aus dem Rheinlande zurückgezogen wurden, drangen die Franken in das verlassene Gebiet ein. Sie brachten ihre eigene Bauweise mit, ließen aber den germanischen Stämmen, die in der Römerzeit schon ansässig waren, ihre Art zu bauen, so daß wir heute genau feststellen können, wo und wie sich die fränkische und römische Bauweise zu verzahnen. Bei den Bauten in Oberzissen, Franken Hain, ja im gesamten Vinxtbachtal, lassen sich diese Unterschiede der Grundrißbildung genau feststellen.
Das fränkische Fachwerkhaus ist das eigentliche mitteldeutsche Haus, das so weit zu verfolgen ist, als fränkisches Volk und fränkische Art einst gedrungen waren. Dieses Haus gibt nun der Volkskunst die schönste Gelegenheit, sich auszuwirken, aber es gibt auch Gelegenheit, jene feinen Unterschiede sichtbar zu machen, die sich allmählich in den einzelnen Landschaften herausgebildet und das fränkische Volksgebiet in einzelne wohlumschriebene Volksgruppen zerlegt haben. Daher hat sich in unserem Rhein-Ahr-Gebiet ein ganz besonderer Typ des Fachwerks entwickelt, jenes städtische Bürgerhaus mit überkragten Geschossen und reizvollen Giebeln, wie wir sie auf dem Marktplatz in Adenau, in der Kreisstadt Ahrweiler und im „Schwanen“ von Oberwinter bewundern.
Die häufigste Form des Fachwerkbaues in unserem Kreisgebiet ist das sogenannte Traufenhaus. Bei ihm läuft die Achse des Hauses parallel zur Straße und zwischen Wohnhaus und Scheune stellen Stallungen oder Schuppen die Verbindung her. Manchmal ist die Einfahrt überbaut, wie wir in fast allen Orten, wo Fachwerk vorherrscht, feststellen können. Der kurze Hinweis auf Ringen und Leimbach sei nur beispielhaft erwähnt. Schöne Traufenhäuser mit Toreinfahrten und viele mit Inschriften aus dem 19. Jh. finden wir in Lantersbofen, während die Wirkung der Traufenhäuser in geschlossener Reihe in der Hauptstraße von Gelsdorf besonders stark ist. Jedoch merkt man auch hier schon den Einfluß des jülich-niederrheinischen Wasserburgtypus. In der malerischen Hauptstraße seien das Haus Nr. 88 mit dem reizvollen Innenhof aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts und die Häuser Nr. 76 und 87 aus den Jahren 1832 und 1730 besonders genannt.
Ein weiteres Kennzeichen fränkischer Bauweise ist der aufstrebende Giebel. Dadurch unterscheidet sich das fränkische Fachwerk besonders von dem niedersäch- sischen, da es in die Höhe statt in die Breite strebt. Die rautenförmige Setzung der Stile unter dem Giebel oder den Fensteröffnungen als eine unbewußte, jedoch immer wieder verwendete Schmuckform ist ebenso Symbol, ist Wahrzeichen fränkischer Art, wie die Pferdeköpfe einst niedersächsische Volksart zusammenfaßten. Wie eine geheime Sprache lassen sich diese Rauten durch alle Lande von Lothringen und westlich davon bis weit in den Osten unseres Vaterlandes verfolgen. Es muß in dem auffallenden Schmuck ein altes Erbteil stecken, vielleicht ein altes Heilszeichen oder fränkisches Stammeszeichen, dessen Bedeutung zwar verloren, aber mit den Zeitläuften unbewußt mitgegangen ist, weil es zu einem innerlichen Eigentum wurde. Diese Normalform fränkischer Bauweise haben wir in Eckendorf in zwei mit den Giebeln zur Straße hin stehenden Bauten. Links ist das Wohnhaus, rechts Unterkunftsbau für das Gesinde und die nicht mehr arbeitsfähigen Eltern. Auch in Antweiler haben wir noch Häuser ähnlicher Bauweise. Meist finden wir Giebel und Traufenhaus in einem Stil vereint. Hof, Scheune und Stallung liegen hinter dem Hause. Ein schönes Giebel-Traufenhaus finden wir in Königsfeld.
Das lothringische Quereinhaus reicht nicht bestimmend in das Ahrweiler Kreisgebiet hinein. Wir finden solche in Müllenbach, in Wirft, in Meuspath, wo Wohnhaus und Stallung unter einem Dache sich befinden und auch noch eine Kapelle im Familienbesitz ist.
