Erinnerungen an HEYER
Von Hermann Bauer
DIE WALDPROZESSION
Die Eifel war wieder ruhiger geworden. Seit 1940 war sie von Truppen fast entblößt. Der Lärm der Fahrzeuge auf der Landstraße nahm ab. Doch unruhig wurde es in den Lüften. Dies war ein willkommener Anlaß für die damaligen Machthaber, denen die Prozessionen immer ein schwerer Dorn im Auge war, diese auf den kircheneigenen Raum zu beschränken. So entfiel jede Möglichkeit eines öffentlichen Bekenntnisses.
Man zählte die Kriegsjahre 1942/43. Aus dem Bergwald um die Heyerkuppe klingt frommer Gesang. Dann schweigt der Wald. Eine klare Priesterstimme singt die Frohbotschaft Jesu Chrisiti. Es folgen die Fürbitten: Vor Pest, Hunger und Krieg . . . bewahre uns, o Herr! Daß Du den Mächtigen dieser Erde Frieden und wahre Eintracht verleihen wollest, wir bitten Dich, erhöre uns! — Stille! Was geht in diesem Walde vor? Die Kirche der Pfarrei Bodenbach in der Eifel feiert ihr Hochfest: Fronleichnam. Hier war mitten im fiskalischen Wald „kirchlicher Raum“.
Auf der Kuppe des durchgestoßenen Basaltkegels steht eine Kapelle. Zu ihr schlängelt sich in vielen Windungen ein Weg. Die 14 Kreuzwegstationen an seinem Rande entsprechen in ihrer Entfernung zueinander dem Kreuzwege des Herrn in Jerusalem. Vier dieser Stationen haben die einzelnen Pfarrdörfer zu Sakramentsaltären gestaltet. — Nach allen vier Himmelsrichtungen strömt die Macht des Segens. — Niemals habe ich eine so schöne Fronleichnamsprozession erlebt wie damals im Heyerbergwald, der jedem Unberufenen den Blick verwehrte.
DIE HEYERKAPELLE
Auf der Spitze eines der vielen domförmig aufgewölbten Basaltkegel dieser Gegend erhebt sich auf altgeweihtem Boden die Kapelle, Am 5. August 1875 begann ihr Wiederaufbau, im Oktober des gleichen Jahres war der Rohbau fertig. Der einfache Holzaltar ist mit dem Bild der Pietä gekrönt. Am 14. September 1875 wurden in feierlicher Prozession von Borler, der Filialkirche der Pfarrei Bodenbach, die Statuen des hl. Leonhard und des hl. Johannes des Täufers zur Kapelle auf dem Berg übertragen. Damit ist das Testament des Peter Josef W e l l i n g aus Borler und der Wunsch der Bevölkerung dieser Gegend erfüllt worden. Gegen Mitte unseres Jahrhunderts drohte neuer Zerfall. Mit der Ernennung des damaligen Pfarrers und jetzigen Domvikars Heinrich Moritz zum Pastor von Bodenbach erhielt Heyer wahrscheinlich seinen besten Freund. Niemals in seiner ganzen Geschichte stand dieses Kirchlein auf dem Berg so im Mittelpunkt der Betreuung und des religiösen Lebens wie in dieser Zeit. Schon am Tage nach seiner Einführung erkannte er die Schäden, die bald behoben werden sollten. Bereits im Winter 1941/42 bekam die Kapelle ein neues Schieferdach; 1943 wurden die alten Bänke durch acht neue aus Buchenholz ersetzt. Sechs Fenster aus den Jahren 1945 und 1946 erhellten würdig den Raum. Als Dank für seine Heimkehr aus russischer Gefangenschaft schuf derSchreiner Alois Daniels aus Bodenbach die neue Tür. 1952 erhielt die Kirche einen geschmackbetonten Innenanstrich. Vier alte Holzfiguren aus der alten Bodenbacher Kirche, die ein allzu bescheidenes Dasein auf dem Pfarrhausspeicher geführt hatten, und die beiden (neueren) Engel vom früheren Bodenbacher Hochaltar fanden mit einer alten Konsole als Kredenztisch hier Aufstellung. Die früher an dieser Stelle vorhandenen Wappen der Geschlechter „von Heyer“ und „von Kerpen“ sollen mit einer kurzen Erläuterung der Geschichte über die Heyerkapelle demnächst von Malermeister Müsseier an der Rückwand des Raumes noch angebracht werden.
Die Heyerkapelle
Am 7. Oktober 1949 konnte die Feier des 75Jährigen Bestehens der Kapelle festlich begangen werden.
