Erwachsenenbildung im Kreise Ahrweiler
VON HEINRICH BIER
Im Jahre 1962 zählten 3 Volkshochschulen und 32 Außenstellen des Kreisvolksbildungswerkes bei 216 Einzelveranstaltungen -13723 Besucher, in 34 Vortragsreihen an 136 Abenden 7 636 Besucher.
In relativ unverbindliche Beziehung zu diesen Bildungseinrichtungen traten also insgesamt 20 000 Einwohner des Kreises. Stärker engagiert zeigten sich die Teilnehmer an Arbeitskreisen mit 4 Abenden Mindestdauer (2 391 in 100 Arbeitskreisen).
Hier zeigen sich nur sehr vordergründig Umfang, bescheidener Erfolg und Schwierigkeiten der Bildungsbemühungen um und mit Erwachsenen;
Ziel der Erwachsenenbildungsarbeit ist ein vorurteilsfreies und vielseitiges Informationsangebot an die Bevölkerung, das die; Möglichkeit zur eigenen Urteilsbildung für Erwachsene als weitere Bildungsstufe einschließt. Beide Bildungsstufen zielen letztlich darauf ab, dem Bürger eine Orientierungshilfe in der geistigen Welt – verschiedentlich etwas anspruchsvoll „Lebenshilfe“ genannt – zu bieten. Voraussetzung für die Ingangsetzung dieses Prozesses sind nicht nur die Bildungsbereitschaft der anzusprechen denPersonenkreise, sondern auch attraktive Gestaltung des Bildungsangebotes in der Weise, daß dem voraussichtlichen „Hörer“ ein Bildungsgefälle zwischen Bildungsangebot und eigenem Bildungsstand einleuchtend, aber auch als überwindbar vor Augen gestellt wird. Die Zahl der Besucher bei Einzelveranstaltungen beweist, daß diese Schwierigkeiten von den Erwachsenenbildnern gesehen und in großem Umfange bewältigt wurden.
Da jeder Leiter einer Bildungsstätte für Erwachsene sich mit der Bildungssituation und den daraus sich ergebenden Ansatzpunkten in seinem Arbeitsbereich auseinanderzusetzen hat, verbieten sich Reglementierung oder Darreichung einer fertigen „Bildungsspeisekarte für alle“ von selbst. Ebensowenig kann eine Kopie der Jugendschule in Aufbau oder Methodik angestrebt werden, schon allein weil die Teilnahme am Bildungsprogramm für Erwachsene nicht erzwingbar ist. Es ist also eine Frage des Gespürs, die jeweiligen Ansatzmöglichkeiten zu erkennen und sowohl durch Inhalt wie entsprechende „Offerte“ des Bildungsgutes Wirksamkeit zu erreichen. Es überrascht daher nicht, daß in der Praxis zunächst die unverbindlichste Form‘ der Einzelvortrag, gewählt wird. Sie ermöglicht Kontaktaufnahme zur Bevölkerung, ohne von dieser persönliches Engagement zu verlangen. Hier wird die Notwendigkeit der „Fortune“ in der Erwachsenenbildung erkennbar. Die formale Gründung eines Bildungswerkes verspricht selbst bei bester technischer Ausstattung nur dann erfolgreiche Arbeit, wenn spezielle Qualifikation des Leiters mit der Aufgeschlossenheit der Bevölkerung zusammentreffen. Vom Leiter der Einrichtung her sind somit pädagogische Erfahrung zusammen mit überdurchschnittlicher Kontaktfreudigkeit unabdingbare Voraussetzungen: Die Tatsache, daß die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter in Einrichtungen der Erwachsenenbildung im Kreise Ahrweiler „von Hause aus“ Berufspädagogen oder Theologen sind, beruht daher nicht auf Zufall.
Ihre Liebe zur Sache, ihr Einsatz, aber auch ihre fachliche Qualifikation läßt sich leider nicht durch statistische Unterlagen belegen, jedoch wäre es zweifellos ohne diese Ausgangssituation nicht in dem tatsächlichen Umfang möglich geworden, eine intensivere Form der Erwachsenenbildung in Form von Vortragsreihen zunehmend zu praktizieren, da bei dieser Form das Thema wesentlicher erhellt und die Verbindung zum Hörer enger gestaltet wird.
Die Verwandlung des passiven Hörers zum aktiven Mitarbeiter vollzieht sich im Arbeitskreis als Hoch-Form der Bildungsarbeit. Hier findet eine wirkliche Begegnung zwischen dem Fachmann als Kenner seines Sachgebietes und dem Orientierung suchenden Teilnehmer bei gemeinsamer Inangriffnahme des Arbeitsvorhabens statt. Gerade diese Arbeitsform erheischt seitens des Fachmannes als Leiter des Arbeitskreises mehr als Wissen, pädagogisches Geschick und Kontaktfreude – nämlich Glaubwürdigkeit im Menschlichen -. An den Teilnehmer werden nicht minder hohe Anforderungen gestellt: Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit im Suchen nach Bildungsgewinn, Aufgeschlossenheit für eine rein menschliche Begegnung – auch auf die Gefahr hin, nur Lebenserfahrung als eigenen Beitrag liefern zu können. Im Arbeitskreis bietet sich die Möglichkeit, das Menschliche wieder in den Mittelpunkt der mitmenschlichen Beziehungen zu stellen. Dies alles geschah allein im Kreise Ahrweiler in einem einzigen Jahr hundertfach! Man sollte ob dieser Tatsache optimistisch sein. Aber leider werden in der Öffentlichkeit die dadurch freiwerdenden gemeinschaftsbildenden und gemeinschaftsfördernden Kräfte in ihrem Wert und Umfang zu wenig erkannt. Vielleicht ist dieser Mangel in etwa verständlich. Die Thematik des Arbeitskreises kann nicht zu billigen Preisen als „letzte Neuheit“ angeboten werden; das Ziel bleibt immer und unabänderlich ein Aufspüren der Hintergründe der Aktualität Daß die Erwachsenenbildner selbst mit heißem Herzen engagiert sind, beweisen allein zwei Tatsachen: Nicht wenige Leiter von Arbeitskreisen führen „ihren“ Arbeitskreis mit gleichem Thema und zum Teil wachsender Teilnehmerzahl über mehrere Jahre. Das ist die eine Seite. Die andere ist ebenso kurz darzustellen: Allein sechs Leiter von Bildungswerken konnten ihre Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr voll leisten. In allen Fällen war die Krankheitsursache Überarbeitung.