Ein besonderes Charakteristikum hiesiger Bauweise ist das Walmdach. Hingewiesen sei besonders auf die Bauten in Bodendorf, Bengen und Aremberg; das Haus Nr. 71 in Kreuzberg zeigt ein Krüppelwalmdach aus dem Jahre 1648.
Eine eigene Form hat das rheinische Winzerhaus im Fachwerk entwickelt, wenn es auch wenige in Fachwerk gibt, so doch in Oberbreisig und in Löhndorf, dem früheren Zehnthof. Dieser ist ein besonders schöner, zweistöckiger, im Winkel angelegter Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach, darin die Jahreszahl 1799.
Selten ist der rheinische Eck- oder Vierseitenhof, wie er in Nierendorf gebaut wurde.
Aus manchen Fachwerkhäusern spricht die Vielfalt der geschichtlichen Wandlung. Am Westeingang von Pützfeld zeigen bedeutende Mauerreste noch den Platz der ehemaligen Burg an. Ein wohl im frühen 18. Jahrhundert mit Verwendung ihrer Mauern errichtetes Haus mit Mansardendach paßt sich durch eine Zuspitzung der Straßenkrümmung an, es ist dreiachsig zur Straße hin, nach hinten zweistöckig aus teils verputztem Fachwerk, östlich vom Tor des Hauses Vichel in Vinxt steht eine Fachwerkscheune des 18. Jh. mit alten Außenmauern, dem Erdgeschoß eines örtlich vorspringenden Turmes, dessen Kellergeschoß früher das Gefängnis enthielt. In Niederesch haben wir im Mönchesch einen Flachwerkhof des 17. u. 18. Jhs., der dem Kloster Marienthal gehörte. Besonders reich ist Sinzig an Fachwerk mit geschichtlicher Erinnerung. Der Trierer Hof, ehemals im Besitz des Kurfürsten von Trier, ist ein zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach aus dem 17. Jh. Der Wolfskeller, das Haus Nr. 394, führt seinen Namen von seinem ehemaligen Besitzer, der Familie von Wolfskehl. Er stellt sich uns vor als ein eingeschossiger verputzter Fachwerkbau aus dem 18. Jh. mit vorgebauter Laube auf der Nordseite. In Sinzig erklärt man sich den Namen des Hauses zum Teil so, als ob dort früher ein Keller oder Kellner = Kirchenrechner gewohnt habe. Der Mönchshof in der Renngasse war früher im Besitz der Abtei Marienstatt. Im Jahre 1253 gab Liefmoude von Guntravia (Gondorf) ihr Haus und ihre Güter zu Sinzig dem Kloster Marienstatt. Auch die übrigen Fachwerkhäuser in Sinzig deuten schon durch ihre Namen ihre Bedeutung und geschichtliche Vergangenheit an.
Von besonderem Reiz sind die zahlreichen Inschriften, die auf den Erbauer und sein Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen wertvolle Rückschlüsse zulassen. Auch sind sie uns wertvolle Hinweise auf Geist und Haltung der Zeit. Vor allem aber spürt man in ihnen den Wert des eigenen Heimes, die Sorge um seine Bewohner und die Achtung vor dem Gast. Immer wieder wird Gott um Hilfe angerufen vor Feuer und Blitz, und immer wieder haben diese gewaltigen Naturelemente in der damaligen Zeit große Verheerungen angerichtet. So hat Remagen infolge Brand und Zerstörung nur einige schlichte Fachwerkbauten. Waldorf dagegen blieb der alten Bauweise treu. Nach dem Großfeuer von 1824 wurden in den Jahren 1825 und 1826, wie die Inschriften ausweisen, alle Häuser mit der Traufenseite zur Straße, viele mit überbauter Toreinfahrt neu errichtet. Ein altes Inschriftbrett aus dem Jahre 1864:
DIS HAUS STEHET IN GOTTES HAND
GOT HEHUET ES FUER FEUR UNT BRANDT
hat die große Katastrophe überstanden. 1834 hat in Niederzissen ein großer Brand gewütet, jedoch noch einige bemerkenswerte alte Fachwerkhäuser vor allem im Oberdorf sind erhalten geblieben.