DIE ZEIT DES NIEDERGANGS UND ZERFALLS
Als man dieses Fest feierte, stiegen mancherlei Erinnerungen auf, die mit dem Zer= fall der ersten Kapelle und ihrer Niederlegung verbunden waren. Der Geist der französischen Revolution hatte auch hier Einzug gehalten. Vor der Franzosenzeit hatte jede Kapelle Ihre eigene Vermögens=Verwaltung. Die Borler Kapelle und die Heyerkirche besaßen damals bedeutendes Vermögen. Die französischen Gesetze aber bestimmten, daß das Gesamtvermögen der „Pfarrkirchenfabrik“ von einem Kirchenvorstand verwaltet werden müsse. Dagegen protestierten die Borler, und nur mit Gewalt wurden sie zum Nachgeben gezwungen. Am 8. Messidor (27. Juni) im 13. Jahre der Republik (1805) wurde der Kirchhof geschlossen. Als Pfarrer Hahn aus Nohn auch den Gottesdienst einstellte,nahmen die Borler alle Bilder und Glocken in Verwahr. Damit war das Schicksal der alten Kapelle besiegelt. 1823 wurde die Kirche durch den Bürgermeister von Kelberg auf Abbruch versteigert und einem Interessenten aus Niederehe für 43 Taler zugeschlagen. Die Steine der Grabdenkmäler wurden zu Straßenkies; seit 1849 wuchsen die Rottannen auf der Kuppe, so war jede Erinnerung an eine einstige verinnerlichte Vergangenheit dieses Raumes überschattet. Aber das Gewissen begann sich zu regen und man kam schließlich zu dem Entschluß, und endete schließlich in dem Entschluß, die zerstörte Kapelle wieder aufzubauen. Was war da eigentlich zerstört worden, daß dadurch das kirchliche, kommunalpolitische und private Leben so schwer erschlittert worden ist?
DIE ALTE HEYERKIRCHE ZU EHREN DES BITTEREN LEIDENS
Seit alten Zeiten stand auf der Basaltkuppe ein römischer Wachtturm. Dieser war zu einem massiven Glockenturm umgebaut worden, in dem zwei Glocken hingen. Die größere trug die Inschrift: „Leonhard heis ich auf Heierberg res ich 1677.“ Die alte Kirche entstand wahrscheinlich in der Blütezeit des Rittertums. An fünf Freitagen der Fastenzeit wurden hier feierliche Ämter zu Ehren der hl. Leonhard, Pankratius und des hl. Johannes des Täufers gelesen, an allen Quatemberfreitagen ein Amt mit Predigt für die Wohltäter der Kapelle gefeiert; die Feste des hl. Leonhard und Pankratius wurden mit besonderen Festmessen ausgezeichnet. Der Friedhof war mit einer Mauer eingefriedet und diente bis 1805 als Begräbnisplatz für die Gemeinde Borler und die Dienstleute des Hauses und Hofes Heyer. Urkundlich wird die Kapelle durch das Stiftungsverzeichnis des Pastors Georgi Tossanus 1689 erstmalig genannt, doch da ihm die Namen der Stifter der Freitagsmessen in der Fastenzeit nicht mehr bekannt waren, während beispielsweise die Meßstiftung des Pfarrers Nikolaus Hahn aus Uexheim namentlich eingetragen wurde, darf man annehmen, daß die alte Kapelle mit dem Hof Heyer gemeinsam erbaut wurde.