Grundsätzlich lassen sich Wirkungsbreite und Wert einer Erwachsenenbildungsarbeit in Zahlen nicht ausdrücken, zumal statistische Ergebnisse lediglich über die Reaktion der angesprochenen Erwachsenen auszusagen vermögen. Ein Gesamtbild dürfte jedoch die Darstellung der internen Bemühungen, d. h. der Bemühungen der Erwachsenenbildner selbst um eine Intensivierung ihrer Arbeit, nicht übergehen. Diese interne Aktivität zeigt sich nicht nur in Erfahrungs- und Meinungsaustausch, gemeinsamer Werbung der Volkshochschulen und des Kreisbildungswerkes, sondern nicht zuletzt auch in partnerschaftlichem Verhalten der Vertreter dieser beiden Organisationstypen zueinander und miteinander. Während des Winterhalbjahres 1962/63 wurde beispielsweise in fünf Gemeinden als Schwerpunktorten ein Podiumgespräch zum Thema „Bildungsmöglichkeiten und Berufsaufstieg für unsere Jugend“ unter Teilnahme von Damen und Herren aller im Kreisgebiet vertretenen Schularten, der Arbeitsverwaltung, der verschiedenen Berufsstände durchgeführt. Planung und Durchführung wurden von Volkshochschulen und Volksbildungswerken gemeinsam getragen.
Ein Arbeitskreis von Leitern und Mitarbeitern des Kreisvolksbildungswerkes arbeitet bereits seit fünf Jahren daran, die éducation permanente – das dauernde Bildungsbemühen – an und mit Leitern dieser Bildungsarbeit in fortlaufenden Arbeitstagungen zu verwirklichen. Die Tatsache, daß dieser Arbeits-Kreis sich zu einem Freundes-Kreis entwickelte, mag andeuten, welche gemeinschaftsbildenden Möglichkeiten sich hier ergeben.
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Die Ziele der Arbeit sind also gesteckt, die Wege dazu erkannt und erprobt. Es bleiben Schwierigkeiten, deren Ausräumung von den Erwachsenenbildnern allein nicht zu bewältigen sein wird.
Eines dieser Hemmnisse ist die nur selten zu erreichende Mitarbeit der Frauen – vor allem in den Gemeinden mit geringer Bevölkerungszahl. Ein Erwachsenenbildungswerk kann nur dann seine Aufgabe in der skizzierten Weise voll erfüllen, wenn nicht nur ein begrenzter Kreis der Bevölkerung durch seine Mitgestaltung der Arbeit ihr ein – meist männlich geprägtes – Gesicht gibt.
Ein Umdenken wäre in manchen Bereichen des öffentlichen Lebens zu begrüßen. Es sollte möglich sein, Volkshochschulen und Erwachsenenbildungswerke als Stätten der Begegnung im freien Meinungsaustausch zu einem Kristallisationspunkt kommunalen Lebens zu entwickeln. Die Farbigkeit des Bildungsangebotes im Bereich der Erwachsenenbildung ist einerseits abhängig von dem Grade der Mitarbeit der Bevölkerung an der Gestaltung des jeweiligen Bildungsplanes, andererseits jedoch auch von dem Umfang der dafür verfügbaren finanziellen Hilfen. Städte und Gemeinden haben bisher in anerkennenswerter Weise Mittel zur Förderung der Erwachsenenbildungsarbeit bereitgestellt, doch sind im Durchschnitt des Kreisgebietes diese Aufwendungen den tatsächlichen Erfordernissen nicht angemessen, so daß bis jetzt vorrangig Landes- und Kreismittel der Förderung der Bildungsvorhaben dienten.
Ohne die Tätigkeit örtlicher Vereine irgendwie abwerten zu wollen, ist doch die Tatsache nicht zu übersehen daß jegliche Vereinsarbeit wegen ihrer speziellen Zielsetzung sich nur auf einen begrenzten Personenkreis auswirken kann, während Volkshochschulen und Volksbildungswerke grundsätzlich allen Interessenten zugänglich sind und im Arbeitsbereich keinen Einschränkungen unterliegen. Somit ist hier allen Gemeinden eine gute Gelegenheit geboten, Daseinsvorsorge wertvollster Art zu leisten, indem sie durch Förderung verantwortungsbewußten Bürgersinns die Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung – den Boden bereiten.
Die Erwachsenenbildung im Kreise Ahrweiler nimmt innerhalb des Landes Rheinland-Pfalz einen beachtlichen Platz ein. Die Bemühungen ihrer Mitarbeiter um den mündigen Bürger, der keinen anderen für sich denken läßt, sollte die Öffentlichkeit dazu bewegen, ihrerseits einen entsprechenden Beitrag an Aufgeschlossenheit zu leisten.