„Er starb fürs Vaterland…“

Schüler auf geschichtlicher Spurensuche

Hubert Rieck

»Muß Euch diesen Brief schreiben, obwohl ich nicht dazu geneigt bin, denn . . etwas Trauriges muß ich Euch mitteilen … Euer lieber Bruder und bester Freund von mir ist an einem schweren Lungenschuß am 1. Oktober verwundet und am 4. Oktober gestorben.« Mit diesen Worten beginnt ein Brief des Gefreiten Anton Klein, geschrieben am 14.10.1915 in Gumbinnen, adressiert an Grete und Käthe Profittlich.

Vorgeschichte

1987 »tauchte« jener Brief, zusammen mit weiteren Briefen, Fotos und einem großformatigen Gedenkblatt auf. Ein Schüler1) brachte diese Materialien in den Geschichtsunterricht mit, wo wir gerade dabei waren, die Thematik »Der Erste Weltkrieg« zu behandeln. Er bat mich darum, die Briefe, die er aufgrund der alten Schriftzeichen nicht entschlüsseln konnte, vorzulesen. Jene geschichtlichen Quellen hoben das Schicksal des Soldaten Peter Albert Profittlich aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Die für uns zeitlich weit entrückten Ereignisse des Ersten Weltkrieges wurden beim Nachforschen der Lebensgeschichte dieses Menschen plötzlich lebendig. Für die Schüler und den Lehrer war es spannend und zudem menschlich bewegend, einige Spuren über das Leben und Sterben des Peter A. Profittlich zu finden. Des weiteren ergab sich für den Schüler, der die geschichtlichen Quellen in den Unterricht mitbrachte, die Gelegenheit, etwas Licht in die Vergangenheit der eigenen Familiengeschichte zu bringen. Jener Peter A. Profittlich war nämlich der Bruder seiner Großmutter.

Das Schicksal des Peter Albert Profittlich

Peter A. Profittlich, aus Oeverich stammend, war Soldat der 6. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 257. Profittlich war 1915 an der Ostfront gegen die Russen eingesetzt. Bis zum Herbst 1914 hatten die deutschen Truppen durch die erfolgreichen Schlachten bei Gumbinnen, Tannenberg und an den Masurischen Seen die zunächst für Ostpreußen sehr bedrohliche Lage entschärft. Die deutschen Truppen hatten nun das Gesetz des Handelns an sich gerissen. Zwischen April und Oktober 1915 drängten sie die russischen Verbände weit zurück. Die russischen Festungen Kowno, Modlin und Przemysl fielen vor dem deutschen Ansturm. Nach dieser deutschen Offensive wurde Ende 1915 eine Dauerstellung bezogen, die von der rumänischen Grenze am Westrand der Rokitnosümpfe und am Naroczsee, von Dünaburg und Riga bis zur Ostsee verlief.2)

In jene Offensive fällt zeitlich der Tod des jungen Soldaten Profittlich. Er starb an den Folgen eines Lungenschusses am 4.10.1915. Sein Freund Anton Klein schrieb den Schwestern Profittlich diese traurige Nachricht am 14.10.1915. Er schrieb diese Mitteilung aus dem Lazarett in Gumbinnen, da er an der linken Hand verwundet worden war. Erfahren hatte Klein die Todesnachricht von einem Kameraden mit Namen Anton Schäfer. In diesem Brief hieß es: »Ich selber habe sein Grab nicht gesehen. Anton Schäfer von Gimmigen hat es gesehen. Dasselbe befindet sich bei dem Dorfe Kuba, an einem großen See, mit der Überschrift: Hier ruhen die tapferen Krieger Profittlich und Geschinski 6/257. Anders war kein Profittlich in der 6. Kompanie. Ihr werdet Näheres zugeschickt bekommen. Mein herzliches Beileid!«

„In den Kämpfen für die Verteidigung des deutschen Vaterlandes hat auch ein teures Glied ihrer Familie den Heldentod erlitten. Zum Gedächtnis des auf dem Felde der Ehre Gefallenen haben Seine Majestät der Kaiser und König in herzlicher Teilnahme an dem schweren Verlust und in Anerkennung der von dem Verewigten bewiesenen Pflichttreue bis zum Tode Ihnen das beifolgende

