„Es war stets ein reges Leben vorhanden . . .“ Die Frühzeit des Heilbades Neuenahr bei Beul im Ahrtal
Aqua regenerans – aqua purificans
Die wohltuende Wirkung der Neuenahrer Quellen – den Körper heilend und das Gemüt reinigend – hatte Sanitätsrath Dr. Weidgen schon bei seinen ersten Kurversuchen im Jahre 1857 nachgewiesen. Nun war er bemüht, diese Heilerfolge auch einem breiten Publikum bekannt zu machen. Dazu bedurfte es in erster Linie geeigneter Mitstreiter aus der Medizin, die ihren Patienten zu Kuraufenthalten im Bade Neuenahr raten sollten. So erhielten die Direktoren der klinischen Anstalten der Universität Bonn im Jahre 1858 Wasserproben, die in ihrem Beisein an den Quellen abgefüllt und versiegelt wurden. Die Gutachten der medizinischen Koryphäen übertrafen alle Erwartungen. Ein 45-Jähriger, seit Jahren kränkelnd, gedrückt, niedergeschlagen und verstimmt, zudem von quälender Furcht vor einem Schlagfluss befallen, konnte nach nur zweiwöchiger Anwendung blendende Heilerfolge verbuchen: „… die Trübung des Gemeingefühls war um vieles gebessert und damit eine heitere Gemütsstimmung vorherrschend geworden, die durch den Eintritt von ruhigem und erquickendem Schlaf begünstigt wurde. Der Stuhl blieb indessen träge, so dass er oft nach seinen gewohnten Aloepillen griff.“
Auch ein 17-jähriges Mädchen, nach Eintritt der Menses an hysterischen Beschwerden mit allerlei Be-gleiterscheinungen leidend, verdankte dem Neuenahrer Wasser viel. „Bei der Trinkkur wurde täglich ein lauwarmes Bad gegeben. Das Befinden besserte sich sichtlich, die hysterischen Symptome kamen seltener und im geschwächtem Grade zum Vorschein. Das furchtsame und ängstliche Mädchen hatte Heiterkeit und Vertrauen gewonnen.“
So konnte das Badeetablissement beruhigt der ersten Kursaison im Jahre 1859 entgegensehen. Noch aber standen dem Kurfremden außer dem Badehause und der Trinkhalle keinerlei weitere Einrichtungen zur Verfügung, die einem Aufenthalt dienlich hätten sein können. Von Abwechslung und heiterer Zerstreuung war noch keine Rede. So schreibt Dr. Weidgen in seiner ersten Werbebroschüre – der auch obige Zitate entstammen – Bad Neuenahr im Ahrthale, im März 1859 herausgegeben: „Unterkommen findet man in Neuenahr im Badehause und in Privatwohnungen, sodann in dem nur durch den Ahrfluss getrennten Orte Wadenheim und der nahegelegenen Stadt Ahrweiler.“ Auch einen gestrengen Hinweis verkneift sich der Autor nicht, er warnt nämlich vor dem unkontrollierten Gebrauch des Heilwassers ohne ärztliche Aufsicht: „Ich sah eines Morgens einen Mann mehrere Gläser rasch hinunterschlucken und dann keuchend einer nahegelegenen Bank zuwanken. Drei Tage später wurde ich zu Rathe gezogen. Er hatte eine bedeutende Hypertrophie des Herzens und ich musste ihn gleich fortschicken.“ Zwei andere Kurfremde, die nach eigenem Gutdünken Heilung suchten, konnten erst nach Hinzuziehung des Arztes genesen.
Kurhotel (ohne Westbau), erstes Badehaus (niedriger Bau) mit dem glasüberdachten Korridor zum Kurhotel, daran anschließend das 1862 erbaute zweite Badehaus und das Hotel Heimes (kleineres Doppelhaus). Der Weg entlang der Badehäuser entspricht dem Verlauf der heutigen Beethovenstraße.
Dem geneigten Leser sei vor Augen geführt, dass das hier eingenommene Getränk reines Mineralwasser und nicht etwa Hopfensaft gewesen war, wie man beim Anblick des keuchenden und wankenden Herren hätte vermuten können !
Wer zählt die Völker, nennt die Namen
Schon die erste Kursaison, die am 31. Mai 1859 feierlich eröffnet wurde, erwies sich als Erfolg. Es wurden 200 Kurgäs-te verzeichnet, aber auch viele Vergnügungsreisende, durschnittlich zehn Wagen am Tage. Im Badehause verabreichte man 2007 Bäder, es wurde zudem Heilwasser für Heimkuren versandt, teils nach Holland und England. Unter den Krankheiten waren solche der Atmungsorgane am häufigsten vertreten. Aber auch Gicht, Rheumatismus, Gries, Leberanschwellungen, Gallensteine, Uterusleiden, Skrofeln, Hypochondrie und Mämorrhoidalstörungen wurden behandelt. Und so resümmiert Dr. Weidgen in seiner nunmehr zweiten Schrift Bericht über die erste Badesaison zu Neuenahr im Jahre 1859: „Der Erfolg der Curen war ein sehr günstiger. Mit ein paar Ausnahmen verließen sämtliche Curgäste das junge Bad in größter Zufriedenheit.“ Wegen seiner Verdienste um das im Aufbau begriffene Heilbad trug Dr. Weidgen jetzt den Titel eines Badearztes, mit Genehmigung der Badegesellschaft, aber ohne Ausschließungsanspruch.