In Oeverich finden wir im Hause Nr. 39 folgende bemerkenswerte Inschrift, die auch Rückschlüsse auf das Gedächtnis des Erbauers erlaubt, denn dieses fehlerhafte Latein kann nur nach dem Gehör niedergeschrieben sein. Man spürt hier noch, wie sehr damals das gesprochene Wort in den Zuhörern nachwirkte:
„BAX INDRANDEBUS ET SALIS NEXAGUNDEBUS“
„Friede, die da eintreten, und Heil denen, die das Haus verlassen!“
Den gleichen Gedanken finden wir in Gedingen an dem Fachwerkbau mit vor-gekragtem Obergeschoß, wo folgende Inschrift zu lesen ist:
IN NOMEN DOMINI GOTT SEGNE DIESES HAUS. SO GEHEN
EIN UND AUS. MATHIAS WINZEN ALS JUNGESEL
HAT DIESE HAUS B A WEN A 1799.
Über dem Scheunentor lesen wir:
IHS AN
NO 1804
DEN 20 JUNITIS HAD MADHIAS WINDZEN JUNGESEL DIESEN
BAU MACHEN LASSEN. GODD SEGNE ALLES WAS . . .
Ob Gott den Eingang eines lieben Wesens gesegnet, das dem begüterten Junggesellen einen würdigen Erben schenkte, geht auch aus der abgebrochenen Inschrift nicht hervor. Vielleicht steckt in diesen vier Worten ein ganzer Lebensroman?!
In Unkelbach auf einem hohen, gemauerten Sockel steht ein zweigeschossiger Fachwerkbau. Die Straßenfront wird im stumpfen Winkel gebrochen, links steht das Haus mit kleiner Freitreppe. Uns fesselt die geschnitzte Inschrift mit dem Chronistichon:
DeVs paCIs nos serVos pasCat gratlosa VIrglnIs parentes et Ipsa VIrgo
Del genltrlX hls In aeDIbVs pro nobls pVgnent.
Vielleicht ist mir hier eine kurze Einweisung in die Kunst, ein Chronistichon zu lesen, gestattet. Wie schon der Name aus dem Griechischen sagt, enthält der Text auch gleichzeitig die Zeitangabe. In diesem Text sind vorhanden:
DDD | 3×500 = | 1500 |
CG | 2×100 = | 200 |
X | 1 x 10 = | 10 |
V V V V V V | 6×5= | 30 |
I I I I I I I I I I I I I I | 14x 1 = | 14 |
1754 |
„Der Gott des Friedens möge uns, seine Diener, behüten, die begnadete Mutter der Jungfrau und die Jungfrau, die Gottesgebärerin selber, möge für uns in diesem Hause kämpfen.“ Im Ortsteil Hemmesen von Bad-Neuenahr stand bis vor kurzem ein Fachwerkhaus, das den Forderungen des Straßenverkehrs weichen mußte. Die Inschrift hat der Besitzer als kostbares Vermächtnis in seine neue Wohnung genommen. Sie soll hiermit der Nachwelt erhalten bleiben, sie soll gleichzeitig die Sprache des Fachwerkhauses an uns Menschen der Hast und der Sachlichkeit, des Materialismus und der Ichsucht sein. Es ist eine merkwürdige Ironie des Schicksals, daß gerade dieser Spruch dem modernen Zeitmangel weichen mußte:
ELeVor aG Veror trVCVLentl slgna graVia DIVI VILEa qVoD Ista
laCet non ea slgna plaCent / D O M SIT HONOR VIRTUS ET GLORIA!
„Ich bin erhoben und fürchte mich vor den bedrückenden Zeichen der erzürnten
Gottheit, weil das Haus verbrannt darniederliegt. Diese Zeichen gefallen nicht.
Gott, dem höchsten und besten Herrn, sei Ehre, Kraft und Herrlichkeit!
Zu dieser Arbeit wurden folgende Quellen benutzt:
„Ländliche Bauweise der Eitel“ von Regierungsbaumeister A. Zengeler, Bonn 1913. Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz 7. Jahrg. H. 1.
„Bäuerliche Hausformen im rheinischen Teil des Kreises Ahrweiler“ von Prof. Dr. Zepp, Bonn 1940. Jahrbuch des Kreises Ahrweiler.
„Deutsches Volkstum in Volkskunst und Volkstracht“ von Otto Lehmann, Berlin 1938.
„Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Der Kreis Ahrweiler“ von P. Clemen 1938.
4 Federzeichnungen von Karl Kirfel