GEDENKBLATT

verliehen, das als ein Erinnerungszeichen an die große Zeit und an den unauslöschlichen Dank des Vaterlandes in Ihrer Familie dauernd bewahrt werden möge,

Großes Hauptquartier, den 1. Juli 1916″

(Das Gedenkblatt für den Gefallenen Peter Albert Profittlich und der Begleittext)

Die offizielle Todesnachricht

Am 12.11.1915 schrieb Anton Klein an die Eltern seines gefallenen Freundes. Er teilte den in Oeverich lebenden Eltern im wesentlichen die gleichen Informationen mit, die er schon fast 4 Wochen zuvor den Schwestern Grete und Käthe geschrieben hatte. Anton Klein in seinem Brief vom 12.11.1915: «Er liegt bei Kuba an einem großen See mit einem Kamerad in einem Grabe. Näheres werdet Ihr noch zugeschickt bekommen.«

Jedoch die Mühlen der Militärbürokratie mahlten sehr langsam. Offiziell wurden die Eltern Profittlich noch sehr lange über das Schicksal ihres Sohnes im Ungewissen gelassen. Schließlich erreichte den Vater Heinrich Josef Profittlich eine große Papprolle, die vom Königlichen Landratsamt Ahrweiler über den Bürgermeister zu Ringen nach Oeverich weitergeleitet wurde. Der Poststempel auf der Papprolle trug das Datum 24.7.1916. Die Rolle enthielt ein Schreiben des Kriegsministers vom 1. Juli 1916. Das beiliegende farbige Gedenkblatt in »Postergröße« zeigt einen Engel, der einem friedlich entschlafenen Soldaten einen Eichenlaubstrauß überreicht. Bei einem den Tod derart verklärenden Bild fallen dem Autor dieses Beitrages – wenngleich aus der Distanz von über 70 Jahren – die kontrastiven Sätze eines französischen Soldaten ein, der das Szenarium des Ersten Weltkrieges wie folgt beschrieb: »Nein, nichts von den großartigen, tragischen Schlachtenbildern, wo der Tod mit einem Schlage kam, statt dessen diese kleinen, leidvollen Szenen im dunklen Winkel, bei denen man nicht zu unterscheiden vermag, ob der Schlamm Fleisch ist oder das Fleisch Schlamm.«3)

Schlußbemerkung

Peter Albert Profittlich aus Oeverich war einer von fast 10 Millionen Menschen, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren. Durch einen interessierten Schüler, der die o. g. Materialien in die Schule mitbrachte, gelang es, den Menschen Peter A. Profittlich, sein persönliches Schicksal sowie das Schicksal seiner Angehörigen und Freunde in das Blickfeld des Geschichtsunterrichts zu stellen.

In Statistiken und Zahlen bleibt der Schrecken des Krieges anonym. Daher zeigten die o. g. geschichtlichen Quellen ein anderes Gesicht des Krieges. Diese Materialien waren nicht nur Quellen für den Geschichtsunterricht, der die Schüler für ihren (!) Geschichtsunterricht interessierte, sondern es waren vor allem menschliche Dokumente. Sie ermöglichten es, Geschichte in ihrem Wesenskern zu begreifen, als das Tun und Leiden der Menschen in der Vergangenheit.

Eine Lehre bleibt auch für den Verfasser dieser Zeilen: Wir Lehrer sollten die Spuren und Auswirkungen der »großen Geschichte« auf die Menschen unserer Heimat verstärkt im Geschichtsunterricht behandeln.

Anmerkungen

1 Ein herzliches Wort des Dankes gilt meinem ehemaligen Schüler Konrad Rohen aus Oeverich für sein Engagement und das Einbringen der o. g. geschichtlichen Quellen in den Geschichtsunterricht.

2 Vgl. Walther Hubatsch, Der Erste Weltkrieg. In: BMVG (Hrsg.), Beiträge zur Zeitgeschichte und Geschichte. Heft 5/1966, S. 70.; Vgl. Heinz Herzfeld, Der Erste Weltkrieg. München 4/1974, S. 68 ff.

3 Hans Dollinger (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg in Bildern und Dokumenten. München 1969, Bd. 3, S. 47.

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