Hotel zur Traube: Eines der ersten Neuenahrer Hotels im 19. Jahrhundert. Heute Wohn- und Geschäftshaus an der Hauptstraße gegenüber dem Postparkplatz. Die stolze Besitzerfamilie Paffenholz nimmt teil am Aufschwung des Heilbades. So wie dieses Hotel werden alle Neubauten aus Feldbrandziegelsteinen erbaut. Später mehrfach um- und angebaut, wachsen sie zu großen Hotelpalästen heran, um den Anforderungen des Fremdenverkehrs zu entsprechen (Foto aus dem Jahre 1869).
In der zweiten Badesaison stieg die Zahl der Kurgäste auf 506 an, für die Gesellschaft eine sehr erfreuliche Bilanz, fand sie doch damit die Bestätigung auf dem richtigen Wege zu sein. Das Curhotel war bezugsfertig geworden und bot mehr als 100 Personen Unterkunft und gute Restauration. Auf eine weitere Steigerung der Kurgastfrequenz konnte man berechtigt hoffen, da auch viele Ärzte in Neuenahr weilten, „theils ihrer Gesundheit wegen, theils um unseren Curort durch eigene Anschauung kennen zu lernen.“ Aber nicht nur die Heilkraft der Quellen sorgte für Wohlbehagen, auch das Klima muss hervorragend gewesen sein. So versicherte der Geheime Sanitätsrath Professor Dr. Wolff aus Berlin, „dass er während eines vorhergegangenen sechswöchigen Aufenthaltes in Baden-Baden keinen Abend so lange im Freien habe zubringen können wie hier.“ Professor Dr. Jung, Direktor der medizinischen Klinik in Basel und Medizinalrath Dr. Fellengahr aus Münster „wunderten sich über die milde Luft, bei der sie jeden Morgen und Abend die Trinkhalle besuchen und ihre Promenaden in den fast stets trockenen Anlagen machen konnten.“ Die zeitgleichen Wetternachrichten aus ihren Heimatorten waren derweil nicht so vorteilhaft.
In dieser Saison wurden insgesamt 4636 Bäder verabreicht und über 4000 Krüge Heilwasser versandt.
Das Heilbad Neuenahr nahm rasch Aufschwung und erlangte sehr schnell europaweit Bekanntheit, nicht zuletzt durch die vielen Ärzte, die wissenschaftliches Interesse nach hier führte. In seinem Bericht über die dritte Badesaison zu Neuenahr im Jahre 1861 kann Dr. Weidgen ausführen: „Unter den Curgästen befanden sich außer den Deutschen, Holländern und Engländern noch Schweizer, Belgier, Franzosen, Polen und einige aus überseeischen Ländern, aus Mexico, Java und der Havannah. Der Besuch von Vergnügungsreisenden war gleichfalls sehr stark und es belief sich deren Zahl auf einige Tausend. Es war stets ein reges Leben vorhanden, welches im Verein mit einer gewählten Musik und dem schönen Blumenflor im Curgarten dazu beitrug, Sinn und Gemüth des Curgastes zu erfrischen und zu erheitern. Zwei recht schöne patriotische Feste hoben die Stimmung noch mehr. Die beiden Fest-abende waren wahrhaft italiänische und so das Concert im Freien, das Feuerwerk und die bengalische Beleuchtung der Trinkhalle, der Kirche und der Kuppe des Berges Landskron ein hoher Genuss.“
In der dritten Saison werden 7.950 Bäder verabreicht und 11.500 Krüge Wasser versandt. Und wieder verweist der Autor auf die Folgen von unbeaufsichtigter Kuranwendung: „Eine brustkranke Frau war von ihrem Hausarzte hierhin gesandt worden, das Mineralwasser morgens bis zu 5 Gläser zu trinken. Sie wählte nach ihrem eigenen Gutdünken die wärmste Quelle und trank die angegebene Quantität rasch nach einander. Die fast unmittelbare Folge war ein starker Bluthusten. Nach Beseitigung desselben durch Arzneien wurde eine kühlere Quelle in kleineren Gaben mit grossem Vortheil genommen.“
Eine andere unvorsichtige Dame, gichtkrank, trank nach mehreren kühleren Quellen noch mehrere Gläser heißen Sprudels. Nachts fand ihre Tochter sie stark röchelnd und fast bewusstlos nach einem Hirnschlag auf. Glücklicherweise konnte das Leben dieser Dame gerettet werden.