Die FREIADELIGE FAMILIE DERER VON HEYER
Wilhelm von Heyer erscheint erstmalig 1359 unter den Mannen auf Burg Daun. Fast alle Erstgeborenen dieser Familie führen den Namen Wilhelm. Etwas Außergewöhnliches wird von keinem Heyer der Haupt= und Nebenlinie berichtet, so daß die nicht lückenlose Aufzählung der Namensträger und ihre Verwandtschaftlichen Beziehungen zu den bekannten Eifeler Adelsgeschlechtern hier gegeben wird, um die Gegenwart durch eine lebendige Vergangenheit aufzuhellen. Nach 1467 erscheint zunächst der Stiefvater des im gleichen Jahre verstorbenen letzten Sprosses Heyer, Heinrich von Orsseldingen, dann ein Peter Warfeld von Hoichheim, der die Schwester des Wilhelm von Heyer, Helena, heiratete, und durch die geänderte Namensführung Warfeld von Heyer das Andenken an die ersten Namensträger wachhielt. In Martin von Heyer als trierischem Burgmann aus Burg Kempenich tritt eine Seitenlinie in unser Blickfeld. Sein Sohn Siffert (Siegfried) ehelichte Catharina von Monreal. Aus dieser Ehe entsprossen Johann von Heyer, der 1572 starb, und Rupprecht, der Susanna von Kessel aus Brück an der Ahr zur Frau nahm. Ihr Grabkreuz ist noch unter dem Missionskreuz der Kirche von Nohn zu finden. Vom Grabstein ihres Mannes, der in der alten Heyerkapelle seine letzte Ruhestätte fand, ist uns nur die Inschrift überliefert worden: „Im Jar 1611 den 12 Juni ist in Gott verstorben der edler und vester Ropprich von und zu Heier alt 100 Jar. Dem Gott genade Discite bene mori“ (Lernt gut sterben). Die Ehe war mit einer Tochter Eva und dem Sohn Hieronimus, der aus einem Kriegszug nicht zurückkehrte, gesegnet. Roland Schenk von Nideggen nahm Eva von Heyer zur Frau. Der arembergische Statthalter in Kerpen, Johann Christoph von Veyder, der verwandtschaftlich nichts mehr mit der Familie Heyer zu tun hat, trat als Verwalter der Lehen auf. Sein Name und der seiner Gattin in der Pfarrkirche in Niederehe erinnern an Streit und Ende derer von Heyer.
2 Fotos: Arenz
Grabstein der Susanne von Heyer, geb. von Kessel in Mohn
DAS HAUS HEYER
In der Geschichte derer von Heyer spielte sich im Kleinen das deutsche Schicksal der .Gegenwart ab. Durch Haus und Hof Heyer führte eine Landesgrenze. Haus und Hof hatten verschiedene Landes= und Lehensherrn, obwohl beides in der Gemarkung Borler im Kreise Mayen unweit der Landstraße, die von Kelberg über Nohn nach Blankenheim führt, liegt. Vor Nohn weist ein Schild auf das Grünlandforschungsinstitut Borler. Wer hier in die Dorfstraße einbiegt, findet in dem Gelände linker Hand unmittelbar vor dem kleinen Waldstück die überwachsenen Trümmer von Haus und Hof Heyer, während der Basaltkegel rechts, unsichtbar und in hohe Tannen gehüllt, an Stelle der alten die neue Kirche trägt.
Das Haus Heyer stand auf einer Exklave des Kurfürstentums Köln und gehörte zum Amte Nürburg. Wenn es auch jahrhundertelang von Nürburg aus verwaltet wurde, so schienen, wie sich später herausstellte, die Rechts= und Besitzverhältnisse nicht eindeutig klar gewesen zu sein, so daß aus dieser Unsicherheit sich fortwährend neuer Streitstoff ansammelte; denn wer auch immer von dem Kurfürsten von Köln mit dem Haus Heyer belehnt wurde, mußte auch um die Belehnung mit den trierischen maximänischen Gütern, zu denen der Hof Heyer gehörte, bitten. Fehlte eine Belehnung, so hatte der Belehnte entweder eine Lebensgrundlage ohne Wohnrecht oder ein Wohnhaus ohne Erwerbsmöglichkeit. Das Haus wurde bereits 1776 als eine im Graben gelegene Ruine bezeichnet.
DIE MAXIMINISCHEN LEHEN
Am „Dreiländereck“, da, wo die Kreise Ahrweiler, Mayen und Daun zusammentreffen, hatte die Abtei Maximin von Trier drei Höfe: im Kreise Ahrweiler den Hof Nohn, im Kreise Daun den Hof Flesten, der hinter Heiroth, einem kleinen Bauerndorf, das den Namen der Familie Heyer bewahrt, gelegen ist, und im Kreise Mayen in der Gemarkung Borler den Hof Heyer. Abt Anton von St. Maximin von Trier belehnte 1455 Wilhelm von Heyer mit den drei Höfen und erneuerte die Belehnung 1467 und 1475 an die Nachfolger im Hause Heyer. Bis 1586 erfolgten die Belehnungen mit dem Haus durch den Kurfürsten von Köln mit dem Hof durch den Abt von Maximin parallel. Im Jahre 1700 schaltete sich der Kurfürst von Trier als Landesherr in die fortwährenden Erbstreitigkeiten ein, und als 1716 auch Kurköln sein Lehen einzog, gerieten die beiden Kurfürsten in Streitigkeiten und lange Prozesse.
DER STREIT DER KURFÜRSTEN
„Am 30. Mai 1716 erschien der päpstliche und kaiserliche Notarius Johann Thomae, Pastor zu Uedelhofen, im Hause Heyer und ergriff davon namens des Kurfürsten von Köln Besitz, indem er in Gegenwart und im Beistand des kölnischen Landes=Schultheißen des Amtes Nürburg, Johann Wilhelm Koller, die Pfortensteine antastete, die Haustür auf= und zumachte, auf dem Herde Feuer anmachte und es wieder auslöschte, die Scheuertür öffnete und schloß, im Garten Hanf und Flachs, aus der Wiese Gras ausrupfte, auf dem Felde einen Erdkloß erhob und hinwarf, endlich einen Eichenzweig abbrach.“ Am 29. Mai 1724 (also acht Jahre später) erschien zu gleichem Zwecke der kurtrierische Schultheiß zu Nohn, Härtlein, mit dem Amtsboten Pfeifer von Daun, um auf Befehl des Kurfürsten von Trier den an die Abtei Maximin noch schuldigen Pachtzins einzutreiben und gegen die Gewalthandlung von Kurköln zu protestieren.
DAS ENDE
Der stattliche Hof, der aus drei einstöckigen Gebäuden in Fachwerk bestand, die einen viereckigen Hofraum umgaben, fiel der Säkularisation als Klostergut zum Opfer. Er kam an einen gewissen Weckbecker aus Münstermaifeld. Dieser verkaufte seinen Besitz an die Bauern aus Bongard und Borler, die den Hof abrissen. So zerfielen Haus und Hof.
DOCH NEUES LEBEN BLÜHT AUS DEN RUINEN
Wo einst die Ruinen des Hofes Heyer standen, haben neue Erkenntnisse blühendes Acker= und Weideland geschaffen, so daß Borler für die Viehzucht der Hocheifel bahnbrechend wurde. Da hier aufgeschlossene Menschen lebten, hat auch die Landwirtschaftskammer Rheinland=Nassau ihre Versuchs= und Lehranstalt für Grünlandwirtschaft und Futterbau nach hier verlegt.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ging Hand in Hand die Wiederbelebung mittelalterlicher Muttergottesminne. Als der Weißdorn blühte, verwandelten meine damaligen Schüler den Altar in einen Blütenwald, und die Schmerzhafte Muttergottes auf dem Heyerberg wurde zur Maienkönigin, der die Pfarrei seit 1934 alljährlich ihre Huldigung darbrachte. Seit 1942 wallten an jedem Pfingstmontag die Menschen von der Pfarrkirche von Bodenbach und der Filialkirche von Bongard und fast allen umliegenden Dörfern zum Heyerberg, und nach einer stil=eigenen Marienfeier gingen sie getröstet und gestärkt in den düsteren Alltag der damaligen Zeit zurück. Während des Krieges feierte der damalige Pfarrer Moritz jeden Freitag auf dem Heyerberg die Bittmesse für die Soldaten, die er unter den besonderen Schutz der Mutter Gottes vom Heyerberg stellte. Von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr füllte sich die Kapelle mehr und mehr. Je düsterer die Zeiten wurden, umso mehr erhellten die Kerzen an den Kapellenwänden, die die Namen der Gefallenen kundtaten, den Raum. Am Heiligen Abend schritten Jungen und Mädchen, Krippe und Tannenbaum tragend, durch den winterhellen Wald und feierten in der Heyerbergskapelle mit Blockflöte, Lied und Glockenklang das Geheimnis der Heiligen Nacht. Als sich die Greuel der Verwüstung der heiligen Stätte näherten, wurde eine I=Staffel (Instand-Setzung von Autos der Wehrmacht) in der Kapelle einquartiert. Als Ofen diente den Soldaten der mächtige Antriebsaufsatz einer V 1,deren Abschußstellen in unmittelbarer Nähe der Kapelle lagen. Viele dieser V=Waffen gingen hier nieder. Nach dem Kriege war für viele Heimkehrer der Gang zur Kapelle auf dem Berge oberste Verpflichtung als Dank zu Christus und der Gottesmutter.
Wenn heute die Traktoren auf den umliegenden Äckern rattern oder die Glocke vom Berge ertönt, dann wird einem jeden die große Frage unserer Zeit gestellt. Blickst du zum Berg hinauf oder schaust du ins Tal hinab? Heyer mahnt dich:
„HEBE DEINE AUGEN AUF ZU DEM BERGE, VON WELCHEM DIR HILFE KOMMT!“