Unermüdlich beobachtet Dr. Weidgen, der sich inzwischen Brunnen- und Badearzt nennt, seine Patienten, notiert Erfolge und auch Misserfolge, weist darauf hin, wie wichtig die Berichte der Hausärzte für einen Kurerfolg sind und dass Neuenahr keine Wunder vollbringen kann. Fachmännisch erkennt er die Grenzen der Balneotherapie und zeigt sie seinen Kollegen auf. Im Jahre 1864 gibt Dr. Weidgen einen zusammenfassenden Überblick über die Entwicklung des Badeortes. In dem Bericht über das Bad Neuenahr in Rheinpreussen nach seinem fünf-jährigen Bestehen beschreibt er diese, wie sie hier in gekürzter Form wiedergegeben wird:
„Neuenahr hatte bei der Eröffnung der ersten Badesaison nur ein Badehaus, worin einige Zimmer zur Gastwirtschaft und Logierräumen hergegeben wurden, und ein in dem gegenüberliegenden Orte Wadenheim gelegenes Gasthaus (die Posthalterstation, d. Verf.). Jetzt besitzt es ein grosses, elegant eingerichtetes Curhôtel (Curhaus) von 177 Zimmern, welches durch eine Glashalle mit zwei grossen Badehäusern verbunden ist; ferner ein drittes Badehaus am Mariensprudel; sodann 13 Gasthöfe, 7 Hôtels garnis, zum Theil sehr elegant, und mehre ganz comfortable Privatwohnungen. Im ganzen wurden 31 grössere Neubauten aufgeführt, die den Curgästen über 600 Zimmer bieten. Zu diesen werden noch einige Häuser, die im Ausbau begriffen sind, in der nächsten Saison hinzukommen. Die Parkanlagen, welche nach den von dem berühmten Königlichen General-Gartendirector Lenné in Berlin angegeben Ideen ausgeführt wurden, schritten ihre Vollendung allmälig entgegen und sind gleich ausgezeichnet durch Schönheit, wie durch Zweckmässigkeit. Es wurden 1.500 Bäume gepflanzt, und wenn dieselben auch grösstentheils einen dichten Schatten noch nicht gewähren, so sind doch die des Curgartens schon so weit entfaltet, dass man in den engeren Alleen, sowie in den Bosquets Schutz findet vor den Strahlen der Sonne.
Molken werden seit dem vorigen Jahre, jeden Morgen frisch bereitet, in der Trinkhalle dargereicht durch einen Schweizer aus Appenzell, dessen Ziegen ihr Futter in den kräuterreichen Bergen suchen und eine vortreffliche Milch liefern.“
In dieser fünften Saison zählte man 1.297 Kurgäste, an die 11.252 Bäder verabreicht wurden.
Neuenahr, das Mineralbad im Ahrtal, hat sich etabliert und erwartet von Saison zu Saison mehr Gäste. Da kommt die neue Quelle, der große Sprudel, wie gelegen. Mit ungeheuerlichem Getöse macht er sich im Oktober 1861 – bis dato in einem mit Sand verfüllten Bohrloch schlummernd – beim Herausschaffen des Sandkegels Luft. Er wird mit einer Verschlussvorrichtung versehen, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Wenn man ihm freien Spielraum lässt, versiegen die übrigen Quellen und verlieren an Temperatur. Bad Neuenahr verfügt nun über einen reichen Quellenschatz – es sind insgesamt sechs – in verschiedenen Wärmegraden (22,50 C – 40,00 C) und kann damit individuellen Verordnungen entsprechen.
Sinfonie der Sinne
Werfen wir kurz einen Blick auf den augenblicklichen Zustand des Badeortes. Die Gesundheitsreform und der damit einhergehende dramatische Rückgang der Gästezahlen hat der Kur AG und der Stadt erhebliche Verluste beschert. Mit einem wohldurchdachten Konzept reagiert Kurdirektor Rainer Mertel auf die veränderte Lage. Mit der Einladung zur Sinfonie der Sinne werden neue Gästeschichten gewonnen und mit vielfältigen Verwöhnprogrammen für Körper, Geist und Seele umsorgt. Die traditionelle Chinesische Medizin unter wissenschaftlicher Begleitung eines Medizinprofessors und in Zusammenarbeit mit den Universitäten in Peking und Wuhan nimmt mittlerweile einen wesentlichen Platz im Konzept der Angebote ein. Die Programme auf der Basis der seit Jahrtausenden überlieferten Formen der chinesischen Heilkunde bringen den Körper in ein harmonisches Gleichgewicht der Kräfte und zeigen Möglichkeiten der persönlichen Neuorientierung auf. Dem durch Umwelteinflüsse, Alltagstrott und falsche Lebensgewohnheiten gestress-ten Körper werden neue Lebensenergien zugeführt. All das vollzieht sich in der entspannenden und wohltuenden Atmosphäre des neugestalteten Thermalbadehauses. Kurdirektor Rainer Mertel geht neue Wege in traditioneller Umgebung. Das Ergebnis des Geschäftsjahres 1999, in dem erstmalig nach verlustreichen Jahren ein Gewinn erzielt werden konnte, gibt ihm Recht.
In Bad Neuenahr, dem ehemaligen Rheinischen Karlsbad, haben sich die Gäste immer wohl gefühlt und werden auch künftig an Leib und Seele verwöhnt abreisen.